EMMA BALKIND

Communitas: Das Commons-Subjekt und das Subjekt der Gemeinschaft

Die Idee der Commons dient dem entfremdeten Subjekt als Rettungsanker und dem Kapital als Instrument, um die Voraussetzung für mehr solcher Subjekte zu schaffen. Es herrscht ein andauernder Kampf um die Fortexistenz der Commons als Form, während das Kapital an ihrer Einhegung arbeitet. Das Subjekt wird in diese Prozesse eingebunden, indem die Idee der Commons durch Privatisierung der Logik des Kapitals unterworfen wird. Der Begriff der Commons ist so beweglich, dass er sich sogar mit Ideen wie der Sharing Economy als kompatibel erweist, d. h. mit Projekten, die eine Form von Commons produzieren, die von negativem Wert für den/die Einzelne/n sind und existierende Ungleichheiten zementieren.
Das Subjekt der Sharing Economy wird zum »Meta-Rentier«¹, der nicht nur seine Wohnung über Airbnb vermietet, um die Miete für den Monat zu finanzieren, sondern währenddessen auch noch eine andere Wohnung mieten muss, weil er keine andere Bleibe hat. Das Subjekt im Kapitalismus ist in diesem Fall nicht nur Anteil der Anteilslosen in der Immobilienwirtschaft, sondern muss doppelt mieten, um daran zu partizipieren. Esposito bezeichnet die Gemeinschaft als »nicht nur nicht mit der res publica – der gemeinsamen ›Sache‹ – gleichzusetzen; sondern sie ist vielmehr das Loch, in das diese unentwegt abzurutschen droht, der Absturz, der an ihren Flanken und in ihrem Inneren entsteht.«² Seine Formulierung lässt vermuten, dass das Gemeinsame etwas unerhört Prekäres ist, das ebenso gut mit Verlust wie mit einer Form von Aufschub vergleichbar ist. Wo stabile Mieten den lokalen Gemeinschaften eine wirkliche, materielle Blüte verschaffen würden, errichtet die Sharing Economy die Idee von Gemeinschaft und Teilen auf unseren grundlegendsten Bedürfnissen und macht sie, indem sie sie vergemeinschaftet, zur käuflichen Ware.

¹ http://canistaywithyouwhileirentmyplaceonairbnb.com (via Joshua Simon, http://neomaterialism.tumblr.com). [Stand: 6. 2. 2015]
² Roberto Esposito, Communitas. Ursprung und Wege der Gemeinschaft, Berlin: diaphanes 2004, S. 18–19.

Textbeitrag in Camera Austria International 129/2015, S. 13–16.

TOM HOLERT

Art Is Concrete: Wie konkret. Über Kunst und Wirksamkeit

Dass Kunst auf einem Spektrum des Konkret-Abstrakten operiert, dass es mit ihr eine materielle (und materialistische) Bewandtnis hat und sie zugleich eine immaterielle Aktivität ist, dürfte außer Frage stehen; sie ganz auf der einen oder anderen Seite dieses Spektrums anzuordnen, würde daher weder ihren Formen noch ihren Funktionen gerecht. Mit großer Intensität wird heute das Los der Kunst zwischen weitgehender Instrumentalisierung in sozialen Kämpfen oder begehrter Anlagesorte für alle möglichen Kapitalsorten von Geld (wie in Finanzkapital) bis Leben (wie in Lifestyle und Subjektivität) gesucht und verhandelt. Hoch ist die Umschlaggeschwindigkeit, mit der sich an Kunst neue Themen und Anliegen heften, von Ökonomie bis Bildung, von Globalisierung bis Gemeinschaft. Diese unaufhörliche expansive Auslegung des Kunstverständnisses ist immer auch von sehr konkreten Interessen und Versprechen geleitet, die sich mit Kunst verbinden lassen (wobei diese Interessen und Versprechen sowohl im Weltmaßstab wie innerhalb des Kunstfeldes selbst sehr unterschiedlich, ja inkompatibel sein können).
Allen professionellen Moderationsbemühungen (Kuratieren, Akademisieren, Verwalten) zum Trotz verursachen die vielfältigen Aktivierungen der Kunst tiefe Verunsicherung. Die gesellschaftliche und ästhetische Bedeutung von Kunst ist heute gleichermaßen unumstritten wie überaus zweifelhaft. Keine Ausstellung mit Vortragsprogramm im Auditorium, keine Konferenz mit installativen Interventionen im Foyer, kein Lecture-Performance-Event mit abschließendem Roundtable, kein Wochenende dokumentaristischer Wissensproduktion mit ExpertInnen aus allen Lebensgebieten wird je die Funktion von Kunst als Möglichkeitsbedingung und Sinnhorizont, als Argument für die Bewilligung von Fördergeldern und als Fundament einer Alternative zu den bestehenden Verhältnissen bestreiten. Und doch wird die Kunstbehauptung ständig dadurch herausgefordert, dass Kunst allein nicht die Erkenntnisse und Veränderungen herbeiführt, die aufgrund der behaupteten und tatsächlichen Dringlichkeit der politischen, humanitären oder ökonomischen Situation notwendig erscheinen.

Textbeitrag in Camera Austria International 129/2015, S. 17–20.

BORIS BUDEN

Unexpected Encounters: Zeitgenössisch im Vergangenen?

