DLF 1874
Die Biografie der Bilder
Infos
Zeitraum
30.6.2012 – 2.9.2012
Eröffnung
29.6.2012, 19:00
Ausstellungsgespräch
30.6.2012, 15:00
Ruth Horak führt mit anwesenden KünstlerInnen durch die Ausstellung
Mit
Annegang, Werner Feiersinger, Michael Höpfner, Rainer Iglar, Krüger & Pardeller, Tatiana Lecomte, Mahony, Dorit Margreiter, Christian Mayer, Susanne Miggitsch, Gregor Neuerer, Tina Ribarits, Constanze Ruhm, Günther Selichar, Michael Strasser, Anita Witek
Eine Ausstellung aus der österreichischen Fotosammlung des Bundes – kuratiert von Ruth Horak
Intro
Verlässt ein Werk das Atelier, um Teil einer Sammlung zu werden, lässt es dort seine Entstehungsgeschichte zurück, es löst sich von all den Überlegungen und Entscheidungen, die es bisher an seine/n AutorIn gebunden hatten, und von den Spuren des Herstellens. An die Stelle des persönlichen Entstehungskontextes treten sachliche Informationen: Jahr, Technik, Maße, Auflage, Preis, Inventarnummer – »DLF 1874«. Es wird in den Bestand der Sammlung aufgenommen. Die Entstehungsgeschichte in all ihren Facetten kennt nur der/die AutorIn: Welche Entscheidungen haben zu seiner Realisierung geführt, was wurde verworfen, wer war involviert? Welche anderen Arbeiten sind im Zusammenhang entstanden, welche Reisen wurden unternommen, welche Bücher gelesen?
Stellt man die Verbindung zwischen Werk und AutorIn wieder her, entsteht eine »Biografie der Bilder« – manche kurz, manche umfangreich, bedeutend oder bewusst nicht in Umlauf gebracht, manche sind geplant verlaufen, andere haben sich verselbständigt. In der Ausstellung treffen sie aufeinander – eine Inventur von Ideen und Produkten, die das Schweigen der Arbeiten bricht, um deren Geschichten zu erzählen. Denn: »Hinter jedem Bild steht ein Narrativ, das auf allen Ebenen existiert, von der Entstehung der Arbeiten bis zum Verstanden-Werden «.1
Redseligkeit und Sprachlosigkeit sind die beiden Endpunkte, zwischen welchen sich die Biografien der Bilder aufspannen, weit verzweigt oder eng fokussiert. Manchmal sind die Bilder Teil eines ganzen Konstrukts, das immer neue Formen annimmt und viele Teile generiert wie bei Krüger & Pardeller. Ausgangspunkt ist der »Turm der Schatten«, ein eigenartig autonomes 1:1 Modell einer Schattenfassade, entworfen von Le Corbusier für Chandigarh. Von ihm haben sie Fotogramme und eine Licht-Skulptur abgeleitet, womit sie Corbusiers ursprünglichem Anliegen, Licht und Schatten zu koordinieren, eine künstlerische Form geben. Auch Constanze Ruhm kann ein ganzes Bezugsnetz aus Filmen, Theorien und Genealogien um die Setfotografien aus »Crash Site / My_Never_Ending_Burial_Plot« (2009) legen. Sprachlos hingegen könnte man Tina Ribarits’ Bücher bezeichnen: deren Herkunft ist gelöscht, sie sind auf schwarze Umschläge und leere weiße Seiten reduziert. Oder die Biografie entsteht erst und möchte noch nichts vorwegnehmen: »Bis auf Spammails sind keine Nachrichten gekommen«, bemerkt Susanne Miggitsch über »Ein Buch« (2007 – 2008), das sie auf eine unbestimmte Reise geschickt hat. Dorit Margreiters »Manual of Foreign Dialects« (2006) ist wiederum ganz konkret im Filmuniversum verankert. Zusammen mit weiteren sachlich-dokumentarischen Studioaufnahmen von Requisiten stellt es das Spiel um den schönen Schein von Authentizität bloß. Im Nebeneinander der drei Bücher wird deutlich, wie weit deren Biografien auseinandergehen, trotz äußerlicher Ähnlichkeiten.
