Presseinformationen
Susanne Kriemann
Ray, Rock, Rowan
(Being a Photograph)
Infos
Pressevorbesichtigung
7.3.2025, 11:00
Eröffnung
7.3.2025, 18:00
Zeitraum
8.3.–18.5.2025
Öffnungszeiten
Di – So und an Feiertagen
10:00 – 18:00
Mit einer Videoarbeit von
Aleksander Komarov
Szenografie
Leia Walz
Kuratiert von
Margit Neuhold

Pressetext
»Wie können wir die Instrumente der Moderne gegen die Schrecken des Fortschritts einsetzen, um andere Welten sichtbar zu machen, die von diesem ignoriert oder beschädigt wurden? Das Leben in einem Zeitalter planetarer Katastrophen beginnt daher mit einer Übung, die einen in gleichem Maße demütig macht wie sie schwierig ist: der Wahrnehmung der uns umgebenden Welten.«¹ Im Kollektiv hat Anna Lowenhaupt Tsing diese Zeilen verfasst, die in der künstlerischen Praxis Susanne Kriemanns nachhallen. Dort, wo sich die globalen Auswirkungen der Extraktion und des menschlichen Handelns auf unserem Planeten manifestieren, setzt ihr künstlerisches Werk ein: Mit unterschiedlichen Methoden – wobei das fotografische Bild im Zentrum steht – spürt sie dem geologischen und pflanzlichen Material ausgebeuteter und traumatisierter Landschaften nach, um mehr als menschliche Welten zu befragen und den anthropozentrischen Blick zu destabilisieren. Mit einem inhaltlichen Schwerpunkt auf (nukleare) Extraktion und deren Nachwirkungen bringt Susanne Kriemanns Einzelausstellung fotografische Arbeiten, Archivmaterialien, Literatur und gefundene Objekte zu einem speziell für Camera Austria entwickelten Environment zusammen und gibt einen Einblick in ihr umfangreiches und komplexes Schaffen der vergangenen zehn Jahre.
Die denkmalgeschützte Architektur des Eisernen Hauses, des gusseisernen Skelettbaus aus dem Jahr 1848, bildet in der von Leia Walz erarbeiteten Szenografie den Resonanzraum der Ausstellung. Die räumliche Inszenierung von Hey Monte Schlacko, dear Slagorg (seit 2024)² vereint eine Videoinstallation von Aleksander Komarov und eine sich ausbreitende wandfüllende Collage aus unterschiedlichen Textilien und Prints, die Gestein und karge Vegetation zeigt. Die Arbeit nimmt ihren Ausgangspunkt in der zwischen 1900 und 1930 aufgeschütteten Schlackenhalde auf dem Haardter Berg am Rand der nordrhein-westfälischen Stadt Siegen. Auf dem schwermetallhaltigen Boden hat sich seit der Stilllegung der Bremer Hütte vor rund hundert Jahren kaum mehr als Haldenvegetation angesiedelt. Jedoch als Naturschutzgebiet ausgewiesen, ist er zu einem Refugium gefährdeter Arten geworden: Neben Adlerfarn und Vogelbeere listet das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen rund sechzig unterschiedliche Pflanzenarten.³
Hey Monte Schlacko, dear Slagorg steht am Anfang des Environments bei Camera Austria, wodurch der Umgang der mehr als menschlichen Welten mit den Folgen des Anthropozäns in den Blick gerät: Aufnahmen der Schlacken-Geografie, deren Vegetation sowie unterschiedliche Gesteinskörper wanden sich zuvor um das seit ungefähr eineinhalb Jahren leerstehende Galeria Karstadt-Gebäude im Siegener Stadtzentrum – eine Ruine der überhitzten Konsumgesellschaft. Immer noch mit Kaufhaus-Interieur und Rolltreppe ausgestattet, mutierte die Fassade in ihren Überlagerungen und Schichtungen zu einem Schlacken-Organismus mit Schuttvegetation. Marcia Bjornerud schreibt, dass Geolog*innen Gesteine und Landschaft als Palimpsest wahrnehmen, »[ä]hnlich haben sich überall auf der Erde Spuren früherer Epochen in Geländekonturen und den ihnen unterliegenden Gesteinen erhalten, selbst dort, wo sie mit neuen ›Texten‹ überschrieben wurden.«4 Sie arbeiten mit Material der Tiefenzeit und bereiten zugleich den Boden für Künftiges.
