Camera Austria International

129 | 2015

  • EMMA BALKIND
    Communitas: Das Commons-Subjekt und das Subjekt der Gemeinschaft
  • COMMUNITAS
  • TOM HOLERT
    Art Is Concrete: Wie konkret. Über Kunst und Wirksamkeit
  • ART IS CONCRETE
  • BORIS BUDEN
    Unexpected Encounters: Zeitgenössisch im Vergangenen?
  • UNEXPECTED ENCOUNTERS
  • JALEH MANSOOR
    The Militant Image: Notizen zu Anti-Repräsentation, negativer Artikulation und politischem Widerstand
  • THE MILITANT IMAGE
  • THE SHELL
    Eiko Grimberg, Marco Poloni, Clemens von Wedemeyer
  • CINENOVA FEMINIST FILM AND VIDEO DISTRIBUTOR
    EMMA HEDDITCH, LOUISE SHELLEY – Cinenova: Verschiedene Hände

Vorwort

Es handelt sich zwar nicht um ein klassisches Jubiläumsjahr, dennoch meinen wir, dass 35 Jahre des Publizierens der Zeitschrift neben der einen oder anderen Feier auch Anlass bieten, die eigene Praxis zu hinterfragen. Das Projekt Camera Austria hat zunächst als Ausstellungsprogramm im Jahr 1975 im Grazer Forum Stadtpark begonnen, und bis heute bildet das Ausstellen neben der Zeitschrift den zweiten wichtigen Schwerpunkt unserer Arbeit. Diese beiden unterschiedlichen Räume und Tätigkeiten des Ausstellens und Publizierens aufeinander zu beziehen, ohne sie zur Illustration des jeweils anderen werden zu lassen, stellt dabei immer wieder eine Herausforderung dar. Mit der vorliegenden Ausgabe unternehmen wir den Versuch, die beiden Praxen aufeinander abzubilden und Fragestellungen, die uns in den letzten vier Jahren in den Ausstellungen beschäftigt haben, in der Zeitschrift sichtbar zu machen.
Für die vorliegende Ausgabe haben wir vier AutorInnen eingeladen, ausgehend von vier Ausstellungsprojekten seit 2011 an deren Fragestellungen anzuknüpfen, die Ausstellungen in der Zeitschrift weiter-, fort-, oder gar umzuschreiben: das zweiteilige Ausstellungsprojekt »Communitas. Die unrepräsentierbare Gemeinschaft« sowie »Communitas. Unter anderen« (2011), »Art Is Concrete« (2012/13), »Unexpected Encounters« (2013) und »The Militant Image« (2014). Alle diese Projekte haben sich in umfangreiche Debatten eingemischt und versucht, die gezeigten künstlerischen Arbeiten als eine auch theoretisch relevante Praxis zu präsentieren. Vor diesem Hintergrund handelt es sich beim hier publizierten »Material« um keine Dokumentation, sondern um unterschiedliche Übersetzungen der Ausstellungen in die Topologie der Zeitschrift.

