Camera Austria International
171 | 2025
- KATE STRAIN
Zwischen Bauer und Mistkäfer - DEIRDRE O’MAHONY
- NACE ZAVRL
Wir schaffen die Zukunft und die Zukunft schafft uns - NIKA AUTOR
- HERWIG G. HÖLLER
Mit der Geige zur Überwindung der Sowjetunion - JEWHENIJ PAWLOW
- ANYA HARRISON
Blicke von dir, Déjà-vu - ANAïS HORN
- SABINE MARIA SCHMIDT
»Ich will doch nicht Kapitalistin werden« – Vom Erhabenen im Dunkeln des Archivs - JULIA LÜBBECKE
Vorwort
In einer Zeit, in der Werte, über die jahrzehntelang Übereinkunft zu herrschen schien, in Frage gestellt werden, sind Miteinander, Austausch und Zusammenarbeit sowie das Sichtbarmachen geteilter Geschichten und Erfahrungen relevanter denn je. In diesem Sinne widmet sich unsere Herbstausgabe mit der Präsentation der künstlerischen Arbeiten von Deirdre O’Mahony, Nika Autor, Jewhenij Pawlow, Anaïs Horn und Julia Lübbecke Formen des Kollaborativen, die durch Offenheit gegenüber dem Anderen unerwartete Perspektiven eröffnen und Rahmen für generationenübergreifende Projekte bieten.
Volltext →Camera Austria International 171 | 2025
Vorwort
In einer Zeit, in der Werte, über die jahrzehntelang Übereinkunft zu herrschen schien, in Frage gestellt werden, sind Miteinander, Austausch und Zusammenarbeit sowie das Sichtbarmachen geteilter Geschichten und Erfahrungen relevanter denn je. In diesem Sinne widmet sich unsere Herbstausgabe Formen des Kollaborativen, die durch Offenheit gegenüber dem Anderen unerwartete Perspektiven eröffnen und Rahmen für generationenübergreifende Projekte bieten.
Gemeinschaft und Voneinander-Lernen macht Deirdre O’Mahony zu Herangehensweisen ihres medienübergreifenden Werks. Seit mehr als 30 Jahren schafft die Künstlerin in ihren Videoinstallationen und oft partizipativen Arbeiten Situationen, in denen Menschen zusammenkommen, um sich über den Umgang mit Natur und Land(wirt)schaft, Klimawandel, Lebensmittelproduktion und deren komplexe Ökosysteme auszutauschen. Sichtbar wird dabei, »wie die Auseinandersetzung mit Landschaft, Lebensgrundlagen und der gelebten Erfahrung von Gemeinschaften (sowohl menschlichen als auch mehr-als-menschlichen) über Werkkörper und Zeitzyklen hinweg nachwirkt«, schreibt Kate Strain in ihrem begleitenden Essay.
Nika Autor knüpft als Teil des Kollektivs Obzorniška Fronta (Newsreel Front) an die Geschichte der slowenischen Wochenschau an, die zwischen 1946 bis 1951 regelmäßig über die Errungenschaften des sozialistischen Landes informieren sollte. Seit 2013 veröffentlicht Autor in der Tradition des Third Cinema stehende Filme, in denen von der (Film-)Geschichte vernachlässigte Akteur*innen zu Wort kommen. Anhand von drei dieser Newsreels arbeitet Nace Zavrl heraus, wie die Künstlerin vergessenen Erfahrungen und ungehörten Geschichten Sichtbarkeit verleiht: »Sie ›rüttelt‹ die Vergangenheit ›wach‹, indem sie sie durch die Gegenwart betrachtet und Diachronie zum Prinzip ihres Denkens und Schaffens macht.«
Jewhenij Pawlow gilt als einer der zentralen Vertreter der »Charkiwer Schule der Fotografie«, einer Gruppe von Künstler*innen, die Anfang der 1970er-Jahre aus dem Fotoklub der ukrainischen Stadt Charkiw hervorging. In seinem Text gibt Herwig G. Höller einen Einblick, wie sich Pawlows fotografisches Œuvre über die Jahre hinweg nicht zuletzt aufgrund des damaligen Amateurstatus der Fotografie abseits der Erwartungen an den Sozialistischen Realismus ent- wickeln konnte. Formen der Kollaboration mit anderen Künstler*innen prägen zahlreiche der frühen Werkgruppen Pawlows, während in späteren Jahren die Manipulation von Fotografien hinzukam, die sich durch subtile Kommentare auf politische Rahmenbedingungen auszeichnet.
