Camera Austria International
77 | 2002
- SHINO KURAISHI
Membran der Stadt und Architektur: Die Fotografien von Takashi Homma - TAKASHI HOMMA
- JAN VERWOERT
Gegenwelt Pferdehof: Zu den Fotografien von Alexandra Vogt - ALEXANDRA VOGT
- MARTIN PRINZHORN
Manfred Willmann: Ideologiekritik - MANFRED WILLMANN
- KRYSTIAN WOZNICKI
Rhetorik des Kontrollverlusts - MANUEL OLVEIRA
Herman Asselberghs_Els Opsomer_Rony Vissers: Mondophrenetic TM. Sag, woher kommst du eigentlich?
- ROLF SACHSSE
BILD - HAUT - NETZ. Feuchte Fotografie: Schleimhaut und Blitz
Vorwort
In seinem Essay zu den Arbeiten von Manfred Willmann weist Martin Prinzhorn gleich zu Beginn auf das schwierige Verhältnis zwischen Stadt und Land in der zeitgenössischen Kunstproduktion hin: Das Land vermöge in der Regel den Dialog mit der übrigen urbanen Kultur nicht aufzunehmen oder aber halte nur als Projektionsfläche für ganz andere Sehnsüchte und Ängste der Mainstream-Kultur hin. Gleichwohl haben wir in dieser Ausgabe Künstler und Künstlerinnen zu Beiträgen eingeladen, die mit ihren Arbeiten unter anderem gerade dieses Verhältnis reflektieren. Willmanns Arbeit steht in diesem Zusammenhang exemplarisch für die Enthüllung des, wie Prinzhorn sagt, fantastischen Charakters der konstruierten Gegensätze zwischen „Stadt“ und „Land“: genauso wenig wie es heute möglich erscheint, eine Konstruktion „Stadt“ durch eine Anhäufung von Stereotypen (von denen „moderne Kunst“ sicher eine ist) zu repräsentieren, hält als Gegengewicht die Konstruktion „Land“. Mit seinen Aufnahmen vom Land – Fotografien, die in einem Zeitraum von über zehn Jahren entstanden sind – verfolgt Willmann eine Strategie, die es ihm erlaubt, die vielen ideologischen Fallen, die das Thema in sich trägt, durch die Fokussierung auf Details zu umgehen. Diese Arbeitsweise macht es dem Betrachter schwer, das harmonische Ganze, das das Konstrukt Land ausmacht, zu rekonstruieren.
Volltext →Camera Austria International 77 | 2002
Vorwort
In seinem Essay zu den Arbeiten von Manfred Willmann weist Martin Prinzhorn gleich zu Beginn auf das schwierige Verhältnis zwischen Stadt und Land in der zeitgenössischen Kunstproduktion hin: Das Land vermöge in der Regel den Dialog mit der übrigen urbanen Kultur nicht aufzunehmen oder aber halte nur als Projektionsfläche für ganz andere Sehnsüchte und Ängste der Mainstream-Kultur hin. Gleichwohl haben wir in dieser Ausgabe Künstler und Künstlerinnen zu Beiträgen eingeladen, die mit ihren Arbeiten unter anderem gerade dieses Verhältnis reflektieren. Willmanns Arbeit steht in diesem Zusammenhang exemplarisch für die Enthüllung des, wie Prinzhorn sagt, fantastischen Charakters der konstruierten Gegensätze zwischen „Stadt“ und „Land“: genauso wenig wie es heute möglich erscheint, eine Konstruktion „Stadt“ durch eine Anhäufung von Stereotypen (von denen „moderne Kunst“ sicher eine ist) zu repräsentieren, hält als Gegengewicht die Konstruktion „Land“. Mit seinen Aufnahmen vom Land – Fotografien, die in einem Zeitraum von über zehn Jahren entstanden sind – verfolgt Willmann eine Strategie, die es ihm erlaubt, die vielen ideologischen Fallen, die das Thema in sich trägt, durch die Fokussierung auf Details zu umgehen. Diese Arbeitsweise macht es dem Betrachter schwer, das harmonische Ganze, das das Konstrukt Land ausmacht, zu rekonstruieren.
