Belinda Kazeem-Kamiński
Infos
Preisverleihung
– abgesagt –
10.12.2021, 18:00
Ausstellungsraum Camera Austria
im Rahmen der Ausstellungseröffnung von Sandra Schäfer
Laudatio: Nora Sternfeld
Da der Preis aufgrund der derzeitigen Lage in diesem Jahr ausnahmsweise ohne Zeremonie verliehen werden muss, stellen wir hier eine gekürzte Version der Laudatio von Nora Sternfeld, die Grußworte von Herrn Kulturstadtrat Günter Riegler, sowie den Film Unearthing. In Conversation der Preisträgerin zur Verfügung.
Camera Austria-Preis für zeitgenössische Fotografie der Stadt Graz 2021
Belinda Kazeem-Kamiński
Beschreibung
Der alle zwei Jahre vergebene Camera Austria-Preis für zeitgenössische Fotografie der Stadt Graz wird 2021 an Belinda Kazeem-Kamiński (geb. 1980 in Wien) verliehen. Die Jury begründet ihre Entscheidung wie folgt: »Mit der Vergabe des Camera Austria-Preis für zeitgenössische Fotografie der Stadt Graz 2021 an Belinda Kazeem-Kamiński (geboren 1980 in Wien) wird die Arbeit einer Künstlerin ausgezeichnet, deren fotografische Auseinandersetzung eng mit der Erforschung und Hinterfragung kolonialer Geschichte und deren Erbes verknüpft ist. Belinda Kazeem-Kamiński schafft Fotografien, aber auch Collagen, Filme, Performances, Installationen und Texte, die sich der Unterdrückung und Marginalisierung der Erfahrung und der Narrative Schwarzer Menschen widmen. Ihre scharfsinnige Auseinandersetzung mit Blickregimen und hegemonialen Epistemologien basiert auf Recherchen in Sammlungen, Museen, Archiven und Bibliotheken. Im Zuge ihrer künstlerischen Forschung verschränkt Belinda Kazeem-Kamiński Analyse mit Fiktion, Dokumentation mit Imagination. Das Ergebnis sind ebenso eindringliche wie poetische Arbeiten, bewusst offen, mitunter brüchig und hypothetisch. Es sind Werke, die kritische Einsichten in das Fortleben kolonialer Perspektiven und Machtgefüge ermöglichen und zugleich neue, in der Black Radical Tradition begründete Imaginationen eröffnen.«
Jury
Natasha Christia, Freie Kuratorin und Autorin, Barcelona (ES)
Chiara Figone, Verlegerin, Archive Books, Berlin (DE)
Matthias Michalka, Kurator am mumok, Wien (AT)
Reinhard Braun, Herausgeber Camera Austria International, Graz (AT)
Der Camera Austria-Preis für zeitgenössische Fotografie der Stadt Graz ist mit € 15.000,– dotiert und wird seit 1989 von der Stadt Graz alle zwei Jahre an eine*n Künstler*in vergeben, die*der einen beachtenswerten Beitrag in der Zeitschrift Camera Austria International publiziert und einen wichtigen Beitrag zur zeitgenössischen Fotografie geleistet hat.
Belinda Kazeem-Kamińskis Arbeit wurde in Camera Austria International Nr. 153/2021 publiziert.
Grußworte Kulturstadtrat Günter Riegler
Seit mehr als 30 Jahren vergibt die Stadt Graz gemeinsam mit Camera Austria den Preis für zeitgenössische Fotografie. In diesem Jahr hat die international besetzte und äußerst fachkundige Jury Frau Belinda Kazeem-Kamiński vorgeschlagen und ich habe diese Entscheidung gerne unterstützt und dem Stadtsenat zur Beschlussfassung vorgelegt. Ich freue mich sehr, dass mit Frau Kazeem-Kamiński nach Lebohang Kganye (ZA), Jochen Lempert (DE) und Annette Kelm (DE) wieder eine österreichische Preisträgerin gekürt wurde, bedanke mich bei der Jury und allen voran dem künstlerischen Leiter der Camera Austria, Reinhard Braun, für die großartige Umsetzung und freue mich, wenn wir die Werke der diesjährigen Camera-Austria-Preisträgerin noch bis März 2022 in der Kunsthalle Wien bewundern können.
Ihr Stadtrat Dr. Günter Riegler
Auf der Suche trotz allem
Laudatio für Belinda Kazeem-Kamiński
von Nora Sternfeld
Drei Fotos zeigen eine Schwarze Frau vor monochromem Hintergrund: rot, schwarz und grün – die Farben der Black Consciousness Movement, der panafrikanischen Flagge. Die porträtierte Figur blickt nicht in die Kamera, sie blickt weg von unserem Blick in die Zukunft. Die Fotoserie heißt In Search of Red, Black, and Green (2021). Sie markiert eine Suche, die Suche nach einer Utopie, aber auch die Suche nach Formen, die um die Brüchigkeit und die Schwierigkeit des Zeigens und des Suchens selbst wissen – und um die Brüchigkeit und Schwierigkeit der Utopie.
Die Arbeiten Belinda Kazeem-Kamińskis finden ihre eigene Formensprache und bestehen auf den Eigensinn dieser Suche. Sie geben nicht nach, bei der Suche um Formen und Worte, die sich dem stellen, was sich oft unwiederbringlich nicht mehr finden, nicht mehr zeigen lässt und was sich doch in Lücken, Brüchen und Spuren bezeugt.
