Camera Austria International

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118 | 2012

  • JENS ASTHOFF
    Natalie Czech: Bildlektüren
  • NATALIE CZECH
  • BARRY SCHWABSKY
    Natalie Czech: Fragment einer Sprache der Liebe
  • KENNETH GOLDSMITH
    Erica Baum: Hintergrundtext
  • ERICA BAUM
  • VANESSA JOAN MÜLLER
    Shannon Ebner: Nonverbale Restmengen
  • SHANNON EBNER
  • SUSANNE HOLSCHBACH
    Sven Johne: Die Illusion des ewigen Sommers
  • SVEN JOHNE
  • JAN VERWOERT
    Zeuge Bild 2/4 Wie mit Spuk umgehen?

Vorwort

»Eine erste Voraussetzung zur Klärung, wie sich der Romancier [gemeint ist Marcel Proust, Anm. der Redaktion] auf Fotografie bezog, liegt darin, dass beide Medien – Fotografie und Roman – sich dem Vergessen der Vergangenheit widersetzen. Es war die Fotografie, die die subjektive Subtilität des Erinnerns in die Mechanik technisch-industrieller Prozesse übertrug. Ein weiteres großartiges Analogieverhältnis verbindet Fotografie/Literatur: Beide bemühen sich um größte Präzision. Dabei sind sie als Medien nicht identisch.« Was Gislind Nabakowski in ihrer Kritik »Was wir ohne die Bücher (vielleicht) nicht gesehen hätten …« zu drei neueren Publikationen über das intermediale Verhältnis von Literatur und Fotografie schreibt (siehe S. 91f. in dieser Ausgabe), führt in das Leitmotiv »Fotografie_Text« der vorliegenden Ausgabe ein und ergänzt somit auf kongeniale Weise unsere Auseinandersetzung mit vier KünstlerInnen, die wir Ihnen hier in monographischen Beiträgen vorstellen.
Die thematische Rahmensetzung »Fotografie_Text« folgt der Beobachtung, dass gegenwärtig zeitgenössische FotokünstlerInnen wieder vermehrt mit dem In-Eins-Fallen von Text- und Bildmedien arbeiten. Diesem Phänomen schenkt bspw. gegenwärtig das MoMA, New York, mit seiner Ausstellung »Ecstatic Alphabets/Heaps of Languages« Aufmerksamkeit, in dem aktuelle Positionen mit den historischen literarischen und künstlerischen Bewegungen des 20. Jahrhunderts, in denen Sprache als Material aufgefasst wurde, gegengelesen werden. Formen der Überblendung – das Verbildlichen von Schreibformen mit dem Medium Fotografie – stehen im Zentrum der künstlerischen Arbeiten unter anderem von Erica Baum, Natalie Czech und Shannon Ebner: Einen zentralen Bezugspunkt bildet dabei das Genre der Konkreten Poesie, Insignie des Zerfalls der klassischen Schreibformen, das a priori einer visuellen linguistischen Konstellation zuarbeitet, einer Bildwerdung von Schrift.

 

