Camera Austria International
128 | 2014
- CHRISTINA NATLACEN
Viktoria Binschtok: Vom Suchen und Finden von Bildern - VIKTORIA BINSCHTOK
- DAVID BALZER
Luis Jacob: Das Museum in den Blick nehmen – »Show Your Wound« - LUIS JACOB
- PABLO LARIOS
Roman Schramm: Der abnehmbare Kragen - ROMAN SCHRAMM
- ALANNA LOCKWARD
Dekolonisierung des (weißen) Blicks 4 / 4. Wo ist (De)Kolonialität?
Vorwort
Das Durchspielen von Bildmetaphern und ästhetischen wie semantischen Konventionen, die assoziativ-algorithmische Verknüpfung von Bildern anhand struktureller Merkmale, das »Stochern« in offensichtlichen Lücken, Leerstellen und wunden Punkten visueller Narrative – fotografische Strategien, die kein offenkundiger und übergreifender Sinnzusammenhang verbindet – stehen im Mittelpunkt des Interesses der vorliegenden Ausgabe von Camera Austria International.
Uns interessieren in den Arbeiten der vorgestellten KünstlerInnen die jeweils spezifischen Formen des Recherchierens und Neuordnens, die sich in diesen Fällen nicht an Geschichte(n), Ereignissen, historischen Archiven etc. abarbeiten, sondern an anderen, bereits bestehenden, alltagskulturellen oder institutionellen Formen des ständigen Arrangierens von Bildmaterial. W. J. T. Mitchell hat solche Bilder, die sich auf andere Bilder beziehen, Meta-Bilder genannt: Bilder über Bilder, denen eine gewisse »piktoriale Selbstreferenz« eingeschrieben ist. Sie produzieren Theorie, indem sie Repräsentationen schaffen, wie es Mitchell in einem Interview mit Georg Schöllhammer im Jahr 1998 formulierte.
Volltext →Camera Austria International 128 | 2014
Vorwort
Das Durchspielen von Bildmetaphern und ästhetischen wie semantischen Konventionen, die assoziativ-algorithmische Verknüpfung von Bildern anhand struktureller Merkmale, das »Stochern« in offensichtlichen Lücken, Leerstellen und wunden Punkten visueller Narrative – fotografische Strategien, die kein offenkundiger und übergreifender Sinnzusammenhang verbindet – stehen im Mittelpunkt des Interesses der vorliegenden Ausgabe von Camera Austria International.
Viktoria Binschtok entwickelt ihre Serien zunächst über Suchmaschinen, die Bilder nach Kriterien wie Farbanteil und -verteilung, Konturlinien und Oberflächenstruktur zusammenstellen. In einem anschließenden Verfahren dienen ihr diese Bilder als Vorlage für eine Re-Inszenierung, durch die sich Verschiebungen und Differenzen ergeben. Dieses konzeptuelle Anordnen einzelner Bilder vergleicht Christina Natlacen in ihrem Essay u. a. mit der »bis heute auf KünstlerInnen so einflussreiche[n] Vorgehensweise Aby Warburgs beim Bestücken der Tafeln für seinen ›Mnemosyne-Atlas‹«. Auch Warburg war auf der Suche nach einer Art formaler Analogie – der »Pathosformel«, die ihm ein Gelenk zur Verknüpfung von Bildern über Kulturen und Jahrhunderte hinweg zur Verfügung stellen sollte.
Luis Jacobs Arbeit »Show Your Wound« (2010 – 2012) besteht aus 26 Momentaufnahmen, die der Künstler in Museen und Galerien weltweit aufgenommen hat. David Balzer charakterisiert sie als »Verbindung von zeitgenössischem Minimalismus und historisch-religiöser Malerei und Bildhauerei«. Die Aufnahmen betreiben jedoch »keine ironische Dekonstruktion oder Kritik des Museums, wie die dadaistischen Readymades, sondern versuchen eher, es zu erkunden, ebenso wie den Akt des Betrachtens«. Die Ordnungssysteme des Museums adressieren die BesucherInnen zumeist nur als Schauende: Berühren verboten. Die an uns vorbeiziehenden kunsthistorischen Werke entkörperlichen das Bild und verbildlichen die Körper – ein Mechanismus, der weitreichende Konsequenzen für aktuelle Bildkulturen in sich trägt.
