Communitas
Die unrepräsentierbare Gemeinschaft

Infos

Zeitraum
9.4.2011 – 19.6.2011

Eröffnung
8.4.2011, 19:00

 

 

Mit
Martin Beck (AT/US), Sabine Bitter / Helmut Weber (AT/CA), Sharon Hayes (US),
Heidrun Holzfeind (AT/US), Maryam Jafri (PK/US), Sanja Iveković (HR), Clemens von Wedemeyer (DE)

Sharon Hayes, When Is This Going to End. Aus der Serie / From the series: In the Near Future, 2009.

Intro

Die (politische) Frage nach »Gemeinschaft« bildet den Schwerpunkt der Ausstellungstätigkeit des Jahres 2011. In zwei Projekten wird einer Reihe von gesellschaftlichen Phänomenen und ihrer kritischen Repräsentation nachgegangen: dem Wuchern von Gemeinschaften, dem Gruppenbilden, das zunehmende soziale Spaltung impliziert, neuen identitären Diskurse, Leitkulturen usw. als Reaktion auf einen – zumindest subjektiv so wahrgenommenen – Verlust gesellschaftlicher Werte und eines gesellschaftlichen Zusammenhalts. Als Folge davon erleben wir aber ebenso das Zunehmen von Ausschließung, Ausweisung, Vertreibung, Bestrafung, ethnischer Säuberung – um einen Lebensraum sicherzustellen, der nicht von Gleichheit sondern von Gleich-Sein gekennzeichnet ist. Gegen diese Entwürfe von In- und Exklusion machen die beiden Ausstellungen ein Denken über Gemeinsam-Sein stark, das eben nicht auf einer gemeinsamen Identität insistiert und das Miteinander-Sein weder als Drinnen- oder Draußen-Sein beschreibt, sondern als Seite-an-Seite- und In-der-Nähe-Sein. Die erste Ausstellung – die unrepräsentierbare Gemeinschaft – dreht sich um Fragen der Kritik an Repräsentationen, die für das Herstellen von gemeinsamen Identitäten in Anspruch genommen werden. Die gezeigten Arbeiten eröffnen Möglichkeiten, das Gemeinsame gerade jenseits von zuschreibbaren Identitäten, Räumen, spezifischen gesellschaftlichen Feldern oder Bildern aufzufinden: als Möglichkeit, als Utopie, als uneinlösbares Projekt, das aber gerade die Abschließung von Gesellschaft, die Essenzialisierung von Gemeinschaften verhindert.

Volltext

Communitas. Die unrepräsentierbare Gemeinschaft

»Es scheint, als wäre nichts mehr an der Tagesordnung als ein Denken der Gemeinschaft: als sei in den Zeiten der Krise, die das Scheitern aller Kommunismen und das Elend der neuen Individualismen der Epoche zu einem unentwirrbaren Knäuel verstrickt, nichts so angebracht, eingefordert, ausgerufen. Und dennoch ist nichts so wenig in Sicht. Nichts, was so weit weg wäre, so verdrängt, so verschoben auf eine Zeit, die einst kommen mag, auf einen fernen und unentzifferbaren Horizont.«
Roberto Esposito

Die (politische) Frage nach »Gemeinschaft« bildet den Schwerpunkt der Ausstellungstätigkeit des Jahres 2011. In zwei Projekten wird einer Reihe von gesellschaftlichen Phänomenen und ihrer kritischen Repräsentation nachgegangen: dem Wuchern von Gemeinschaften, das zunehmende soziale Spaltungen verursacht und neuen identitären Diskursen Vorschub leistet. Das Forcieren von Abschiebungen, die Verschärfung von Einwanderungsgesetzen und Grenzkontrollen, das politisch deklarierte Scheitern multikultureller Gesellschaftskonzeptionen weisen auf ein »ideologisches Bild eines begehrenswerten und teuer zu bezahlenden Zutritts zu einem Innen ebenso wie auf das Gegen-Bild eines verunsichernden, gefährlichen Außens, das mit Phantasien von Fremdheit, Armut und Kriminalität aufgeladen ist« (Tom Holert). Es entsteht »rund um Bedrohung und Abwehr an der Grenze ein imaginärer Raum der ›integrierten‹ nationalen Gemeinschaft, der real durch die Globalisierung permanent ausgehöhlt wird« (ders.).

