Presseinformationen
Camera Austria International 127 | 2014
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26. – 28. 9. 2014
The NY Art Book Fair
8. – 12. 10. 2014
Art Photo Budapest
15. – 18. 10. 2014
Frieze Art Fair London
16. 10. – 16. 11. 2014
6. Europäischer Monat der Fotografie Berlin
13. – 16. 11. 2014
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Pressetext
Die Rosenverkäufer in Paola Yacoubs »Les fleurs de Damas« (Die Blumen von Damaskus, 2002) könnten syrische Spione sein. Was auf Trevor Paglens Fotografien zu sehen ist, lässt sich nicht mit Sicherheit benennen. Auch die ihres Kontexts entledigten Zeitungsfotos in Peter Friedls »Theory of Justice« (1992 – 2010) erklären sich (nicht mehr) von selbst. Die in der vorliegenden Ausgabe von Camera Austria International präsentierten KünstlerInnen stellen unter anderem die grundlegende Frage nach Strategien des Visualisierens. Was ist eigentlich zu sehen? Und inwiefern korrespondiert das Sichtbare mit dem Sagbaren? Was passiert, wenn die Bilder selbst Theorie sein wollen, wie Peter Friedl im Klappentext seines Buches Theory of Justice 1992 – 2006 fragt?
Es handelt sich dabei sicherlich um keine neue Debatte, doch angesichts zahlloser geopolitischer Krisen, durch die sich Konventionen von Geheimhaltung, Überwachung, Desinformation und ei-nes Unsichtbar-Machens von Ereignissen verschärfen, stellt sich die Frage nach einer Politik der Sichtbarkeit möglicherweise in immer kürzer werdenden Intervallen ständig aufs Neue. Es geht nicht nur darum, was ob der Flut an Bildern verschiedenster Aufstände, Revolutionen und sich dehnender Bürgerkriege noch gesehen werden kann, sondern auch darum, was gerade aus diesem Grund nicht mehr gesehen werden kann.
Paola Yacoub hat sich nie für die spektakulären und dramatischen Zeichen der Zerstörung in Beirut interessiert. Als es 2011 im Zuge der Revolution in Syrien zu einer ebensolchen Flut an Bildern des Bürgerkrieges – und einer Flüchtlingswelle – kommt und sich die Frage stellt, ob Syrien zum nächsten Libanon wird, unterzieht sie ihr Archiv einer Sichtung, anstatt selbst neue Bilder zu produzieren, um zu untersuchen, wie die aktuelle Situation mit der Geschichte des Libanon in Beziehung stehen könnte. »Les fleurs de Damas« ist bereits 2002 entstanden, als der Libanon von Syrien besetzt war und der militärische Geheimdienst Syriens das Land kontrollierte. Als sich Syrien 2005 (offiziell) aus dem Libanon zurückzog, blieb diese Kontrolle über viele Kanäle aufrecht, wenngleich sie weniger sichtbar wurde. »Männer, mitunter auch Kinder, laufen im Stadtteil Achrafieh, unweit des Sassin-Platzes, mit Sträußen roter Rosen durch die Straßen Beiruts. Mit den Blumen führen sie ein ungewöhnliches Dekor in das Straßenbild Beiruts ein. Aber niemand spricht mit ihnen und niemand kauft ihnen die Blumen ab. Dennoch kehren sie jeden Morgen mit einem Strauß roter Rosen wieder an denselben Ort zurück. Sie richten sich immer an derselben Stelle ein, auf dem Gehsteig vor einer niedrigen, weißgetünchten Wand, die die Blumen perfekt zur Geltung bringt. Tatsächlich haben aber alle Angst vor diesen ›Floristen‹, weil sie im Verdacht stehen, Angehörige des syrischen Geheimdiensts zu sein.« (Stefan Tarnowski) Die pittoreske Erscheinung dieser Rosenverkäufer könnte gleichzeitig die Präsenz politischer und sozialer Kontrolle markieren. »Les fleurs de Damas« sind Vexierbilder im Sinne W. J. T. Mitchells, die etwas zeigen, das zugleich sichtbar und unsichtbar ist.
