Presseinformationen

The Militant Image
Picturing What Is Already Going On, Or The Poetics of the Militant Image

Infos

Mit
Raymond Boisjoly (CA)
Harun Farocki (DE)
Peter Friedl (AT)
Sharon Hayes (US)
Marine Hugonnier (BE)
Alfredo Jaar (US)
Emily Jacir (PS)
Walid Sadek (LB)
Jayce Salloum (CA)
Ines Schaber (DE)
Paola Yacoub (LB)

Eröffnung
27.09.2014, 13:00

Ausstellungsdauer
28.9.–16.11.2014

KünstlerInnengespräche im Vorfeld der Eröffnung
Mit Jayce Salloum (CA), Paola Yacoub (LB), Urban Subjects (AT/CA)
25.9.2014, 17:00

Militant Image – Workshop im Rahmen des steirischen herbst
9. & 10. 10. 2014

Ein Projekt von
Urban Subjects (Sabine Bitter, Jeff Derksen, Helmut Weber) in Zusammenarbeit mit Camera Austria

Koproduziert von
steirischer herbst 2014
»I prefer not to … share!«

Pressetext

Bilder vom Ausbruch von Revolutionen, von der Dynamik bestimmter Befreiungskämpfe, der Verkettung sozialer Bewegungen und von heroischen oder unbeachteten individuellen Widerstands- und Verweigerungsakten – aber auch solchen des Muts oder der Liebe – haben im Lauf der Geschichte ein Archiv militanter Bilder entstehen lassen. Doch so viel Kraft sich Bilder von Militanz – vom militanten Kino über Plakate sozialer Bewegungen bis hin zu in der Hitze des Gefechts entstandenen Momentaufnahmen – auch bewahren, in der zeitgenössischen Medienlandschaft mit ihrer Überfülle an Bildern sozialen Aufruhrs ist ihre Wirkung keineswegs sicher. Was also macht ein Bild in der politischen und medialen Landschaft unserer Tage militant?
Das militante Bild aller Zeiten steht sowohl in einem Dialog mit seinem historischen Präsens wie es die Form der Gegenwart infrage stellt. Kodwo Eshun und Ros Gray haben überzeugend dargelegt, dass das In-die-Gegenwart-Versetzen vergangener Kämpfe, wie sie im militanten Bild gezeigt werden, eine »Revision der Historiografien der Gegenwart« auslösen kann, weil es dem militanten Bild durch das erneute In-Umlauf-Bringen ein »Nachleben« verleiht.1 Diese komplexe Zeitstruktur des militanten Bildes öffnet die Vergangenheit mittels historischer, affektiver und zutiefst politischer Verknüpfungen. Sich an der Verfassung unserer Gegenwart als »einer gefühlten und fortwährend revidierten«2 entzündend, erlangt das militante Bild ein politisches und affektives Gewicht, das der Vorstellung künftiger Akte von Militanz Auftrieb gibt. Trotz der produktiven und poetischen Hoffnung, das militante Bild könne imstande sein, Akte der Militanz nicht nur zu repräsentieren, sondern auch zu produzieren, also nicht nur das Bild eines Zustands abzugeben, sondern ihn auch herbeizuführen, ist das militante Bild allerdings nicht identisch mit Militanz, sondern stört vielmehr die Repräsentationserwartung und formiert eine bestimmte Bildpolitik.
Als ästhetische Form militant wird das militante Bild durch seine Beziehung zu seinem historischen Anlass und durch seine Zirkulation in einer affektiven Gegenökonomie; innerhalb letzterer verbindet es sich mit den bestehenden Potenzialen und Affekten in und mittels Communities, Situationen und Schauplätzen. Als Intensität innerhalb einer affektiven Ökonomie ruht die Militanz nicht allein im Bild, sondern wird – um Sara Ahmed zu zitieren – »nur als Effekt seiner Zirkulation hervorgebracht«.3 Das militante Bild kann darum nicht einfach singulär oder ikonisch, sondern muss, wie Bachtin in Bezug auf das Wort feststellte, zur Hälfte das eines anderen sein.
Das vorliegende Ausstellungsprojekt stellt Spekulationen darüber an, wie Bilder in diesen Zeiten des Aufstands militant werden, indem sie die Gegenwart – ähnlich wie Lauren Berlant in ihrer Wiederaufnahme von Raymond Williams – als »Emergenzprozess« begreifen.4 Das militante Bild hängt demnach zusammen mit und schafft durch die Zeit verbundene Gefühlsstrukturen, die das Herrschende infrage stellen, die verbleibenden Reste erneut in Umlauf bringen und sich an die Energie des Entstehenden ankoppeln. Kampfbereiche – wie die um nationale Befreiung, regionale Autonomie oder ortsbezogene Fragen – sind heute nicht unbedingt marginaler oder unbestimmter; sie sind – in dieser Ära der Überwachung, der Migration, der biopolitischen und staatlichen Macht – lediglich anders beschaffen. Wie geht das militante Bild in dieser Oszillation von Gegenwarten mit dem zusammen, was der Geograf Neil Smith als »revolutionären Imperativ«5 und als zwingende historische Kraft bezeichnet? Können wir ein neues ästhetisches Sichtbarkeitsregime für Militanz annehmen oder wird Militanz nur in dem Moment sichtbar, in dem sie entsteht?
Das militante Bild ist unweigerlich in dieselben sozialen Verhältnisse eingebunden, die es auch prägen und gegen die es sich wendet. Bestimmte Formen der Macht generieren bestimmte Formen von Militanz, und das militante Bild spiegelt die Pluralität der Macht: Es ist ein Teil dessen, was bereits im Gang ist. Die Ausstellung »The Militant Image: Picturing What Is Already Going On, Or The Poetics of the Militant Image« erkennt eine Vielfalt von Militanzen an, die jeweils nach einem bestimmten ästhetischen Ansatz verlangen. Um nicht in bloßen Pluralismus zu verfallen, stützt sich unser kuratorischer Ansatz auf produktive Antagonismen, die verschiedene Arten von Militanz und verschiedene Modi militanter Repräsentation hervortreten lassen. Diese Formen von Militanz überlappen sich zeitlich, räumlich und politisch. Das militante Bild gehört zur Hälfte der Vergangenheit und zur Hälfte der Zukunft an, auch wenn es in der Gegenwart als historischem Anlass gründet.