Doch der wahre Grund, warum sich Künstler der Vergangenheit zuwenden, liegt nicht bloß in den Taten oder Untaten der politischen Protagonisten. Weder die islamischen Terroristen noch die Entscheidungsträger der westlichen Großmächte sind die wahren Trendsetter der Gegenwartskunst. Vielmehr ist es eine ganz allgemeine Erfahrung, die von den demokratischen Massen weltweit gemacht wurde – die Erfahrung der Machtlosigkeit. Roelstraete erinnert uns an den 15. Februar 2003, als sich in 800 Städten der Welt etwa zehn bis 30 Millionen Menschen den größten Antikriegsdemonstrationen aller Zeiten angeschlossen haben, um gegen die rechtswidrige Militärintervention im Irak zu protestieren. Die Demonstration in London war die größte in der politischen Geschichte dieser Stadt, doch die Massenbewegung hat nichts erreicht. Der Irak wurde gebombt, besetzt und auseinandergerissen. Und die protestierenden Massen wurden sich ihrer Ohnmacht bewusst, die wichtigsten politischen Entscheidungen in den meistentwickelten demokratischen Gesellschaften des Westens zu beeinflussen. Es ist also die Erfahrung dieser Unfähigkeit, die gegenwärtige Realität zu verändern, eine Erfahrung, die sie mit den breiten demokratischen Massen teilen, welche so viele KünstlerInnen heute dazu motiviert, sich von der Gegenwart abzuwenden und in der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit den Sinn ihrer künstlerischen Arbeit zu suchen. Mehr noch: Es handelt sich um historisch und politisch ganz konkrete Krisen der real existierenden Demokratie, die ihr gesamtes Erneuerungspotenzial erschöpft zu haben scheint. Doch die Besessenheit der KünstlerInnen von der Vergangenheit ist nicht nur als eines der Symptome dieser Krise zu verstehen. Als ihre wirkende Kraft trägt sie zur Vertiefung dieser Krise selbst bei, da sie die kritischen und emanzipatorischen Potenziale der Kunst in eine falsche Dimension der historischen Zeit projiziert: weg von den realen Problemen der Gegenwart und der Gestaltung einer besseren Zukunft in die Vergangenheit zurück. Deshalb plädiert Roelstraete für eine Art U-Turn. Statt im Vergangenen zu graben, soll Kunst wieder die Zukunft freilegen.

Textbeitrag in Camera Austria International 129/2015, S. 53–55.

JALEH MANSOOR

The Militant Image: Notizen zu Anti-Repräsentation, negativer Artikulation und politischem Widerstand

Im Folgenden will ich kurz das Verhältnis von referenzieller Opazität und Transparenz in zeitgenössischen kulturellen Praktiken diskutieren, die sich »soziale Gerechtigkeit« als politischen Horizont für die Motivation und Verankerung von Bedeutung auf die Fahnen heften. Ich möchte, auch wenn es intuitionswidrig erscheint, die These vertreten, dass viele Versuche direkter Vermittlung politischer Botschaften nicht nur scheitern, sondern die politischen Ziele der jeweiligen Botschaft oft sogar aktiv unterlaufen. Ich behaupte, dass das »militante Bild« nur dann als ein solches – als ein eigenständiger Akt politischer Handlungsmacht und Militanz – funktioniert, wenn es paradoxerweise jede explizite, unmittelbare Wirkung verweigert. Es wird also zum Teil darum gehen, dieses paradox-stumme, aber wirksame »militante Bild« vom klischeehaften Begriff der sogenannten »Autonomie« zu trennen, wie er im letzten halben Jahrhundert im anglophonen Raum vertreten wurde. Gegen die Transparenz der Botschaft und der längst zu Tode gerittenen Autonomie zeichnen sich heute von einem stärkeren historischen Unterstrom motivierte Stränge der Kultur ab, die einen anderen Weg weisen. Es folgt ein kurzer Abriss dieser historischen Linien, die sich an einem unwahrscheinlichen Punkt der Gegenwart treffen, der Konvergenz disparater Kontexte, die wir mit Aktivismen wie Feminismus oder dem Kampf für Umwelt- und Indigenenrechte oder auch mit Kultur verbinden. Ich möchte mit einem Blick in die Vergangenheit einen Hinweis auf diesen Schnittpunkt geben, um die möglichen politischen Kämpfe der Zukunft anzudeuten.

Textbeitrag in Camera Austria International 129/2015, S. 57–60.

CINENOVA FEMINIST FILM AND VIDEO DISTRIBUTOR

EMMA HEDDITCH, LOUISE SHELLEY – Cinenova: Verschiedene Hände

Wird eine Gruppe von Personen eingeladen, über etwas zu schreiben, wird sie das mehr oder minder im Rahmen ihrer bisherigen Verfahrensweisen und Erfahrungen tun, nebst der Fähigkeiten, die sie zum Schreiben, Redigieren und Denken mitbringt. Hier schreiben zwei im Namen einer Gruppe, und da wir beschlossen haben, die Zusammenarbeit ganz konkret den drängenden und kritischen Anliegen der Organisation Cinenova zu widmen, schreiben wir also darüber, worin diese Arbeit besteht, ausgehend von unserem Verständnis davon, was sie vielleicht einmal war, wie sie geworden ist, was sie ist, und wie wir sie heute betreiben. Wir werden auch Teile aus dem Material, mit dem wir arbeiten, einflechten und so den Einfluss dieser Inhalte auf unsere Organisationsweise sichtbar machen. »Es scheint unglaublich wichtig, die Formationsstrategien zu erkennen, die Prozesse, in denen Erfahrung und formale Präsentation stattfinden. Das eine nicht getrennt vom anderen, sondern als ständiges Tasten an der Oberfläche des jeweils anderen.«¹

¹Cinenova, Mary Kelly Project, London: Cinenova 2003, S. 11.

Textbeitrag in Camera Austria International 129/2015, S. 75–76.