Ähnlich entideologisierend arbeitet der japanische Fotograf Takashi Homma: Seine Darstellungen unter anderem von japanischen Vorstädten in seiner Arbeit „Tokyo Suburbia“ entstehen nicht mit der Absicht, die Vorstadt als einen Ort entwurzelten, temporären Lebens zu zeigen, assoziiert mit den klassischen sozialen Phänomenen und mit der typischen künstlerischen „high-brow-sensibitliy“ für die Häßlichkeit und dehumanisierte Umwelt der Vorstädte, die irgendwo zwischen Natur und Künstlichkeit angesiedelt sind – im Gegenteil: Entgegen diesen traditionellen Empfindungen gegenüber der Vorstadt sei für Homma – so der Autor des diesen Beitrag begleitenden Essays, Shino Kuraishi – dieser Ort mittlerweile nichts als ein alltäglicher Raum, den man ganz einfach bewohnen kann, ohne mit bestimmten kritischen Urteilen zu intervenieren. Es gäbe in Hommas Arbeiten keinen Verweis auf ein konstruiertes Anderes – das Land etwa – das als Projektionsfläche für etwas wie beispeilsweise »Heim« herhalten könne.
Anders agieren Herman Asselsberghs, Els Opsomer und Rony Vissers, die unter anderem mit ihrer multimedialen interaktiven Rauminstallation „Mondophrenetic?“ ganz konkret die Definition, Konstruktion und Analyse der Verflechtungen einiger Grundzüge unserer Kultur aus der Perspektive ihrer unmittelbaren (urbanen) Umgebung zu analysieren versuchen. Als Künstler, Kritiker, Produzenten und Designer geht es ihnen darum, politische, ökonomische, soziologische, philosophische und informationstechnologische Aspekte in die Arbeit einfließen zu lassen und die Widersprüche unseres zeitgenössischen globalisierten Kultursystems in den Blick zu bekommen. Der urbane Raum wird dabei als depersonalisierte anonyme Typologie gelesen, deren Fundamente in den funktionalistischen Planungsfanatasien der siebziger Jahre gelegt sind.
Mit „Gegenwelt Pferdehof“ ist der Beitrag von Jan Verwoert über die Arbeiten von Alexandra Vogt betitelt, deren Werke wir im Rahmen des Projektes „Aktuelle Kunst in Graz“ im kommenden April auch in einer Ausstellung in der Galerie Camera Austria zeigen werden. Vogts Fotografien, in denen Pferde und jungen Mädchen die Hauptrolle spielen, entstehen in enger und kontinuierlicher Zusammenarbeit mit den Protagonistinnen auf dem ehemaligen „Gutshof der Englischen Fräulein“ im bayerischen Mindelheim, wo die Künstlerin lebt und arbeitet. Ihre Arbeiten sind „durch eine Spannung bestimmt“, so Verwoert, „die sich durch das Aufeinandertreffen von zwei fotografischen Ästhetiken aufbaut: der überhöhten Inszenierung einer Geschichte und der nüchternen fotografischen Abbildung. Was man sieht, lässt sich einerseits als die Dokumentation von Szenen verstehen, die sich so oder anders auf realen Pferdehöfen abspielen könnten, andererseits als die Re-Inszenierung durch Märchenbücher oder -filme vermittelter Fantasien. Gerade dieses Hin- und Herpendeln zwischen Realität und Fantasie aber kennzeichnet die Welt, die Alexandra Vogt beschreibt. Die Welt von TeenagerInnen, die im Umgang mit Pferden ihre Fantasien und Sehnsüchte ausleben. Der Pferdehof ist so zum einen ein sehr realer Ort (…) zum anderen sind der Pferdehof und die Ferien auf dem Land eine romantische Gegenwelt zum normierten Alltag in Schule und Elternhaus, mit der sich die Wunschvorstellung vom Freisein verbindet.“
Den monografischen KünstlerInnenbeiträgen haben wir auch dieses Mal wieder – in Anlehung an und loser Verbindung zu Reinhard Brauns Essay „Weil ich es mir wert bin. Spekulationen über visuelle Diskurse und Konsumkulturen“ (erschienen in Camera Austria 74/2001) – wieder einen theoretischen Beitrag zur Seite gestellt. In „Rethorik des Kontrollverlusts“ spürt Krystian Woznicki den semiotischen Folgen des 11. September 2001 nach. Nachdem mit den Angriffen auf das World Trade Center und das Pentagon zentrale Symbole des amerikanischen Selbstverständnisses getroffen worden waren, wurde Al Qaeda die Nähe markenaktivistischer Aktionen unterstellt, die sich des Zeichensystems der globalisierten Popkultur bemächtigen und gegen die bestehende Ordnung wenden. Woznicki entlarvt diese Strategien freilich als Zuschreibungen des Westens, die es nicht nur ermöglichten, Globalisierungsgegner zu kriminalisieren, sondern auch zu einem neuen Standard der Militarisierung der Zeichenökonomie führt.
