Camera Austria International
164 | 2023
- ANNIKA TOOTS
Das langsame Gedächtnis der Meere - KRISTINA ÕLLEK
- KYVELI MAVROKORDOPOULOU
Zu Atem und einem Bild kommen - ANAÏS TONDEUR
- DUNCAN WOOLDRIDGE
An der Schwelle zum Unsichtbaren - LAURE WINANTS
- TACO HIDDE BAKKER
Vom Meer in die Dunkelkammer - CLAUDIA ROHRAUER
Vorwort
Die voranschreitende Klimakatastrophe fragt auch nach den ökologischen Bedingungen der fotografischen Produktion und macht dies aktuell zum Ausgangspunkt zahlreicher Ausstellungen, Publikationen und Diskussionen. So haben die Zusammenhänge um die Produktion von Fotografien und die Umweltschäden, die mit der Entwicklung des Mediums – sowohl in analoger als auch digitaler Form – einhergehen, zuletzt erhöhte Aufmerksamkeit erlangt. Die in dieser Ausgabe von Camera Austria International vorgestellten Künstlerinnen bewegen sich teils schon lange und jeweils auf ganz eigene, stets poetische Weise innerhalb dieses Felds und machen Prozesse sichtbar, die dem menschlichen Auge üblicherweise verborgen bleiben.
Volltext →Camera Austria International 164 | 2023
Vorwort
Die voranschreitende Klimakatastrophe fragt auch nach den ökologischen Bedingungen der fotografischen Produktion und macht dies aktuell zum Ausgangspunkt zahlreicher Ausstellungen, Publikationen und Diskussionen. So haben die Zusammenhänge um die Produktion von Fotografien und die Umweltschäden, die mit der Entwicklung des Mediums – sowohl in analoger als auch digitaler Form – einhergehen, zuletzt erhöhte Aufmerksamkeit erlangt. Die in dieser Ausgabe von Camera Austria International vorgestellten Künstlerinnen bewegen sich teils schon lange und jeweils auf ganz eigene, stets poetische Weise innerhalb dieses Felds und machen Prozesse sichtbar, die dem menschlichen Auge üblicherweise verborgen bleiben.
Unter Bezugnahme auf die Ende der 1960er-Jahre revolutionär gewordenen Aufnahmen der Erde als blaue, aus dem All aufgenommene »Murmel« arbeitet Annika Toots heraus, wie Kristina Õllek dieser distanzierten, für die Umweltbewegung lange Zeit prägenden Sicht auf die Welt eine Herangehensweise entgegensetzt, die kleinste Partikel und Organismen in den Blick nimmt. In ihrem Œuvre dringt die Künstlerin immer weiter in Bereiche vor, die dem menschlichen Auge verborgen sind: »Kristina Õlleks Kunst ist tief verwurzelt in solchen Fragen der Repräsentation im digitalen Zeitalter. Doch im Laufe der Jahre hat sich eine Schicht aus Meerwasser, Kalkstein, Metall, Ton, Bioplastik, Meersalzkristallen, Fossilien und anderen organischen Materialien gebildet – Ablagerungen, die von ihrer Auseinandersetzung mit Themen wie Begehren, Zeit und den Auswirkungen des Anthropozentrismus auf unsere ›blaue Murmel‹ zeugen.«
Auch Anaïs Tondeur widmet sich der Sichtbarmachung flüchtiger, zumeist enschenverursachter Phänomene, die sie in interdisziplinären Zusammenhängen und experimentellen fotografischen Prozessen zu fassen sucht. »Im Vordergrund ihrer Praxis stehen schwer fassbare Phänomene des Klimas (aber auch unser selbst), nämlich radioaktive Spuren, Rußpartikel, vergehende Pflanzen, ein prähistorischer Geruch, menschliche Tränen. Sie alle verweisen auf die komplizierte Untrennbarkeit unserer Körper und der Welt«, wie Kyveli Mavrokordopoulou in ihrem Text über die Künstlerin schreibt. Immer wieder kommt Tondeur dabei auf historische fotografische Materialien und Verfahren zurück, die sie für ihre Projekte adaptiert; in anderen Arbeiten, wie in dem aktuellen Projekt Soils Testimony (2023), geht es ihr darum, durch die Firma Kodak mit Silber, Plastik und Brom kontaminierte Böden in Vincennes bei Paris in fotografische Arbeiten zu überführen.
Ausgehend von Laure Winants’ aktuellem Projekt Words from a Tongue We Are Losing (2023, im Austausch mit dem Künstler Patrick Blenkarn) untersucht Duncan Wooldridge, was es bedeutet, in der Arktis mit einem transdisziplinären Team zu forschen und fotografische Bilder zu produzieren. In ihrer multimedialen und kollaborativen Praxis knüpft die Künstlerin an eine lange wissenschaftliche Tradition an, die optischen und leuchtenden Erscheinungen dieser Region einzufangen und die Zusammenhänge der Ökosysteme zu befragen. »So wird noch einmal deutlich, dass Bilder aus einer Gemengelage von Empfindlichkeiten heraus entstehen: unseren eigenen, denen des Apparats und denen jenseits der menschlichen Sphäre. Wir sind ein Teil, der zum Werden des Bildes beiträgt.«
Taco Hidde Bakker sieht Claudia Rohrauers Arbeitsweise als eine, die »Theorie und Praxis bis hin zum kleinsten sichtbaren Körnchen zu verbinden« scheint. »Es ist, als manifestierte sich die produktive (und manchmal auch kontraproduktive) Reibung zwischen den beiden in dieser ungefähren Überlagerung wie ein Moiré-Effekt.« Davon ausgehend entspinnt sich das Gespräch zwischen Bakker und Rohrauer um nachhaltige Dunkelkammerpraktiken entlang einer sich noch im Prozess befindenden Werkgruppe aus Algenphytogrammen, die dieser Arbeitsweise eingeschriebene Verschiebung des Verhältnisses von Planbarkeit in Richtung Zufall – »Das Unerwartete und Unkontrollierbare ist natürlich wesentlich für den künstlerischen Prozess und die Entwicklung des Werks«, so die Künstlerin.