Rassismus hinterlässt Spuren. Auch wenn die epistemische Gewalt kolonialer Archive und Geschichtsschreibungen eigentlich keine Geschichte für Schwarze Menschen vorgesehen hatte, auch wenn die Systematiken und Ordnungen von Museen und Institutionen westlichen Blicken folgen, die Exotik und nicht Gleichheit sehen können, auch wenn die Gewalt in zynisch-schöne Worte gefasst wird und sogar, wenn die Spuren von Versklavung und Verschleppung, von Erniedrigungen, Vergewaltigungen, Ausbeutungen und Massakern verwischt werden sollen, tradieren sich doch Spuren der Gewalt. Und nicht nur diese: Zwischen den machtvollen Einteilungen der Welt finden sich in den Überlieferungen, aber auch – und gerade – in den Lücken, Brüchen und Widersprüchen der Archive Zeugnisse Schwarzen Lebens und Überlebens, Spuren von Mut, Würde und Eigensinn – trotz allem.
In Remembrance to the Man Who Became Etched into History as »Der Aschanti an der Akademie« (2021) heißt etwa eine Installation der Künstlerin, die in ihren Arbeiten mit Personen in Dialog tritt, die in den Archiven nur als Geister wiederzufinden sind, weil sie durch die Praktiken des Kolonialismus und des rassistischen Blicks entmenschlicht wurden. Sie will sie kennenlernen, ihrer gedenken, sie ist ihnen verbunden und entwickelt die Kraft ihrer Arbeiten aus der Möglichkeit ebenso wie aus der Unmöglichkeit, sich mitten in den Infrastrukturen der Archive und ihrer machtvollen Zuschreibungen mit ihnen zu verbinden. Sie porträtiert Personen, die ihres Namens entledigt wurden, wie jenes Schwarze Modell an der Akademie, deren Porträt, wie die Überlieferung zeigt, nicht der Darstellung von Anatomie dienen, sondern von Exotik und vom Kontrast zur weißen Anatomie zeugen sollte. Oder wie jener Mann, der als Angelo Soliman bekannt werden sollte, der im Zuge des transatlantischen Sklavenhandels als Kind nach Wien verschleppt wurde, dort im Adel einen Fantasienamen bekam und dessen Körper nach seinem Tod in Wien ausgestopft und ausgestellt wurde. Oder wie Yaarboley Domeï, eine Frau aus Westafrika, die zur gewaltvollen Zwangsarbeit der Selbstzurschaustellung im Rahmen einer der sogenannten Völkerschauen genötigt wurde. Belinda Kazeem-Kamiński beschäftigt sich in mehreren Arbeiten mit einem 1896 von ihr verfassten offenen Brief, der in der Zeitung Wiener Caricaturen veröffentlicht wurde. Der Brief, den sie übersetzen lassen konnte, erzählt ebenso von der Gewalt und den voyeuristisch starrenden Blicken, wie er stolz vom Widerstand gegen das Verhalten des Publikums berichtet und fordert, nach Ghana zurückzukehren. Um diese Geschichten der Gewalt und der Selbstbehauptung hörbar zu machen und dabei die Kraft der Kämpfe ums Überleben zum Leben zu erwecken, eignet sich Belinda Kazeem-Kamiński die Techniken der machtvollen Infrastrukturen an, arbeitet mit den Mitteln des Archivs und des Museums, tritt in Verbindung mit den Überlieferungen, ohne dabei die Lücken zu schließen, die eine rassistische Geschichtsschreibung für die antirassistische Rekonstruktion einer rassistischen Geschichte schmerzlich klaffen lässt.
Sie arbeitet mit den Mitteln, die zur Verfügung stehen, so kontaminiert sie sein mögen, und eignet sie gegen sich selbst an. Dazu gehört auch die Gewaltgeschichte der Fotografie. In ihrem Video Unearthing. In Conversation (2017) tritt sie in Verbindung mit den Geistern historischer Schwarzer Figuren, denen sie nur anhand rassistischer kolonialer Darstellungen, fotografischer Porträts eines Ethnologen begegnen kann. Sie besteht auf die Begegnung zwischen den Generationen, schafft Verbindungen, indem sie die rassistischen Repräsentationen mit Farbblöcken in rot, blau und gelb verdeckt. Auch hier verweisen die Farbblöcke auf afrikanische Flaggen, auf die Geschichte von Befreiungen, auf die Zeichen von Utopien. Und wieder thematisiert die Künstlerin die Mittel selbst, mit denen sie trotz ihrer Widersprüchlichkeit auf ein widerständiges »Wir«, auf die Arbeit an einer Zukunft besteht. Sie spricht über die Farbblöcke, über die Notwendigkeit zu verdecken, um zu zeigen, sie reflektiert die Gewalt des rassistischen Materials. Dann blickt sie in die Kamera und sagt: »And I don’t even like flags«.
Auch die Utopie hat ihre Brüche in den Formen Belinda Kazeem-Kamińskis: Sie setzt sich in ein Verhältnis mit dem Recht auf Geschichte, mit der Bürde der Vergangenheit im Hinblick auf eine andere, mögliche Zukunft, über die sie weiß, dass in ihr nicht immer die Sonne scheinen wird. Diese Zukunft ist ein Motor, der sie antreibt. Und so will sie eigentlich gar keine großen Worte zu ihren Ehren, lieber, dass wir so sprechen, wie wir eben miteinander sprechen, sagt sie und dass sie weiß, dass diese »Utopie, auch mega viel Arbeit sein wird, dass sie nicht problemlos sein wird. Und«, sagt sie, »es ist notwendig, diese Arbeit zu tun.«