In Hey Monte Schlacko, dear Slagorg schreiben sich Geografie und Material ein und schreiben die Arbeit zugleich auch fort. Das ursprünglich das Galeria Karstadt-Gebäude umhüllende Material durchlief Prozesse der Umgestaltung, der Erweiterung, der Erneuerung: Prints eines auf kargem moosigem Boden angesiedelten Gemeinen Natternkopfs, eines rosa blühenden Wasserdosts oder eines samenausbildenden Habichtskrauts klebten zuvor an einem Schaufenster und wurden nun für Camera Austria gerahmt oder aber, es fanden eigens für Camera Austria angefertigte Prints bestehende Rahmen in Graz. Material schichtet und verschiebt sich. Verflochten waren und sind diese Bilder mit einem Siegener Archiv aus der Zeit, zu der der Erzabbau sein Ende nahm. Ein langes Band mit Otto Arnolds Schwarz-Weiß-Aufnahmen seltener Pflanzen war an die Fassade kaschiert. Nicht nur zeitlich, auch geografisch steht die Installation im Dialog: Aleksander Komarovs Arbeit über die Ruderalvegetation einer traumatisierten Landschaft des ukrainischen Kriegsgebiets in Charkiw stellt hier mehrfache ökologische Zerstörung in den Vordergrund. Pflanzen reagieren auf ihre Umwelt, zeigen Verhaltensweisen und sind im Austausch. Was könnte es also bedeuten, Pflanzen nicht als Wissensobjekte, sondern als Wissensträger zu betrachten und sie somit als Mitwirkende an Schöpfungsprozessen und nicht länger als verwendetes Rohmaterial zu begreifen?
Susanne Kriemann versteht die Welt als »analoges Aufzeichnungssystem« für von Menschen initiierte Prozesse, die schleichende Veränderungen der Ökosysteme herbeiführen und sich in unterschiedliche Geografien einschreiben. Ins Zentrum rückt eine Auseinandersetzung mit Rohstoffabbau, der Umgang mit zurückgelassenen Landschaften und dem, was Rob Nixon »schleichende Gewalt« (Slow Violence) nennt, »eine Gewalt, die nach und nach und außer Sichtweite vonstatten geht, eine Gewalt verzögerter Zerstörung, die sich über Raum und Zeit verteilt, eine zersetzende Gewalt, die üblicherweise gar nicht als Gewalt wahrgenommen wird.«5 Erzählungen über die langsame Anhäufung von Giftstoffen in Luft und Boden oder das zunehmende Artensterben aufgrund zerstörter Lebensräume stehen im Gegensatz zu jener Gewalt, die überraschend oder plötzlich passiert und spektakuläre Bilder liefert. Wie lassen sich diese stets voranschreitenden Umweltkatastrophen abbilden oder wie können wir jene Bedingungen, die unsere Lebensverhältnisse allmählich verschlechtern, darstellen? Wie lässt sich die Aufmerksamkeit auf formlose und unsichtbare Bedrohungen lenken, die wenig spektakulär sind, aber langfristige und spürbare Auswirkungen haben?
Die Szenografie des Hauptraums fasst die langjährige und intensive Beschäftigung Susanne Kriemanns mit Radioaktivität. Seit 2015 arbeitet sie in unterschiedlichen Zyklen der umfassenden Werkgruppe Pechblende daran, die für das menschliche Auge unsichtbare radioaktive Strahlung erfahrbar zu machen. Aus diesem radioaktiven Mineral, auch Uraninit genannt, gelang es Martin Heinrich Klaproth im Jahr 1789, Uran zu isolieren. Im Klaproth cycle (seit 2024) arbeitet Kriemann unter anderem mit dem kameralosen Verfahren des Autoradiogramms: Hierbei »belichten« radioaktive Nuklide der Pechblende das Negativ. Auf dem tiefschwarzen Grund der Blätter hebt sich im Laufe der sieben Tage dauernden Belichtungszeit eine schemenhafte Form aus dem Gestein ab, die nicht wirklich beschreibbar ist, aber viele Assoziationen evoziert: möglicherweise ein Gesicht eines unsichtbaren Wesens, ein Mondgesicht oder Geschöpfe der Tiefsee, womöglich auch Geister eines anderen Erdzeitalters, von denen Anna Lowenhaupt Tsing im Kollektiv schreibt: »Während der Fortschritt uns gelehrt hat, voranzuschreiten und einem Scheitelpunkt am Horizont entgegenzublicken, zeigen die Geister verschiedene unbändige Zeitlichkeiten auf.«6 Im Nachdenken über der Zeit eingeschriebene Politiken der Sichtbarkeit hat Kriemann diesen Zyklus für Camera Austria erweitert: Sie zeigt hier mittels Pechblende im Berliner Museum für Naturkunde belichteten getrockneten Ginster und Farn (aus dem französischen ehemaligen Uranabbaugebiet bei Limoges), der wie Adern scheinende Linien zutage brachte.