Während der Arbeit an der vorliegenden Ausgabe von Camera Austria erreichte uns zunächst die Nachricht vom Tod Pierre Bourdieus, wenig später die Nachricht vom Tod Inge Moraths. Mit beiden, von uns sehr verehrten Persönlichkeiten verband uns die gemeinsame Projektarbeit, deren Ergebnisse in verschiedenen Ausstellungen im Jahre 2003 in Graz vorgestellt werden sollen. Wir bedauern zutiefst diesen Verlust und werden alles uns Mögliche unternehmen, um ihre Projekte in ihrem Sinne weiterzuführen und realisieren zu können und dem uns erwiesenen Vertrauen gerecht zu werden. Pierre Bourdieu hat seinen Arbeitsansatz zur fotografischen Dokumentation „Algérie 60“ in einem ausführlichen Interview mit Franz Schultheis in Camera Austria 75/2001 zur Diskussion gestellt – es liegt nun an uns, das umfangreiche fotografische Archiv und die vorliegenden, z. T. noch unveröffentlichten Texte Pierre Bourdieus in diesem Vorhaben zusammenzuführen und eine diesem einmaligen Projekt gerecht werdende Form der Umsetzung zu finden. Inge Moraths Tod hat uns mitten in den Gesprächen über die Konzeption der Ausstellung ihrer Fotoarbeiten überrascht, die im Jahr 2001 im österreichisch-slowenischen Grenzgebiet (mit dem sie die Herkunft ihrer Eltern verbindet) entstanden sind. 2003 wird das Projekt “Grenz.Räume” – das neben der Ausstellung dieser Fotoarbeiten einen Film über Inge Morath und ihre Arbeit sowie eine umfangreiche Buchpublikation umfasst – als ein Schwerpunkt des Programmes von Graz 2003 präsentiert werden.
Camera Austria wird in diesem Jahr an folgenden internationalen Kunstmessen teilnehmen: Armory Show, New York; SPE-Conference, Las Vegas; Art Basel; Art Forum, Berlin; Kunst Wien; Art Cologne, Köln und Art Basel Miami Beach. Wir freuen uns, hier den Austausch mit unseren LeserInnen, AutorInnen und KünstlerInnen intensivieren zu können und Ihnen bei dieser Gelegenheit unsere Künstler-Editionen im Original vorzustellen!
Christine Frisinghelli, Maren Lübbke,
Februar 2002
Beiträge
Forum
ANNE HARDY
PIETRO SANGUINETI
MACDONALDSTRAND
DORIS KRÜGER
ALEXANDER HONORY
LYDIA LENZENHOFER
MAMORU TSUKADA
JULES SPINATSCH
Ausstellungen
William Eggleston
Fondation Cartier pour l’art contemporain, Paris
ANNE BERTRAND
Liz Larner
Museum of Contemporary Art (MOCA), Los Angeles
SANDRA WAGNER
The Garry Winogrand Game of Photography
Center for Creative Photography, Tucson, Arizona, USA
MARGARET REGAN
Hans Danuser: Frost
Fotomuseum Winterthur; Scalo, Zürich / Berlin / New York
THILO KOENIG
Gebrauchswert und Eigensinn
Timm Rautert: Arbeiten.