Volltext

Camera Austria International 129 | 2015
Vorwort

Es handelt sich zwar nicht um ein klassisches Jubiläumsjahr, dennoch meinen wir, dass 35 Jahre des Publizierens der Zeitschrift neben der einen oder anderen Feier auch Anlass bieten, die eigene Praxis zu hinterfragen. Das Projekt Camera Austria hat zunächst als Ausstellungsprogramm im Jahr 1975 im Grazer Forum Stadtpark begonnen, und bis heute bildet das Ausstellen neben der Zeitschrift den zweiten wichtigen Schwerpunkt unserer Arbeit. Diese beiden unterschiedlichen Räume und Tätigkeiten des Ausstellens und Publizierens aufeinander zu beziehen, ohne sie zur Illustration des jeweils anderen werden zu lassen, stellt dabei immer wieder eine Herausforderung dar. Mit der vorliegenden Ausgabe unternehmen wir den Versuch, die beiden Praxen aufeinander abzubilden und Fragestellungen, die uns in den letzten vier Jahren in den Ausstellungen beschäftigt haben, in der Zeitschrift sichtbar zu machen.
Zumeist wurde dieses Verhältnis in der Zeitschrift nicht explizit angesprochen, dennoch bilden beide Tätigkeitsfelder selbstverständlich füreinander einen jeweils wichtigen Kontext – es hat uns einerseits immer beschäftigt, den diskursiven Raum der Zeitschrift als spezifisches Denken über Bilder auch in den Raum der Ausstellung zu übersetzen; andererseits lässt sich auch die Zeitschrift in kuratorischen Begriffen denken – und über die Übersetzung künstlerischer Positionen in ein Printmedium als eine Form performativer Theorie, die die Grenzen zwischen Bild und Denken überschreitet.
Für die vorliegende Ausgabe haben wir vier AutorInnen eingeladen, ausgehend von vier Ausstellungsprojekten seit 2011 an deren Fragestellungen anzuknüpfen, die Ausstellungen in der Zeitschrift weiter-, fort-, oder gar umzuschreiben: das zweiteilige Ausstellungsprojekt »Communitas. Die unrepräsentierbare Gemeinschaft« sowie »Communitas. Unter anderen« (2011), »Art Is Concrete« (2012/13), »Unexpected Encounters« (2013) und »The Militant Image« (2014). Alle diese Projekte haben sich in umfangreiche Debatten eingemischt und versucht, die gezeigten künstlerischen Arbeiten als eine auch theoretisch relevante Praxis zu präsentieren. Vor diesem Hintergrund handelt es sich beim hier publizierten »Material« um keine Dokumentation, sondern um unterschiedliche Übersetzungen der Ausstellungen in die Topologie der Zeitschrift.
Emma Balkind schreibt im Zusammenhang mit den »Communitas«-Ausstellungen über das Verhältnis heutiger Subjekte zu Vorstellungen von Gemeinschaft bzw. dem Kollabieren von Vorstellungen von Gemeinschaft und dessen Folgen für die Subjekte und die Idee der Commons selbst. »Das Gemeinsame (commonality), nach dem ich suche, wäre in der Lage, bestimmte Themen, in denen sich die Narrative unterschiedlicher Formen von Commons überschneiden, so miteinander zu verbinden, dass wir die Gemeinsamkeiten (in-common) dieser zahlreichen Varianten dessen erkennen, was wir als Commons bezeichnen.« Dieses Teilen und Geteilte steht wie die Gemeinschaft unter einem eminenten Druck: »Es herrscht ein andauernder Kampf um die Fortexistenz der Commons als Form, während das Kapital an ihrer Einhegung arbeitet. Das Subjekt wird in diese Prozesse eingebunden, indem die Idee der Commons durch Privatisierung der Logik des Kapitals unterworfen wird.«
Tom Holert wiederum reagiert auf die Befragung des Verhältnisses zwischen künstlerischer Praxis und dem Politischen bzw. auf die Behauptung, dass die Räume der Präsentation von Kunst immer als politische Räume aufzufassen sind, wie sie durch das Projekt »Art Is Concrete« aufgestellt wurde, mit einer wichtigen Unterscheidung der beiden Praxen, um die Chancen nicht zu verschenken, »die im philosophischen Projekt einer Nichtidentität von Kunst und Politik liegen«. »In der Berührung, die eine Modifikation der Art und Weise hervorruft, wie die Möglichkeiten des Handelns, der Intervention in bestehende Ordnungen, imaginiert werden können, liegt eine entscheidende Aufgabe der Kunst. Eine solche Wirkung entzieht sich der Messbarkeit. Sie verweist auf Momente des Politischen, die am Anfang von Veränderungen stehen, deren Bezug zur Kunst nie offensichtlich, immer fragwürdig ist. Und dennoch unbestreitbar.«
»Unexpected Encounters« stellte die Befürchtung zur Disposition, dass die Übersetzung politischer Fragen und politischen Aktivismus’ in die Räume der Kunst Politik eminent kulturalisiert, dass das, was Politik war, Kultur wird und demnach erst wieder in seinen politischen Dimensionen rekonstruiert werden muss. Dass bei diesen Übersetzungen und Rekonstruktionen unerwartete Überraschungen zutage treten können, scheint Boris Buden zu bestätigen, wenn er von der Ungleichzeitigkeit von Zeitgenossenschaft schreibt, die sich unweigerlich einstellt, wenn der »Westen« den noch nicht in der Moderne angekommenen »Osten« thematisiert. »Die Andersheit des Nicht-Westens, in der breiten Palette seiner Erscheinungsformen (von ›Osten‹, ›Orient‹, ›Balkan‹ bis hin zur sogenannten ›Dritten Welt‹) ist gerade durch seine historische Verspätung definiert, nämlich als ein Raum, der einer anderen Zeit, oder besser, einer anderen Dimension der Zeit – der Vergangenheit – gehört. […] So gehören die Ereignisse, die im Nicht-Westen stattfinden, als auch die Finsternis, die aus diesen Ereignissen strahlt, auch der Vergangenheit. Man kann mit ihnen nicht zeitgenössisch sein.«
Im Zusammenhang mit »The Militant Image. Picturing What Is Already Going On, Or The Poetics of the Militant Image« wurde von uns die Frage gestellt, was ein Bild in der politischen und medialen Landschaft unserer Tage zu einem militanten Bild macht. Dieses ist unweigerlich in dieselben sozialen wie politischen Verhältnisse eingebunden, die es prägen und gegen die es sich wendet. Bestimmte Formen der Macht generieren bestimmte Formen von Militanz, und das militante Bild spiegelt die Pluralität der Macht: Es ist ein Teil dessen, was bereits im Gange ist. Jaleh Mansoor bezieht die Frage nach Militanz auf aktuelle Protestbewegungen in Kanada, die sich gegen die Ausbeutung natürlicher Ressourcen auf dem Land der First Nations richten. Mansoor behauptet in diesem Zusammenhang, »dass das ›militante Bild‹ nur dann als ein solches –
als ein eigenständiger Akt politischer Handlungsmacht und Militanz – funktioniert, wenn es paradoxerweise jede explizite, unmittelbare Wirkung verweigert.«
Mit dem Bezug auf diese Ausstellungsprojekte möchten wir in dieser Ausgabe Kontexte und Hintergründe in den Mittelpunkt rücken, unter denen aktuell über Sichtbarkeit und Fotografie, über Darstellungen und ihre Möglichkeiten wie Grenzen, über gesellschaftliche Veränderung und Repräsentation nachgedacht wird. In welchen Diskursen werden die Begriffe geprägt und verändert, die wir dabei benutzen? Von welchen Selbstverständlichkeiten müssen wir uns erneut und immer wieder neu entfremden, damit deren Voraussetzungen wieder in den Blick gelangen können?
Daraus resultiert auch die Entscheidung, in dieser Ausgabe auf den Seiten des Forums ein sehr spezifisches kollaboratives Projekt der Künstler Eiko Grimberg, Marco Poloni und Clemens von Wedemeyer zu zeigen, die sich dabei einem ebenso spezifischen Ort annähern, der Villa Michelangelo Antonionis an der Nordwestküste von Sardinien. Erbaut 1969 in einer Zeit des Umbruchs und der Utopien verfällt sie heute und lässt sich als Symbol des Niedergangs jener Utopien infolge gesellschaftlicher Veränderungen lesen. In diesem Sinn handelt es sich auch hierbei um eine Art Re-Aktualisierung, um ein Befragen von Voraussetzungen und ein Befragen des Fortschreibens von Geschichte.
Mit diesen sehr unterschiedlichen Beiträgen stellt diese Ausgabe möglicherweise ein Umherschweifen, ein Erkunden und Ausloten dar – wir hoffen, Sie teilen als LeserIn die Lust am Ambivalenten, am Nicht-immer-und-genau-Wissen-Können und -Wollen, am Hypothetischen und Möglichen, damit aber auch am Anderen und am Verändern. Schließlich hat uns diese Lust am Verändern im Zusammenhang mit dieser speziellen Ausgabe dazu gebracht, das Visuelle und das Schreiben, die Konfrontationen der Bilder und Texte, die sich durch unsere Zeitschrift ziehen, durch eine alternative Covergestaltung verstärkt zum Ausdruck zu bringen.

