Šejla Kamerić
Tatiana Lecomte
Infos
Zeitraum
21.1.2011 – 27.3.2011
Eröffnung
20.1.2011, 18:00
Buchpräsentation
Tatiana Lecomte
Dissolution
24.3.2011
Šejla Kamerić
Embargo till 11
Tatiana Lecomte
Stills
Zur Ausstellung erscheint ein Buch von Tatiana Lecomte, das zum ersten Mal ihre wichtigsten Arbeiten der letzten Jahre zusammenfasst.
Intro
Mit Šejla Kamerić und Tatiana Lecomte präsentieren wir programmatisch die Arbeiten zweier Künstlerinnen, deren fotografische Projekte eine eminent politische Leseweise vorgeben. Gleichzeitig beziehen sie sich auf Fragen der Repräsentation, der Rolle des fotografischen Bildes als Teil eines Regimes der Sichtbarkeit und auf die Art und Weise, wie Fotografie in die Herstellung von persönlicher und kollektiver Geschichte wie von politischer Vergangenheit und Gegenwart verstrickt ist.
Šejla Kamerić zeigt – zum ersten Mal in Österreich – die Serie »Embargo till 11« (2011), die Songtexte – von Leonard Cohen, den Bangles bis hin zu Santa Esmeralda – mit Fotografien verknüpft, die von Sammelkarten der Austria Tabakwerke AG der „Edition Adolf Hitler“ bis zum Jahr 1942 stammen und damit das Verhältnis von unterschiedlichen kollektiven Erinnerungsräumen thematisiert.
Auch Tatiana Lecomte zeigt neue Serien, so etwa »Stills« (2010) und „o.T.“ (2010), die ausschließlich auf gefundene Bilder und bestehende Reproduktionen zurückgehen. Damit entzieht sie die Fotografie dem Zwang eines Offenlegens und nimmt nicht die Rolle derjenigen ein, die etwas zu zeigen hat, weil es fragwürdig ist, was überhaupt gezeigt werden kann.
Sich auf historische Ereignisse beziehend, deren Bedeutung im wesentlichen undarstellbar ist und die sich nicht auf abbildbare Wirklichkeitselemente reduzieren lassen, zeigen die Künstlerinnen Bilder, die ihrer Zeit ihr Bild gegeben haben, die zum Teil bekannt sind, die bestimmte Assoziationen erwecken, die letztlich aber auch so verfremdet oder neu kontextualisiert werden, dass dasjenige, das zu sehen ist (die Körper, die Gesten, die Menschen, die Massen, der Jubel, die Krankheit) im Grunde die Frage aufwirft, was überhaupt zu sehen ist, worauf es verweist und wovon es spricht. Die Frage, was zu sehen ist und wie es gezeigt wird (wie Darstellung und Dargestelltes zusammenkommen oder zusammenfallen und was daraus letztlich entsteht), zielt wiederum auf den Kern fotografischer Repräsentation: Die Angemessenheit von Sichtbarmachung wird bezweifelt, die Festschreibungen von Bedeutungen unterhöhlt, damit aber auch dasjenige ins Spiel gebracht, das die Repräsentation, das Bild möglicherweise immer schon verdeckt, das aber auch einen Raum eröffnen könnte, um andere Bilder in Politik und Geschichte einzuschleusen.
Volltext →Šejla Kamerić / Tatiana Lecomte
„Do you understand me now?“ Read it your way and dare to guess. „But don’t you know that no one alive can always be an angel.“ What do you see? „When things go wrong I seem to be bad.“ Would you ever guess I was thinking of something else? „But I’m just a soul whose intentions are good. Oh Lord, please don’t let me be misunderstood.“
„Oh, oh baby don’t you know I’m human.“ I have pieces of history I tend to loose. „Have thoughts like any other one.“ But who would guess. „Sometimes I find myself long regretting. Some foolish thing, some little simple thing, I’ve done.“ Do you see what I see. Or is it just me? „But I’m just a soul whose intentions are good. Oh Lord, please don’t let me be misunderstood.“
(Šejla Kamerić, unter Verwendung von Zitaten aus „Don’t Let Me Be Misunderstood“ von Santa Esmaralda, 1977)
Šejla Kamerić richtet sich ausgehend von ihren Erfahrungen während der fast vierjährigen Belagerung der Stadt Sarajevo zu Beginn der 1990er Jahre immer wieder auf generelle Fragen zu Krieg, Gewalt, Macht und Nationalismus, aber auch von Schuld und Scham. Die Spuren dieser Machtformationen schreiben sich den Gedächtnissen und Erinnerungen ein – und damit auch den Möglichkeiten einer Konstruktion von Wirklichkeit, einer Konstruktion von Gegenwart, wodurch sie auch die anhaltenden Versuche beeinflussen, eine (neue?) Identität zu imaginieren, die nicht von gegenseitiger Ausgrenzung, Schuld und Angst geprägt ist. Welchen gemeinsamen Raume teilen wir uns durch unsere gemeinsame Erinnerung, inwiefern verursachen unterschiedliche Erinnerungen eine Riss in diesem gemeinsamen (kulturellen, politischen, historischen) Raum? Welche Rolle spielen Bilder in diesen Prozessen?
