Camera Austria International

119 | 2012

  • HELMUT DRAXLER
    Katja Eydel: Die Gewohnheit im Werden
  • KATJA EYDEL
  • KRZYSTOF PIJARSKI
    G.R.A.M.: Gesten ironischer Profanierung
  • G.R.A.M.
  • GISLIND NABAKOWSKI
    Stefan Panhans: Unsicherbare Dinge
  • STEFAN PANHANS
  • PETER HEIN
    Dokument zu Kassel
  • ANNA MEYER
  • JAN VERWOERT
    Zeuge Bild 3/4 Zeugnis der Arbeit. Zeugnis der Tat

Vorwort

Fragen nach dem Dokumentarischen und der Politik fotografischer Bilder, die wir seit dem letzten Jahr kontinuierlich aufgreifen, führen zwangsläufig zu Fragen nach deren Glaubwürdigkeit, Authentizität und den Formen sowie Strategien ihrer Inszenierung. Wie sehen in gegenwärtigen Medienbildern Aufführungen des Politischen aus bzw. in welcher Form arbeiten KünstlerInnen diese Modi der Aufführung in ihrer eigenen Arbeit durch, angeleitet etwa durch Fragen, ob sich hier überhaupt eine Art gemeinsamer Raum von Erfahrung und Wissen auffinden oder rekonstruieren lässt oder auch, welche Konflikte und Subtexte in Form von Bildern ausgetragen werden und welche gerade nicht? Wo werden sie instrumentell eingesetzt und zu welchen Zwecken?
In der Ausgabe Nr. 119 von Camera Austria International stellen wir Ihnen KünstlerInnen vor, deren Fotografien sich auf diese Felder beziehen lassen: Das Künstlerkolletiv G.R.A.M. (Günther Holler-Schuster und Martin Behr) arbeitet seit vielen Jahren konsequent im Bereich der Wiederaufführungen politischer Bilder, viele davon sind ins kollektive Gedächtnis eingegangen, manche – wie die Parlamentsraufereien oder die aktuelle Serie über Konzernchefs und Börsenmakler – prägen gegenwärtig die Bildwelt der Krise. Krzysztof Pijarski greift in seinem Text den Aspekt der Medienpräsenz als eine Form der Spekulation, als eine Art virtuellen Kapitals und seiner Mechanik, auf, um den Re-Inszenierungen von G.R.A.M. auf die Spur zu kommen.  Er arbeitet heraus, wie die Künstler diese Mechanik der Medienwelt als zeitgenössische Oberfläche des Auftauchens von Ereignissen, als eine Maschine zur Produktion von (temporären) Sichtbarkeiten enthüllt. Und stellt angesichts ihrer fotografischen Nachstellungen die Frage, ob die »[…] Verknüpfung der Finanzwirtschaft mit der Ökonomie der Aufmerksamkeit vielleicht mehr als eine bloße Analogie [ist] und die Krise, in der wir uns immer noch befinden, in Wahrheit auch eine Krise der (Verteilung der) Repräsentation?«, um auf eine Neuorientierung unserer Beziehung zu Bildern hinzuarbeiten.

