Disputed Landscape: Uncovering History
Infos
Eröffnung
15.5.2015, 20:00
im Rahmen von aktuelle kunst in graz
Zeitraum
16.5.–5.7.2015
KünstlerInnen
Anthony Haughey (IE),
Tatiana Lecomte (AT)
, Jo Ractliffe (ZA),
Ahlam Shibli (PS)
, Efrat Shvili (IL)
Öffnungszeiten
Di–So 10:00–17:00
»Uncovering History« ist der zweiter Teil der Ausstellungsreihe »Disputed Landscape«, in Kooperation mit dem Kunsthaus Graz.
Katalogpräsentation
Landschaft. Konstruktion einer Realität
Mittwoch, 13.5 2015, 19:00
Kunsthaus Graz, Space 04
Vortrag, Präsentationen, Roundtable
Intro
Seit Alain Resnais’ Nuit et brouillard (1955) wissen wir, dass es nichts zu sehen gibt, dass die Katastrophe und das Verbrechen oftmals kaum Spuren im Sichtbaren hinterlassen. Und bereits Resnais hat für die Geschichte, die sein Film zu rekonstruieren versucht, auf unterschiedlichstes Bildmaterial von unterschiedlichen Orten und aus unterschiedlichen Quellen zurückgegriffen und nicht auf den Blick auf das, was zu sehen ist, vertraut. In bemerkenswerter und auch bedrückender Weise oszilliert dieser Film zwischen Authentizität und der Unmöglichkeit jeder Authentizität. Man ist versucht, mit Claude Lanzmann von einer ganz grundsätzlichen und unhintergehbaren Undarstellbarkeit zu sprechen.”¹ Doch nur, wenn es um eine Art Rückgewinnung geht, um ein Wieder-Sichtbar-Machen, um den Versuch, etwas zu zeigen, was geschehen, doch vergangen ist. Wie aber sollte dies gelingen? Sind nicht »Bilder trotz allem« nötig², um die »Pathologie« jener Orte zu markieren, die sich in das kollektive Gedächtnis eingeschrieben haben, welches ebenfalls voller Bilder ist? Schreiben nicht die Bilder, obwohl sie zu spät kommen, jenen pathologischen Orten (und Landschaften), die Schauplätze von Unvorstellbarem wurden, diese Geschichte trotz allem wieder ein? Tauchen die Bilder nicht gerade am Fluchtpunkt dieser Unmöglichkeit auf?
»Uncovering History« als zweiter Teil des Ausstellungsprojekts »Disputed Landscape« beschäftigt sich mit diesen Fragen der Leerstellen der Bilder bzw. der Lücken, die die Bilder füllen oder an denen sie auftauchen, vor allem jene, die die Geschichte hinterlässt – wenn von den Ereignissen selbst nur mehr banale Spuren übrig geblieben sind.
Volltext →Disputed Landscape: Uncovering History
Seit Alain Resnais’ Nuit et brouillard (1955) wissen wir, dass es nichts zu sehen gibt, dass die Katastrophe und das Verbrechen oftmals kaum Spuren im Sichtbaren hinterlassen. Und bereits Resnais hat für die Geschichte, die sein Film zu rekonstruieren versucht, auf unterschiedlichstes Bildmaterial von unterschiedlichen Orten und aus unterschiedlichen Quellen zurückgegriffen und nicht auf den Blick auf das, was zu sehen ist, vertraut. In bemerkenswerter und auch bedrückender Weise oszilliert dieser Film zwischen Authentizität und der Unmöglichkeit jeder Authentizität. Man ist versucht, mit Claude Lanzmann von einer ganz grundsätzlichen und unhintergehbaren Undarstellbarkeit zu sprechen.”¹ Doch nur, wenn es um eine Art Rückgewinnung geht, um ein Wieder-Sichtbar-Machen, um den Versuch, etwas zu zeigen, was geschehen, doch vergangen ist. Wie aber sollte dies gelingen? Sind nicht »Bilder trotz allem« nötig², um die »Pathologie« jener Orte zu markieren, die sich in das kollektive Gedächtnis eingeschrieben haben, welches ebenfalls voller Bilder ist? Schreiben nicht die Bilder, obwohl sie zu spät kommen, jenen pathologischen Orten (und Landschaften), die Schauplätze von Unvorstellbarem wurden, diese Geschichte trotz allem wieder ein? Tauchen die Bilder nicht gerade am Fluchtpunkt dieser Unmöglichkeit auf?
»Uncovering History« als zweiter Teil des Ausstellungsprojekts »Disputed Landscape« beschäftigt sich mit diesen Fragen der Leerstellen der Bilder bzw. der Lücken, die die Bilder füllen oder an denen sie auftauchen, vor allem jene, die die Geschichte hinterlässt – wenn von den Ereignissen selbst nur mehr banale Spuren übrig geblieben sind.