1 Kodwo Eshun and Ros Gray, “The Militant Image: A Cine-Geography: Editors’ Introduction”, Third Text 25 (2011), p. 2, 3, 11.
2 Lauren Berlant, Cruel Optimism (Durham: Duke University Press, 2011), p. 4.
3 Sarah Ahmed, “Affective Economies”, Social Text 79 (2004), p. 3.
4 Lauren Berlant, op cit., p. 7.
5 Neil Smith, “The Revolutionary Imperative”, Antipode 41 (2010), pp. 50–65.

Raymond Boisjoly
In seiner Arbeit problematisiert Boisjoly die Darstellung von Angehörigen Indigener Völker oder First Nations, indem er sie technischen und kulturellen Vermittlungsoperationen unterwirft. Für die Ausstellung produziert Boisjoly eine Bild-Text-Arbeit, die das Verständnis der Gegenwart und Zeitlichkeit von Handlungsmacht und Indigenität stört: »Where we were is no longer where we are and where we will be is not yet« (2014). Die scheinbar geradlinige Aussage (»Wir befinden uns immer inmitten von Veränderungen, die bereits im Gang sind«) ändert ein bestimmtes Verständnis der Gegenwart als neoliberales Jetzt, das Jetzt des Endes der Geschichte. Im Rahmen der kolonialen Gegenwart jedoch, die Angehörigen Indigener Völker auferlegt wird, bekommt dieser Satz etwas Kritisch-Militantes, wird zu einer Aussage, die nach Erwiderung verlangt. Die hier angesprochene alternative Zeitauffassung ist auch von Indigenen literarischen Gebilden geprägt, die die Gegenwärtigkeit von Vergangenheit und Tradition zeigen. Boisjoly bemerkt zur Sprach- und Repräsentationspolitik in seiner Arbeit: »Mich interessiert, dass etwas wie der ›Kolonialismus‹ nie direkt beobachtet, sondern nur in den konkreten Mechanismen erspäht werden kann, die auf die kolonisierten Populationen einwirken.«