Volltext

Camera Austria International 118 | 2012
Vorwort

»Eine erste Voraussetzung zur Klärung, wie sich der Romancier [gemeint ist Marcel Proust, Anm. der Redaktion] auf Fotografie bezog, liegt darin, dass beide Medien – Fotografie und Roman – sich dem Vergessen der Vergangenheit widersetzen. Es war die Fotografie, die die subjektive Subtilität des Erinnerns in die Mechanik technisch-industrieller Prozesse übertrug. Ein weiteres großartiges Analogieverhältnis verbindet Fotografie/Literatur: Beide bemühen sich um größte Präzision. Dabei sind sie als Medien nicht identisch.« Was Gislind Nabakowski in ihrer Kritik »Was wir ohne die Bücher (vielleicht) nicht gesehen hätten …« zu drei neueren Publikationen über das intermediale Verhältnis von Literatur und Fotografie schreibt (siehe S. 91f. in dieser Ausgabe), führt in das Leitmotiv »Fotografie_Text« der vorliegenden Ausgabe ein und ergänzt somit auf kongeniale Weise unsere Auseinandersetzung mit vier KünstlerInnen, die wir Ihnen hier in monographischen Beiträgen vorstellen.
Die thematische Rahmensetzung »Fotografie_Text« folgt der Beobachtung, dass gegenwärtig zeitgenössische FotokünstlerInnen wieder vermehrt mit dem In-Eins-Fallen von Text- und Bildmedien arbeiten. Diesem Phänomen schenkt bspw. gegenwärtig das MoMA, New York, mit seiner Ausstellung »Ecstatic Alphabets/Heaps of Languages« Aufmerksamkeit, in dem aktuelle Positionen mit den historischen literarischen und künstlerischen Bewegungen des 20. Jahrhunderts, in denen Sprache als Material aufgefasst wurde, gegengelesen werden. Formen der Überblendung – das Verbildlichen von Schreibformen mit dem Medium Fotografie – stehen im Zentrum der künstlerischen Arbeiten unter anderem von Erica Baum, Natalie Czech und Shannon Ebner: Einen zentralen Bezugspunkt bildet dabei das Genre der Konkreten Poesie, Insignie des Zerfalls der klassischen Schreibformen, das a priori einer visuellen linguistischen Konstellation zuarbeitet, einer Bildwerdung von Schrift.
So stellt Jens Asthoff über die Fotografien von Natalie Czech heraus, dass sie mit ihnen die Sprache als Möglichkeitsraum erforscht, die Grenzen des Bedeutens ausreizt, mit Schrift-Bild-Relationen experimentiert und Texte in Schichtungen von Intertextualität einander kreuzen und durchdringen lässt. In seinem literarischen Text ergänzt Barry Schwabsky die Analyse Asthoffs durch eine Befragung von Czechs Arbeiten – »Ist es möglich sie als einen einzigen großen Liebesbrief zu sehen: ein Billetdoux an die Dichtung?« – und stellt fest, dass das Letzte, worauf Liebende verzichten wollen, die Möglichkeit ist, das, was sie lieben, anzublicken: »Dichtung zu fotografieren, heißt, sie anzublicken.« Teile ihres hier publizierten Künstlerbeitrages wird Natalie Czech nach Drucklegung dieser Ausgabe wiederum in eine eigene fotografische Arbeit übersetzen.
Kenneth Goldsmith, Poet und u.a. Gründer von UbuWeb, hat bereits in einigen der Künstlerbücher von Erica Baum seine Texte veröffentlicht: sowohl als Poet als auch als Theoretiker. Erica Baums Arbeiten sind – wie die von Czech und Ebner auch – der Gattung der Konzeptuellen Dichtung verpflichtet, die »aus taktischen Gründen Unkreativität, Unoriginalität, Unlesbarkeit, Appropriation, geistigen Diebstahl, Betrug und Fälschung zur Regel erhebt« (Goldsmith). Ausgangspunkt ihrer fotografischen Arbeiten sind Baums Recherchen über antiquarische Bücher vornehmlich amerikanischer DichterInnen, Bücher mit spezifischen typografischen Eigenschaften und haptischen Qualitäten. Eine weitere Quelle ihrer Arbeiten sind kategoriale Beschlagwortungen in Bibliotheken und anderen Textarchiven. Text, Bild und die sich damit verknüpfenden Verweissysteme werden in ihren Arbeiten in einer Spannung gehalten: Ihren Ordnungen, Rhythmen und Hierarchien im Prozess des »Lesens« ihrer Fotografien spürt Goldsmith auf seinerseits assoziative Weise nach – um sie als lose, unverbundene Narrative, parallele semiotische Systeme zu qualifizieren.