In der Serie »As Terras do Fim do Mundo« (2010) dokumentiert Jo Ractliffe ihre Reisen in den Süden Angolas auf den Spuren des Angolanischen Bürgerkrieges, in den Südafrika 1975 vom besetzten Namibia aus eingriff und dabei auch in Konflikt mit der namibischen Befreiungsbewegung kam. Sie reist mit ehemaligen Soldaten, die das erste Mal seit der Unabhängigkeit 1990 die Orte aufsuchen, an denen sie gekämpft hatten, in der Hoffnung, von diesen etwas über die Ereignisse zu erfahren und die Orte, Bilder und Ereignisse in einen Zusammenhang bringen zu können. Doch selbst die Soldaten erkennen diese Orte kaum wieder. Auch die immer noch sichtbaren Reste des Krieges – Wracks, Ruinen, halbverfallene Bunker – erlauben es kaum, die ehemaligen Schlachtfelder zu identifizieren. Manchmal mutet es so an, als ob der Krieg gerade erst beendet wurde, manchmal, als ob das Land seit langer Zeit völlig verlassen und unberührt gewesen wäre. »Sometimes I’m not even sure what it is I’m looking at. I am here without language. It is hard to read the signs.« (Jo Ractliffe) Auch hier kommen die Bilder zu spät und es lässt sich fragen, ob sie nicht immer zu spät kommen und ihr Begehren abzubilden verfehlen. Welchen Unterschied würde es machen, »dabei« gewesen zu sein? Liefert uns das Sichtbare überhaupt jemals Auskunft darüber, was geschieht? Philippe Dubois spricht von einem Riss im Körper des Bildes selbst, von einer Spaltung, die kaum verdeckt werden kann: einerseits »das Identitätsobjekt, die Repräsentation, die Form, das Motiv, das referentiell Bezeichnete (das erkannte Gleiche) – und andererseits genau sein Anderes, sein Gestaltloses, das einen Fleck oder ein Symptom erzeugt, sein verunstaltetes Zeichen, das uns verwundet und sprachlos lässt und das überall in den Bildern wuchert, sobald man es dort zu suchen beginnt.«3 Auch für Georges Didi-Huberman ist das fotografische Bild gespalten: »Die zweifache Ordnung des Bildes strukturiert also jeden Augenblick dieser Erfahrung: zwischen einer gesicherten Kenntnis dessen, was dargestellt ist und einem unsicheren Wiedererkennen dessen, was man sieht, zwischen der Ungewissheit, gesehen zu haben, und der Gewissheit des Erlebens.« Ractliffes Bilder bewegen sich in dieser Ungewissheit, gesehen zu haben, und der Gewissheit des Erlebens.4 Sie zeigen die Stille und die Leere der Landschaft, in der es so wenig zu sehen gibt, doch ist es gerade die Stille und Leere der Bilder, ihre zum Teil gespenstische Ruhe, die der Geschichte ihren Platz einräumt, um zu erscheinen, wenn auch als Abwesenheit. Ist es nicht erst gerade dann möglich, etwas zur Erscheinung zu bringen, wenn dafür dieser Riss geöffnet bleibt, wenn dieser nicht unter einer Beschreibung, einer Identität der Darstellung zum Verschwinden gebracht werden will?
Auch Efrat Shvili zeigt in ihrer Serie »100 Years« (2007) etwas anderes als das, was zu sehen ist. Das Dickicht des Waldes verhindert nicht nur buchstäblich etwas zu sehen, das dahinter läge oder sich mitten in diesem Dickicht befände, es blendet sich auch vor die Geschichte dieses Waldes, oder besser: verdoppelt ein Unsichtbar-Machen, auf das auch die Geschichte dieses Waldes abzielt. Vor über hundert Jahren vom Jewish National Fund auf ehemals palästinensischem Gebiet gepflanzt, demonstriert der Wald ein Einschreiben in das Land, damit aber auch das Überschreiben einer anderen Geschichte. Die Schönheit und Textur der Bilder suggeriert eine Natürlichkeit, die im Kontrast zur Künstlichkeit und zur politischen »Natur« dieses Waldes steht. Indem sich die Bilder darum drehen, was nicht zu sehen ist, verschiebt auch Shvili die Bilder von ihrer Identitätsbeziehung in die Ungewissheit und damit in ein anderes der Bilder. Und erneut entsteht in dieser Verschiebung der »Raum«, in dem die Geschichte selbst – nicht erscheinen, aber präsent werden kann, eine Präsenz im Bild eingeräumt bekommt. Obwohl der Ausstellungstitel auch vom Entbergen der Geschichte spricht, so bedeutet das allerdings nicht, dass sie plötzlich zu sehen wäre oder gezeigt werden könnte, aber vielleicht bedeutet es, dass sie in den Leerstellen der Bilder zu wuchern beginnen kann, als ein Symptom der Bilder, wie es Dubois bezeichnet hat.5
Die Bilder aus Ahlam Shiblis Serie »The Valley« entstanden im Jahr 2007 im Dorf Arab al-Shibli und seinem Umland im Unteren Galiläa in Palästina/Israel. Vor dem Hintergrund der Geschichte dieses Dorfs unternimmt Ahlam Shiblis Arbeit eine Lektüre seiner Landschaft und der in sie eingeschriebenen Spuren.