Museum der Arbeit, Hamburg
KERSTIN STREMMEL
Bis auf den Grund der Oberfläche: Werkschau Thomas Ruff
Fotografien 1979 bis Heute
u.a. Kunsthalle Baden-Baden; Museum Folkwang Essen; Museet for Samitdskunst, Oslo
LOTHAR SCHMIDT
Dorit Margreiter – Everyday Life
Galerie im Taxispalais, Innsbruck
SØNKE GAU
Angst
Ursula Blickle Stiftung, Kraichtal; Grazer Kunstverein
ULRICH TRAGATSCHNIG
6. Internationale Fototage Herten
ANGELA ACHILLE
Hannah Villiger
Bonner Kunstverein; Kunsthalle Basel
MAGDALENA KRÖNER
24 – Positionen russischer Architekturfotografie
Moskauer Architekturmuseum; Moskauer Haus der Fotografie
HERWIG HÖLLER
Ein gusseisener Schnappschuss Jeff Walls »Lost Luggage Depot«
Kop van Zuid, Rotterdam
SVEN LÜTTICKEN
Rethorik der Überwachung von Bentham bis Big Brother: CTRL [SPACE]
ZKM, Karlsruhe
RUTH NOACK
The Waste Land. Wüste und Eis. Ödlandschaften in der Fotografie
Atelier im Augarten, Österreichischen Galerie Belvedere, Wien
SUSANNE NEUBURGER
Robert Adrian X
Kunsthalle Wien
NINA SCHEDLMAYER
DREI HAMBURGER MONOGRAFIEN
Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg: Andreas Feininger, Lotte Genzsch, Natascha A. Brunswick
BURCU DOGRAMACI
Televisions – Kunst sieht fern
Kunsthalle Wien
REINHARD BRAUN
Für die lieben Kolleginnen. Moira Zoitl
Kunstverein Wolfsburg
KARIN PERNEGGER
25. Duisburger Filmwoche
JAN VERWOERT
Boris Mikhailov: Case History. Haus der Kulturen der Welt, Berlin;
Boris Mikhailov: TV Mania. Galerie Barbara Weiss, Berlin
CHRISTIANE MEIXNER
Abbild – Recent Portraiture and Depiction
steirischer herbst, Landesmuseum Joanneum, Graz
MAREN LÜBBKE
Bücher
Linda Hentschel: Pornotopische Techniken des Betrachtens
Jonas Verlag, Marburg 2001
SIGRID ADORF
Den Foto(ge)schichten der Person zur Publikation „Cora Pongracz: Fotografie“
Galerie im Taxispalast Innsbruck / Edition Fotohof Salzburg, 2001
MARIE RÖBL
Wolfgang Zurnborn: Dressur Real
Zeit-Sprung-Edition, Potsdam 2001
WOLFGANG VOLLMER
Verwandlungen durch Licht
Rundbrief Fotografie, Sonderheft 6, Esslingen 2001
FRIEDRICH TIETJEN
Terry Eagleton: Was ist Kultur?
C.H. Beck, München 2001
RAINER METZGER
Impressum
Herausgeber, Verleger und für den Inhalt verantwortlich: Manfred Willmann. Eigentümer: Verein CAMERA AUSTRIA, Labor für Fotografie und Theorie
Alle: Sparkassenplatz 2, A-8010 Graz
Redaktion: Christine Frisinghelli, Maren Lübbke, Heidi Oswald
Assistenz: Daniel Barthmann, Eva Missenbäck, Anja Rösch
Übersetzungen: John Doherty, Wilfried Prantner, Richard Watt, Josephine Watson, Sumiko Yamakawa