Fotografie zerstören
Infos
Eröffnung
6.12.2024, 18:00
Gespräch zur Ausstellung
mit Wolfgang Ullrich
4.2.2025, 18:00
Zeitraum
7.12.2024 – 9.2.2025
Öffnungszeiten
Di – So und an Feiertagen
10:00 – 18:00
24.12., 25.12. geschlossen
26.12. geöffnet
1.1.2024: geöffnet ab 13:00
Führungen
Deutsch, Englisch
kostenlos, nach Vereinbarung:
exhibitions@camera-austria.at
+43 316 81555016
Mit Arbeiten von
Laurel Chokoago, Elisa Goldammer, Maik Gräf, Almut Hilf, Maximilian Koppernock, Mitko Mitkov, Sophie Pölzl, Claudia Rohrauer, Caspar Sänger, Jenny Schäfer, Janine Schranz, Wiebke Schwarzhans, Dirk Stewen, Daniela Zeilinger und einem Text von Mira Anneli Naß.
Idee und Konzept
Das Projekt wurde in Hamburg von Maik Gräf und Jenny Schäfer initiiert, für die Ausstellung bei Camera Austria von Daniela Zeilinger ergänzt.
Intro
Das Arbeiten mit oder in der Fotografie bewegt sich immer wieder im Spannungsfeld zwischen dem Anspruch technischer Perfektion und dem Versuch, aus der Blickrichtung, dem Viereck, dem Material auszubrechen. Dabei sind die destruktiven Eigenschaften der Fotografie nicht nur inhaltlicher oder formaler Natur, sondern auch die Voraussetzungen fotografischer Prozesse basieren vielfach auf extraktiven und ausbeuterischen Verfahren. Die von Maik Gräf und Jenny Schäfer initiierte Ausstellung Fotografie zerstören, die Anfang 2024 in einer früheren Version im Hamburger Künstler*innenhaus Frise gezeigt wurde, versammelt künstlerische Arbeiten, die sich mit der Dekonstruktion technischer Vorgänge, der Abstraktion fotografischen Materials wie auch mit neuen Perspektiven des Gegenstands, der Abbildung und der Position auseinandersetzen. Für Camera Austria wird die Ausstellung um drei in Österreich lebende und von Daniela Zeilinger eingeladene Künstlerinnen – Sophie Pölzl, Claudia Rohrauer und Janine Schranz – erweitert.
Volltext →Fotografie zerstören
In Trümmern
Es scheint paradox, die Fotografie zerstören zu wollen, in einer Zeit, die so süchtig nach Bildern ist wie die unsere. Schon 1928 prophezeite der französische Dichter Paul Valéry angesichts des stetigen Siegeszugs der Massenmedien Fotografie und Film, dass Bilder bald schon »wie Wasser, Gas und elektrischer Strom von weither auf einen fast unmerklichen Handgriff hin in unsere Wohnungen kommen«¹ werden; und tatsächlich prasseln heute täglich mehr Fotografien auf uns ein als in den Familienalben ganzer Generationen schlummern, bestimmen sie mehr als das geschriebene Wort Diskurse und Debatten, untermauern, ja schaffen vermeintliches Wissen und transzendieren die Gesellschaft als führten sie ein Eigenleben. Ja, natürlich nagt, schabt, kratzt und rüttelt es heute an allen Ecken und Enden an der Relevanz fotografischer Bilder: Immer einfachere und schnellere Möglichkeiten der Bildmanipulation haben das Vertrauen in ihren Status als Übermittler der Wirklichkeit, des Roland Barthes’schen »es ist so gewesen« angekratzt, während die Bildgeneratoren angeblich Künstlicher Intelligenzen ihre unförmigen Hände in alle Richtungen ausstrecken und drohen, die Herrschaft der Linse abzulösen und zu überholen. Und doch hängt auch heute der Fotografie noch immer die Aura von Wahrheit und Wahrhaftigkeit an, eine seltsame, fast magische Suggestivkraft, der man sich nicht entziehen kann und die unsere Welt weiter formt. Roland Barthes’ alte Beobachtung vom Potenzial der Fotografie, das »Wirkliche in seinem unerschöpflichen Ausdruck«² einzufangen, darf trotz allem immer noch als zutreffend gelten.
