Sven Johne
Where the sky is darkest, the stars are brightest.
Infos
Zeitraum
8.6.2013 – 1.9.2013
Eröffnung
7.6.2013, 19:00
Videoscreening und Künstlergespräch
30.8.2013, 19:00
Sven Johne
Where the sky is darkest, the stars are brightest.
Intro
Das beziehungsreiche Feld der dokumentarischen fotografischen Form und ihre Verkettungen mit Texten, Informationen, Geschichten und Geschichte spielt seit vielen Jahren eine zentrale Rolle in der fotografischen Praxis von Sven Johne. In seinen Werken arbeitet er – oftmals auf der Grundlage von Recherchen vor Ort – systematisch das Verhältnis zwischen dem durch, was erfahren und gewusst werden kann und dem, was darüber gezeigt und vermittelt werden kann. Dabei wird immer wieder deutlich, dass dokumentarische Bilder nicht ausschließlich ein Element des Sichtbaren sind, sondern ihnen eine grundsätzliche Abhängigkeit vom Wort und vom Wissen eingeschrieben ist – eine Verschiebung im Status der Bilder, eine Verunsicherung ihrer Möglichkeiten zur Bedeutungserzeugung ist die Folge.
Für die erste umfangreiche Einzelpräsentation in Österreich kombiniert der Künstler eine Auswahl von Arbeiten aus den letzten Jahren mit neuen Projekten, die diesen prekären, umstrittenen und verstärkt in der Debatte stehenden Raum einer »Dokumentalität« (Hito Steyerl) unserer visuellen Gegenwart zuspitzen. Insofern fokussiert das Ausstellungsprojekt die spezifischen Praxen und Methoden, in die Sven Johne das fotografische Bild in unterschiedlichen Projekten an unterschiedlichen Orten verwickelt: die Behauptung einer Reportage, das Interesse an marginalen Geschehnissen, ein Verfehlen der Repräsentation, die Kluft zwischen Text und Bild – womit der Künstler einen wesentlichen Beitrag zur aktuellen Debatte um das Dokumentarische entwirft.
Volltext →Sven Johne: Where the sky is darkest, the stars are brightest.
Das beziehungsreiche Feld der dokumentarischen fotografischen Form und ihre Verkettungen mit Texten, Informationen, Geschichten und Geschichte spielt seit vielen Jahren eine zentrale Rolle in der fotografischen Praxis von Sven Johne. In seinen Werken arbeitet er – oftmals auf der Grundlage von Recherchen vor Ort – systematisch das Verhältnis zwischen dem durch, was erfahren und gewusst werden kann und dem, was darüber gezeigt und vermittelt werden kann. Dabei wird immer wieder deutlich, dass dokumentarische Bilder nicht ausschließlich ein Element des Sichtbaren sind, sondern ihnen eine grundsätzliche Abhängigkeit vom Wort und vom Wissen eingeschrieben ist – eine Verschiebung im Status der Bilder, eine Verunsicherung ihrer Möglichkeiten zur Bedeutungserzeugung ist die Folge.
Für die erste umfangreiche Einzelpräsentation in Österreich kombiniert der Künstler eine Auswahl von Arbeiten aus den letzten Jahren mit neuen Projekten, die diesen prekären, umstrittenen und verstärkt in der Debatte stehenden Raum einer »Dokumentalität« (Hito Steyerl) unserer visuellen Gegenwart zuspitzen. Insofern fokussiert das Ausstellungsprojekt die spezifischen Praxen und Methoden, in die Sven Johne das fotografische Bild in unterschiedlichen Projekten an unterschiedlichen Orten verwickelt: die Behauptung einer Reportage, das Interesse an marginalen Geschehnissen, ein Verfehlen der Repräsentation, die Kluft zwischen Text und Bild – womit der Künstler einen wesentlichen Beitrag zur aktuellen Debatte um das Dokumentarische entwirft.
Für den »Griechenland-Zyklus« bereiste Sven Johne seit Herbst 2012 verschiedene Orte und Inseln in Griechenland, die auch in jedem Tourismusprospekt zu finden sind (Syntagma Platz in Athen, Mykonos, Delphi, Korinth, Korfu etc.). An allen diesen Orten entstand eine Aufnahme des nächtlichen Sternenhimmels – Datum, Ort und Uhrzeit wurden vermerkt, jede Aufnahme wird von einem Tagebucheintrag begleitet: »25. August 2012, 02:08 Uhr, Chora, Mykonos Island: Und hier liegen sie, die Yachten der Steuerflüchtlinge, sagt der Taxifahrer, welch Wohlstand! Gehört Mykonos noch zu Griechenland? Wir beide haben Spaß. Aber der Hafen wird demnächst privatisiert. Im Ort Edelboutiquen, Schmuck und teure Hotels. Ich finde kein Zimmer. Zwei Uhr nachts bin ich dann endlich bereit, jeden Preis zu zahlen.«
Alle Elemente dieses Projekts – die Orte, die Fotografien, die Texte – zielen für sich auf nichts Wesentliches: Es gibt vor Ort keine Wahrheit zu entdecken oder der je spezifischen Gegenwart eine entscheidende und exemplarische Repräsentation abzuringen. Auf der Verglasung des Ausstellungsprints ist zudem der untere Teil durch eine Siebdruckfläche abgedeckt, auf der der jeweils zugehörige Tagebucheintrag zu lesen ist: Selbst noch die letzte Möglichkeit, anhand von Landschafts- oder Gebäudedetails einen konkreten Ort zu identifizieren, wird verunmöglicht und von diesem Textfeld ausgeblendet.
