Presseinformationen
Camera Austria International 133 | 2016
Infos
17. 3. 2016
Release, Camera Austria, Berlin
19. 3. 2016
It’s a Book, Leipzig
22. – 24. 4. 2016
Art Brussels
5. – 8. 5. 2016
Frieze, New York
10. – 12. 6. 2016
Miss Read, Berlin
11. – 12. 6. 2016
Vienna PhotoBook Festival
14. – 19. 6. 2016
Liste, Basel
Pressedownloads
Pressetext
Die Idee zur vorliegenden Ausgabe hat gleichermaßen lose wie zwingend mit zwei gegenläufigen Momenten zeitgenössischer Fotografie zu tun. Zum einen drehen sich derzeit Fragen darum, was Fotografie überhaupt noch sein kann, wie man dem Sehen ein Bild abringen kann, was man diesem Bild »antun« und wie es dem Medium geradezu gewaltsam entrissen werden muss. Zum anderen überlagern sich damit Fragen danach, was mit diesen Bildern geschehen könnte – welchen Ordnungen sie unterworfen werden und wie sie restrukturiert werden könnten, und welche Konsequenzen dies für die Dramaturgien ihrer Bedeutungen oder zumindest Erzählungen hätte. Letzten Endes laufen diese – wie auch viele andere zunächst widersprüchliche an Fotografie herangetragene Forderungen – auf ein Spannungsverhältnis zurück, das uns in den letzten Jahren immer wieder beschäftigt hat: Was kann das fotografische Bild leisten? Was wird ihm zugemutet? Scheint diese grundsätzliche Ambivalenz nicht seltsam anachronistisch zu einer Zeit, die vom Post-Dokumentarischen spricht und das Bild als nach der Repräsentation zu verstehen versucht? Was bedeutet es schließlich für das fotografisch Gezeigte, wenn es nicht länger als spezifische Form der Repräsentation gedacht wird? Jedenfalls hat diese Annahme eine eminente Fragilität der fotografischen Bilder zur Folge, die sich an einer vermehrt diffusen Grenze zwischen Klarheit, Direktheit, Bezeichnung und Unbestimmtheit, Offenheit, Abstraktion bewegen.
An der eigentümlichen Visualität der Fotografie arbeitet sich Heidi Specker seit vielen Jahren in verschiedenen Serien und Büchern ab. Sicherlich ist auch das Verweben von ausschnitthaften Texturen mit der Sachlichkeit ihrer Darstellung für ihre Arbeit von Bedeutung, ohne dass die Künstlerin jedoch manuell in das Bild interveniert. Es ist eher der Blick, eine Art von umherschweifender Präzision des Sehens, gepaart mit Montage, Gruppierung und Reihung, der ihre Praxis bestimmt. Für die vorliegende Ausgabe allerdings hat sich die Künstlerin entschlossen, ein weiteres Moment ihrer Praxis in den Vordergrund zu rücken: die Affinität zum Filmischen. Verschiedene AutorInnen wurden eingeladen, einen solchen filmischen Blick auf Heidi Speckers Werk zu werfen. Parallel dazu hat sie zwei unterschiedliche »Drehbücher« durch ihre Arbeiten der letzten 20 Jahre entworfen: »Zeige nicht alle Seiten der Dinge, bewahre dir einen Rest an Unbestimmbarem«, wie Andreas Prinzing Jean-Luc Godard zitiert.
Jens Asthoff arbeitet minutiös heraus, wie die Praxis von Ketuta Alexi-Meskhishvili an der Grenze von Abstraktion und Objektfotografie angesiedelt ist, als eine Art permanentes semi-dokumentarisches Oszillieren zwischen Darstellung und Transformation des Dargestellten – vor allem, wenn sie ins Filmmaterial kratzt, mit Fotogramm-Praktiken, Lichtschablonen und -gestik experimentiert, ohne dabei Konventionen des Blicks und der Repräsentation aus den Augen zu verlieren. Es schienen zugleich heteronome und den Bedingungen des Fotografischen unterworfene Bilder zu entstehen, eine spezifische Zeitgenossenschaft des Visuellen, in der zugleich alles offen zutage tritt und komplex durch Materialität und Kontext angereichert wird – »umgeschmolzen zu etwas Neuem von ganz eigener Textur, etwas, das weder bloße Repräsentation ist noch ungegenständliche Konstruktion«, schreibt der Autor.