Die künstlerische Fotografie allerdings, sie scheint im Zugzwang dieser Flut in einer Krise, in einem ständigen Hinterher, in einem seltsamen Spagat zwischen Gebrauchs- und Kunstwert, zwischen Reportage und Konzept, Reproduktion und Schöpfertum festgefahren. Auch 185 Jahre nach ihrer Erfindung durch Louis Daguerre wird sie von Teilen des Kunstbetriebs als Fremdkörper beäugt. Auch 90 Jahre nach Walter Benjamins Aufsatz »Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit« reibt sie sich (auch unter wirtschaftlichem Druck) zwischen Handabzügen, NFTs und Social-Media-Feeds auf und ringt mit Erwartungen an das Medium. Nicht nur die eigenen technischen Limitierungen (»Der Fotograf muss wollen, was der Apparat kann«,³ lautet ein vielzitiertes Bonmot von Vilém Flusser), gerade auch ihre eigene Geschichte wiegt dabei bleischwer auf ihr, weshalb sie auch auf theoretischer und politischer Ebene von zahlreichen Diskursen unterminiert und von Fragen begleitet ist, die ein zunehmendes Hadern mit dem Medium markieren. Der Blick des Objektivs gilt so längst als alles andere als unschuldig, sondern als gebunden an ausbeuterische Abhängigkeiten, die so toxisch sind wie fotochemische Prozesse; die Kamera ist als mitschuldiges Werkzeug der Unterdrückung und des Voyeurismus überführt. »Die Vorstellung, Realität sei eine exotische Trophäe, die vom eifrigen ›Jäger mit der Kamera‹ aufgespürt und eingefangen werden kann, hat die Fotografie von Anfang an beeinflusst«,4 schreibt etwa Susan Sontag dazu – wobei sie schon dem frühen fotografischen Gewerbe einen eingehenden »Klassentourismus« attestiert.
Unter diesen Voraussetzungen wird »Fotografie zerstören« als Titel begreifbar, der dieses Hadern, diese Frustration aufgreift, um lustvoll eine Art Ende eines solch vorbelasteten Mediums auszurufen (wobei der effekthascherische Slogan auch die destruktive Logik der Sozialen Medien zugleich zu parodieren und zu bedienen scheint). Gerade in einer Phase des Siechtums sind doch die Bedingungen, Erwartungen, Konventionen an das Medium neu zu verhandeln. Den Großteil der insgesamt 15 teilnehmenden Positionen, die so als eine Art Neuverortung im Feld zu sehen sind, stellten Jenny Schäfer und Maik Gräf unter dem genannten Titel erstmals Anfang 2024 für das Hamburger Künstler*innenhaus FRISE zusammen; auf Initiative von Daniela Zeilinger ist die Schau nun, erweitert um drei zusätzliche Positionen, in Graz zu sehen. Kuratorisch eingefasst werden die Werke dabei mit einem Kniff: Jede*r Teilnehmende erhält bloß zwei Bildhalter im Format 40 × 50 cm zur Bearbeitung – eine Wendung, die als formale Anspielung auf die heimische Bilderwand, auf die endgültige Verzwergung des Mediums zur Wohnzimmerdekoration, gesehen werden kann.