Reinhard Braun
und das Camera-Austria-Team
März 2015

Cover: Laurence Bonvin, from the series: Blikkiesdorp, 2009. Dimensions variable.

Beiträge

Ausstellungen

Peter Piller: Belegkontrolle
Fotomuseum Winterthur
Centre de la photographie Genève
Städtische Galerie Nordhorn
Kunsthalle Nürnberg
ANKE HOFFMANN

Willem de Rooij
Arnolfini, Bristol
FRANCESCA LAURA CAVALLO

Elizabeth Price: SUNLIGHT
Index, Stockholm
YUKI HIGASHINO

Paul Sharits. Eine Retrospektive
Fridericianum, Kassel
RAINER BELLENBAUM

Erik Niedling: Eine Pyramide für mich
Haus am Lützowplatz, Berlin
RAIMAR STANGE

Otmar Thormann: Ursprung
Fotohof Salzburg
CHRISTINA TÖPFER

Becoming Disfarmer
Neuberger Museum of Art, New York
RUPERT GOLDSWORTHY

Conflict, Time, Photography
Tate Modern, London
Folkwang Museum, Essen
Albertinum, Dresden
MATTHEW SHAUL

Afterimage: Images of Conflict
CIVICA Trento
SARA DOLFI AGOSTINI

The Future of Memory. Eine Ausstellung über die Unendlichkeit der Gegenwart
Kunsthalle Wien
ANETTE FREUDENBERGER