Roman »Schramms Fotografien entfalten sich«, wie Pablo Larios schreibt, »als lose, thematisch organisierte Serien, die in formalen Experimenten formale Bildmetaphern durchspielen«. Mithilfe eines 3D-Programms erschafft er um seine fotogenen Objekte einen oder auch mehrere Räume, die über den Bildrand hinaus bis in den Ausstellungsraum reichen. Diese bisweilen absurd-komischen Konstruktionen rekurrieren, so der Autor, auf »visuelle und semantische Konventionen […], die Art von kulturindustriellen Techniken also, die uns heute überall begegnen«. Schramm eignet sich diese Konventionen an, um sie gleichzeitig zu modifizieren und in sich selbst zu verschieben.
Uns interessieren in den Arbeiten der vorgestellten KünstlerInnen die jeweils spezifischen Formen des Recherchierens und Neuordnens, die sich in diesen Fällen nicht an Geschichte(n), Ereignissen, historischen Archiven etc. abarbeiten, sondern an anderen, bereits bestehenden, alltagskulturellen oder institutionellen Formen des ständigen Arrangierens von Bildmaterial. W. J. T. Mitchell hat solche Bilder, die sich auf andere Bilder beziehen, Meta-Bilder genannt: Bilder über Bilder, denen eine gewisse »piktoriale Selbstreferenz« eingeschrieben ist. Sie produzieren Theorie, indem sie Repräsentationen schaffen, wie es Mitchell in einem Interview mit Georg Schöllhammer im Jahr 1998 formulierte.
Diese Ausgabe rückt vor allem eine Idee wieder in den Vordergrund, die für uns eine fundamentale Handlungsanleitung zum Verstehen fotografischer Praktiken darstellt: dass Bildproduktion auch eine Form der Theoriebildung über Bilder darstellt. Wir hoffen, Sie mit dieser und den kommenden Ausgaben unserer Zeitschrift und durch unsere Leidenschaft, die nicht nur eine des Sehens, sondern auch eine des Denkens ist, mitreißen zu können.
Reinhard Braun
und das Camera-Austria-Team
Dezember 2014
Cover: Luis Jacob, from the work: Show Your Wound, 2010–12. Series of 26 c-prints, 9 × 6 each.
Beiträge
Forum
Vorgestellt von der Redaktion
Camilla de Maffei
Elena Geroska
John MacLean
Marion Pedenon
Yoav Friedländer
Birgit Krause
Ausstellungen
Ricarda Roggan: Echo
Kunstverein Hannover
Wilhelm-Hack-Museum, Ludwigshafen
JENS ASTHOFF
Raphael Hefti
Nottingham Contemporary
EMMA COCKER
Manifeste! Eine andere Geschichte der Fotografie
Fotomuseum Winterthur
(Mis)Understanding Photography. Werke und Manifeste
Museum Folkwang Essen
ESTELLE BLASCHKE
The Library Vaccine
Artists Space, New York
ANNE KÖNIG
Pictures, Before and After – An Exhibition for Douglas Crimp
Galeria Buchholz, Berlin
Before and After Pictures: A Symposium for Douglas Crimp
Kino Arsenal, Berlin
STEFANIE SEIBOLD
Walead Beshty: A Partial Disassembling on an Invention Without a Future: Helter-Skelter and Random Notes in Which the Pulleys and Cogwheels Are Lying Around at Random All Over the Workbench
The Curve, Barbican Center, London
ELLIE ARMON AZOULAY
Joel Meyerowitz: Retrospektive
NRW-Forum Düsseldorf
ANDREAS PRINZING
Dayanita Singh: Go Away Closer
Hayward Gallery, London
Museum für Moderne Kunst, Frankfurt/Main
Multimedia Art Museum, Moskau
KERSTIN STREMMEL
Gefangene Bilder. Wissenschaft und Propaganda im Ersten Weltkrieg
Historisches Museum, Frankfurt/Main
GISLIND NABAKOWSKI
Kunst/Geschichten
Museum der Moderne Salzburg
ULRIKE MATZER
Eyes On – Monat der Fotografie Wien
Memory Lab. Photography Challenges History
MUSA, Wien
2D23D – photography as sculpture / sculpture as photography
OstLicht, Wien
Aftermath. Changing Cultural Landscape: Tendenzen zeitgenössischer post-jugoslawischer Fotografie
Galerie Photon, Wien
Fotogalerie Wien
NINA SCHEDLMAYER
Richard Hamilton
Tate Modern, London
Museo National Centro de Arte Reina Sofía, Madrid
HANS-JÜRGEN HAFFNER
Storyteller: The Photographs of Duane Michals
Carnegie Museum of Art, Pittsburgh
Peabody Essex Museum, Salem
ROBERT RACZKA
steirischer herbst. I prefer not to … share!