Der vermehrte Rückgriff auf den Gemeinschaftsbegriff (in Debatten über Intergration, Migration und kulturelle Differenz) scheint auch eine Folge des – zumindest subjektiv so wahrgenommenen – Verlusts verbindlich gültiger gesellschaftlicher Werte und eines
gesellschaftlichen Zusammenhalts darzustellen. »Das Elend und das Leid unserer Zeit sind fragmentiert, verstreut und zersprengt, und das gilt auch für den Dissens, der daraus entsteht« (Zygmunt Bauman). Es wuchern immer mehr Gemeinschaften, communities, die für sich beanspruchen, dieser Fragmentierung entgegenzuarbeiten, etwas anzubieten, das »uns« verbindet: strategisch (ein Interesse, ein Ziel, ein Minoritär-Sein) oder als gemeinsamer kultureller Raum, etwas, das wir teilen, dem wir angehören oder das uns allen gleichermaßen gehört. Innerhalb einer »normativen Ambiguität« (Zygmunt Bauman) ist Gemeinschaft zu »einer Dimension von kollektivem Sein statt von kollektivem Handeln ge- worden – außer in einer Hinsicht. Die einzigen Aktionen, zu denen sich eine Gruppe zusammenfindet, sind solche der Reinigung, der Ausschließung und Bestrafung derer, die ›anders‹ als die anderen sind.« (Richard Sennett) Als Folge davon erleben wir das Zunehmen von Ausschließung, Ausweisung, Vertreibung, Bestrafung, ethnischer Säuberung, neo-mythischer Überhöhung des Nationalen und beständiger Neuerfindungen von Feindbildern – um den imaginären Raum von gemeinsamen Werten, gemeinsamer Identität sicherzustellen. Dieser imaginäre Raum ist allerdings immer weniger von Gleichheit, sondern immer stärker vom Zwang zu einem Gleich-Sein gekennzeichnet.

Gegen diesen Entwurf ein- und ausschließender Gemeinschaften hat sich allerdings ein Denken stark gemacht, das im Gemeinsam- Sein kein besonderes Sein entdecken will, »keine Substanz, kein gemeinsames Subjekt« (Jean-Luc Nancy), keinen gemeinsamen Ursprung, ein Denken, das Gemeinschaft nicht als Rettung der Identität versteht, sondern als Mit-Sein jenseits von Modellen des Eigenen, des Eigentlichen, und das damit der Frage nach dem Anderen, nach dem Anders-Sein einen neuen Raum im Diesseits der Gemeinschaft einräumt. Das Ausstellungsprojekt umkreist somit Utopien eines Gemeinsam-Seins jenseits »der sinnlos gewordenen Gestalt der Individualität« (Giorgio Agamben) und stellt künstlerische Positionen vor, die diese Vorstellung vom Gemeinsam-Sein jenseits von Identitätspolitik in historischen gesellschaftlichen Formationen aufsuchen, aus urbanen und/oder repräsentations- politischen Analysen gewinnen oder als spekulative Utopie und damit als Gegenentwurf zu aktuellen politischen Ideologien neu entwerfen. Die Ausstellung stellt mit den gezeigten Arbeiten eine Idee des Mit-Seins zur Debatte, das sich »zugleich als ‚›dazwischen sein‹, ›getrennt sein‹, ›sich unterscheiden‹, ›unter anderen sein‹ und ›teilhaben‹« versteht. »Mit bedeutet weder drinnen noch draußen, sondern Seite an Seite und in der Nähe.« (Jean-Luc Nancy)