Look at Me!
Tropenmuseum, Amsterdam
TACO HIDDE BAKKER

Progress and Hygiene
Zachęta, Warsaw
JAKUB MAJMUREK

Chto Delat: Time Capsule. Artistic Report on Catastrophes and Utopia
Secession, Wien
HERWIG G. HÖLLER

Social Factory. 10th Shanghai Biennale
Power Station of Art, Shanghai
JULIA GWENDOLYN SCHNEIDER

Oliver Ressler: Die Plünderung
LENTOS Kunstmuseum Linz
CHRISTIAN EGGER

Jean-Luc Moulène: Documents & Opus (1985 – 2014)
Kunstverein Hannover
ANDREAS PRINZING

Bücher

THE REVOLVING BOOKSHELF
Hidden Pages. Über aufklappbare Doppelseiten in Büchern von Evelyn Richter, Pontus Hultén und Nicoló Degiorgis
Evelyn Richter: David Oistrach. Ein Arbeitsporträt
Henschelverlag, Berlin 1973
Edward Kienholz: 11 + 11 Tableaux
Moderna Museet, Stockholm 1970
Nicoló Degiorgis: Hidden Islam
Rorhof, Bozen 2014
Nicoló Degiorgis: Hidden Islam. 479 comments
Rorhof, Bozen 2014
JAN WENZEL

Learn to Read Art: A Surviving History of Printed Matter
80WSE Gallery, New York,
STEPHEN BURY

Johannes Schwartz: Tiergarten
Roma Publications, Amsterdam 2014
ESTHER DARLEY

Jaromír Funke: Between Construction and Emotion
Kant, Prague 2014
ROLF SACHSSE

A. Schulze: Mirrors and Others. Image Text Louvre
Spector Books, Leipzig 2014
NIELS VAN TOMME

Exhibition Histories
Afterall, London, since 2010
ALEXANDER DE CUVELAND

Drucken Heften Laden. Versuche über Theorie und Praxis unabhängigen Publizierens
neue Gesellschaft für bildende Kunst, Berlin
REBECCA WILTON

Impressum

Herausgeber: Reinhard Braun
Verlag, Eigentümer: Verein CAMERA AUSTRIA. Labor für Fotografie und Theorie.
Lendkai 1, 8020 Graz, Österreich

Redaktion: Margit Neuhold, Christina Töpfer, Rebecca Wilton
Franziska Schurig (Praktikum)

ÜbersetzerInnen: Dawn Michelle d’Atri, Amy Klement, Don Mader, Katrin Mundt, Wilfried Prantner.

Englisches Lektorat: Dawn Michelle d’Atri

Dank: 0gms (Kamen Stoyanov, Ivan Moudov), Rheim Alkadhi, VJ Um Amel, ArtTerritories (Ursula Biemann, Shuruq Harb), Emma Balkind, Yael Bartana, Martin Beck, Beirut (Jens Maier-Rothe, Sarah Rifky, Antonia Alampi, Habiba Effat), Sabine Bitter & Helmut Weber, Raymond Boisjoly, Laurence Bonvin, Boris Buden, Peggy Buth, Anetta Mona Chisa & Lucia Tkáčová, Youmna Chlala, Nemanja Cvijanović, Peter Friedl, Ganzeer, Erik Göngrich, G.R.A.M., Eiko Grimberg, Sharon Hayes, Emma Hedditch, Malak Helmy, Nina Höchtl, Tom Holert, Heidrun Holzfeind, Ahmad Hosni, Marine Hugonnier, Sanja Iveković, Pravdoliub Ivanov, Alfredo Jaar, Emily Jacir, Maryam Jafri, Anna Jermolaewa, Hassan Khan, Helmut & Johanna Kandl, Michael Kennedy, Yazan Khalili, Kontekst collective, KURS (Miloš Miletić & Mirjana Radovanović), Maren Lübbke-Tidow, Angelika Maierhofer, Mada Masr, Jaleh Mansoor, Jasmina Metwaly, Karolin Meunier, Rabih Mroué, Christodoulos Panayiotou, Stefan Panhans, Bojana Piškur & Ðorđe Balmazović, Marco Poloni, Matthias Rajman, Karem Said, Jayce Salloum, Ines Schaber, Stefanie Seibold, Louise Shelley, subREAL, Walid Sadek, Joana Theuer, Erik van der Weijde, Clemens von Wedemeyer, Paola Yacoub, Artur Żmijewski.

Copyright © 2015
Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck nur mit vorheriger Genehmigung des Verlags. Für übermittelte Manuskripte und Originalvorlagen wird keine Haftung übernommen.

ISBN 978-3-902911-14-8
ISSN 1015 1915
GTIN 4 19 23106 1600 5 00129