Harun Farocki
Harun Farockis Film »Nicht löschbares Feuer« von 1969 erfasst präzise die Problematik des militanten Bildes: Wie vermag ein Bild, irgendein Bild, die Technologie und die Zerstörungen des Krieges, wie sie in Vietnam zutage traten, zu repräsentieren? Farockis Film behandelt diese Problematik der Gegenökonomien des Affekts unter sorgfältiger Vermeidung von Schock als Mittel affektiver Einstimmung. Stattdessen bringt »Nicht löschbares Feuer« mithilfe von Fakten, inszenierten Sequenzen und subtilem Agitprop Argumente gegen die Verbindung von Wissenschaft, Krieg und Kapital vor. Die Militanz von Farockis Film liegt gleichermaßen in seiner Ästhetik wie in seinem Inhalt – will man Napalm bekämpfen, bevor es zu einem nicht löschbaren Feuer werden kann, muss man es am Ort der Produktion tun: »Wenn Napalm brennt, ist es zu spät zum Löschen. Man muss das Napalm dort bekämpfen, wo Napalm hergestellt wird: in den Betrieben.« »Nicht löschbares Feuer« balanciert einen Moment aus, in dem Protest, Verweigerung und Militanz einen brutalen Krieg verkürzten, insistiert aber auf dem Zusammenhang von historischem Anlass, konkreter Aktion und militantem Bild.

Peter Friedl
Peter Friedl hat 1992 bis 2010 eine – wie er sie nennt – »lyrische« Sammlung von Zeitungsfotos über Protestaktionen zusammengetragen, die das gesamte geopolitische Spektrum umfassen. Eine 2006 erstmals in der vom MACBA herausgegebenen Buchfassung erschienene Auswahl dieser Bilder, die Friedl auch als Bilder »öffentlicher Integrität und Intimität« bezeichnet, wurde historisch-chronologisch und nicht nach ihrem Publikationszusammenhang in der globalen Infoscape organisiert. Dieses Neu-in-Umlauf-Bringen von Zeitungsbildern unterläuft die mediale Einordnung nach dem »Protestparadigma«, das solche Aktionen als konfrontative Spektakel darstellt und die tatsächlichen Ursachen unter den Teppich kehrt. Der Projekttitel »Theory of Justice« bezieht sich auf die Untersuchung über die Rolle der Gerechtigkeit in einer »wohlregulierten Gesellschaft« , die der amerikanische Philosoph John Rawls 1971 in A Theory of Justice1 unternahm. Rawls’ auf der Verteilung von Rechten und Pflichten basierende Version des Gesellschaftsvertrags wurde durch die neoliberale Trennung von Rechten und Pflichten und die Aufspaltung des Gesellschaftsvertrags auf individuelle Erfolge und Niederlagen schwer ramponiert. Aber Friedls modifizierter Titel, der auf den Singularität signalisierenden unbestimmten Artikel verzichtet, wendet sich wieder einer umfassenderen Befragung von Gerechtigkeit und ihrer heutigen bildlichen Darstellung zu. In seiner Feststellung, es handle sich um »ein Projekt über Bildgerechtigkeit«, verbindet Friedl Repräsentation, Ästhetik und Gerechtigkeit.
1 John Rawls, A Theory of Justice (Cambridge, MA: Harvard University Press, 1971).