Maren Lübbke-Tidow
Reinhard Braun
September 2012
Volltext

Camera Austria International 119 | 2012
Vorwort

Fragen nach dem Dokumentarischen und der Politik fotografischer Bilder, die wir seit dem letzten Jahr kontinuierlich aufgreifen, führen zwangsläufig zu Fragen nach deren Glaubwürdigkeit, Authentizität und den Formen sowie Strategien ihrer Inszenierung. Wie sehen in gegenwärtigen Medienbildern Aufführungen des Politischen aus bzw. in welcher Form arbeiten KünstlerInnen diese Modi der Aufführung in ihrer eigenen Arbeit durch, angeleitet etwa durch Fragen, ob sich hier überhaupt eine Art gemeinsamer Raum von Erfahrung und Wissen auffinden oder rekonstruieren lässt oder auch, welche Konflikte und Subtexte in Form von Bildern ausgetragen werden und welche gerade nicht? Wo werden sie instrumentell eingesetzt und zu welchen Zwecken?
In der Ausgabe Nr. 119 von Camera Austria International stellen wir Ihnen KünstlerInnen vor, deren Fotografien sich auf diese Felder beziehen lassen: Das Künstlerkolletiv G.R.A.M. (Günther Holler-Schuster und Martin Behr) arbeitet seit vielen Jahren konsequent im Bereich der Wiederaufführungen politischer Bilder, viele davon sind ins kollektive Gedächtnis eingegangen, manche – wie die Parlamentsraufereien oder die aktuelle Serie über Konzernchefs und Börsenmakler – prägen gegenwärtig die Bildwelt der Krise. Krzysztof Pijarski greift in seinem Text den Aspekt der Medienpräsenz als eine Form der Spekulation, als eine Art virtuellen Kapitals und seiner Mechanik, auf, um den Re-Inszenierungen von G.R.A.M. auf die Spur zu kommen.  Er arbeitet heraus, wie die Künstler diese Mechanik der Medienwelt als zeitgenössische Oberfläche des Auftauchens von Ereignissen, als eine Maschine zur Produktion von (temporären) Sichtbarkeiten enthüllt. Und stellt angesichts ihrer fotografischen Nachstellungen die Frage, ob die »[…] Verknüpfung der Finanzwirtschaft mit der Ökonomie der Aufmerksamkeit vielleicht mehr als eine bloße Analogie [ist] und die Krise, in der wir uns immer noch befinden, in Wahrheit auch eine Krise der (Verteilung der) Repräsentation?«, um auf eine Neuorientierung unserer Beziehung zu Bildern hinzuarbeiten.
Stefan Panhans verarbeitet in seinen Video- und Fotoarbeiten sprachliche und ästhetische Versatzstücke aktueller Lifestyles und Konsumgesten: »VOR ALLEM ABER MUSST DU FOLGENDES WISSEN: Eine hohe Ansammlung von Qi kann zu positiven Ergebnissen bei Gesundheit, Harmonie und Erfolg führen.« Seine Register, die er in der fortlaufenden Fotoserie »Items For Possible Video Sets« (seit 2009) entwickelt, kann man – wie Gislind Nabakowski herausstellt – »als Kombinatorik kontroverser sozialer Räume sehen«, die von einer »the-Game-is-over«-Klugheit erfasst sind: »Statt Hyperaffirmation ist das Kunst der Gegenwart. Der Blick auf den Turbokapitalismus wird zu keiner Transzendenz verklärt. Statt feine Tischdecken aus Brüsseler Spitze finden wir Sichtbeton, Sand auf dem Dreck herbstlichen Plastikmülls, bunt galvanisierten Nippes […], Scherzartikel, zerknautschte Folien, Mehl statt Wandputz, Transparentfolie als Gebrauchsanweisung für Monitore, bedruckt mit asiatischen Schriftcodes. Jedenfalls nichts von Seltenheit aus dem Materialfundus der globalen Märkte. Ein All-over von Müsli, Mandeln, Textresten, Kohlestückchen, klebrigen Krümeln breitet sich […] malerisch über einem damit verdeckten Softpornobild aus. Das All-over als Eraser des Porno.«
Ist der Beitrag von Gislind Nabakowski von den in den Bildern von Stefan Panhans auffindbaren »prekarisierten Zeichen« und ihrer möglichen Bedeutungen geleitet, um dem Treibgut seiner Kombinatorik von fotografischen Raum-, Objekt und Materialcollagen auf die Spur zu kommen, widmet sich Helmut Draxler den »sozialen Grammatiken«. »Inhaltlich thematisieren Katja Eydels Arbeiten meist Zeiten des Umbruchs und der Neuordnung der Verhältnisse. Die ›Erfindung der Türkei‹ in ihren kemalistischen Institutionen, das neue Berlin nach der Wende vor allem in seinen randstädtischen Erscheinungsformen, das Belgrad zwischen den vielfältigen Frontlinien während des NATO-Bombardements – stets schieben sich neue institutionelle, urbanistische und alltägliche Codes über die alten; die Bruchlinien bleiben jedoch erkennbar und die Organisationsformen des Übergangs, der Zwischennutzungen, des Innehaltens im Transitorischen treten hervor.« Und stellt heraus, dass auch in den Arbeiten von Eydel »die Menschen nicht in ihren Handlungen, die Dinge nicht in ihren Zwecken, die Zeichen nicht in ihren Funktionen aufgehen«, sondern das »stets […] das Umfeld oder die Umwelt der Menschen, Dinge und Zeichen im Zentrum des Interesses [stehen]; und dieses Situative lässt sich als Vielfalt ihrer Beziehungen untereinander verstehen, als Verdinglichung der Menschen ebenso wie als Vermenschlichung der Dinge, als Semiotisierung der Formen und als Formalisierung der Beziehungen selbst.«
Da wir nach einem Besuch der dOCUMENTA (13) den Eindruck gewonnen hatten, dass diese erhebliche – und eben fragwürdige – Distinktionsgewinne für sich verbuchen konnte, schien es uns angebracht, die Pfade der klassischen Kunstkritik hinter uns zu lassen, und den Sänger der Band Fehlfarben Peter Hein nach einem Text zur Ausstellung zu fragen. Nach Erhalt dieses Dokuments stellten wir fest, dass sich der Sound des Textes dem formalen Korsett unserer Zeitschrift gewissermaßen widersetzt und haben uns dazu entschlossen, sein »Dokument zu Kassel« zu vertonen und vom Autor selbst einsprechen zu lassen. So finden Sie in dieser Ausgabe von Camera Austria International neben einem Textauszug, begleitet von Bildern von Anna Meyer, eine CD mit der gesprochenen Kritik von Peter Hein. Damit viel Vergnügen!
Das Forum der vorliegenden Ausgabe stimmt ein auf den Europäischen Monat der Fotografie in Berlin: Die KuratorInnen Katia Reich (vom Europäischen Monat der Fotografie Berlin) und Felix Hoffmann (von der C/O Berlin) haben aus den über 100 Ausstellungen, die anlässlich der Berliner Ausgabe dieses europäischen Festivals im Herbst eröffnen werden, eine Auswahl von sechs FotokünstlerInnen getroffen, die wir Ihnen hier vorstellen.
Wir präsentieren die vorliegende Ausgabe von Camera Austria International in den kommenden Wochen auf folgenden Messen: auf der Art Book Fair  im MoMA PS1 in New York, bei der art berlin contemporary und Miss Read in Berlin, auf der VIENNAFAIR in Wien, bei der Frieze Art Fair London, bei der nofound Photofair und bei Paris Photo in Paris.