Auch für Mladen Bizumic ist die Fotografie, wie Stephen Zepke schreibt, »gleichermaßen Material wie Konzept – eine Verbindung, die das Werk selbst zu erschließen versucht«. In seinen neueren Arbeiten beschäftigt sich der Künstler mit dem Aufstieg und Untergang des Eastman Kodak-Konzerns, der exemplarisch für den Umbruch steht, dem die Fotografie an ihrem Übergang vom Analogen zum Digitalen ausgesetzt war. Dieser Umbruch erscheint bei Bizumic ebenfalls als Aufeinanderprallen von Material und Repräsentation, als fragile Kombinatorik von materiellen wie bildlichen Zitaten, zugleich mit ihrer Auflösung bis hin zur Neuzusammensetzung geschredderter Bilder. Dabei steht die Arbeit »am Rand ihrer eigenen Auflösung, vielleicht zum Teil wieder akribisch zusammengesetzt wie in einem schlechten Spionagefilm, vielleicht auch – poetischer – im Davonfliegen fixiert, gerade bevor sich die Teile in alle Winde zerstreuen, fast wie ein Schnappschuss«.
Stephan Keppels Beitrag geht auf einen New York-Aufenthalt im Herbst 2015 zurück, bei dem er gemeinsam mit dem Autor des seinen Beitrag begleitenden Essays, Taco Hide Bakker, durch die Stadt streifte. Das Urbane und Semi-Urbane steht seit vielen Jahren im Mittelpunkt seines Interesses, die Peripherie des Städtischen, die er allerdings nicht räumlich denkt, sondern als eine Ordnung, die den gesamten Stadtraum vertikal durchzieht. Das Ornamental-Banale, das Zufällige, Verachtete, findet sich als urbane Textur an jedem beliebigen Ort. »Alles endet zwangsläufig als Geschichte, Film oder Buch. Heutzutage wohl unweigerlich als Bild«, schreibt Taco Hidde Bakker, also in einem Prozess der Umwandlung, Übersetzung, Reorganisation und Restrukturierung.
Diese Momente der Be- und Umarbeitung des Fotografischen finden sich in allen Arbeiten der hier vorgestellten KünstlerInnen. Ist es bei Keppel das Bild, das potenziell zum Text wird, oder bei Specker potenziell zum Film oder bei Meskhishvili potenziell zur Montage der Materialien des Visuellen oder bei Bizumic zum Material einer politischen Geschichte des Bildes – zumeist liegt alles offen zutage und ist doch komplex angereichert durch die Materialität der Darstellung und ihrer Kontexte. Die Zeitgenossenschaft des fotografischen Bildes liegt vielleicht in dieser Kapazität der Anreicherung und Aufladung seiner zahlreichen Oberflächen, sei es analog oder digital, oder, wie zumeist, in einer recht undefinierten Zone des Übergangs zwischen beidem.
Insofern handelt diese Ausgabe auch von Überschreitungen, von Transformationen, Überlagerungen, vom Übertreten des einen ins andere. Aus diesem Grund haben wir uns entschlossen, auf dem Cover das Cover eines Buches zu reproduzieren. Heidi Speckers re-prise nimmt dabei das Buch Ci-Contre von Moï Wer aus den frühen 1930er Jahren als Vorlage, um ihre eigenen Bilder in diesen Entwurf einzuschleusen. Die Aneignung und das teilweise Überschreiben als Zeitschriftencover scheint uns die Fragilität dessen, was gezeigt wird, und was der Fotografie zugemutet werden kann, auf einen ambivalenten Punkt zu bringen.
Omar Kholeif, den wir bereits 2014 zu einem Essay über die Arbeit der palästinensischen Künstlerin Shuruq Harb eingeladen haben und der im August 2015 als Jurymitglied maßgeblich an der Zuerkennung des Camera Austria-Preises für zeitgenössische Fotografie der Stadt Graz an Annette Kelm beteiligt war, beginnt mit dieser Ausgabe die Kolumne des Jahres 2016, deren ersten Teil er der Frage widmet: »Was ist eine Ästhetik des Internets?« Jedenfalls, so schreibt er, sei diese im Begriff, die Beschränkungen der Bildschirme zu überschreiten und zu einem wesentlichen Teil des Realen zu werden.
Reinhard Braun
und das Camera-Austria-Team
März 2016
Bildmaterial
Die honorarfreie Veröffentlichung ist nur in Zusammenhang mit der Berichterstattung über die Ausstellung und die Publikation gestattet. Wir ersuchen Sie die Fotografien vollständig und nicht in Ausschnitten wiederzugeben. Bildtitel als Download unter dem entsprechenden Link.