Sharon Hayes
Die Fruchtcremetorte, die Thom Higgins 1977 der Sängerin Anita Bryant ins Gesicht warf, die nicht nur Orangensaft aus Florida, sondern auch die homophobe Kampagne »Save Our Children« bewarb, markiert einen wichtigen Moment queeren politischen Aktivismus. Der Tortenwurf war ein militanter Akt gegen Bryants öffentlichen Feldzug gegen »militante Homosexualität«, wie sie es nannte. Und als performativer Akt der Massenkommunikation wurde diese Intervention bei einer Pressekonferenz für Bryants Kampagne zur Aussetzung eines in Dade County, Florida, erlassenen Gesetzes gegen Schwulendiskriminierung sofort zu einem historischen militanten Bild. Im Zuge ihrer Praxis der Wiedereinsetzung historischer Momente in neue affektive Kreisläufe und neue politische Möglichkeiten überführt Sharon Hayes in »I Saved Her a Bullet« (2012) dieses militante Bild mit einem Stück verschwindender Technologie – dem Overhead-Projektor – in die Gegenwart. Hayes’ Projektion verweist mittels einer »zeitlichen Öffnung« auf die Notwendigkeit künftiger Aktionen. Denn so plump Bryants Kampagne heute auch erscheint, so wenig hat die Zurückdrängung von Lesben-, Schwulen-, Bisexuellen-, Trans- und Queerpersonenrechten aufgehört. Diese militante Zeitstruktur von Kunst und Politik ist die treibende Kraft hinter einem Großteil von Hayes’ Arbeiten, zielt diese doch auf die Produktion »künftiger sozialer AkteurInnen«, wie es Simon Critchley nennt.1
1 Simon Critchley, Infinitely Demanding: Ethics of Commitment, Politics of Resistance (London: Verso, 2007).

Marine Hugonnier
Marine Hugonniers Essayfilm “ARIANA” (2003) beginnt mit dem Versuch, eine Panorama-Aufnahme des Pandschir-Tals in Nordafghanistan zu drehen, ein Tal, das dank der Berge des Hindukusch von den Militärinterventionen der Sowjets und der Taliban weitgehend verschont blieb. Wegen eines Erdrutsches kann Hugonnier das Tal aber nicht filmen und bei der Rückkehr nach Kabul nimmt der Film eine selbstkritische Wende und beginnt, den eigenen Wunsch, das Tal aufzunehmen, in Hinblick auf die kolonialistischen Tropen des Sehens und Besitzens und ein militaristisches Blickregime zu befragen. Nach dieser anfänglichen Erschütterung der Gewissheiten dokumentarischer Darstellung stellt der Film eben den Blick infrage, an dem er sich selbst versucht. Hugonniers Off-Kommentar verbindet den Film mit der Kritik an der Fähigkeit des Mediums, den Raum nahtlos zu einem einheitlichen Ganzen zu fügen und ihn damit als sozialen Prozess auszublenden. Die Militanz der Weigerung, das Pandschir-Tal oder Kabul zu filmen, verweist sowohl auf die Mittel des Films als auch die Rolle von Blickregimes als Aspekte des militanten Bildes.

Alfredo Jaar
Im Fotobuch A Hundred Times Nguyen (1994) wiederholt Alfredo Jaar vier Porträts eines jungen Mädchens, das er 1991 in einem Hongkonger Flüchtlingslager aufnahm. Mithilfe der seriellen Kombinatorik dieser vier Bilder versucht er, ein durch die sozialen Verheißungen der Moderne entwurzeltes oder verlassenes Subjekt darzustellen. Durch diese Wiederholung arbeitet Jaar einen im Zentrum der revanchistischen Globalisierung und des Neoliberalismus auftretenden Widerspruch heraus – dass die Produktion von Bevölkerungsüberschüssen nach einer politischen und ethischen Antwort verlangt. Jaar begegnet der strukturellen Aussonderung überschüssiger menschlicher Subjekte durch den vagabundierenden Kapitalismus und die Erosion sozialer Reproduktionsnetzwerke mit einer kraftvoll-humanistischen, durch die maschinelle Wiederholung der Moderne geprägten Geste – einem Porträt, wiederholt und in Umlauf gebracht in einer affektiven Ökonomie, die die Bedingungen der Flüchtlinge zugleich vereinzelt und verallgemeinert. Diese dialektische Spannung bleibt in Jaars Migrantenbild (um einen Begriff von T. J. Demos zu verwenden1) unaufgehoben, da er sich darstellender Narrative ebenso bedient wie sie auflöst, um ein Bild gegen die Verlassenheit des Einzelnen zu schaffen. Wie in vielen Arbeiten Jaars hat dessen ethische Kraft etwas Militantes. Mit der Plakat-Arbeit »You Do Not Take a Photograph. You Make It.« (2013) insis-tiert Jaar̓s Äußerung auf dem aktiven und performativen Aspekt der Fotografie, wodurch die Herstellung ihrer Bedeutung und ihres Affekts wechselseitig und potenziell militant verläuft.
1 T. J. Demos, The Migrant Image: The Art and Politics of Documentary During Global Crisis (Durham: Duke University Press, 2013).