Sven Johne führt in dieser neuen Arbeit eine Strategie fort, die sich auch in anderen Arbeiten der Ausstellung – »Großmeister der Täuschung« (2005), »Ship Cancellation« (2004) oder »Ostdeutsche Landschaften« (2005) wiederfinden lässt und die sich als Simulation einer dokumentarischen Reportage bezeichnen ließe. Simulation insofern, als die einzelnen Ausgangspunkte des Interesses – ungewöhliche öffentliche Handlungen und persönliche Schicksale, Schiffsuntergänge, die Auswirkungen der Krise in Griechenland – nicht in einem nachvollziehbaren zusammenhängenden Projekthintergrund wiederfinden lassen, sondern zumeist unvermittelt zueinander gesetzt werden (das Massaker der Wehrmacht auf Kalavryta im Jahr 1943, die afrikanischen Händler in Patras, ein Wirt in Agios Germanos usw.). Darüber hinaus werden selbst diese je konkreten Begebenheiten und Begegnungen nicht in eine figurale Repräsentation übersetzt: Zu sehen sind nicht die Händler oder der Syntagma-Platz, sondern jeweils allein der nächtliche Sternenhimmel, überblendet von einem Text, der seinerseits ebenfalls eher disparete Details verknüpft als das er ein Bild kommentieren oder beschreibend ergänzen und damit in eine übergeordnete Erzählung einbinden würde.
Es sind lokale Ereignisse, Momente eines Aus-der-Ordnung-Tretens, die die Aufmerksamkeit des Künstlers erregen und aus denen er ein Mosaik aus Details baut. Unter dem Sternenhimmel als Metapher Ordnung und Navigation setzte er diese unzusammenhägenden Details in Szene, einer Irrfahrt gleich, die nach einer List verlangt, um an ihr Ziel zu gelangen. Aus dem Labor für die neo-liberale Zurichtung eines ganzen Staates erhalten wir lediglich Bilder dessen nächtlichen Himmels und Anekdoten des Künstlers von seinen Reisen. Die Zukunft ist also mehr als ungewiss und die Arbeit präsentiert ambivalente Motive zwischen Verirrung, Hoffnung und Rettung.
Es entsteht eine Reportage, deren Form so tut, als ob eine Reportage stattfinden würde. Es ist gerade dieses »Unvernehmen« zwischen Bild und Bedeutung, zwischen Bild und »Ereignis«, die Verschiebung zwischen dem, was zu sehen ist und dem, was uns mitgeteilt wird, was der Text »zeigt«, die das Dokumentarische in seiner grundsätzlichen Ambivalenz zwischen »Diskurs« und »Dokument« ausstellt: Längst sind die dokumentarischen Bilder unter Generalverdacht geraten, wurde ihr Wirklichkeitsgehalt zurückgewiesen, ist das Vertrauen in das Gezeigte verschwunden. Dennoch wuchern diese dokumentarischen Bilder mehr denn je innerhalb einer Vielzahl von Medienumgebungen.
Im Auseinandertreten derjenigen Momente, die zusammenkommen müssen, damit ein Bild und eine Bedeutung sich verketten, stellt Sven Johne seine spezifische Befragung des Dokumentarischen aus. Dadurch liefert er einen wichtigen Beitrag dazu, Möglichkeiten zu eröffnen, durch Bilder, zumal dokumentarische, neue Verkettungen mit Bedeutung zu entwerfen, einen prinzipiell offenen Raum von Bedeutungsproduktion vorzustellen, der als ein Raum für andere Bildpolitiken verstanden werden kann.
Sven Johne
geboren 1976 in Bergen auf der Insel Rügen, lebt und arbeitet in Berlin.
Zu den letzten Einzelausstellungen zählen »Der Weg nach Eldorado«, KLEMM’s, Berlin (2013); »Following the Circus«, Galerie Christian Nagel, Antwerpen (2012); »Greatest Show on Earth«, KLEMM’S, Berlin (2011); »Photographic and Video work«, Hong Kong Arts Centre, Hong Kong (2011); »Berichte zwischen Morgen und Grauen«, Frankfurter Kunstverein.
Beteiligungen u. a. an »Making History«, Frankfurter Kunstverein und Museum für Moderne Kunst, Frankfurt; »Made in Germany Zwei«, Sprengel Museum, Hannover; »Cantemus—Choirs, the Sublime and the Exegesis of Being«, ARGOS, Brüssel; »Doppelte Ökonomien«, Halle 14, Leipzig (alle 2012).
In Camera Austria International 118/2012 ist ein monografischer Beitrag von Sven Johne mit einem Text von Susanne Holschbach erschienen.