Auch Shannon Ebner erforscht in ihrer fotografischen Arbeit die Korrelationen von Bild und Sprache resp. Zeichen. Auf der Basis von verschiedenen Sprachmustern, die sie sowohl in der Poesie, im experimentellen Schreiben und in der politischen Rhetorik auffindet, konstruiert Ebner ihre fotografischen Textbilder, Briefe und Phrasen. Ihre Arbeit untersucht dabei, wie Sprache und Bild sich gegenseitig bedingen und errichten. Vanessa Joan Müller untersucht dieses »Spannungsfeld von sprachlicher Repräsentation und optischer Präsenz« in der Fotografie von Shannon Ebner, die Wörter wie Skulpturen in Landschaften und abstrakten Bildräumen platziert, eigene Alphabete entwickelt oder aber Buchstaben als in den Alltag eingebettete objects trouvés in Szene setzt.
Die Verwendungsweisen von Sprache/Sprachmustern und die Funktionsweisen bzw. die  Manipulierbarkeit von Narration sind wiederum für das Verständnis der Arbeiten von Sven Johne entscheidend: Johne kreiert mit seinen seriellen Arbeiten eine Form der Komplizenschaft zwischen Bild und Schrift. Bezugnehmend auf die Arbeit »Roses from Africa« (2011) schreibt Susanne Holschbach: »Die Art und Weise, wie Fotografie, Bildlegende und Narration sowohl inhaltlich als auch formal verknüpft werden, überführt […] die Relaisfunktion zwischen Text und Bild in eine ästhetische Konfiguration, die nicht mehr einer Reduktion von Bedeutung, sondern einer Mehrdeutigkeit auf anderer Ebene zuarbeitet«. »Die Illusion des ewigen Sommer« – so der Titel des Beitrages von Holschbach – nährt auch Johnes 2012 entstandene Arbeit »Lampedusa Hotels«, ein 16-seitiges Magazin im Stil eines Reisekataloges, das wir unseren AbonnentInnen exklusiv zu dieser Ausgabe von Camera Austria International beilegen: Zwischen die Seiten dieser banal-brillanten Aneinanderreihung von Hotelzimmeraufnahmen mit Blick auf das ungetrübte Blau des Mittelmeers schiebt sich unmittelbar das »Repertoire unseres medialen Halbwissens« über die täglich ankommenden Flüchtlinge auf der Insel. Indes: Diese unausweichliche »moralische Aufladung vollzieht sich auf der Seite der BertrachterInnen« (Holschbach). Dass wir unseren AbonnentInnen diese Edition von Sven Johne beilegen können, ist Ergebnis der Medienpartnerschaft mit »RAY Fotografieprojekte«. Das MMK in Frankfurt hat anlässlich der auftaktgebenden Ausstellung zu RAY, »Making History«, diese Arbeit von Johne mitproduziert, die auch dort zur Mitnahme auflag (vgl. hier auch die Rezension von Verena Kuni in dieser Ausgabe, S. 76f.). An dieser Stelle möchten wir Sie bereits jetzt auf die erste Präsentation der Arbeiten von Sven Johne in Österreich hinweisen, die für den Sommer 2013 in den Ausstellungsräumen bei Camera Austria in Graz in Planung ist.
Das Forum dieser Ausgabe wurde von Mia Jankowicz (Contemporary Image Collective, Kairo)  und Constanze Wicke (Museum für Photographie Baunschweig) kuratiert und zeigt junge KünstlerInnen aus Kairo. In gewisser Weise knüpfen sie damit an das von Catherine David vor exakt zehn Jahren für Camera Austria International erarbeitete Dossier »Images Du Monde Arabe« an (vgl. Nr. 78/2002), das den Beginn einer kontinuierlichen Beschäftigung mit Positionen aus dem arabischen Raum markierte. Das Forum dieser Ausgabe erfährt vor dem Hintergrund der jüngsten politischen Umwälzungen eine besondere Zuspitzung in der Wahrnehmung: Gerade deshalb war es Mia Jankowicz und Constanze Wicke wichtig, die Diversität einer jüngeren, den Diskurs um die Gegenwartskunst nicht nur im arabischen Raum wesentlich mitbestimmenden Generation bildender KünstlerInnen abzubilden – und eben nicht »nur« auf Bilder der Revolution zu fokussieren bzw. diese in einen erweiterten Kontext der Diskussionen um künstlerisches Selbstverständnis im Verhältnis zu politischem Engagement bzw. Aktivismus zu stellen und die auch für die KünstlerInnen selbst so wichtigen Trennlinien in der Rezeption ihrer Arbeiten herauszudestillieren.
Das Aufeinandertreffen von Wort und Bild hat die Debatte der Fotografie von jeher mitgeprägt, sei es durch die Benjaminsche Wendung, dass das Bild immer schon von einem unausgesprochenen Text umgeben ist, sei es durch aktuellere Konfrontationen: »Die Bilder stoßen aufeinander, damit die Worte zum Vorschein komen können, die Worte stoßen aufeinander, damit die Bilder zum Vorschein kommen können, Bilder und Worte kollidieren miteinander, damit das Denken seinen Ort im Visuellen hat.« (Georges Didi-Huberman).
Sie können uns antreffen auf den folgenden Messen und Festivals: Wir sind präsent auf der PHotoEspaña, der Art Basel und LISTE (Basel) sowie auf dem Festival PhotoIreland in Dublin.