Die erste Ausstellung – »Die unrepräsentierbare Gemeinschaft« – dreht sich um Fragen der Kritik an Repräsentationen, die für das Herstellen von gemeinsamen Identitäten in Anspruch genommen werden: Es braucht immer auch Bilder, um sich eines Gleich-Seins zu versichern, wenn »visuelle Kultur die visuelle Konstruktion des Sozialen« (W.J.T. Mitchell) ist. Die überwältigende Anwesenheit bestimmter Bilder erzeugt auch eine bestimmte Weise zu wissen, eine Art visuelle Programmierung des politischen Raumes. Welche Rolle können künstlerische Praktiken mit und über Fotografie spielen, um diese Programmierung zu durchbrechen? Dabei geht es nicht um andere Inhalte, nicht um Gegenbilder, nicht um eine »andere Wirklichkeit«, um keine Bilder eines »besseren« Lebens. Es geht vor allem um die Macht zu zeigen, um Fotografie selbst als identitären Diskurs, um die Produktion von Ordnungen und Erzählungen, die einer »kohärent-stabilen Subjektivität des Sehens untergeordnet« bleiben (Tom Holert). Es geht um eine fotografische Ordnung, die Sichtbarkeit, Rollen, Wissen zuschreibt und verteilt, die nach wie vor bestimmt, was gesehen werden kann und was überhaupt sichtbar ist. Die in der Ausstellung gezeigten Arbeiten eröffnen Möglichkeiten, das Gemeinsame gerade jenseits von zuschreibbaren Identitäten, Räumen, spezifischen gesellschaftlichen Feldern, Bildern und der Idee der Repräsentation selbst aufzufinden, sowohl, was deren Autorenschaft als auch deren Subjektivierungspraxis betrifft: als Möglichkeit, als Utopie, als uneinlösbares Projekt, als permanentes Scheitern möglicherweise, das aber gerade die Abschließung von Gesellschaft, die Essenzialisierung von Gemeinschaften verhindert. Damit wird der Anspruch formuliert, »neue Verabredungen über die Verbindung zwischen Dingen, Wörtern und Bildern« (Tom Holert) zu treffen, die Rahmungen zu verändern, unter denen Bilder immer schon ein bestimmtes Wissen über das Eigene, die eigene Identität und die eigene Kultur zu bestätigen scheinen.

Der zweite Schwerpunkt des Ausstellungsprojektes – »Unter anderen« – dreht sich im Anschluss an eine Kritik der Repräsentation um Fragen von Ausschließung. Ausschließung kann »Unterscheidung heißen oder Exil, Verbannung, Opfer, Verachtung, Marginalisierung, Identifizierung, Normalisierung, Selektion, Wahl, Abstammung etc.« (Jean-Luc Nancy). Der Grad an Ausschließung reguliert zugleich den Zugang zu kulturellen, ökonomischen und ökologischen Ressourcen – Ausschließung produziert permanent Bilder der Anderen, der Ausgeschlossenen, um sich als Eigene, Gleiche, als identitäre Gemeinschaft zu legitimieren. Die Mechanismen der Ausschließung werden nicht primär an den Phänomenen von unterschiedlichen Grenzziehungen manifest, sondern nehmen ihren Ausgang im Inneren von postulierten Gemeinschaften. Es entstehen Sprachen, Bilder, Zugangsmöglichkeiten, die die Gesellschaft in eine Vielzahl von Parallelwelten aufspalten und unterteilen, die zunehmend kulturelle wie ökonomische Handlungsmöglichkeiten regulieren und deren Reichweite festlegen. Welche Figuren kultureller Repräsentation sind gegenwärtig an der Produktion und Reproduktion von Ausschließungen beteiligt? Der Schwerpunkt dieser Ausstellung liegt somit auf der Frage, wie Repräsentation und die (politischen, sozialen) Mechanismen der Ausschließung zusammenhängen. »Wie ausschließen, ohne Figuren zu bilden? Und wie Figuren bilden, ohne auszuschießen?« (Jean-Luc Nancy) Der Titel zeigt an, dass »wir« immer schon unter »anderen« sind, und uns aus dieser Verstrickung gar nicht herauslösen können, weil das vermeintlich Eigene immer schon vom Anderen affiziert und durchdrungen ist – »weil Inklusion die Modalität der Exklusion ist und umgekehrt« (Roberto Esposito).

