Presseinformationen
Tatiana Lecomte: Dissolution
Infos
Edition Camera Austria
Tatiana Lecomte
Dissolution
Graz, 2011
Mit Texten von
Reinhard Braun und Manuela Ammer
108 Seiten, deutsch / englisch
22 cm x 28,5 cm
4 Farbabbildungen, 30 SW-Abbildungen
ISBN: 978-3-900508-87-6
Buchpräsentation:
24.3.2011, 18:00
in der Ausstellung »Šejla Kamerić, Tatiana Lecomte«
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Pressetext
Tatiana Lecomtes fotografisches Œuvre gehört sicherlich zu den eigenwilligsten und herausforderndsten einer jüngeren Generation von KünstlerInnen in Österreich. Sie bedient sich hauptsächlich gefundener Bilder oder vorliegender Reproduktionen, die sie analog vergrößert und bearbeitet. Durch dieses Verfahren bringt sie das Raster der ursprünglichen Reproduktion, die Oberfläche der Gegenstände und das Korn der Vergrößerung in ein oszillierendes Verhältnis, in dem Gegenstand und Reproduktion quasi in eins fallen. Darüberhinaus verweisen die verwendeten Reproduktionen immer wieder auf historische Ereignisse (den Krieg, die Vernichtung, Mensch und Gesellschaft als Laboratorium von Macht und Gewalt), deren Bedeutung im wesentlichen undarstellbar ist und die sich nicht auf abbildbare Wirklichkeitselemente reduzieren lassen. Daher muss die Arbeit Lecomtes weniger ästhetisch als politisch gelesen werden: Als Befragung fotografischer Repräsentation, als Zweifel an der Angemessenheit von Sichtbarmachung, d. h. als Bildpolitik, die die Festschreibungen von Bedeutungen unterhöhlt. Kaum etwas ist in den Arbeiten von Lecomte als Spur von Wirklichkeit zu sehen, alles hat aber mit Spuren dieser Wirklichkeit zu tun – als Ergebnis einer fotografischen Praxis selbst.
»Dissolution« ist das erste Buch der Künstlerin und erscheint in Zusammenhang mit der Präsentation von aktuellen Arbeiten in einer Ausstellung bei Camera Austria von Jänner bis März 2011.
Manuela Ammer Entzugs-Erscheinungen.
Zu den fotografischen Investigationen Tatiana Lecomtes
(Auszug)
»Wenn aber ein Medium, das seit seinen Anfängen als Einschreibung des Realen gilt, dieses Reale mit den sichtbaren Spuren seiner eigenen Medialität vermischt, ist die Frage nach der Wahrheit der Repräsentation in ihrem Kern berührt«, schreibt der Fotohistoriker Peter Geimer in einem Text, der das Zusammenspiel von Bildgebung und Bildstörung am Beispiel der Geschichte der Fotografie untersucht. (1) In Zusammenhang mit den jüngsten Arbeiten Tatiana Lecomtes erscheint mir dieses Zitat in mehrerlei Hinsicht produktiv. Führen diese doch Inszenierungen ebenjener »Vermischung« von Dargestelltem und Medium der Darstellung vor, die nach Geimer an die Kernproblematik fotografischer Repräsentation rührt: ihr Verhältnis zum Realen und damit zur Wahrheit. Lecomte greift dafür auf bereits existierende Bilder zurück, die sie entweder auf Flohmärkten findet oder Büchern und Drucksorten entnimmt. Sie produziert also keine Fotografien, sondern reproduziert sie und nutzt dabei die der Fotografie eigenen Mittel – Vergrößerung, Schärfe/ Unschärfe, Belichtung und Bewegung –, um die fotografische Repräsentation gleichsam herauszufordern. Diese Herausforderung nimmt oftmals den Charakter einer Bildstörung an: Das Dargestellte erscheint fragmentiert, aufgerastert, unscharf, zu hell oder zu dunkel, wird gewissermaßen an seine Grenzen und darüber hinaus getrieben. Lecomte arbeitet gezielt mit einer Ästhetik des Entzugs bzw. des kontrollierten Zugriffs, die den Blick dazu zwingt, die »unvermeidliche Lückenhaftigkeit des Bildes« zu begreifen. (2) Die Fotografien, die derart auf die Probe gestellt werden, haben auf den ersten Blick nichts gemein. Sie entstammen unterschiedlichen zeitlichen und geografischen Zusammenhängen, sind schwarzweiß oder farbig, zeigen Personen oder nicht, haben privaten oder offiziellen Charakter. Ihr einziger Konnex ist, dass sie – mutmaßlich oder gesichert – mehr oder weniger offensichtlich, mehr oder weniger direkt mit jener historischen Periode in Verbindung stehen, die die Repräsentation (und deren Kritik) vor ihre wohl größten Schwierigkeiten stellt: die Zeit des Nationalsozialismus. Kein anderes Regime betrieb gezielter eine Politik der Bilder; kein anderes Regime verfolgte systematischer eine Politik der Vernichtung. Lecomtes künstlerisches Projekt unternimmt nicht den großangelegten Versuch, klären zu wollen, was dieses Wechselverhältnis für die Bilder im Allgemeinen bedeutet. Es wagt aber sehr wohl, vor diesem Hintergrund einzelne, spezifische Bilder zum Sprechen zu bringen.
(1) Vgl. Peter Geimer, Bilder aus Versehen. Eine Geschichte fotografischer Erscheinungen, Hamburg 2010, S. 15.
(2) Vgl. Georges Did-Huberman, Bilder trotz allem, München 2007, S. 73.
Bildmaterial
Die honorarfreie Veröffentlichung ist nur in Zusammenhang mit der Berichterstattung über die Ausstellung und die Publikation gestattet. Wir ersuchen Sie die Fotografien vollständig und nicht in Ausschnitten wiederzugeben. Bildtitel als Download unter dem entsprechenden Link.