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Tatiana Lecomte: Meine erste Löwin

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Tatiana Lecomte: Meine erste Löwin
Mit einem Textbeitrag von Franz Thalmair (ger./eng.).
Edition Camera Austria, Graz 2017.
94 Seiten, 15,4 × 21 cm, zahlreiche SW-Abbildungen.
€ 17,90 / ISBN 978-3-902911-33-9

Pressetext

Das fotografische Ausgangsmaterial, mit dem Tatiana Lecomte in freier Assoziation hantiert, das sie sich »ausborgt«, wie sie ihren Umgang damit selbst bezeichnet, ist nicht nur in einem allgemeinen historischen Zusammenhang zu sehen, sondern insbesondere auch in der Geschichte der Fotografie verankert. Bilder, die Safaris in Afrika dokumentieren und das Erlegen der Tiere zu Heldentaten stilisieren, Fotos zur Haustierzucht, die ein romantisch-verklärtes Bild zeichnen, medizinische Abbildungen, Illustrationen für Kochrezepte, Unterwäschewerbung. In ihrer Arbeit verweist Lecomte immer wieder auf Geschichte als Laboratorium von Macht und Gewalt, ein Laboratorium, das auch von Blicken und Bildern beherrscht wird. Sie nimmt die Rolle derjenigen ein, die zeigt, was bereits zu sehen war und was dadurch verdeckt und in der Sichtbarmachung verschwiegen wurde. Meine erste Löwin ist sowohl eine Montage als auch eine Reflexion über das Prinzip der Montage – und letztendlich über die Möglichkeiten und Bedingungen der Fotografie selbst.