Volltext →DLF 1874 – Die Biografie der Bilder
Verlässt ein Werk das Atelier, um Teil einer Sammlung zu werden, lässt es dort seine Entstehungsgeschichte zurück, es löst sich von all den Überlegungen und Entscheidungen, die es bisher an seine/n AutorIn gebunden hatten, und von den Spuren des Herstellens. An die Stelle des persönlichen Entstehungskontextes treten sachliche Informationen: Jahr, Technik, Maße, Auflage, Preis, Inventarnummer – »DLF 1874«. Es wird in den Bestand der Sammlung aufgenommen. Die Entstehungsgeschichte in all ihren Facetten kennt nur der/die AutorIn: Welche Entscheidungen haben zu seiner Realisierung geführt, was wurde verworfen, wer war involviert? Welche anderen Arbeiten sind im Zusammenhang entstanden, welche Reisen wurden unternommen, welche Bücher gelesen?
Stellt man die Verbindung zwischen Werk und AutorIn wieder her, entsteht eine »Biografie der Bilder« – manche kurz, manche umfangreich, bedeutend oder bewusst nicht in Umlauf gebracht, manche sind geplant verlaufen, andere haben sich verselbständigt. In der Ausstellung treffen sie aufeinander – eine Inventur von Ideen und Produkten, die das Schweigen der Arbeiten bricht, um deren Geschichten zu erzählen. Denn: »Hinter jedem Bild steht ein Narrativ, das auf allen Ebenen existiert, von der Entstehung der Arbeiten bis zum Verstanden-Werden «.1
Redseligkeit und Sprachlosigkeit sind die beiden Endpunkte, zwischen welchen sich die Biografien der Bilder aufspannen, weit verzweigt oder eng fokussiert. Manchmal sind die Bilder Teil eines ganzen Konstrukts, das immer neue Formen annimmt und viele Teile generiert wie bei Krüger & Pardeller. Ausgangspunkt ist der »Turm der Schatten«, ein eigenartig autonomes 1:1 Modell einer Schattenfassade, entworfen von Le Corbusier für Chandigarh. Von ihm haben sie Fotogramme und eine Licht-Skulptur abgeleitet, womit sie Corbusiers ursprünglichem Anliegen, Licht und Schatten zu koordinieren, eine künstlerische Form geben. Auch Constanze Ruhm kann ein ganzes Bezugsnetz aus Filmen, Theorien und Genealogien um die Setfotografien aus »Crash Site / My_Never_Ending_Burial_Plot« (2009) legen. Sprachlos hingegen könnte man Tina Ribarits’ Bücher bezeichnen: deren Herkunft ist gelöscht, sie sind auf schwarze Umschläge und leere weiße Seiten reduziert. Oder die Biografie entsteht erst und möchte noch nichts vorwegnehmen: »Bis auf Spammails sind keine Nachrichten gekommen«, bemerkt Susanne Miggitsch über »Ein Buch« (2007 – 2008), das sie auf eine unbestimmte Reise geschickt hat. Dorit Margreiters »Manual of Foreign Dialects« (2006) ist wiederum ganz konkret im Filmuniversum verankert. Zusammen mit weiteren sachlich-dokumentarischen Studioaufnahmen von Requisiten stellt es das Spiel um den schönen Schein von Authentizität bloß. Im Nebeneinander der drei Bücher wird deutlich, wie weit deren Biografien auseinandergehen, trotz äußerlicher Ähnlichkeiten.
Neben Redseligkeit und Sprachlosigkeit sind auch Konstruktion und Zufall zwei Extreme, zwischen welchen die Biografien liegen. Manche Bilder sind von langer Hand vorbereitet und sorgfältig ausgeführt, in der Postproduktion austariert und die Konsequenz einer langen Auseinandersetzung: »Irgendwann interessierte mich mehr, was diesen Bildern zugrunde liegt, als das, was sie darstellen«, beschreibt Günther Selichar seine Methode, die Medienbilder zu dekonstruieren. Auch Anita Witek wirft die Kontexte aus den Medienbildern, indem sie ihnen die Motive und damit ihre ursprünglichen Bedeutungen und Biografien nimmt.
Andere Biografien schreibt der Zufall: »Ein in staubige Laken gekleideter Einsiedler stand plötzlich wie aus dem Nichts kommend im dämmrigen Abendlicht vor meinem Lager. […] Er reicht mir Getreidebrei und Tee. Seine Finger glänzen vom Fett der Butter, die er mir in die Teeschale drückt«, erzählt Michael Höpfner von seinen oft wochenlangen Fußmärschen durch die einsamen Landschaften Westchinas – bei ihm trifft man auf die buchstäblichste Form des »Zufallens«. Meistens liegen Konstruktion und Zufall jedoch eng beieinander. Hat man dem Zufall einmal nachgegeben, wie Mahony, kann er vielgestaltig sein: für jeden neuen Ausstellungstermin schreiben Mahony das Skript zum »Das älteste Stück Ding der Welt« (2007) um, gaben ihm zuerst einen Körper, und nehmen ihm dann sukzessive wieder die Substanz, bis es fast gänzlich verschwunden ist.
