Camera Austria International

135 | 2016

  • ANSELM FRANKE
    Ines Schaber: Widerstand gegen das Gegebene
  • INES SCHABER
  • SØNKE GAU
    Uriel Orlow: Versuche der Darstellung des Nichtdarstellbaren. Über Geschichten zwischen Wörtern, Bildern und in den Lücken der Geschichte
  • URIEL ORLOW
  • DIRCK MÖLLMANN
    Körper Teile. Briefe an Willem de Rooij
  • WILLEM DE ROOIJ
  • OMAR KHOLEIF
    Das Gewicht der Welt tragen

Vorwort

»Geschichte ist gleichermaßen eine Frage des Wissens wie des Erzählens und in hohem Maße auch des Standpunkts, von dem aus erzählt wird«, schreibt Anselm Franke in seinem Essay zu den Arbeiten Ines Schabers. Und, dass eine Gesellschaft ihre typische Prägung an ihren Rändern erhalte. Franke nähert sich damit nicht nur dem politischen Kern von Schabers Arbeiten, er bringt auch den Kern des Interesses der vorliegenden Ausgabe auf den Punkt: das Oszillieren des Bildes zwischen dem Visuellen und dem Nicht-Visuellen und damit zwischen dem Sehen und Wissen, eine Resonanz zwischen Wörtern und Bildern. Sie bergen einen unbenannten Ort, von dem aus sie zeigen und von dem aus sie sich zeigen, damit gleichzeitig etwas anderes verschwinden kann. Es fehlen nicht nur Bilder, es fehlt auch etwas in den Bildern. Dieses Abwesende ist aber nicht einfach unsichtbar, es markiert vielmehr die grundsätzliche Ambivalenz und Umstrittenheit der Bilder, als Erscheinung, als Bezeichnung, als Erzählung, als Geschichte, als Politik. Es ist der Ort der Unruhe der Bilder und ihrer Rolle in der Bedeutungserzeugung.