In der Ausstellung für Camera Austria zeigt sie – zum ersten Mal in Österreich – die Serie „Embargo till 11“ (2011), die in einen solchen gemeinsamen (ebenso traumatischen) europäischen Erinnerungsraum führt. Allerdings bedient sie sich dabei eines, wenn man so will, indirekten Zugriffs, der der Nicht-Darstellbarkeit der Wirklichkeit der Ereignisse Rechnung trägt. Auf 25 Posterständern sehen wir auf je einer Seite Zeilen aus Liedtexten, denen kleinformatige Schwarzweißfotografien sozusagen eingeschrieben sind. Die Fotografien gehen auf Sammelkarten der „Austria Tabakwerke AG“ zurück, die mit Zigarettenschachteln ausgeliefert wurden. 1940 erschien ein Sammelalbum unter dem Titel „Wie die Ostmark ihre Befreiung erlebte – Adolf Hitler und sein Weg zu Großdeutschland“, in das alle 314 Karten eingeklebt werden konnten. Auf der Rückseite der Posterständer sind die Originalrückseiten der Sammelkarten zu sehen: „Bild Nr. 261: Ein endlich judenrein gewordenes Wiener Haus hisst die weiße Fahne. Das Sammelalbum mit ausführlichem Text ist in jeder Tabaktrafik für Reichsmark 1,– erhältlich. AUSTRIA TABAKWERKE A.G. VORMALS ÖSTERR. TABAKREGIE“.
Nun dokumentieren diese Sammelkarten das Diffundieren eines Regimes der Bilder bis in die alltäglichsten Handlungszusammenhänge. Bei vielen handelt es sich um bereits damals bekannte und weitverbreitete Aufnahmen (etwa von Aufmärschen, Inszenierungen, Reden des Führers, der begeisterten Menge), die zusammen mit Bildern aus dem Alltag das Terrain des Visuellen sozusagen vollständig besetzen.
Diese Bilder tauchen in „Embargo till 11“ in Songtexten auf, etwa von Leonard Cohen und den Bangles, werden in einen neuen Zusammenhang der Herstellung eines kollektiven Gedächtnisses, einer gemeinsamen Erinnerung und Kultur gesetzt. „Lyrics refer to the image as a straight forward association game that is free from any history or memory references. In this way the work investigates the process of remembrance and assumptions.“ (Kamerić)
Singt Cohen in sentimentaler Weise von seinem Versuch, frei zu sein und räsonniert darüber, wie er alle seine Freunde betrogen hat, so steht diese Geschichte von der Sehsucht nach Wiedergutmachung in krassem Gegensatz zur jubelnden Menge, die Bäume erklettert, um den Führer zu erspähen, die sich also in einem kollektiven Taumel befindet und dabei ist, die Grenze jeder Menschlichkeit zu überschreiten, die Cohen besingt. Zeitigt das Überschreiten jener Grenze selbst noch Konsequenzen für die Populärkultur unserer Gegenwart? Oder wenn ein Aufmarsch der Nationalsozialisten zu sehen ist neben einer Liedzeile wie „Just another manic Monday“, die auf die Mühlen des Arbeitslebens verweist, die Furcht vor dem Zuspät-Kommen und dem Jobverlust, auf die Frustration über den Alltag und dessen Perspektivlosigkeit – unvermeidlich assoziieren wir für uns die Arbeitslager, die Zwangsarbeit.
Stellen diese Bilder, die Kamerić in sehr präzise Bedeutungszusammenhänge einschleust, nicht shifter für jene Vielzahl an Bildern dar, die wir kennen, die wir abrufen können, und die unauslöschliche Spuren in unserer gemeinsamen Kultur hinterlassen haben? Bevor aber die Rückseiten der Sammelkarten gesehen werden können, werden die Besucher an den Liedtexten und Bildern vorbeigeführt, um einen Raum für deren Erinnerungen, Wissen und Assoziationen zu öffnen. Wenn es also darum geht, was gezeigt wird, was zu sehen ist, dann zeigt uns Kamerić immer auch dasjenige, das wir bereits wissen, dessen wir uns allerdings nur unter großen Anstrengungen bemächtigen können, wenn überhaupt, weil „das Unmögliche gezwungen wurde, ins Wirkliche überzugehen“ (Giorgio Agamben). Es bleibt also danach zu fragen, von welcher Wirklichkeit „Embargo till 11“ „spricht“.
Tatiana Lecomte
Wir sehen einen jungen Soldaten bei einer Exerzierübung, die Hütte oder Baracke im Hintergrund lässt an eine Kaserne oder an ein Lager als „Schauplatz“ denken. In einer Filmstill-artigen Serie erscheint plötzlich wie nach einem Moment a-synchronen Projizierens ein weiterer Mann in Uniform, der dem Jungen korrigierend an die Hand greift, die auf dem Gewehr liegt. Zugleich Korrektur, Intervention, Einrichten, das eine Hierarchie bekundet, und intimes Berühren, Aufhebung von Distanz, Ritual.
