Annette Kelm

Infos

Zeitraum
10.7.2009 – 13.9.2009

Eröffnung
9.7.2009, 18:00

Vortrag
8.7.2009, 18:00
Dr. Yilmaz Dziewior
„Referenz und Abstraktion im Werk von Annette Kelm“

Annette Kelm

kuratiert von Maren Lübbke-Tidow

ANNETTE KELM, aus der 3-teiligen Serie: Stars Look Back, 2006. C-print, 92,3 cm x 69 cm. Courtesy: Johann König, Berlin.

Intro

Annette Kelm (geboren 1975) nimmt mit ihren Arbeiten eine wichtige Position in der gegenwärtigen Debatte um die erweiterten konzeptuellen Strategien in der Fotografie ein. Einerseits auf die bildnerischen Konventionen der Studiofotografie zurückgreifend verweigert sie andererseits eine rein objektivierende Darstellung durch das Einschleusen von irritierenden Requisitien, die die abgelichteten Motive und ihre Bedeutung bewusst in der Schwebe halten. Ihre vordergründig sachlich wirkenden Aufnahmen oszillieren zwischen Präzision und Mehrdeutigkeit. Nach Einzelausstellungen im Witte de With, in der Kunsthalle Zürich und in den Kunstwerken Berlin stellt Annette Kelm erstmals ihre Fotografien in Österreich aus.

Volltext

Annette Kelm

Nach ersten institutionellen Einzelausstellungen im Witte de With in Rotterdam, in der Kunsthalle Zürich sowie aktuell in den Kunst-Werken Berlin freuen wir uns, Ihnen die Arbeit der in Berlin lebenden Künstlerin Annette Kelm (geb. 1975) erstmals in Österreich vorzustellen. Nachdem das in einem erweiterten künstlerischen Kontext entstandene Werk bislang weitgehend medienunabhängig rezipiert wurde, soll die Ausstellung in Graz zugleich dazu beitragen, es in eine fotografiespezifische Debatte hineinzuholen und Kelms exzeptionellen Umgang mit ihrem Medium herauszuarbeiten.
Mit bestechender Präzision greift die Künstlerin mit den Mitteln der Fotografie bildnerische Konventionen auf. Sie zitiert das Genre des Stillleben ebenso wie das der Objekt- und Studiofotografie, Architekur- und Landschaftsaufnahmen ergänzen das umfangreiche Oeuvre. Mit einem methodisch streng formalisierten Zugriff, hoher Bildschärfe, neutralem Licht und einem „objektiven“ Kamerastandpunkt verhilft Annette Kelm den Gegenständen und Objekten in ihren Aufnahmen zu einer Art Hyperpräsenz des Realen, zu einer Präsenz des Faktischen. Durch subtile Setzungen erscheinen die Sujets in der Art  ihrer Kombinatorik aber gleichermaßen ambivalent: Denn mit einem überaus feinen Gespür für formale Korrespondenzen setzt sie sehr unterschiedliche Objekte zueinander bzw. schmuggelt in vordergründig klare Motive „bildfremde“ Details hinein. Die sachlich und elegant wirkenden Aufnahmen erhalten so ein gewisses Maß an Exzentrik und entziehen sich einer unmittelbaren Lesbarkeit, im Gegenteil: Die Motive erscheinen verrätselt. So platziert Annette Kelm die erste E-Gitarre, eine 1934-er Rickenbacker Typ „Frying Pan“ (2007) vor einem afrikanischen Wachsbatikstoff mit M.C. Escher-haftem Treppenmotiv oder  fotografiert in der Serie „Stars Look Back“ (2006) einen kubischen Bambustisch jeweils leicht versetzt mit Schattenwürfen in verschiedene Richtungen vor einem grafischen Stoffmuster. Die jeweils unterschiedliche Ausleuchtung des Motivs und die in der Farbgebung divergierende Ausarbeitung weist auf Fehler im Aufnahmeprozess hin, die Kelm in dieser Serie nicht etwa nachträglich korrigiert, sondern im ihr eigenen Perfektionismus als Effekte des analogen Verfahrens offen mit ausstellt. Die visuell leicht nachvollziehbaren, aber ästhetisch hybrid zugespitzten Konstruktionen von Bildraum, die in ihm feinsinnig gelenkte Objektpräsenz sowie das Sichtbarmachen des fotografischen Prozesses sind typisch für ihr Werk. Hier zeigt sich Kelms prüfendes und vergleichendes Überdenken des Versprechens der Fotografie als ein vermeintlich objektivierendes Darstellungsverfahren. Es zeigt sich aber genauso ihre Absicht, die Fotografie als sprichwörtlich bildgebendes Medium mit eigener Logik zu qualifizieren. Kelms Bilder widersetzen sich also entgegen dem ersten Eindruck geradezu den Klassifizierungen der Fotografie und ihrer traditionellen Verwendungsweise als dokumentierendes, inszenierendes oder analysierendes Aufzeichnungsverfahren. Im Gegenteil: Es ist eine strenge Arbeit am Bild, das nicht zu haben ist, ohne die herkömmlichen Zugriffe auf das Medium kritisch zu hinterfragen und die mit ihnen verbundenen Zuschreibungsmodelle auszuhebeln.
Kelms Vorliebe fürs Ornamentale oder die Kunstfertigkeit eines Gegenstandes, manches mal gar Dekor, steht in gewissem Widerspruch zur reduzierten Strenge des Aufnahmeverfahrens, und ist doch Berechnung. Denn gerade die strikte Orientierung an formalen Kriterien wie z.B. der Verzicht auf narrativierende Umgebungsdetails und die Entscheidung für eine rein objektbezogene Darstellungsform, lädt die Motive mit geradezu manierierter Präsenz auf. Diese Strategie unterstreicht den hybriden Charakter ihrer Bilder, die über rein faktisches Sehen und Begreifen hinzuweisen und an der Grenze von Sehen und Wissen ozsillieren. Kelm kritisiert damit zugleich die klassischen Zuschreibungen der Fotografie als eine Technik des Zeigens und Sehens.