Wer schon die Hamburger Version der Schau besucht hat, dem wird aufgefallen sein, dass die Zugänge zu diesem Thema so mannigfach sind wie die Zahl der Positionen, dass die Kamera aber kaum auf klassische Art eingesetzt wird. Gefundene oder eigene Bilder werden da lustvoll zerschnitten, zerhackt, neu geordnet und collagiert, wie die logische Weiterführung des Geists der Zeit: Neue Bilder zu machen, wenn alles bereits festgehalten, dokumentiert, abgebildet ist, scheint wenig sinnvoll. Und wenn jedes Bild endlos kopiert und verändert werden kann, ist der Remix schließlich schon produktives Vorgreifen auf das unweigerliche Verhackstücken jeder Bildproduktion. Während Dirk Stewen in seinen präzise durchlöcherten Bildern Verbindungsfenster zwischen Alltagsbildern schafft, sind Almut Hilfs Collagen kaum mehr als Fotografien lesbar, wenn sie Abzüge eigener Architekturfotografien in Stücke schneidet und die Einzelteile in analoger Fleißarbeit neu zusammensetzt, sodass die oft komplexen geometrischen Bilder mehr an kubistische Wahrnehmungsexperimente oder digitale Bildstörungen erinnern. Auch Jenny Schäfer selbst arbeitet die Welt in ihrer eigenen Form von Collagen auf. In teils ausufernden, teils präzise-minimalistisch gesetzten Zusammenstellungen von Bildern ohne Rücksicht auf deren Herkunft aus Hoch- oder Populärkultur oder ihrem privaten Archiv trifft sie Meta-Aussagen über die Welt der Zeichen und unsere Faszination an dem, was unsere Blicke anzieht, wobei sie immer wieder Geschmacks- und Klassenfragen berührt.
Fragmente und Trümmer: Nicht verwunderlich, dass in einer Ausstellung, die die Zerstörung im Titel trägt, Bruchstücke in zahlreichen Wortsinnen die Hauptrolle spielen. Es ist ein Demontieren fotografischer Prozesse, ein In-Einzelteile-Zerlegen, Zur-Analyse-Freilegen oder ein stetiges Erweitern, wobei die gewählten Mittel vom präzisen, methodischen Auflösen ihrer Grundannahmen bis zum physischen Akt der Dekonstruktion reichen. Ganz buchstäblich geht etwa Maik Gräf von brüchigem Material aus, wenn er in seinen analogen Bildern häufig fragmentierte Statuen aus der griechischen Antike zum Ausgangspunkt für seine fotografischen Werke zu Identität und Sexualität nimmt, wobei das sensible Fotopapier für ihn die Verletzlichkeit menschlicher Haut spiegelt. Dies wird noch verstärkt, wenn er in der Ausstellung über die beschnittenen Abbildungen männlicher Körper ein Textfragment Didier Eribons setzt und die brüchigen Oberflächen so mit innerer Zerrissenheit gleichführt. Anders geht Sophie Pölzl dem Ausgangsmaterial jeder Fotografie nach: Das auf Fotopapier festgehaltene Tageslicht verschiedener Räume wird bei ihr zur Kartografie konkreter Orte und Zeitspannen, zur Kondensation von Realität in Fotogrammen, also nicht-manipulierbaren Unikaten: Für immer gespeicherte Information, die – in einer absurden Wendung – ohne Hintergrundwissen oder Beschriftung niemals auslesbar sein wird. Auch Mitko Mitkovs prozesshafter Zugang führt die Speicherung von Information ins Absurde, wenn er Fotografien, beiläufig am Mobiltelefon aufgenommen, in das Medium der Lithografie überträgt und damit ein Abbild des Abbilds schafft – eine paradoxe Fleißaufgabe, bei der das langwierige Schleifen, die mühsame Vorbereitung des Steins, der langsame Prozess im Medium des 19. Jahrhunderts für den Druck eines banalen Schnappschusses so weit entfernt vom digitalen Auslöse-Klick einer Fotografie-App scheint wie nur irgend möglich, auch wenn der Steindruck in seiner Funktion als erstes richtiges Massenmedium auf einen direkten Vorläufer der Fotografie verweist. Wobei auch hier – wie bei so vielen Beiträgen der Ausstellung – das konkrete Foto kaum eine Rolle zu spielen scheint: Es ist bloßes Material, das durch den Informationsverlust von Kopie zu Kopie immer unlesbarer wird.