Maren Lübbke-Tidow
Reinhard Braun
September 2012

Beiträge

Forum

Vorgestellt von Felix Hoffmann und Katia Reich:

BOBSAIRPORT

LEIFUR WILBERG ORRASON

JENS ULLRICH

JULIAN RÖDER

BIRTE KAUFMANN

VALÉRIE LERAY

Ausstellungen

Bild Gegen Bild / Image Counter Image
Haus der Kunst, Munich
THOMAS TRUMMER

Jósef Robakowski: My Own Cinema
Centrum Sztuki Wspolczesnej Zamek Ujazdowski (CCA), Warsaw
KAROL SIENKIEWICZ

Manifesta 9: The Deep of the Modern
Waterschei Coal Mine, Genk
BRITTA PETERS

Yvonne Rainer: Raum, Körper, Sprache
Kunsthaus Bregenz, Museum Ludwig Köln
JULIA GWENDOLYN SCHNEIDER

Francesca Woodmann
San Francisco Museum of Modern Art
Solomon R. Guggenheim Museum New York City
TACO HIDDE BAKKER

John Cage and …
Akademie der Künste, Berlin
Museum der Moderne Mönchsberg, Salzburg
CHRISTINE WÜRMELL

Hans-Peter Feldmann
Serpentine Gallery, London
BAWAG Contemporary, Wien
Deichtorhallen, Hamburg
ULRIKE MATZER

Naked before the Camera
The Metropolitan Museum of Art, New York City
RACHEL BAUM

Lewis Baltz
Kunstmuseum Bonn
MARIO PFEIFER

Oh, My Complex. Vom Unbehagen beim Anblick der Stadt
Württembergischer Kunstverein, Stuttgart
RAIMAR STANGE

43. Rencontres d’ Arles 2012
verschiedene Orte, Arles
GISLIND NABAKOWSKI

Marianne Wex: »Weibliche« und »männliche« Körpersprache als Folge patriarchalischer Machtverhältnisse
Badischer Kunstverein, Karlsruhe
ANKE HOFFMANN

Ed Ruscha: Reading Ed Ruscha
Kunsthaus Bregenz
JENS ASTHOFF

Jo Spence: Work (Part I & II)
[ space ], London
Studio Voltaire, London
MARTIN HERBERT

Bücher

Julia Born: Title of the Show. / Scheltens & Abbenes: Unfolded
Jovis Verlag, Berlin 2009. / Kodoji Press, Baden 2012
JAN WENZEL

Rosalind E. Krauss: Das optische Unbewusste
Fundus-Bücher 194, Philo Fine Arts, Hamburg 2011
MICHAEL WETZEL

Branko Lenart: Krkavče
Pavelhaus, Laafeld 2012.
TIMM STARL

Impressum

Herausgeber: Reinhard Braun
Verlag, Eigentümer: Verein CAMERA AUSTRIA. Labor für Fotografie und Theorie. Lendkai 1, 8020 Graz, Österreich

Chefredaktion: Maren Lübbke-Tidow (V.i.S.d.P.)
Redaktion: Margit Neuhold, Rebecca Wilton
ÜbersetzerInnen: Dawn Michelle d’Atri, Wilfried Prantner
Deutsches Korrektorat: Daniela Billner
Englisches Lektorat: Dawn Michelle d’Atri

Dank / Acknowledgments:
Jens Asthoff, Rachel Baum, Taco Hidde Bakker, bobsairport, Anja Casser, Sebastian Cichocki, Phil Collins, Helmut Draxler, Yilmaz Dziewoir, Katja Eydel, Kata Fohl, Lenja Gathmann, G.R.A.M. (Martin Behr, Günther Holler-Schuster), Peter Hein, Urte Helduser, Martin Herbert, Anke Hoffmann, Felix Hoffmann, Ruth Horak, Nataša Ilić, Birte Kaufmann, Valérie Leray, Ulrike Matzer, Anna Meyer, Gislind Nabakowski, Stefan Panhans, Britta Peters, Mario Pfeifer, Krzysztof Pijarksi, Karin Rebbert, Katia Reich, Kathrin Rhomberg, Juian Röder, Julia Gwendolyn Schneider, Karol Sienkiewicz, Raimar Stange, Timm Starl, Margarete Szeless, Thomas D. Trummer, Raimar Stange, Jens Ullrich, Jan Verwoert, Jan Wenzel, Leifur Orrason Wilberg, Michael Wetzel, Christine Würmell

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ISBN     978-3-900508-00-5
ISSN     1015 1915
GTIN     4 19 23106 1600 5 00116