Anya Harrison sieht in Anaïs Horns Schaffen »ein fragiles, zartes Netz aus spektralen Präsenzen, Heimsuchungen und einer Wahlfamilie von Stimmen aus Vergangenheit und Gegenwart, die in Multimedia-Installationen eingewoben sind […] – empfänglich und reagierend auf intime, häusliche, abgeschlossene Räume.« Unter Bezugnahme auf in den vergangenen Jahren entstandene Installationen veranschaulicht die Autorin, wie Horn über Gegenstände und Räume des Häuslichen intime Settings schafft, von denen ausgehend sich die Geschichten sowohl lebender als auch verstorbener Frauen entspinnen und einen Platz einnehmen können. Durch die Werkgruppen hinweg vermittelt sich so ein vielstimmiges Bild weiblicher Erfahrung.
»Innerhalb knapp eines Jahrzehnts hat Julia Lübbecke ein reichhaltiges Repertoire an Inszenierungsstrategien von Bildern und Texten entwickelt, die eigentlich verborgen sind und von ihr […] geborgen wurden. Es sind leise Bilder leiser Revolten, deren Kontinuitäten sich bis ins (tagespolitische) Heute ziehen«, schreibt Sabine Maria Schmidt und verdeutlicht, wie die Künstlerin Material aus Archiven heranzieht, um eine Reflexion über feministische Vernetzung, Gender und Gleichberechtigung anzuregen. Dabei sind die von Lübbecke aufgegriffenen Bilder und Texte in ständiger Bewegung und offenbaren die kontinuierlichen Prozesse des Neubetrachtens und Ausverhandelns, die unsere Gesellschaft auszeichnen.
September 2025
Christina Töpfer, June Drevet
Cover: Anaïs Horn, NYC Still Lifes / Ghost Monologue IV (Rapunzel), 2023. Öl und Ölkreide auf mit Inkjet bedrucktem Leinen, 90 × 60 cm, in Künstlerrahmen. Courtesy: Privatsammlung, Bari. Copyright: die Künstlerin und Bildrecht, Wien 2025.
Beiträge
Forum
Vorgestellt von der Redaktion
Max Schwarzmann
Maryna Shtanko
Roxana Rios
Jennifer Gelardo
Wojciech Szczerbetka
Sophie Kovel
Ausstellungen
Systeme sprengen
Unzensiert. Annegret Soltau – Eine Retrospektive
Städel Museum, Frankfurt am Main, 8. 5. – 17. 8. 2025
CHRISTINA IRRGANG
Helen Chadwick: Artist, Researcher, Archivist
Leeds Art Gallery, 4. 4. – 2. 11. 2025
Helen Chadwick: Life Pleasures
The Hepworth Wakefield, 17. 5. – 26. 10. 2025; Museo Novecento, Florence, November
2025 – February 2026; Kunsthaus Graz, March – August 2026
FRANCESCA LAURA CAVALLO
Wolfgang Tillmans: Nothing Could Have Prepared Us—Everything Could Have Prepared Us
Centre Pompidou, Paris, 13. 6. – 22. 9. 2025
BENEDIKT REICHENBACH
Den Blick ins Universum richten – eine Strategie zwischen Hoffnung und Eskapismus
From the Cosmos to the Commons
Verschiedene Orte, Hamburg
Between Stars and Signals
Kunsthaus Hamburg, 20. 6. – 17. 8. 2025
Bildersammlung zur Geschichte von Sternglaube und Sternkunde
Kesselsaal, Planetarium Hamburg, 21. 6. – 24. 8. 2025
Towards the Planetary Public Sphere
Warburg-Haus, Hamburg, 21. 6. 2025
ANNA-LENA WENZEL
Simon Baptist: From Up in the Valley
Museum für Geschichte, Universalmuseum Joanneum, Graz, 13. 6. 2025 – 6. 1. 2026
Milica Tomić: On Love Afterwards
Kunsthaus Graz, 27. 6. – 12. 10. 2025
James Richards: Fever
Grazer Kunstverein, 26. 6. – 30. 8. 2025