Volltext

Camera Austria International 135 | 2016
Vorwort

»Geschichte ist gleichermaßen eine Frage des Wissens wie des Erzählens und in hohem Maße auch des Standpunkts, von dem aus erzählt wird«, schreibt Anselm Franke in seinem Essay zu den Arbeiten Ines Schabers. Und, dass eine Gesellschaft ihre typische Prägung an ihren Rändern erhalte. Franke nähert sich damit nicht nur dem politischen Kern von Schabers Arbeiten, er bringt auch den Kern des Interesses der vorliegenden Ausgabe auf den Punkt: das Oszillieren des Bildes zwischen dem Visuellen und dem Nicht-Visuellen und damit zwischen dem Sehen und Wissen, eine Resonanz zwischen Wörtern und Bildern. Sie bergen einen unbenannten Ort, von dem aus sie zeigen und von dem aus sie sich zeigen, damit gleichzeitig etwas anderes verschwinden kann. Es fehlen nicht nur Bilder, es fehlt auch etwas in den Bildern. Dieses Abwesende ist aber nicht einfach unsichtbar, es markiert vielmehr die grundsätzliche Ambivalenz und Umstrittenheit der Bilder, als Erscheinung, als Bezeichnung, als Erzählung, als Geschichte, als Politik. Es ist der Ort der Unruhe der Bilder und ihrer Rolle in der Bedeutungserzeugung.
Für Ines Schaber selbst steht das fotografische Bild ebenfalls »zwischen Wissen und Sehen, in einem spukhaften, von schemenhaften Konturen und politischen Figurationen bevölkerten Schwellenraum, als ein von politischen Geschichten der Teilung geprägtes Feld. Ihre Arbeiten drehen sich oft um einzelne oder mehrere historische Fotografien, durch die Zeit geschickte Botschaften in Form von Briefen« und Kommentaren, sowie ihre eigenen Fotografien von Landschaften, die die Orte und Geschichten der gefundenen Bilder umkreisen. Sie reaktiviert die fragmenthafte und oft verschüttete Bedeutung von Orten und Ereignissen, als eine »Revolte gegen das Gegebene« und scheinbar Gesicherte.
Auch Sønke Gau geht in seinem Essay zu Uriel Orlow davon aus, dass Geschichte nicht einfach vorhanden ist und sich nicht als objektive, homogene und lineare Ordnung verstehen lässt. Methoden der Mikrohistorie sind ein zentraler Bezugspunkt des Künstlers, der für seine auf umfangreichen Recherchen basierenden Arbeiten ebenfalls Geschichten erforscht. »Dementsprechend sind Ausgangspunkte für Orlows Recherchen spezifische Orte, die sich als Nebenschauplätze beschreiben lassen. Orte, die mit Ereignissen zusammenhängen, die in der hegemonialen Geschichtsschreibung nicht berücksichtigt oder ausgelassen wurden. Es sind deren ›blinde Flecken‹, die deswegen jedoch nicht weniger bedeutend sind, sondern Knotenpunkte verschiedener Erzählungen darstellen.« Erneut: Ihre typische Prägung erhält eine Gesellschaft an ihren Rändern.
Dirck Möllmann schrieb vier Briefe an Willem de Rooij, in denen er jeweils eine Arbeit oder eine Serie des Künstlers in einer geradezu intimen Weise befragt und erweitert. »Ein Werk lebt wie Briefe von den Lücken in der Wirklichkeit, vom Stolpern in der Maschinerie der Bedeutung, die es problematisiert […]. Du verteilst Abbilder in neuer Weise und machst sie so zu Bildern. Sie problematisieren das Sehen und das Machen von Bildern. Ihr Kontext greift über in das Politische, die Verteilung wird bedeutsam, kritisch, reflexiv wie immer. Doch arbeitest Du dem Zwang der Referenzen entgegen. Diese Kraft zieht hier wie dort den Sinn in Schwebe.«
Das Vorläufige und Spekulative durchzieht alle drei Beiträge, wobei es ein fundamentales Missverständnis darstellen würde, dies mit Ungenauigkeit oder gar Beliebigkeit zu verwechseln, im Gegenteil: »Das Einkalkulieren von Kräften der Ambiguität entbindet nie von historischer Präzision, wenn man das Bild als Grenzbedingung versteht.« (Franke)
In einem erweiterten Forum stellen wir zehn junge Positionen vor, die unterschiedliche Tendenzen der zeitgenössischen Fotografie abbilden: etwa formale Experimente, installative und performative Ansätze, das Bearbeiten oder Anlegen von Bildarchiven. Geschichten spielen auch darin immer wieder eine Rolle.

Reinhard Braun
und das Camera-Austria-Team
September 2016

 

Cover: Unknown photographer, Arab Ladies’ Union group at K.D. Hotel [i.e., King David Hotel]. Sept. 15. ’44. Courtesy: Library of Congress Washington, DC, Matson Collection. Ines Schaber, from the project: Dear Jadwa, 2009.

Beiträge

Forum

Vorgestellt von der Redaktion:
Johanna Jaeger
Kalinka Gieseler
Stefan Klampfer
Linda Reif
Diego Ballestrasse
Jewgeni Roppel
Maya Meissner
Jonas Feige
Michael Adno
Susanne Hefti

Ausstellungen

Black Chronicles. Photographic Portraits 1862 – 1948
National Portrait Gallery, London
Made You Look. Dandyism and Black Masculinity
Photographers’ Gallery, London
CHRISTINE EYENE

Mapping the Body. The Body in Contemporary Life
Galerie im Taxispalais, Innsbruck
MARINA VISHMIDT

