Roswitha Haftmann-Preis für Hans Haacke
Intro
Hans Haacke (*1936) erhält den mit CHF 150000.– höchstdotierten europäischen Kunstpreis der Roswitha Haftmann-Stiftung.
Der Stiftungsrat der Roswitha Haftmann-Stiftung hat beschlossen, Hans Haacke für sein Gesamtwerk mit dem Roswitha Haftmann-Preis auszuzeichnen. Die Jury würdigt sein jahrzehntelanges mutiges und unangepasstes Engagement, seine Fähigkeit, durch künstlerische Provokation gesellschaftliche Debatten auszulösen, aber auch seine intellektuelle Brillanz und die formale Qualität seiner Arbeiten. Hans Haacke, 1936 in Köln geboren, lebt seit 1965 in New York und erregt Aufsehen vor allem durch die politischen Aspekte seiner Arbeit.
KONZEPTKUNST UND LAND ART
Haacke studierte an der Staatlichen Werkakademie, Kassel (1956–1960). Schon seine frühen Arbeiten kreisten um Systeme und Prozesse und untersuchten ihr Funktionieren bzw. Scheitern. Der junge Künstler stellte in seinen Werken Interaktionen zwischen physischen und biologischen Systemen, Tieren, Pflanzen und Zuständen von Wasser und Wind dar; manche seiner Ansätze bewegten sich in Richtung der Land Art. Ab 1970 wandte er sich zunehmend politischen Entwicklungen zu und den Mechanismen der Manipulation – von Meinungen, Befindlichkeiten und historischen Tatsachen.
MARKT, POLITIK, MORAL
Die kurzfristige Absage seiner Ausstellung im New Yorker Guggenheim Museum im Jahr 1971, bei der seine Arbeit «Shapolsky et al. Manhattan Real Estate Holdings, A Real Time Social System, as of May 1, 1971» über Immobilienbesitz und –spekulationen gezeigt werden sollte, löste eine heftige Debatte über politische Konzeptkunst aus. In Köln provozierte er 1974 mit einem Projekt über die Provenienz eines Stilllebens von Edouard Manet, ein Ankauf für das Wallraf-Richartz-Museum auf Initiative des damaligen Fördervereinsvorsitzenden Hermann Josef Abs, und warf ein Schlaglicht auf dessen Rolle im Dritten Reich. Die Dokumentation im Rahmen der Ausstellung mit dem vielsagenden Motto «Kunst bleibt Kunst» wurde vom Direktor des Museums nicht zugelassen. In einer Einzelausstellung 1978 in Oxford wurde die Arbeit «A Breed Apart» gezeigt, die Kritik am Staatskonzern British Leyland übte, der Polizei- und Militärfahrzeuge in Rassentrennung praktizierende Staaten wie das damalige Südafrika exportierte.
MALEREI, SKULPTUR, INSTALLATION
Seit den frühen 1980er-Jahren widmet sich Haacke zunehmend der Malerei und grossen Installationen. Es entstanden die Ölgemälde «Hommage à Marcel Broodthaers (1982), das «Tableau pour la salle du conseil d’administration» (1983) für Alcan, «Taking Stock (unfinished)» sowie «Weite und Vielfalt der Brigade Ludwig» (1984). Auf dem historisch belasteten Königsplatz in München zeigte er 1991 «Die Fahne hoch». 1984 erhielt Haacke eine Einzelausstellung in der Londoner Tate Gallery, wo sein Porträt von Margaret Thatcher mit den bekannten Kunstmäzenen Maurice und Charles Saatchi deren Einfluss auf die damalige Kunstproduktion zeigte.
VIELBEACHTETER BIENNALE-BEITRAG IN VENEDIG
Haackes umstrittene Collage eines rauchenden Cowboys von 1990 («Cowboy with Cigarette») verwandelte ein klassisches Picasso-Bild in eine Zigarettenwerbung, eine Reaktion auf das Sponsoring des Museum of Modern Art durch den Tabakkonzern Philip Morris. 1993 teilte sich Haacke mit Nam June Paik den Goldenen Löwen für den Deutschen Pavillon der Biennale in Venedig: Haackes eindrucksvolle Installation «Germania», für die der historische Bodenbelag des von den Nationalsozialisten errichteten Pavillons zerstört wurde, bezog sich auf die Wurzeln der Biennale in der Kulturpolitik des einstigen faschistischen Italiens. 1999 entstand das Kunstprojekt «Der Bevölkerung» im deutschen Reichstagsgebäude in Abwandlung der Widmung des Gebäudes «Dem deutschen Volke», das einen international beachteten Diskurs über das Selbstverständnis der Deutschen und ihr Verhältnis zu anderen Nationen auslöste. 2006 liess Haacke im Rahmen einer Werk-Retrospektive für sein Kunstwerk «Kein schöner Land. Weil sie nicht deutsch aussahen» Fassadenfenster des Gebäudes der Akademie der Künste (Berlin) temporär mit Plakaten überkleben, auf denen die Schicksale von 46 Todesopfern rechtsextremer Gewalt in der Bundesrepublik Deutschland seit 1990 geschildert wurden.
JÜNGSTE AKTION AUF DEM TRAFALGAR SQUARE
Von März 2015 bis September 2016 war Haackes «Gift Horse» auf dem vierten, leeren Denkmalsockel am Trafalgar Square in London zu sehen: Das dargestellte Skelett eines Pferdes nahm Bezug auf ein Hauptwerk der englischen Kunst von George Stubbs in der benachbarten National Gallery – um einen Vorderlauf war ein «Geschenkband» drapiert mit dem Liveticker der Aktienkurse des FTSE 100.
LEHRE, TITEL, PREISE
Von 1967 bis 2002 hielt Haacke eine Professur an der Cooper Union for the Advancement of Science and Art in New York City. Ab 1994 erschienen die Aufzeichnung seiner Gespräche mit Pierre Bourdieu («Free Exchange»), die ihr gemeinsames Interesse an den Beziehungen zwischen Kunst und Politik deutlich machte. 1998 verlieh ihm die Bauhaus-Universität Weimar die Ehrendoktorwürde. 2004 erhielt der Künstler den Peter-Weiss-Preis der Stadt Bochum und 2006 wurde ihm der Rolandpreis für Kunst im öffentlichen Raum verliehen. Hans Haacke nahm 1972, 1982, 1987 und 1997 an der Documenta in Kassel teil. Einzelausstellungen gab es neben der Tate unter anderem im New Museum of Contemporary Art, New York; im Stedelijk van Abbemuseum, Eindhoven; im Centre Georges Pompidou, Paris und Museum Reina Sofia, Madrid.
STIFTUNG UND VERGABE IM KUNSTHAUS ZÜRICH
Hans Haacke ist der siebzehnte Künstler, dem Europas höchstdotierter Kunstpreis zuteil wird. Die Preisverleihung findet am 31. März 2017 im Kunsthaus Zürich statt. Die Auszeichnung geht auf die Initiative von Roswitha Haftmann (1924–1998) zurück. Seit 2001 vergibt ihre Stiftung den Preis an lebende Künstlerinnen und Künstler, deren Werk von überragender Bedeutung ist. Wer den Preis erhält, wird vom Stiftungsrat bestimmt. Ihm gehören die Direktoren des Kunstmuseums Bern, des Kunstmuseums Basel, des Museum Ludwig in Köln und des Kunsthaus Zürich an. Hinzu kommen Mitglieder, die vom Stiftungsrat berufen werden.