Wir sehen eine Hand, die einem afrikanischen kleinen Jungen eine weiße, pulvrige Substanz darreicht. Der Ausschnitt wird größer, wir sehen eine weiße Frau, die diese Darreichung vollzieht, und mit dem Fokus auf sie endet eine weitere Serie. Es handelt sich um Leni Riefenstahl, die die Masakin-Qisar-Nuba im Sudan seit 1962 regelmäßig besuchte. Auch hier „beobachtet“ die quasi-filmische Foto-Sequenz eine Geste, die zwischen Geben/Bestimmen und Empfangen/Folgen oszilliert, eine Geste, die eine Distanz impliziert, die überwunden wird. Berührung. Fixierung. Für einen Moment. Auflösung. Verschwinden. Was trifft hier aufeinander, wofür die Bilder eine Form entfalten?
In neuen, für diese Ausstellung entstandenen Serien verzeitlicht Tatiana Lecomte gefundene Bilder in eine fiktive, kurze Filmsequenz. Dadurch werden die Fotografien in einen Handlungszusammenhang rückübersetzt, wird ein Sehen verräumlicht und eine Darstellung aus dem einen bedeutenden Bildgeviert in einen Zwischenraum überführt, in ein „zwischen“, von dem Jean-Luc Nancy schreibt, dass es nicht von einem zum anderen führt, sondern die fundamentale Trennung bildet, die ein Erscheinen überhaupt erst ermöglicht. „Sobald es zwei von ihnen gibt, gibt es drei. (…) Das ist es, was ich unter einem Bild verstehe, dieses aus zwei Bildern zusammengesetzte Bild“ (Jean-Luc Godard) Eine Heterogenität jeder Berührung der Bilder in der Montage. Wie die Heterogenität der Berührungen, die in den Bildern aufgefächert werden. Oder die Heterogenität zwischen (fotografischem) Bild und Wirklichkeit. Was kommt also zusammen?
Tatiana Lecomte befragt in vielen Serien der letzten Jahre die Fehlstellen des Fotografischen, sie führt immer wieder vor Augen, was nicht ins Bild gesetzt werden kann (Landschaftsaufnahmen am Gelände ehemaliger Konzentrationslager etwa, auf denen nichts vom Unvorstellbaren zu sehen ist, wie könnte es auch?). Dies mag der Grund dafür sein, in der Ausstellung keine Bilder zu zeigen oder zu bearbeiten, die die Künstlerin selbst gemacht hat – sich der Zuschreibung eines Offenlegens entziehen, nicht die Rolle derjenigen einnehmen, die etwas zu zeigen hat, weil es fragwürdig ist, was überhaupt gezeigt werden kann.
Lecomte bedient sich in der Ausstellung also ausschließlich gefundener Bilder, so einer Reproduktion einer historischen Aufnahme des brennenden Warschauer Ghettos, das sie aus mehreren vergrößerten Abzügen montiert, die erst aus einiger Distanz eine Ahnung der Rauchsäule geben und also eine Ahnung der Zerstörung und der Vernichtung, die stattgefunden hat, die jetzt aus den sichtbaren Rasterpunkten der „ursprünglichen“ Reproduktion rekonstruiert werden müssen. In der Oberfläche der Fotografie fällt etwas in Eins, findet eine Einschreibung statt – bloß haben die Fotografien, die in der Ausstellung zu sehen sind, keine Wirklichkeit vorgefunden, sie zeigen Einschreibungen von wieder anderen Fotografien. „Denn jedes Bild gleitet jetzt über andere Bilder, da der Grund des Bildes immer schon ein Bild ist“. (Gilles Deleuze)
Eine weitere neue Serie besteht aus Schwarzweißfotografien, die aus einem dermatologischen Lehrbuch der frühen 1940er Jahre abfotografiert wurden und deren Ausschnitt jeweils standardisiert wurde („o.T.“, 2010). Die durch Krankheit gezeichnete Haut als Metapher für die Einschreibung der Gewalt in zahllose menschliche Körper? Durch die Vergrößerung fällt die pathologische Struktur der Haut mit dem Raster des Buchdrucks und mit der Körnigkeit, d. h. der Materialität der fotografischen Oberfläche zusammen: die Häute der Reproduktionen fallen in eins mit der Haut der Köper. Wo ist die Grenze der fotografischen Repräsentation anzusetzen, wo ereignet sich das „zwischen“ zwischen Bild und Wirklichkeit? Was ereignet sich in der Fotografie als Schnittstelle? Lecomte verlagert diese Frage in die Repräsentation selbst: Nichts ist als Spur von Wirklichkeit zu sehen, alles hat aber mit Spuren dieser Wirklichkeit zu tun. Die Abwesenheit von der Wirklichkeit und die Abwesenheit zur Wirklichkeit hin, damit „das Denken seinen Ort im Visuellen hat“ (Georges Didi-Huberman).