Trevor Paglens Interesse gilt geheimen militärischen oder wissenschaftlichen Einrichtungen, Labors, Satellitenanlagen usw., die in unzugänglichen Gegenden und Landschaften angelegt werden, um sie den Blicken – und damit dem Wissen – der Öffentlichkeit zu entziehen. Die unzulänglichen (technischen) Mittel, mit denen Trevor Paglen versucht, von jenen Anlagen Bilder herzustellen, verdoppeln deren Strategie, sich dem Bild/dem Sichtbaren zu entziehen, und markieren sie in dieser Verdoppelung: Militärsatelliten, die durch den nächtlichen Himmel ziehen, oder Militärbasen, mit den stärksten Teleobjektiven aus dutzenden Kilometern Entfernung aufgenommen. Die entstandenen Bilder bewegen sich an der Grenze der Abstraktion und bezeichnen damit im übertragenen Sinn auch die Grenze der Möglichkeiten, sich ein Bild machen zu können. Gleichzeitig repräsentieren sie eine, wie Norman M. Klein schreibt, Politik der Geheimhaltung, schwarzer Budgets und eines neoliberalen technologischen Feudalismus, der die gesellschaftlichen Ungleichheiten in nie gekanntem Ausmaß verschärft. Doch jede Geheimniskrämerei hinterlässt ihre Spuren. Nicht, dass diese in den Bildern Paglens direkt zu sehen wären, aber ihre Entstehungsbedingungen und die Nicht-Sichtbarkeit, die sie zeigen, verweisen auf dieses Imperium voller »Folklore gewordene[r] paranoide[r] Massenwahnvorstellungen.« (Norman M. Klein)
Zwischen 1992 und 2010 hat Peter Friedl unter dem Titel »Theory of Justice« eine – wie er sie nennt – »lyrische« Sammlung von Zeitungsfotos über Protestaktionen zusammengetragen, die ein umfangreiches geopolitisches Spektrum umfassen. 2006 wurde ein gleichnamiges Buch vom MACBA, Barcelona herausgegeben, das ausschließlich diese Zeitungsfotos nach der Chronologie der Ereignisse geordnet zeigt. Fotografien, die Friedl auch als Bilder »öffentlicher Integrität und Intimität« bezeichnet. Der Titel bezieht sich auf die Untersuchung über die Rolle der Gerechtigkeit in einer »wohlregulierten Gesellschaft«, die der amerikanische Philosoph John Rawls 1971 in A Theory of Justice unternahm. Abgesehen davon, dass die Regulierung der Rechte und Pflichten der BürgerInnen innerhalb eines liberalen Gesellschaftsvertrages die Form einer vollständigen Deregulierung angenommen hat, geht es in »Theory of Justice« auch um die Frage der Repräsentation von Gerechtigkeit. Indem Friedl diese Bilder neu in Umlauf bringt und ihren ursprünglichen medialen, sozialen und politischen Feldern entzieht, entsteht eine etwas andere, eine unabgeschlossene, ambivalente und offene »Family of Man«, die nicht durch das ideologisierte Phantasma des verbindenden Gemeinsam-Menschlichen gekennzeichnet ist, sondern durch Kämpfe um dieses Gemeinsame, durch Auseinandersetzungen, Konflikte, Utopien, aber auch Klischees, infantile Wünsche, Begehren und Liebe. »Ein- und Vieldeutigkeit stehen so auf der Fläche dieses Fotos lesbar nebeneinander – und relativieren sich gegenseitig. Auch so entgeht dieses Historienbild der bereits angesprochenen Überdeterminiertheit und seine Bedeutung bleibt ein Stück weit offen«, wie Raimar Stange in seinem Text schreibt.
Alle drei KünstlerInnen dieser Ausgabe arbeiten unserer Meinung nach entlang verschiedener Grenzen möglicher Politiken der Sichtbarkeit – gegengelesen eröffnen sie ein breites, jedoch uneinheitliches und sogar widersprüchliches Denken darüber, wie Bilder entstehen, was Bilder zeigen können, was ihnen zugemutet werden kann, was sich ihnen entzieht, was sie verdecken, woran sie scheitern und wie diese Grenze untersucht und möglicherweise auch verschoben werden kann. Ein Denken, das wir mit unserem Zeitschriftenprojekt immer wieder neu entfachen wollen.
Das Forum von Camera Austria International Nr. 127 gibt einen Ausblick auf den im Oktober stattfindenden Europäischen Monat der Fotografie. Der Kurator des Berliner Teils des Festivals, Frank Wagner, hat aus mehr als 130 Projekten mit dem übergreifenden Titel »Umbrüche und Utopien. Das andere Europa« sechs Positionen für unsere Ausgabe ausgewählt. Neben diesem Festival wird die vorliegende Ausgabe auch an folgenden internationalen Schauplätzen präsentiert: New York Art Book Fair, Frieze London und Paris Photo.
Reinhard Braun
und das Camera-Austria-Team
September 2014
Bildmaterial
Die honorarfreie Veröffentlichung ist nur in Zusammenhang mit der Berichterstattung über die Ausstellung und die Publikation gestattet. Wir ersuchen Sie die Fotografien vollständig und nicht in Ausschnitten wiederzugeben. Bildtitel als Download unter dem entsprechenden Link.