Emily Jacir
Emily Jacirs »Bethlehem Street Corner« (1998) ist ein Diptychon aus zwei unterschiedlich kodierten Elementen globaler Kultur: einem Stapel ordentlich gefalteter T-Shirts mit einem tonwertgetrennten Schwarzweißbild von Kurt Cobain samt Geburts- und Todesdatum (1967 – 1994) und einem gleich großen Stapel schwarzweißer Kufijas, dem globalen politischen Zeichen für Solidarität mit Palästina. Mit der heiklen Verbindung von Rock’n’Roll und echter Politik zieht diese Arbeit Parallelen zwischen der Verbreitung affektiver Politik durch künstlerische Rebellion und Solidarität mit antikolonialen Bewegungen. Jacirs zweite Arbeit in der Ausstellung materialisiert eine andere Form von Militanz: zukünftige israelische Briefmarken, 2007 für The Book of Stamps der Zeitschrift Cabinet in Auftrag gegeben, ist eine Neuauflage der Mail Art. Jacir entwarf dabei Briefmarken für den »künftigen Staat Israel« auf der Basis von U.S.-amerikanischen Marken mit Motiven aus der indigenen Kultur Amerikas. Indem sie auf ihren Marken für den künftigen Staat Israel die indigenen Motive der U.S.-Briefmarken durch solche aus der Kultur und Geschichte Palästinas ersetzt, verweist Jacir auf den Zusammenhang von Macht, Negation und Gedenken sowie auf Besatzung und Kolonialismus heute.

Walid Sadek
Sadeks Arbeiten formulieren allesamt Fragen nach den Möglichkeiten und Schwierigkeiten visueller Darstellung und der Rolle der Kunst im »sich dahinziehenden Krieg« im Libanon. In Weiterführung seiner Beschäftigung mit den Möglichkeiten von Text und Installation, aber auch mit dem Akt des Lesens, hat Walid Sadek eine architekturspezifische Arbeit für den Ausstellungsraum von Camera Austria geschaffen; sie ist Teil einer neuen Serie mit dem Titel »Thoughts of Preparedness« (2014). Sadek schreibt: »Der Satz [›Das Bild ist eine Begegnung und als solche nicht vorhersagbar‹] ist eine von vierzehn Thesen über das Bild; das Bild als verstörende Erscheinung.« Diese Beschwörung des Bildes als verstörende Erscheinung und Moment des Bedeutens, der sich der Paraphrasierung und einfachen Fixierung entzieht, wird bezeichnenderweise in Textform vorgelegt, einem zeichenbasierten System, das ebenso offen für dialogische Begegnungen ist. Problematik und Potenzial des militanten Bildes werden hier durch das Sprachereignis in Szene gesetzt, wobei das Politische in seinen Überschüssen und seiner Unvorhersagbarkeit besteht, nicht im monologischen Imperativ des geschlossenen Textes.