Wenn das Gemeinsame nicht vom Eigenen, sondern vom Uneigentlichen, vom »Gemeinen«, dem immer auch der/die Andere angehört, an dem immer auch der/die Andere teilhat, gekennzeichnet ist, tritt uns dann in vielen Bildern nicht längst dieses »andere« entgegen (sei es post-kolonial, post-kommunistisch, post-emanzipatorisch, post-national)? Lassen sich im Feld künstlerischer Bildpolitiken Spuren auffinden, die ein Gemeinsam-Sein jenseits jener desaströsen Politiken der Ausschließung markieren, die auf der Grundlage von »spektakulärer Unsicherheit und chronischer Instabilität« und einem »Insistieren auf dem Individuellen« (David Harvey) unsere sogenannte neo-liberale Zeit kennzeichnen?

Der Titel der Ausstellung geht auf das gleichnamige Buch von Roberto Esposito zurück: Communitas. Ursprung und Wege der Gemeinschaft, diaphanes: Berlin 2004.

Ausstellungsansichten

  • Communitas. Die unrepräsentierbare Gemeinschaft / The Unrepresentable Community
    Clemens von Wedemeyer
    Camera Austria 2011
    Photo: Steffen Strassnig

  • Communitas. Die unrepräsentierbare Gemeinschaft / The Unrepresentable Community
    Clemens von Wedemeyer
    Camera Austria 2011
    Photo: Steffen Strassnig

  • Communitas. Die unrepräsentierbare Gemeinschaft / The Unrepresentable Community
    Sharon Hayes
    Camera Austria 2011
    Photo: Steffen Strassnig

  • Sharon Hayes, When Is This Going to End. Aus der Serie / From the series: In the Near Future, 2009.

  • Communitas. Die unrepräsentierbare Gemeinschaft / The Unrepresentable Community
    Sanja Iveković
    Camera Austria 2011
    Photo: Steffen Strassnig

  • Communitas. Die unrepräsentierbare Gemeinschaft / The Unrepresentable Community
    Sanja Iveković
    Camera Austria 2011
    Photo: Steffen Strassnig

  • Communitas. Die unrepräsentierbare Gemeinschaft / The Unrepresentable Community
    Sanja Iveković
    Camera Austria 2011
    Photo: Steffen Strassnig

  • Communitas. Die unrepräsentierbare Gemeinschaft / The Unrepresentable Community
    Maryam Jafri
    Camera Austria 2011
    Photo: Steffen Strassnig

  • Maryam Jafri, aus / from: Independence Day 1936 – 1967, 2009.

  • Communitas. Die unrepräsentierbare Gemeinschaft / The Unrepresentable Community
    Martin Beck
    Camera Austria 2011
    Photo: Steffen Strassnig

  • Martin Beck, Headlines, 2010
    Doppelseitiger Silkscreen - print / Two-sided Silkscreen-print 121,9 cm x 91,4 cm.

  • Communitas. Die unrepräsentierbare Gemeinschaft / The Unrepresentable Community
    Martin Beck, Maryam Jafri
    Camera Austria 2011
    Photo: Steffen Strassnig

  • Communitas. Die unrepräsentierbare Gemeinschaft
    Sabine Bitter / Helmut Weber
    Camera Austria 2011
    Photo: Steffen Strassnig

  • Sabine Bitter / Helmut Weber, aus / from: Events Are Always Original, 2010.
    46,5 cm x 31,5 cm. Courtesy: Galerie Grita Insam, Wien.

  • Communitas. Die unrepräsentierbare Gemeinschaft / The Unrepresentable Community
    Heidrun Holzfeind
    Camera Austria 2011
    Photo: Steffen Strassnig

  • Heidrun Holzfeind, aus der Serie / from the series:
    Colonnade Park, Mies in Newark Revistited, 2010. C-print, 40 cm x 60 cm.

/

Eröffnung

  • Eröffnung / Opening, 8. 4. 2011
    Camera Austria 2011

  • Eröffnung / Opening, 8. 4. 2011
    Camera Austria 2011

  • Eröffnung / Opening, 8. 4. 2011
    Camera Austria 2011

  • Eröffnung / Opening, 8. 4. 2011
    Camera Austria 2011

  • Eröffnung / Opening, 8. 4. 2011
    Camera Austria 2011

/