Maren Lübbke-Tidow
Reinhard Braun
Juni 2012

Beiträge

Forum

Presented by Mia Jankowicz and Constanze Wicke:

AHMED KAMEL

MOHAMED EZZ

IMAN ISSA

TAREK HEFNY

OSAMA DAWOD

MOHAMED ABDELKARIM

JASMINA METWALY

Ausstellungen

Revolution vs Revolution
Beirut Art Center
WALID SADEK

Occupy! The Struggle for Free Spaces since the 1970s
Wien Museum, Vienna
MARINA GRZINIC / DANILA MAYER

Sofie Thorsen: Schnitt A-A‘ / Cut A–A‘
Kunsthaus Graz
Kunsthaus Baselland, Muttenz/Basel
MARGIT NEUHOLD

Thomas Ruff
Haus der Kunst, München
EVA MARIA STADLER

Making History
RAY 2012 Fotografieprojekte
MMK Museum für Moderne Kunst, MMK Zollamt,
Frankfurter Kunstverein, Frankfurt am Main
VERENA KUNI

Zwischen Neuerung und Restauration. Zum 50. Jubiläum des Oberhausener Manifests bei den diesjährigen Internationalen Kurzfilmtagen
58. Internationale Kurzflmtage Oberhausen
RAINER BELLENBAUM

Chantal Akerman: Too Far, Too Close
MHKA, Antwerp
YOANN VAN PARYS

Hans Haacke: Castillos en el aire / Castles in the air
Museo National Centro de Arte Reina Sofia, Madrid
MARCELO EXPÓSITO

Zoe Leonard: Observation Point
Camden Arts Centre, London
PAOLO MAGAGNOLI

Luigi Ghirri: Project Prints. An Adventure in Thinking and Looking
Castello di Rivoli
GABRIELE FRANCESCO SASSONE

John Gossage: The Thirty-Two Inch Ruler / Map of Babylon
Sprengel Museum Hannover
CAROLIN FÖRSTER

Boris Mikhailov: Time Is out of Joint. Fotografien 1966-2011
Berlinische Galerie, Berlin
JULIA GWENDOLYN SCHNEIDER

Ursula Biemann: Mission Reports
Lentos Kunstmuseum, Linz
MAREN RICHTER

What Is Left of Avant-Garde Performance Art – And Who Owns It …?
Gina Pane. E per amore vostro: l’altro
MART, Rovereto
STEFANIE SEIBOLD

La Triennale – Intense Proximity
Palais de Tokyo and various venues
ESTELLE BLASCHKE

Hito Steyerl, Thomas Keenan & Eyal Weizman, Paulo Tavares: Mengeles Schädel. Der Aufstieg der forensischen Ästhetik
Portikus, Frankfurt
MAREN LÜBBKE-TIDOW

Josephine Pryde: Miss Austen Enjoys Photography
Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf
MELANIE OHNEMUS

Bücher

Erik van der Weijde: Palm Tree, 2009, Der Baum, 2010 und Bonsai, 2011.
4478zine, Amsterdam
JAN WENZEL

Michael Schmidt: Lebensmittel
Snoeck Verlag, Köln 2012
JOACHIM BROHM

Gyula Halász Brassaï: Proust und die Liebe zur Photographie
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2001
Kentaro Kawashima: Autobiographie und Photographie nach 1900. Proust, Benjamin, Brinkmann, Barthes, Sebald.
Transcript Lettre, Bielefeld 2011
Anne-Kathrin Hillenbach: Literatur und Fotografie. Analysen eines intermedialen Verhältnisses
Transcript Lettre, Bielefeld 2012.
GISLIND NABAKOWSKI

Impressum

Herausgeber: Reinhard Braun
Verlag, Eigentümer: Verein CAMERA AUSTRIA. Labor für Fotografie und Theorie
Lendkai 1, 8020 Graz, Österreich

Chefredaktion: Maren Lübbke-Tidow (V.i.S.d.P.)
Redaktion: Margit Neuhold, Rebecca Wilton

ÜbersetzerInnen: Dawn Michelle d’Atri, John Doherty, Steven Lindberg, Wilfried Prantner
Deutsches Korrektorat: Daniela Billner
Englisches Lektorat: Dawn Michelle d’Atri

Dank / Acknowledgments:
Mohamed Abdelkarim, Jens Asthoff, Erica Baum, Kirsty Bell, Natalie Czech, Moyra Davey, Osama Davod, Florian Ebner, Shannon Ebner, Katja Eydel, Mohammed Ezz, Rike Frank, Peter Gorschlüter, Kenneth Goldsmith, Denhart von Harling, Tarek Hefny, Susanne Holschbach, Iman Issa, Mia Jankowicz, Ahmed Kamel, Sven Johne, Annette Kelm, Meike Kröncke, Markus Lüttgen, Robert Meijer, Jasmina Metwaly, Clara Meister, Vanessa Joan Müller, Barry Schwabsky, Adam Szymczyk, Ursula Teich, Jan Verwoert, Wallspace Gallery (New York), Thomas Weski, Constanze Wicke

Copyright © 2012
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ISBN     978-3-900508-02-9
ISSN     1015 1915
GTIN    4 19 23106 1600 5 00118