Verschwinden und zerschlagen, übersetzen, übertragen: So wird klar, dass wir uns hier im Trümmerfeld der Ausstellung wie durch die Ruinen eines Mediums bewegen, uns im Dickicht verlieren auf verschlungenen, überwucherten Wegen, in einem archäologischen Wühlen in Haufen, in ihren Resten, wo aus den Mitteln und Methoden des Mediums eine neue Art der Fotografie entstehen kann. Vielleicht eine, die die Brücken zur Realität endgültig brechen, die »Realität als Trophäe« überwinden und den Blick auf anderes richten kann – wobei medieninhärente Diskurse dabei ebenso eine Hauptrolle spielen können wie tief Persönliches. Auch jene Beiträge der Ausstellung, die die Kamera auf klassische Weise einsetzen, überdehnen das elastische Band zur wirklichen Welt so bis zum Bersten: Bei Caspar Sänger etwa, dessen stille, oft menschenleere Bilder beiläufigen Beobachtungen gleichen, auf den zweiten Blick aber Verschiebungen ausweisen, seltsame Begebenheiten, die kaum zur beiläufigen Sprache der Fotografien passen. Tatsächlich sind seine Bilderrätsel aus Gesten, Situationen, flüchtigen Phänomenen zusammengesetzt, die er in Alltagsbildern von Tatort- bis Produktfotografien findet – sie allerdings im Studio präzise reinszeniert, sie freistellt, neu kombiniert, um die Betrachter*innen an den eigenen Sinnen zweifeln zu lassen. Das Spiel mit den begrenzten Informationen, die Informationsfragmente spiegeln da die zersplitterte Natur anderer Beiträge, die um eine ähnliche Leerstelle zu kreisen scheinen. Vielleicht auch um die, dass Fotografie nicht mehr ausreicht, die Welt zu begreifen, weil auch die Realität selbst nicht mehr zu begreifen ist.
Die Suggestionskraft der Bilder ganz buchstäblich brechen, um ihnen beizukommen, die eigenen Zweifel, die eigene Brüchigkeit offenlegen: Das ist vielleicht am Ende das »Fotografie zerstören«, das hier gemeint ist. Aber noch ein zweiter Aspekt wohnt der Ruine inne, dem Fragment an sich, der in Bezug auf die Fotografie relevant scheint. »Die Ideen, die Ruinen in mir wecken, sind groß. Alles wird zunichte gemacht, alles verfällt, alles vergeht«,5 schreibt Denis Diderot im 18. Jahrhundert zur Ästhetik des Brüchigen – und drückt den Gedanken des Vergänglichen aus, der von Anfang an eng mit dem Kern der Fotografie verbunden war. Schließlich ist ihr Festhalten von Zeit immer schon eine Art Vorgreifen auf den Tod, wie auch Mira Anneli Naß Roland Barthes in einem in der Ausstellung zu lesenden programmatischen Text paraphrasiert. Fotografie zerstören – das scheint vor dieser Folie allerdings ein hoffnungsloses Unterfangen. Auch wenn wir nicht mehr sind, bleiben unsere Bilder zurück. Ob sie uns und unsere Welt auch zutreffend wiedergeben, steht auf einem anderen Blatt.
Raphael Dillhof
¹ Paul Valéry, Pièces sur l’art, wie zit. n. Walter Benjamin, Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, 1936, S. 11.
² Roland Barthes, Die helle Kammer. Bemerkung zur Photographie, 1980.
³ Vilém Flusser, »Für eine Philosophie der Fotografie«, European Photography, 1989, S. 33.
4Susan Sontag, Über Fotografie, München: Fischer Taschenbuch 1978, S. 55.
5Denis Diderot, Ästhetische Schriften, Bd. 2, Frankfurt am Main: Europäische Verlagsanstalt 1968 S. 150.