Auszug aus: Franz Thalmair, »Aneignungsaneignung«

Ausschau halten.
Mit dieser Strategie operiert nicht nur der Großwildjäger, der auf der Spitze der felsigen Erhebung nach etwas sucht, auf das sich sein nächster Schuss konzentrieren kann. Sein Körper ruht am Gewehr und die Hand wie ein Schirm über den Augen. Sein Blick wird vor der Sonne geschützt und stellt auf die beweglichen Elemente in der sonst so ruhigen Landschaft scharf.
Mit Blitzlicht und Büchse.
Ausschau halten nach existierenden Bildern, in obsolet gewordenen Büchern, bei Altwarensammlungen, bei jeder Gelegenheit – Ausschau halten nach bereits besprochenen Themen, nach bereits gestalteten Formen, nach Verwandtschaften, Übereinstimmungen und Entsprechungen. Ausschau halten ist auch jene Strategie, die Tatiana Lecomte in ihrer künstlerischen Arbeit mit und über Fotografien anwendet.
Ausschau halten ist fotografisches Handeln. Ausschau halten zielt auf Bildinhalte ab. Für Ausschau halten bringen die Fotografinnen und Fotografen ihre Körper in Stellung – sie beziehen Position.
Lecomte ist eine Fotografin, sie arbeitet jedoch nicht mit herkömmlichen fotografischen Methoden. Im Gegensatz zum Großwildjäger zum Auftakt von Meine erste Löwin und im Unterschied zur gängigen Fotopraxis ist ihr Verhältnis zum eigenen Untersuchungsgegenstand, dem Medium der Fotografie, von einem Sich-Finden-Lassen und nicht vom Sucher und Suchen geprägt. Das fotografische Ausgangsmaterial, mit dem die Künstlerin in freier Assoziation hantiert, das sie sich »ausborgt«, wie sie ihren Umgang damit selbst bezeichnet, ist nicht nur in einem allgemeinen historischen Zusammenhang zu sehen, sondern insbesondere auch in der Geschichte der Fotografie verankert. Bilder, die Safaris in Afrika dokumentieren und das Erlegen der Tiere zu Heldentaten stilisieren, Fotos zur Haustierzucht, die ein romantisch-verklärtes Bild zeichnen, medizinische Abbildungen, Illustrationen für Kochrezepte, Unterwäschewerbung. Der Großteil des von der Künstlerin verarbeiteten Fotomaterials stammt aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und schreibt sich bis heute unweigerlich in das kollektive Bildgedächtnis ein, das jüngst durch das vermehrte Zirkulieren der Sujets im digitalen Raum in Bewegung geraten ist. Lecomte löst die Fotografien aus ihrem historischen Kontext und setzt sie in den aktuellen Bilderstrom des 21. Jahrhunderts wieder ein. Indem die Künstlerin im Verlauf des Buchs etwa die Porträts afrikanischer Stammesmitglieder, einer deutschen Hundezüchterin oder der Figur des Großwildjägers durch abgebildete Gesten, formale Analogien und nicht zuletzt durch den alles nivellierenden Entzug von Farbe gleichsetzt, indem sie repetitive Muster zum Thema macht, führt sie systematisch Bildtypen vor, deren Ästhetik sich bis heute hält.
Paradiese.
Serengeti darf nicht sterben.
Die Löwin ist tot.
Dem Tier fehlen die Pfoten. Sie sind jetzt Trophäen. Sein Körper wurde beschnitten, er liegt am Boden im Staub wie ein Gebrauchsgegenstand, der ausgedient hat – erschossen, zurechtgestutzt, entsorgt. Der Zauber der Suche ist längst verflogen. Der Sucher hat ausgedient.
Das Haustierbuch. Vom Wesen, der Schönheit und dem Nutzen unserer Tier-Kameraden.
Auf Tiersuche in weiter Welt.
Lecomte beschneidet ihre Fotografien, je nachdem welcher Aspekt, welches Detail daraus gerade für die Konstruktion ihrer Erzählung relevant ist. Die Künstlerin beschneidet abgebildete Körper, sie beschneidet den medialen Körper, sie stutzt sich ihre eigenen Bildinhalte und -formate zurecht. Der Rest kommt andernorts zum Einsatz oder wird einfach weggeworfen. Das ist eine Praxis, der Geringschätzung gegenüber dem fotografischen Material – gegenüber der Idee des Originals und seiner Autorinnen und Autoren – vorgeworfen werden kann. Indem Lecomte jedoch das Foto als profanen Gebrauchsgegenstand bewertet und auch als solchen behandelt, frei von Nostalgie und Idealisierung, zollt sie dem fotografierten Subjekt Respekt. Es ist ein Versuch, die Löwin von ihrem Zweck zu befreien, allein für die Fotografie getötet worden zu sein. Für das Dokument – für das Fell und für das Foto.
»Take no liberties with dangerous animals«.
Meine erste Löwin reiht sich in eine Liste nicht näher bestimmter Bücher ein: Seite für Seite, Blatt für Blatt, stets dem linearen Verlauf der Ausdrucksform Buch folgend. Das reprofotografierte Bildmaterial aus Büchern ist in Meine erste Löwin miteinander verwoben, es steht sowohl auf der Fläche der einzelnen Buchseiten in Beziehung, als es auch über seine Inhalte verkettet ist. Ein Bildelement ergibt das andere, eine Form wiederholt und wiederholt sich, bevor sie in die nächste übergeht, die Geste einer abgebildeten Person wird zur unbewussten Bewegung eines Tiers, wird wieder zur willentlichen Geste. Die linke Buchseite ergänzt die rechte, die rechte steht im Widerspruch zur Folgeseite, also wieder zur linken. Umblättern, das Blatt wenden, mit der eigenen syntaktischen Konstruktion brechen, den Satz abrupt beenden und an einer anderen Stelle fortführen, den Text immer wieder auf sich selbst zurückfallen lassen.

Bildmaterial

Die honorarfreie Veröffentlichung ist nur in Zusammenhang mit der Berichterstattung über die Ausstellung und die Publikation gestattet. Wir ersuchen Sie die Fotografien vollständig und nicht in Ausschnitten wiederzugeben. Bildtitel als Download unter dem entsprechenden Link.

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