Presseinformationen
Camera Austria International 132 | 2015
Infos
Präsentationen:
11. – 13. 12. 2015
Friends with Books, Berlin
28. – 31. 1. 2016
artgenève, Genf
Pressedownloads
Pressetext
Nicht erst die aktuell kulminierenden Ereignisse rund um Flucht und Migration in Europa zeugen von Verwerfungen in Geografie und Politik, längst schon sind Prozesse in Gang gekommen, die die Verteilung von politischen, sozialen, kulturellen und ökonomischen Handlungsfähigkeiten neu bestimmen. Diese Neuverteilungen weisen allerdings nicht nur in die Zukunft, auf ein anderes Morgen, sie bedingen gleichzeitig eine Revision dessen, wie die Geschichte der Gegenwart konstruiert wird.
Die vorliegende Ausgabe von Camera Austria International versucht anhand von vier gleichermaßen exemplarischen wie gegensätzlichen künstlerischen Positionen der Frage nach Geschichtskonstruktion und -rekonstruktion, Erinnerung und kulturellem Gedächtnis nachzugehen. Im Falle der Arbeiten von Anne Collier handelt es sich oftmals um die Re-Repräsentation von bereits veröffentlichten visuellen Zeugnissen, und zwar, wie Simon Baier schreibt, »gehören die meisten der gefundenen Objekte einer, wenn auch nicht weiter spezifizierten Vergangenheit an, die oft vor der Durchsetzung des Digitalen liegt: die Fotobücher der 1970er Jahre, selbst Fotoalben, aber auch Musikkassetten und LPs sind in unserer Gegenwart obsolete Medien.« Was aber bedeutet es, vermeintlich Obsoletes wieder ins Spiel zu bringen, einem neuen Blick auszusetzen?
Helmut und Johanna Kandl reisen, recherchieren, treffen verschiedenste Menschen, Freunde von Freunden, fotografieren – zwischen dem österreichischen Waldviertel, dem ehemaligen Jugoslawien, der ehemaligen Tschechoslowakei und der Ukraine. Erinnerungen, Informationen, Bilder werden in assoziativer Weise angeordnet, gleichen weniger einem organisierten Archiv als vielmehr dem gesprochenen Wort, einer Erzählung, einem Gespräch. Banales kommt neben Weltgeschichtlichem zum Liegen, allerdings nicht als eine Gegenerzählung, sondern als Teil von Geschichte, als Anmerkung und Korrektiv der großen Erzählungen.
Ala Younis’ Beitrag in dieser Ausgabe geht auf ihre Beteiligung
an der diesjährigen Biennale von Venedig zurück. In »Plan for Greater Baghdad« (2015) bezieht sie sich auf den von Frank Lloyd Wright 1957 vorgelegten Neuentwurf der Stadt als »persianische Fantasie«. 1980 wurde das Gymnase de Bagdad nach Plänen Le Corbusiers aus den 1950er Jahren fertiggestellt, eine Zeit, als durch Ölmillionen die Modernisierung der Stadt vorangetrieben wurde. Guy Mannes-Abbott rekonstruiert diese Phase ausschnitthaft, kontextualisiert die vielen Missverständnisse und Missachtungen der Geschichte, die dieser Modernisierung zugrunde lagen.
Mit Teresa Burga haben wir schließlich eine Künstlerin eingeladen, die seit den 1960er Jahren traditionelle Vorstellungen von Kunst sowie die Rolle und Stellung der Frau in der Gesellschaft befragt. Mit ihrer eigenwilligen, kritischen Haltung in Gender- und Kunstfragen ist Burga – wie Cecilia Fajardo-Hill schreibt – eine jener KünstlerInnen außerhalb des europäischen und nordamerikanischen Mainstreams, »die trotz des Umstands, dass sie in der Kunstgeschichtsschreibung, Überblicksdarstellungen und großen Museumsausstellungen nicht vorkommen, einige der radikalsten und originellsten Kunstwerke des 20. Jahrhunderts geschaffen haben – Werke, die wir erst jetzt allmählich kennenlernen«.
In diesem Sinne einer notwendigen Neubewertung von Repräsentation und ihrer Rolle für die Fortschreibung von Geschichte verstehen wir schließlich auch die Einladung an Eva Maria Ocherbauer, aus ihrer Lehrtätigkeit an der LagosPhoto Summer School das vorliegende Forum zu kuratieren. Eine Auswahl an Arbeiten ihrer Studierenden zeigt jedenfalls ein anderes Sprechen-Über, »Afrika«, als wir es aus viel zu vielen dokumentarischen und journalistischen Arbeiten kennen.
Reinhard Braun
und das Camera-Austria-Team
Dezember 2015
Bildmaterial
Die honorarfreie Veröffentlichung ist nur in Zusammenhang mit der Berichterstattung über die Ausstellung und die Publikation gestattet. Wir ersuchen Sie die Fotografien vollständig und nicht in Ausschnitten wiederzugeben. Bildtitel als Download unter dem entsprechenden Link.