Various venues, Graz and environs
MARTIN HERBERT
Horst: Photographer of Style
Victoria and Albert Museum, London
MATTHEW SHAUL
Garry Winogrand
San Francisco Museum of Modern Art
National Gallery of Art, Washington
Jeu de Paume, Paris
EIKO GRIMBERG
La Photographie Performe (The Body and the Archive)
Centre Photographique d’Ile-de-France, Pontault-Combault
MICHÈLE COHEN-HADRIA
Annette Kelm: Staub
Kölnischer Kunstverein, Köln
HOLGER OTTEN
Schwindel der Wirklichkeit
Akademie der Künste, Berlin
SØNKE GAU
Bücher
Das Auge des Arbeiters. Arbeiterfotografie und Kunst um 1930
Hrsg. von Wolfgang Hesse.
Spector Books, Leipzig 2014
RENATE WÖHRER
Bernd Stiegler: Spuren, Elfen und andere Erscheinungen. Conan Doyle und die Photographie
S. Fischer, Frankfurt/Main 2014
TACO HIDDE BAKKER
Ulrich Ziemons: Aufzeichnungen eines Storm Squatters. George Kuchars »Weather Diaries«
transcript, Bielefeld 2014
The George Kuchar Reader
Hrsg. von Andrew Lampert
Primary Information, New York 2014
NAOKO KALTSCHMIDT
THE REVOLVING BOOKSHELF
Das Stottern der Bilder. Über einige Doppelseiten in Fotobüchern von Einar Schleef und Michael Schmidt
Einar Schleef: Zuhause
Suhrkamp Verlag, Frankfurt/Main 1981
Michael Schmidt: Lebensmittel
Snoeck, Köln 2012
JAN WENZEL
Impressum
Herausgeber: Reinhard Braun
Verlag, Eigentümer: Verein CAMERA AUSTRIA. Labor für Fotografie und Theorie.
Lendkai 1, 8020 Graz, Österreich
Redaktion: Margit Neuhold, Christina Töpfer, Rebecca Wilton
Franziska Schurig (Praktikum)
ÜbersetzerInnen: Dawn Michelle d’Atri, Amy Klement, Peter McCavana, Katrin Mundt, Wilfried Prantner.
Englisches Lektorat: Dawn Michelle d’Atri
Dank: David Balzer, Viktoria Binschtok, Michèle Cohen-Hadria, Chris Curreri, Martina Egli, Yoav Friedländer, Jonathan Gaugler, Corinn Gerber, Elena Geroska, Ralph Goertz, Luis Jacob, Viviana Kleinert, Birgit Krause, Pablo Larios, Hélène Loupias, Camilla de Maffei, John MacLean, Christina Natlacen, Marion Pedenon, Ember Rilleau, Walid Sadek, Barbara Schiltenwolf, Roman Schramm, Therese Seeholzer, Joan Semmel.
Copyright © 2014
Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck nur mit vorheriger Genehmigung des Verlags. Für übermittelte Manuskripte und Originalvorlagen wird keine Haftung übernommen.
ISBN 978-3-902911-13-1
ISSN 1015 1915
GTIN 4 19 23106 1600 5 00128