Die Hälfte aller Dorfbewohner von Arab al-Sbaih überlebte den Krieg von 1948 versteckt in den Höhlen des Bergs Tabor, an dessen Hängen das Dorf errichtet worden war. Die andere Hälfte leistete Widerstand gegen die jüdischen Kämpfer, um ihr Land zu verteidigen, und musste daher nach Jordanien flüchten. In den Lagern hielten die Flüchtlinge die Erinnerung an ihren Heimatort wach, indem sie an der Verwendung der alten Namen festhielten und die hergebrachte soziale Struktur übernahmen. Die Lebensumstände dieser Flüchtlinge sind Gegenstand von Shiblis Arbeit »Arab al-Sbaih«.
Als nach Kriegsende diejenigen, die sich in den Bergen versteckt gehalten hatten, zu ihrem Grund und Boden zurückkehrten, waren sie gezwungen, ihr Dorf umzubenennen, um sich vor Racheaktionen der Sieger zu schützen. Sie gaben ihm den Namen Arab al-Shibli.
»The Valley« zeigt die Spuren der Zerstörung, die die Bewohner von Arab al-Shibli heute in dem Berg, der ihnen in Kriegszeiten Schutz bot, anrichten müssen. Um ein Haus bauen zu können, mussten sie den Namen ihres Dorfs und ihre Achtung vor dem Land aufgeben. Während sie ihrer Bindung an die Heimat beraubt wurden, haben sich die Flüchtlinge in den jordanischen Lagern diese Bindung zwar bewahrt, haben aber kein wirkliches Zuhause.
Wenn Tatiana Lecomte in »Die El Alamein-Stellung. Eine Montage« (2012) völlig unterschiedliche Bildarchive miteinander kombiniert, um eine zugleich fiktionale wie dokumentarische Geschichte über den Schauplatz von Kämpfen im Zweiten Weltkrieg – den Strand von El Alamein – zu konstruieren, öffnet auch sie ein Terrain zwischen den Bildern und innerhalb der Erzählung, an dem etwas »stattfinden“ kann, was sich eben nur zwischen den Bildern ereignet. Die Nacktbilder einer Frau, entstanden Jahrzehnte nach dem Krieg, prallen mit Bildern aus diesem Krieg aufeinander. Obwohl zwischen den unterschiedlichen Quellen kaum unterschieden werden kann und die Künstlerin uns die Bilder in den Bildern selbst präsentiert (und damit quasi authentifiziert und belegt), wird zumindest offenkundig, dass hier private Obsessionen auf ein kollektives traumatisches Ereignis treffen, dass ein Raum des Privaten innerhalb der Narration der Geschichte konstruiert wird.
Auch Anthony Haugheys Serie »Disputed Territory« (seit 2006), entstanden unter anderem an der Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland, zeigt zum Teil seltsame Umgebungen mit kaum identifizierbaren Spuren und unklarer Nutzung, die lange Zeit von den Konfliktparteien auch völlig unterschiedlich wahrgenommen und definiert wurden. Die Umgebungen und Landschaften, die Haughey überhaupt erst sichtbar macht, die Eingriffe und Spuren, die er dabei ins Bild setzt, hängen mit komplexen Machtbeziehungen, mit wechselhafter Geschichte und widersprüchlichen Erinnerungen zusammen. Viele der Markierungen, Gegenstände und Interventionen bleiben unverständlich und erfordern eine genaue und komplexe Leseweise (seien es Pflanzungen, Ausgrabungen oder scheinbarer Müll, der sich als verbrauchte Munition erweist). Erst der Versuch, diese Bedeutungen zurückzugewinnen, zu entschlüsseln, politisiert diese Landschaften und schreibt sie erneut in die Geschichte des Konflikts ein, damit aber auch in die umkämpfte Geschichte eines unsicheren Wiedererkennens dessen, was man sieht.
1 Vgl. Jacques Rancière: Politik der Bilder. Berlin 2005, S. 127ff.
2 Georges Didi-Huberman: Bilder trotz allem.München 2007.
3 Philippe Dubois: Plastizität und Film. Die Frage des Figuralen als Störzeichen. In: Oliver Fahle (Hg.): Störzeichen. Das Bild angesichts des Realen. Weimar 2003, S. 113–136, S. 126.
4 Georges Didi-Huberman, Bilder trotz allem, S. 129.
5 Philippe Dubois, Plastizität und Film. Die Frage des Figuralen als Störzeichen, S. 128.