Awåragaude? Gerald Domenig in der Secession

Intro

Wiener Secession
Friedrichstraße 12, 1010 Wien

22. April – 19. Juni 2016

Die bevorzugten Medien des in Frankfurt am Main lebenden österreichischen Künstlers Gerald Domenig sind die Fotografie, die Zeichnung und das Schreiben (der Text). Bereits seit den 1970er-Jahren arbeitet er mit diesen Mitteln und hat ein umfassendes Oeuvre geschaffen, das durch formale Strenge und thematische Offenheit gekennzeichnet ist. In Hinblick auf eine Konstruktion von Wirklichkeit verwendet der Künstler Zeichnung und Fotografie quasi diametral entgegengesetzt. Die Zeichnungen sieht er als Entwürfe oder Vor-Zeichnungen für seine Fotografien: Während die Arbeit mit dem Bleistift als eine Annäherung an die Welt begriffen werden kann, sind die meist schwarzweißen Fotografien eben kein Festhalten eines Moments, nicht bloß ein Abbild der Realität. Sie sind immer mehr als das, nämlich eigenständige Bilder einer Situation, eines Ortes. Domenig, der stets analog fotografiert, die Filme selbst entwickelt und die Vergrößerungen herstellt, versteht Fotografie als Technik der Bildkonstruktion, der Überführung von Raum in die Fläche, als Auflösung des Abgelichteten ins Bild: „Wenn ich fotografiere, will ich ein in der Dreidimensionalität verstecktes Bild, eine latente Zweidimensionalität in ein konkretes Bild übersetzen.” (Gerald Domenig)

Wiederkehrende Motive in seiner Fotografie (wobei das „Motiv“ bei ihm vor allem die Fotografie selbst ist) sind Mantel, Hose, Haus, Auto, also Alltägliches, Gefundenes – wie zum Beispiel auf der Straße verlorene Kinderhandschuhe. Was er an kleinen Dingen findet, inszeniert Domenig anschließend im Atelier, das heißt, er inszeniert so einfach und nackt wie möglich. An unscheinbaren Hausfassaden und -ecken, insbesondere an Wänden, an denen sich Spuren baulicher Veränderungen oder witterungsbedingte Markierungen abzeichnen, zeigt der Künstler großes Interesse: An den Oberflächen dieser Nicht-Orte entdeckt er malerische Details, die ihn etwa an Werke von Sol LeWitt oder Mark Rothko denken lassen. Seit vielen Jahren fotografiert Domenig in den Schluchten der Garnitzenklamm im Kärntner Gailtal. In den Fotografien klappt die spektakuläre Dreidimensionalität der Landschaft jedoch eigentümlich ins Flache. Gerne deutet Domenig auf formale Analogien in seinen Bildern hin, indem er sie mit einer, wie er es nennt, „Naht” verknüpft und im Buch als gegenüberliegende Seiten präsentiert.

In der Secession zeigt Gerald Domenig eine Auswahl aus seinem fotografischen und zeichnerischen Oeuvre. Der Schwerpunkt seiner Ausstellung liegt auf Stillleben und Architekturfotos, neue Aufnahmen werden neben Erstabzügen von seit längerem im Archiv lagernden Negativen präsentiert. Eine Mehrdeutigkeit in sowohl formaler als auch inhaltlicher Hinsicht, eine Verunsicherung der räumlichen Wahrnehmung, die im Bild selbst begründet ist, ist charakteristisch für Domenigs fotografische Praxis und war ausschlaggebend für die Auswahl der gezeigten Werke.

Im Kreuzraum reihen sich Aufnahmen von architektonischen Strukturen und Details wie beispielsweise Hausfassaden und Fenster aneinander. Zwei Serien stehen sich gegenüber: zum einen Bilder, die Domenig bei mehreren Aufenthalten in Antwerpen gemacht hat, zum anderen erst kürzlich in Wien aufgenommene Fotografien von der Fassade eines Abrisshauses nicht weit von der Secession.

Inszenierte Stillleben sind im zweiten Raum zu sehen, dort, wo bei der vorhergehenden Ausstellung Dike Blairs kleinformatige Drinks-Stillleben hingen. Jetzt: kleinformatige Fotografien von eigenwillig ineinander verschränkten Schalen, zerbrochenes Porzellan, Trinkgläser, um die sich Plastikdosen für Filmrollen winden. Auch bei diesen Arbeiten spielt Domenig mit einer Perspektive, die ins Wanken gerät, die – wie bei Vexierbildern – schwer zu fassen ist.

Eine gewisse Strenge, die aufgrund der Hängung und der Konzentration auf ein Genre in den beiden ersten Räumen möglicherweise spürbar ist, löst sich im letzten Raum der Ausstellung auf. Eine Sitzskulptur, eine Auswahl von 24 Zeichnungen und die collageartige Zusammenstellung verschiedenster Bilder, die sich über einen Großteil der langen Wand zieht, schaffen eine spielerische Situation, die einlädt, Querbezüge herzustellen. Abfotografierte Zeitungsseiten und Werbeplakate hängen hier neben „seriösen” Fotografien (gekennzeichnet durch ihre Rahmung), unkonventionell behandelten Abzügen, Einzelsujets und „Resten”. Auch die Palette an Präsentationsformen wird ausgeschöpft: Mal ist das Bild wie ein Poster direkt an die Wand gepinnt, mal erhält es durch das Kaschieren auf einen gekrümmten Träger etwas Skulpturales, mal ist es klassisch gerahmt.