Jayce Salloum
Jayce Salloum schafft für diese Ausstellung eine neue Fotokonstellation mit dem Titel »location/dis-location(s): gleaning spaces« (2014) aus seinem Langzeitprojekt »untitled: photographs«, einem sich dauernd wandelnden Bildarchiv, zu räumlichen, kulturellen, rassisierenden und ökonomischen Vermittlungsprozessen. Das Bemerkenswerte an seinen Fotokonstellationen sind die semantischen Cluster, die imagistischen und politischen Gefüge, aber auch die Texturen und Verdichtungen, die sie bilden. Zugleich streng geordnet und strukturell offen, versetzen diese Konstellationen den/die BetrachterIn in eine kritische Beobachterposition, ziehen ihn/sie in die multiplen Standpunkte der Arbeit hinein. Die komplexen Arbeiten beruhen aber auch auf einem vorausgehenden Moment kritischer Reflexion, in dem Salloum das Foto aufnimmt; durch die Darstellung des Alltags in Momenten des Wandels und des Übergangs hält auch jedes einzelne Foto seine Bedeutung in Schwebe. Salloums Arbeiten sind kritische Überlegungen zu festen Wissensbeständen über Nationalstaat, Identität und Geopolitik und treffen zugleich Feststellungen über die materiellen Auswirkungen der Gewalt von Kapital, Imperialismus und der gegenwärtigen Form des Kolonialismus. In ihrer Subtilität können sie sowohl entschieden ortsbezogen sein als auch den Ort über seine unmittelbaren Gegebenheiten hinaus rekonfigurieren.

Ines Schaber
Ines Schabers »Culture Is Our Business« (2004) verfolgt ein 1919 in einer Straße im Berliner Presseviertel aufgenommenes Bild von Militanz auf seinem Weg durch Fotoagenturen, das Archiv des Fotografen und in die Agentur für Bilder zur Zeitgeschichte, ein Projekt, das Schaber mit einer Gruppe von Freunden betreibt. Ironischerweise befinden sich Kopien von Willy Römers Aufnahme von Revolutionären, die sich mit ihren Gewehren hinter einer Barrikade aus Zeitungsstapeln verschanzen, auch in den Beständen der von Bill Gates gegründeten Bildagentur Corbis. Im Corbis-Archiv kommt diesem Bild revolutionärer Militanz nicht nur seine historische Besonderheit abhanden (da es falsch zugeordnet wird), sondern in der digitalisierten Warenform wird auch sein Umlauf in affektiven Ökonomien beschränkt, in denen es sich mit anderen Gegennarrativen verbinden könnte. Zusätzlich zur Weiterverbreitung von Römers Foto interveniert Schaber in diesen Bereich öffentlichen Gegengedächtnisses und in die Einhegung und Umformung solcher Bilder zur Ware auch mit einem an Bill Gates gerichteten Brief, mit dem sie in »Culture Is Our Business« einen Teil von Römers Foto verdeckt. Wie auch in anderen ihrer Arbeiten verbindet die Künstlerin mit dieser Konstruktion Sichtbarkeits-, Zugangs- und Repräsentationspolitik.

Paola Yacoub
Im Sommer 1988, in einer heißen Phase des libanesischen Bürgerkriegs, assistierte Yacoub einem Fotojournalisten bei der Dokumentation von Kampfhandlungen und taktischen Militäroperationen in Beirut. Dabei nahm sie eine Reihe von Schwarzweiß-Fotografien auf, die sich von der Darstellung konkreter Kriegsereignisse abkehrten und stattdessen den zerstörten Stadtraum Beiruts in den Blick nahmen. Das Fotolabor betrachtete diese Fotografien als unbrauchbar, weil sie keine tragischen Ereignisse darstellten, und entwickelte sie daher nicht ordentlich, wusch sie schlampig aus, sodass sie heute vergilbt sind. Gerade weil diese Fotos die erwarteten Paradigmen der Kriegsfotografie durchbrechen und Yacoubs spezifischen Blick auf den zerbombten Stadtraum in den Vordergrund stellen, verleihen sie dem Dokumentarischen eine affektive Resonanz. Das Militante des Bildes liegt hier in seiner Schrägstellung zur urbanen Landschaft, zum historischen Ereignis und zur fotografischen Ästhetik. Auch wenn vieles fehlt, was man von Bildern einer Kriegslandschaft erwartet, versetzt Yacoubs »Summer 88« (2006) die mit Krieg assoziierten negativen Affekte in Bewegung und lädt die Fotos mit einer affektiven Spannung auf.

Bildmaterial

Die honorarfreie Veröffentlichung ist nur in Zusammenhang mit der Berichterstattung über die Ausstellung und die Publikation gestattet. Wir ersuchen Sie die Fotografien vollständig und nicht in Ausschnitten wiederzugeben. Bildtitel als Download unter dem entsprechenden Link.

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