Louise Giovanelli: A Song of Acents
The Hepworth Wakefield, 23. 11. 2024 – 21. 4. 2025; Halle für Kunst Steiermark, Graz, 28. 6. – 28. 9. 2025; Villa Stuck, Munich, 18. 10. 2025 – 15. 3. 2026
Evelyn Plaschg: Viscous City
Halle für Kunst Steiermark, Graz, 28. 6. – 28. 9. 2025
JUNE DREVET
Kazuna Taguchi: I’ll never ask you
mumok, Wien, 13. 6. – 16. 11. 2025
MARGIT NEUHOLD
Julian Rosefeldt: Nothing Is Original
C/O Berlin, 24. 5. – 16. 9. 2025
VERONIKA RUDORFER
Nina Könnemann: BLOCKEN / Further Reductions
Haus am Waldsee, Berlin, 25. 5. – 14. 9. 2025
ANDREAS PRINZING
Video After Video: The Critical Media of CAMP
MoMA – The Museum of Modern Art, New York, 21. 2. – 20. 7. 2025
CECILIA BIEN
Your Ears Later Will Know How to Listen
Nottingham Contemporary, Nottingham, 31. 5. – 7. 9. 2025
ELLIE ARMON AZOULAY
13th Berlin Biennale for Contemporary Art: passing the fugitive on
Verschiedene Orte, Berlin, 14. 6. – 14. 9. 2025
ERËMIRË KRASNIQI
Kunié Sugiura: Photopainting
SFMOMA – San Francisco Museum of Modern Art, 26. 4. – 14. 9. 2025
GLEN HELFAND
The Picture Pull
The Lure of the Image
Fotomuseum Winterthur, 17. 5. – 12. 10. 2025
NINA STRAND
Janis Rafa: We Betrayed the Horses
EMΣT – National Museum of Contemporary Art Athens, 3. 4. – 5. 10. 2025
Why Look at Animals?
EMΣT – National Museum of Contemporary Art Athens, 16. 5. 2025 – 15. 2. 2026
KYVELI MAVROKORDOPOULOU
Lucy Raven: Murderers Bar
Vancouver Art Gallery, 18. 4. – 28. 9. 2025
JAYNE WILKINSON
Realistic Dreams: Festival of Regions 2025
Braunau am Inn und Umgebung, 13. – 22. 6. 2025
ANNE FAUCHERET
Bücher
Flaschenpost in den Wolken
Jens Klein, Ballons
Spector Books, Leipzig 2025
STEFFEN SIEGEL
Stephanie Syjuco, The Unruly Archive
Radius Books, Santa Fe 2024
JULIA GWENDOLYN SCHNEIDER
Rosalind Fox Solomon, A Woman I Once Knew
MACK Books, London 2024
CAROLIN FÖRSTER
»a ghost machine«
The Ghosts of Songs: The Film Art of the Black Audio Film Collective, 1982–1998
Liverpool University Press; FACT, Liverpool 2007
SIMON NAGY
Vom Beobachten zur Aufmerksamkeit: Über (in)stabile Subjekte der Wahrnehmung
REINHARD BRAUN, MARC RIES
Impressum
Verein CAMERA AUSTRIA. Labor für Fotografie und Theorie.
Verlag, Eigentümer: Verein CAMERA AUSTRIA. Labor für Fotografie und Theorie.
Lendkai 1, 8020 Graz, Österreich
Redaktion: June Drevet, Benjamin Friedle (Praktikant), Christina Töpfer (Chefredaktion).
Übersetzer*innen: Dawn Michelle d’Atri, Caitlin Bass, Amy Klement, Alexandra Titze-Grabec, Sabine Weier.
Englisches Lektorat: Dawn Michelle d’Atri.
Dank: Nika Autor, Simon Baptist, Viktoria Binschtok, Manuel Carreon Lopez, Helga Droschl, Caro Feistritzer, Jennifer Gelardo, Anya Harrison, Anaïs Horn, Andreja Hribernik, Herwig G. Höller, Sophie Kovel, Julia Lübbecke, Deirdre O’Mahony, Ilya Pavlov, Tetiana Pavlov, Evgeniy Pavlov, Janis Rafa, Benedikt Reichenbach, Roxana Rios, Sabine Maria Schmidt, Max Schwarzmann, Maryna Shtanko, Kate Strain, Wojciech Szczerbetka, Milica Tomić, Daphne Vitali, Nace Zavrl.
Copyright © 2025
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ISBN 978-3-902911-87-2
ISSN 1015 1915
GTIN 4 19 23106 1800 9 00171