Die Entdeckung der Radioaktivität ist mit fotografischen Prozessen verbunden: Henri Becquerel erkannte sie im Jahr 1896, als von ihm auf einer Fotoplatte platziertes Uransalz trotz Aufbewahrung im Dunkeln einen Abdruck hinterließ. Folgenreicher war ein Versehen in einer Schublade, in der eine Uran-Schwefel-Verbindung auch ein Kupferkreuz auf einer Glasplatte nach zufälligem Entwickeln in Umrissen sichtbar machte.7 Bis zur Entdeckung der radioaktiven Strahlung durch die deutschen Chemiker Otto Hahn und Fritz Strassmann sollte es aber noch bis 1938 dauern.
In Sachsen und Thüringen wurde Pechblende nach dem Zweiten Weltkrieg in großem Stil abgebaut und trug wesentlich zur atomaren Aufrüstung und zum Atomwaffenprogramm der UdSSR bei. Die Wismut AG (später SDAG Wismut) machte das Erzgebirge zur viertgrößten Uranabbaustätte der Welt und produzierte in den Jahren zwischen 1947 und 1990 230 400 Tonnen Uran.8 Geblieben ist ein kontaminiertes und verstrahltes Areal: Grundwasser und Boden und aus den Abraumhalden ausströmendes Radon, welches vom Wind vertragen wird. Die Umweltschäden sind immens: Nach Jahrzehnten technisch aufwendiger Renaturierungsprojekte müssen die ehemaligen Urangruben auch künftig überwacht und Ewigkeitsaufgaben geleistet werden; die, um die Wasserqualität auch für kommende Generationen zu sichern, unendlich laufenden Wasserpumpen sind aus der Erzählung um Atomenergie gänzlich ausgeschlossen.
Seit 2016 arbeitete Susanne Kriemann mit einem Team von Forschenden der Friedrich-Schiller-Universität Jena, die die hochgradig kontaminierten Böden der Wismut Uranabbaustätten untersuchen. Wilde Möhre, Falsche Kamille, Bitterkraut (seit 2016) zählen zu jenen Pflanzen, die gemeinsam mit Mykorrhizae am erfolgreichsten Regenerationsprozesse durchführen, indem sie Schadstoffe aus dem Boden extrahieren und speichern: In den geernteten Exemplaren konnten Cäsium-137 (Halbwertszeit 30 Jahre), Uran-235 (Halbwertszeit 703,8 Millionen Jahre), aber auch Aluminium, Blei, Gadolinium, Germanium, Kupfer, Nickel, Lanthanum, Quecksilber, Zink und anderes nachgewiesen werden. Susanne Kriemann stellte mit den aus den genannten Pflanzen gewonnenen Staubpartikeln das Pigment ihrer Heliogravüren her; somit sind die toxischen Elemente dem Werk eingeschrieben, dessen zurückhaltende Farbigkeit im Sonnenlicht langsam verblasst.
Susanne Kriemann ist mit unterschiedlichen Geografien des Uranbergbaus, seinen kontaminierten Landschaften (in Deutschland, Frankreich, Kanada, den USA, der Ukraine) und seinen In-frastrukturen (zahlreiche Museen, Forschungseinrichtungen und Archive) vertraut. Vergangenes Jahr begann sie die Werkgruppe Lupin, fougère, genêt (Lupine, Farn, Ginster, seit 2024) zu realisieren, die im Gebiet um Limoges, wo der französische Uranabbau begann und zwischen 1948 und 2001 intensiv betrieben wurde, ihren Ausgang nimmt. Nach der Schließung wurden die Minen mit Wasser geflutet. Die entstandenen künstlichen Seen verwandelten die Landschaft, die nun neben einer Uranabfalllagerstätte auch ein interaktives, Nukleartechnologie rühmendes Museum beherbergt. Vor allem die Vegetation entlang des Wassers hat die Kontamination verstoffwechselt, wie die dort wachsenden Pflanzen Lupine, Farn und Ginster zeigen. In ihren großformatigen Collagen verdichtet Kriemann Aufnahmen dieses Geländes; daneben entstanden Fotogramme der die Werkgruppe benennenden Pflanzen, die sie mit dem Smartphone belichtete, oder Radiografien, die deren »Skelette« sichtbar machen.
