ALLAN SEKULA

TITANIC's wake

Anfang 1997 fotografierte ich den mexikanischen Filmset für Titanic. Dies war im Rahmen eines älteren Projekts mit dem Titel Dead Letter Office, der sich indirekt Herman Melvilles Bartleby, der Schreiber verdankt. Bartlebys rätselhafte Arbeitsverweigerung könnte mit seiner Tätigkeit als Postbeamter begonnen haben, der unzustellbare Briefe zu sortieren hatte. Beim Wiederlesen der Geschichte stellte ich es mir plötzlich als schwierig, ja sogar spirituell herausfordernd vor, einen Brief über die kurze Strecke von Tijuana nach San Diego zu schicken, selbst wenn die Filmindustrie Hollywoods die Grenze überschritten hatte.
Um von den niedrigeren mexikanischen Löhnen zu profitieren, baute Twentieth Century Fox den Set in der Nähe des armen Fischerdorfes Popotla an der Küste von Baja California, etwa 40 Meilen südlich der US-Grenze. Kernstück der Produktionsstätte ist das größte Süßwasser-Filmbecken der Welt, größer noch als jenes, das in Malta für die Dreharbeiten zu Popeye verwendet wurde. Das angrenzende, unmittelbar südlich des Walls und der Wachtürme rund um den Set gelegene Dorf hat kein fließendes Wasser. Der Abfluss von den Filmbecken hat den Salzgehalt in den Gezeitenbecken entlang der Küste gesenkt und so die traditionell vom Muschelsammeln lebenden Dorfbewohner in ihrem Lebensunterhalt geschädigt.
Die wehmütige Überheblichkeit von Titanic macht mich neugierig. Ist sie ein Symptom für etwas Größeres? Wir blicken morbide in den Strudel, den der Industrialismus bei seinem frühen Sturz in den Abgrund hinterlassen hat. Der Film enthebt uns jeglicher Verpflichtung, der Katastrophen zu gedenken, die folgten. Im Nu wird der Engel der Geschichte wie eine Comicfigur zwischen einer Stahlwand und einer Eiswand geplättet. Eine einfache, voreilige Art, eine blutiges Jahrhundert zu betrauern.

Textbeitrag in Camera Austria International 79/2002, S. 5–16.

CONSTANZE RUHM

Isaac Julian. Übersetzungsräume: Eine Sprache sprechen, eine andere verstehen... Ein Gespräch mit Constanze Ruhm

Constanze Ruhm: Dein Hintergrund als Filmschaffender liegt sowohl im British Independent Cinema als auch in der Workshop-Bewegung, die sich in den achtziger Jahren entwickelt hat…

Isaac Julien: Eine der entscheidendsten Tatsachen, die man aus dieser Zeit einer völlig anderen Filmkultur in Erinnerung behalten sollte, ist, dass 1981 der Sender Channel4 und damit eine sehr starke Independent-Filmbewegung ins Leben gerufen wurde. Damals entstand eine Reihe von Filmkollektiven, wie z.B. das Sankofa Collective, dessen Gründungsmitglied ich war, oder das Black Audio Film Collective, der Ceddo Workshop… Wir versuchten, eine unabhängige schwarze britische Filmkultur zu etablieren. Zu diesem Zeitpunkt fanden in Großbritannien eine Reihe von Unruhen und Protesten statt, und die Gesellschaft begriff allmählich, dass zu viele Stimmen von den wichtigsten Bastionen des britischen Fernsehens ausgeschlossen waren, und dass es einen Raum für eine Art von Repräsentationspolitik geben müsste. Das war der Beginn einer anderen britischen Filmkultur, die auch Teil einer Auseinandersetzung mit der bildenden Kunst war, über die Grenzen der Praktiken, der Genres hinweg. Es gab Zeitschriften wie Third Text, …einige der Debatten, die damals in der Fotografie stattfanden, sind in unsere Filmpraxis eingeflossen; es gab das Magazin 10/8, das außerordentlich wichtig war, und in dem Leute wie Victor Burgin, Mita Tabrizian und auch schwarze FotografInnen wie Ingrid Lewis und Leute wie David Lewis und Rotini Fani Kayode veröffentlichten. Ein Film wie »Looking for Langston« (1989) steht in sehr enger Beziehung mit der Schwarzweißfotografie und ist von New Yorker Fotografen wie Van Der Zee aus den zwanziger Jahren und Robert Mapplethorpe aus den achtziger Jahren beeinflusst… Es bestand damals ein starkes Interesse an Repräsentationsweisen und an der Selbstrepräsentation.

Textbeitrag in Camera Austria International 79/2002, S. 17–28.

AXEL ROCH

Gesichter des Sehens. Für einen Blick im zeitlichen Da-Zwischen der Bilder

Es „ist möglich, den Blick zu verkörpern“, schrieb Jacques Lacan in seinen Grundbegriffen der Psychoanalyse, als er bei der theoretischen Konstruktion des „Objekts Klein a“ – der Blick selbst – ausführlich den Philosophen Maurice Merleau-Ponty las. Dem Blick also, dem Gesehen werden und dem Sehen selbst, lässt sich eine Maske, ein Gesicht oder eine Bildlichkeit geben. Auch in der zeitlichen Dimension der Bewegungen und Blicke der Augen, der „Augenblicklichkeit“?
Im Prozess der Dekodierung von Schrift, sei es nun Text oder Bild, ertastet in zeitlicher Abfolge der Blick Gelesenes und Gesehenes. In der Regel bannt das ikonische Bild oder das gedruckte Buch den Blick des Rezipienten unter die blickführende Herrschaft des Künstlers oder Autors. Bedeutung ist vorgeschrieben und inszeniert, als einfache oder mehrfache, und Sinn ist wiederholbar als Identität in der Reproduktion. Das freie Flottieren von Signifikanten ist oft zugeschüttet zu einem passiven Wahr-„bekommen“, anstelle eines aktiven Wahr-„nehmens“. Eigentlich ist aber Lesen und Sehen, so zeigt es die Kunst- und Kulturgeschichte, auch aktiv, irgendwo im Zwischen von aktiv und passiv, eben interaktiv.

Textbeitrag in Camera Austria International 79/2002, S. 41–47.

ROLF SACHSSE

Netz - Bild - Haut

Textbeitrag in Camera Austria International 79/2002, S. 65.

KRYSTIAN WOZNICKI

Ästhetik der Globalisierung

Textbeitrag in Camera Austria International 79/2002, S.  66–67.