Wollte man die Bilder nach einem bestimmten biografischen Aspekt sortieren, wäre der Entstehungsort eine relevante Kategorie – schließlich war und ist es eine der großen Bestimmungen von Fotografie, Bilder aus der Ferne nach Hause zu bringen. Darin spiegelt sich auch jene Vorliebe des 19. Jahrhunderts wieder, auf die Christian Mayer rekurriert, nämlich mit Bildern aus den exotischen Kolonien die europäischen Wände zu schmücken – meist unhinterfragt und dekontextualisiert. Die zeitgenössischen Entstehungsorte geben sich wieder sachlicher, wie Le Corbusiers Kloster La Tourette, das Werner Feiersinger regelrecht abtastet – von der Gesamtanlage des Bauwerks über die Blickachsen-Choreografie bis zu ungewöhnlichen Lösungen, die den Bildhauer Feiersinger am meisten faszinieren: »Nicht Geländer versperren den Zutritt zu den abschüssigen Stellen, sondern felsenartige Objekte mit eigenartigen Vertiefungen für eine mögliche Bepflanzung.«
Nur zu oft wirken die Entstehungsorte auf die Biografien der KünstlerInnen selbst ein: »Als Frau hat man sich dem Dresscode des Landes anzupassen: Kopf, Hals und Hintern müssen bedeckt sein. Im Flugzeug begannen sich die iranischen Frauen, die mit mir von Wien kamen, noch vor der Landung zu bedecken«, verknüpft etwa Tatjana Lecomte die eigenen Erfahrungen mit ihrer Entscheidung gegen touristische Bilder. Auch das Fotoatelier des bmukk in New York hat schon zu zahlreichen Arbeiten angeregt, die mehr oder weniger direkt dem Einfluss des Ortes erlegen sind. Michael Strasser: »Stück für Stück wurden Einzelteile des Parkettbodens herausgerissen und zu […] einsturzgefährdeten Gebilden aufgestapelt«2 – die Fotografie ist dabei sowohl Werk als auch Dokument. Ebenfalls in New York hat Gregor Neuerer am Terminal der Staten Island Ferry die tagelang abgestellten Autos als eine Begleiterscheinung der Entwicklung von Arbeitsmärkten beobachtet und öffnet damit Themen, die vom ökonomischen Druck auf den Einzelnen handeln. Als einen von vielen Auswüchsen dieser kapitalistischen Welt führt er den »Junkspace« an, den Rem Koolhaas so pointiert definiert hat. Annegang ist gleichzeitig KünstlerInnenkollektiv und Magazintitel – ihre Biografien überlagern sich: Annegang ist »Propaganda fürs kollektive Tun, für die politische Alltagsintervention und ein widerständiges Verständnis von Kunst. Kunst darf ruhig schön sein. Nur einmischen muss sie sich.« Nicht minder Handlungsbedarf sieht Rainer Iglar, wenn Kunst vor allem unverbindlich und anpassungsfähig ist und »des Sammlers geschmackvolle Kombination« im Vordergrund steht, weil gerade private Sammlerhäuser ihre eigenen Geschichten bergen und die Fotografie nur eine hauchdünne Schicht davon ablösen kann.
»Des Esseints besaß eine wundervolle Sammlung … seine Augen weideten sich an den erlesenen, seltenen, von weither gekommenen Stücken …«.3 »Zum Ergötzen seines Geistes hatte er sich nach suggestiven Werken gesehnt: sie sollten ihn in eine unbekannte Welt schleudern, ihm die Spuren neuer Ahnungen enthüllen …«.4
Die österreichische Fotosammlung des Bundes wurde 1981 gegründet und umfasst bis heute um die 8.000 Werke von rund 470 KünstlerInnen.
1 Ilya Kabakov im Vorwort zu Der Text als Grundlage des Visuellen. Hrsg. Zdenek Felix. Köln, Oktagon, 2000, S. 11.
2 Fatoş Üstek, Einleitung. In: Michael Strasser. Domestic Sculpture Garden. ¬Salzburg, FOTOHOF Edition 2012, o.S.
3 Joris K. Huysmans, Gegen den Strich. Zürich, Diogenes 1981, S. 176f.
4 Ebenda S. 126.
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