Die mit kontaminierten pflanzlichen Stoffen und Erde gefärbten Bahnen aus Rohseide (Canopy, canopy, seit 2018), die den Hauptraum der Ausstellung strukturieren und zugleich Teile des umfassenden Zyklus der Library for radioactive afterlife (seit 2015) sind, lenken das Augenmerk auch auf Susanne Kriemanns forschende Arbeitsweise und ihre umfangreiche Bibliothek: Publikationen mit unterschiedlichen Erzählungen zu Radioaktivität, den Manifestationen einer anthropozentrisch ausgerichteten Moderne, deren verhängnisvolle Auswirkungen sich über unterschiedliche Zeitspannen erstrecken, und deren sich aus der schleichenden, zersetzenden Gewalt der Umweltkatastrophe ergebende relative Unsichtbarkeit. Zuletzt sind diese Auswirkungen wieder zu Beginn des russischen Angriffskriegs sichtbar geworden, der die Gebiete um den 1986 havarierten Reaktorblock 4 des Wladimir-Iljitsch-Lenin-Kernkraftwerks in Tschornobyl in den Blick rückte: Der Einmarsch der russischen Truppen und deren Stationierung im Roten Wald, der zu den verstrahltesten Orten weltweit zählt, wirbelte radioaktive Staubpartikel auf, die sich erneut auf den Weg machten, um immer weiter getragen zu werden, jegliche Grenzen überschreitend.
Das im Titel erwähnte »Being a Photograph« ist angeregt von Robin Wall Kimmerers Sprachverständnis in der Publikation Geflochtenes Süßgras (2013/2021).
Margit Neuhold
¹ Anna Lowenhaupt Tsing, Nils Bubandt, Elaine Gan u. a., »Introduction«, in Arts of Living on a Damaged Planet. Ghosts and Monsters of the Anthropocene, Minneapolis: University of Minnesota Press 2017, M7.
² Im Rahmen des »Artist in Residence Siegen«-Programms der Universität Siegen und des Museum für Gegenwartskunst Siegen präsentierte Susanne Kriemann Hey Monte Schlacko, Dear Slagorg vom 23. 10. – 31. 12. 2024.
³ Vgl. Naturschutzgebiete und Nationalpark Eifel in NRW; Naturschutzgebiet Schlackenhalde Monte Schlacko (SI-105), Lebensräume und Arten, https://nsg.naturschutzinformationen.nrw.de/nsg/de/fachinfo/gebiete/gesamt/SI-105 [Zugriff 7.1.2025].
4 Marcia Bjornerud, Dirk Höfer, Zeitbewusstheit. Geologisches Denken und wie es helfen könnte, die Welt zu retten, Übers. Dirk Höfer, Berlin: Matthes & Seitz 2022, S. 32.
5 Rob Nixon, Slow Violence and the Environmentalism of the Poor, Cambridge: Harvard University Press 2013, S. 2.
6 Anna Lowenhaupt Tsing u. a., Arts of Living on a Damaged Planet, G7.
7 Vgl. Siobhan Angus, Camera Geologica. An Elemental History of Photography, Durham: Duke University Press 2024, S. 111–113.
8 Vgl. Susanne Kriemann, Eva Wilson, Supplement. Exclusion Zones, hrsg. von Jeff Khonsary, Vancouver: Fillip 2017, S. 23.
Susanne Kriemann ist Künstlerin und Professorin für künstlerische Fotografie an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe (DE). Seit 2010 organsisert sie mit Aleksander Komarov ABA – AiR Berlin Alexanderplatz (DE). Ihre Arbeiten wurden international ausgestellt, u.a. The Wattis Institute, San Francisco (US); Kunsthalle Wien (AT); Stedelijk Museum Amsterdam (NL); C/O Berlin; MK&G Hamburg (DE); Diriyah Biennial Riyadh (SA), 11. Shanghai Biennial (CN), 10. und 11. Gothenburg International Biennials (SE), 2. Karachi Biennale (PK), 5. Moskau Biennale (RU) und 5. Berlin Biennale. Seit 1998 sind 18 Künsterinnenbücher von Susanne Kriemann erschienen.
Die Ausstellung wird von einem englischsprachigen, in der Edition Camera Austria erscheinenden Reader begleitet, der Autorinnen versammelt, die für die Arbeit von Susanne Kriemann einen Referenzrahmen bilden: Siobhan Angus, Bernadette Bensaude-Vincent, Zippora Elders, Daisy Hildyard, Bhanu Kapil, Kyveli Mavrokordopoulou, Lisa Rosendahl. Buchgestaltung: James Langdon.
Bildmaterial
Die honorarfreie Veröffentlichung ist nur in Zusammenhang mit der Berichterstattung über die Ausstellung und die Publikation gestattet. Wir ersuchen Sie die Fotografien vollständig und nicht in Ausschnitten wiederzugeben. Bildtitel als Download unter dem entsprechenden Link.