Margit Neuhold, Christina Töpfer
November 2023
Cover: Laure Winants, Detail aus: Fieldwork in the Arctic, 2023. Dichroitische Filter und Lichtsensoren.
Beiträge
Forum
Vorgestellt von der Redaktion
Fabio Cian
Lena Kunz
Maggie Shannon
Io Sivertsen
Davide Degano
Lena Baloch
Ausstellungen
Mary Ellen Mark: Encounters
C/O Berlin, 16. 9. 2023 – 18. 1. 2024
CAROLIN FÖRSTER
The Other: Re-Imagine the Future
Kunsthaus Graz, 28. 9. 2023 – 18. 2. 2024
ROSE-ANNE GUSH
die Wissen
Taxispalais – Kunsthalle Tirol, Innsbruck, 8. 7. – 8. 10. 2023
LISA BRITZGER
FOTOTECHNIKA III
Photoforum Pasquart, Biel, 9. 9. – 19. 11. 2023
PAULA STOICA
Sin Wai Kin: Dreaming the End
Fondazione Memmo, Rome, 4. 5. – 29. 10. 2023
ASHIK und KOSHIK ZAMAN
Rafał Milach: The Archive of Public Protests
Museum Folkwang, Essen, 22. 9. 2023 – 1. 1. 2024
RADEK KROLCZYK
All New Photography Centre at the V&A
Energy: Sparks from the Collection
Victoria & Albert Museum South Kensington, London, 25. 5. 2023 – 20. 4. 2024
PAUL MELLENTHIN
Fritz Schleifer Photographs: Coastal Lands
Alfred Ehrhardt Stiftung, Berlin, 16. 9. – 23. 12. 2023
MAX L. FELDMAN
Ocular Witness – Schweinebewusstsein
Sprengel Museum Hannover, 23. 8. – 5. 11. 2023
SUSANNE HOLSCHBACH
Handle with Care
Ludwig Museum, Budapest, 15. 9. 2023 – 14. 1. 2024
CHRISTIN MÜLLER
Die Dialektik der Moderne
steirischerherbst’23: Humans and Demons
Verschiedene Orte, Graz und Umgebung, 21. 9. – 15. 10. 2023
RAIMAR STANGE
Curated by: The Neutral
Various venues, Vienna, 12. 9. – 14. 10. 2023
KHANYA MASHABELA
Image Ecology
C/O Berlin, 16. 9. 2023 – 18. 1. 2024
RICA CERBARANO
Jessie Kleemann: Running Time
SMK – The National Gallery of Denmark, Copenhagen, 28. 8. – 26. 11. 2023
Jessie Kleemann: Lá. Læ. Likkja. Magna
Rønnebæksholm, Copenhagen, 19. 8. – 29. 10. 2023
FRIDA SANDSTRÖM
Bücher
Lighting the Archive mit Mike Sperlinger, Objekte in der Zeit
DISTANZ Verlag, Berlin 2023
RUTH HORAK
Salih Basheer, 22 Days in Between
Disko Bay, Copenhagen, 2023
EVA MARIA OCHERBAUER
Jürgen Beck, Sun Breakers
Spector Books, Leipzig 2023
ANKE DYES
Peter Geimer, Theorie der Fotografie Band V, 1995–2022
Schirmer/Mosel, München 2023
PETER KUNITZKY
Re-Readings
Paralleles Denken: Walter Benjamin
REINHARD BRAUN und MARC RIES
Impressum
Verein CAMERA AUSTRIA. Labor für Fotografie und Theorie.
Verlag, Eigentümer: Verein CAMERA AUSTRIA. Labor für Fotografie und Theorie.
Lendkai 1, 8020 Graz, Österreich
Chefredaktion: Christina Töpfer.
Redaktion: Margit Neuhold.
Übersetzer*innen: Dawn Michelle d’Atri, Wilfried Prantner, Philipp Rühr, Clemens Ruthner, Andrea Scrima, Sabine Weier.
Englisches Lektorat: Dawn Michelle d’Atri.
Dank: Taco Hidde Bakker, Lena Baloch, Felix Bielmeier, Fabio Cian, Davide Degano, Waltraud Dennhardt-Herzog, Corinne Futterlieb, Marion Kagerer, Jelena Kaludjerovic, Lena Kunz, Anna-Maria Leichtfried, Boaz Levin, Kyveli Mavrokordopoulou, Simone Nieweg, Kristina Õllek, Lukas Pieper, Peter Piller, Claudia Rohrauer, Charlotte Safar, Maggie Shannon, Io Sivertsen, Rudolf Steiner, Katja Tallner, Anaïs Tondeur, Annika Toots, Laure Winants, Duncan Wooldridge.
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