Women at Work
Edith-Russ-Haus für Medienkunst, Oldenburg
REINHILD FELDHAUS

Ben Rivers: Islands
Kunstverein in Hamburg
JENS ASTHOFF

Mohamed Bourouissa: Hustling
Basis, Frankfurt
MORITZ SCHEPER

Clemens von Wedemeyer: P.O.V.
n.b.k., Berlin
JULIA GWENDOLYN SCHNEIDER

Crisis as Ideology?
Kunstraum Niederösterreich, Wien
MARGIT NEUHOLD

Watched! Surveillance, Art and Photography
Hasselblad Center, Gothenburg,
Kunsthal Aarhus, Galleri Image, and ARoS, Aarhus
C/O Berlin
SARA CALLAHAN

Between One Time and Another
Temporary Gallery, Köln
HOLGER OTTEN

Überwachen und Schlafen
Triennale 50 JPG: 50 Jours pour la photographie
Centre de la photographie Genève und verschiedene Orte, Genf
JÖRG SCHELLER

Made in L.A. 2016: a, the, though, only
Hammer Museum, Los Angeles
OMAR KHOLEIF

The Present in Drag — 9th Berlin Biennale for Contemporary Art
KW Institute for Contemporary Art, Akademie der Künste und verschiedene Orte, Berlin
ANA TEIXEIRA PINTO

The Keeper
New Museum, New York
NICOLAS LINNERT

Danny Lyon: Message to the Future
Whitney Museum of American Art, New York,
de Young, Fine Arts Museums of San Francisco
Fotomuseum Winterthur
C/O Berlin
RACHEL BAUM

Ingeborg Strobl
LENTOS Kunstmuseum Linz
MANISHA JOTHADY

Beton
Kunsthalle Wien
SABINE WEIER

Aglaia Konrad: From A to K
M – Museum Leuven
ARNE SCHMITT

Timm Rautert: Bildanalytische Photographie 1968 – 1974
Kupferstich-Kabinett, Dresden
FALK HABERKORN

Bücher

Beobachter einer Institution
Regine Hauch, Timm Rautert: Im Kranken-
haus. Der Patient zwischen Technik und Zuwendung
Ernst & Sohn, Berlin 1993
Gilles Raynaldy: Jean-Jaurès
purpose éditions, Paris 2015
JAN WENZEL

Corinne Silva: Garden State
Ffotogallery and The Mosaic Rooms, London 2016
FRANCESCA LAURA CAVALLO

Camille Henrot: Prehistoric Collections
Manuella Éditions, Paris 2015
CHRISTINA TÖPFER

Documentary Across Disciplines
The MIT Press, Cambridge 2016
TACO HIDDE BAKKER

Impressum

Herausgeber: Reinhard Braun

Verlag, Eigentümer: Verein CAMERA AUSTRIA. Labor für Fotografie und Theorie.
Lendkai 1, 8020 Graz, Österreich

Redaktion: Margit Neuhold, Sabine Weier.

ÜbersetzerInnen: Dawn Michelle d’Atri, Wilfried Prantner, Dunja Opatić, Andrea Scrima.

Englisches Lektorat: Dawn Michelle d’Atri, Andrea Scrima.

Dank: Michael Adno, Verle Ausloos, Diego Ballestrasse, Anamarija Batista, Louis de Belle, Julia Debus, Jonas Feige, Jacek Fota, Anselm Franke, Sønke Gau, Kalinka Gieseler, Emma Jacobson-Sive, Johanna Jaeger, Dejan Kaludjerović, Omar Kholeif, Stefan Klampfer, Isabella Kohlhuber, Sandra Krizic Roban, Maya Meissner, Dirck Möllmann, Uriel Orlow, Maud Pollien, Linda Reif, Willem de Rooij, Jewgeni Roppel, Ines Schaber, Arne Schmitt, Ingeborg Strobl.

Copyright © 2016
Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck nur mit vorheriger Genehmigung des Verlags. Für übermittelte Manuskripte und Originalvorlagen wird keine Haftung übernommen.

ISBN 978-3-902911-27-8
ISSN 1015 1915
GTIN 4 19 23106 1600 5 00135