Die Ausstellung in Graz zeigt Bilder und Serien aus den zurückliegenden zehn Jahren. Sie gibt damit einen Überblick über die Spannbreite von Kelms Arbeiten. Fotografien aus den künstlerischen Anfängen werden ebenso gezeigt wie jüngste Produktionen. Thematisch zusammengehalten wird die Auswahl der Exponate in dieser Ausstellung durch eine Fokussierung auf Kelms Umgang mit dem Bildraum. Denn nicht nur die  enigmatische Motivfindung ist für ihre Fotografie charakteristisch, gleichermaßen steht die Entleerung des Bildraums von Begriff und Kontext mit im Zentrum ihres Werks: Noch in einer ihrer frühesten Arbeiten, „Untitled (ref: leaf) „, aus dem Jahr 1998, arbeitet sie mit dem in der Werbung gängigen Bildverfahren des „Pack Shot“, mit dem Objekte und Gegenstände schattenlos vor neutralem Hintergrund abgebildet werden. Hier zeigt sich bereits die formalisierende Strenge, mit der Annette Kelm immer wieder arbeiten wird, um ihre Sujets in eine visuelle Struktur der Isolierung einzurücken. In „Untitled (ref: chimney) “ aus dem Jahre 2001 wiederum organisiert sie durch die Technik des Aufnahmeverfahrens (Blitz) sowie durch eine weitgehend vereinheitlichende Farbgebung das Verhältnis von Vordergrund und Hintergrund gegen die gewohnten Hierarchien: Die Objektpräsenz löst sich hier gewissermaßen auf, die Blickführung wird völlig verunklärt. Hier kann nichts mehr signifiziert und seiner üblichen perzeptuellen Funktion zugeführt werden, vielmehr entwickelt sich eine stark suggestive Wirkung. Mit diesem und in der Folge entstehenden vergleichbaren Werken deutet sich eine visuelle Strategie an, die Kelm in ihren neueren Arbeiten – etwa den „Big Prints“, Fotografien von großflächig gemusterten, opulenten Dekorstoffen der stilprägenden amerikanischen Raumgestalterin Dorothy Draper – auf die Spitze treiben wird: Der Bildraum wird zu extremer Flächigkeit umgedeutet und Kelm bringt ihn mit dem Objekt der Darstellung in Eins-zu-eins-Reproduktionen zur Deckung: Der Bildraum wird also in Oberfläche aufgelöst, während er zugleich doch nur nüchtern das Objekt vor Augen führt. Hier zeigt sich Kelms konsequente, geradezu radikalisierte Sachlichkeit, mit dem es ihr auf völlig neue Art und Weise gelingt, die gängigen Repräsentationslogiken des Fotografischen zu unterlaufen. Dabei entstehen Bilder von großer Eindringlichkeit, die eine nahezu psychedelische Wirkung entfalten.

Ausstellungsansichten

  • Annette Kelm
    Camera Austria 2009
    Photo: Christian Wachter

  • Annette Kelm
    Camera Austria 2009
    Photo: Christian Wachter

  • Annette Kelm, Big Print #6 (Jungle Leaves – Cotton Twill 1947 Design Dorothy Draper, Courtesy Schumacher & Co), 2007. C-print, 131,5 cm x 100,5 cm. Courtesy: Johann König, Berlin.

  • Annette Kelm
    Camera Austria 2009
    Photo: Christian Wachter

  • Annette Kelm, Archeology and Photography, 2008. C-print, 70,6 cm x 86,6 cm. Courtesy: Johann König, Berlin.

  • Annette Kelm
    Camera Austria 2009
    Photo: Christian Wachter

  • Annette Kelm
    Camera Austria 2009
    Photo: Christian Wachter

  • Annette Kelm, Stars Look Back, 2006. Aus der 3-teiligen Serie, C-print, 92,3 cm x 69 cm. Courtesy: Johann König, Berlin

  • Annette Kelm, Turning into a Parrot, 2003. C-print, 50 cm x 40 cm. Courtesy Johann König, Berlin

  • Annette Kelm
    Camera Austria 2009
    Photo: Christian Wachter

  • Annette Kelm, Atelier Balmer, Basel 1893; Atelier Hofmann, Beuren 1892; Atelier Böcklin, Zürich 1885, 2009. C-prints, 77 cm x 61 cm, 61 cm x 77 cm. Courtesy: Johann König, Berlin

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Vortrag

  • Vortrag / Lecture: Dr. Yilmaz Dziewior, "Referenz und Abstraktion im Werk von Annette Kelm" / "Talk reference and abstraction in the works of Annette Kelm"
    Camera Austria 2009
    Photo: Christian Wachter

  • Lecture / Vortrag: Dr. Yilmaz Dziewior, "Referenz und Abstraktion im Werk von Annette Kelm" / "Talk reference and abstraction in the works of Annette Kelm"
    Camera Austria 2009
    Photo: Christian Wachter

  • Lecture / Vortrag: Dr. Yilmaz Dziewior, "Referenz und Abstraktion im Werk von Annette Kelm" / "Talk reference and abstraction in the works of Annette Kelm"
    Camera Austria 2009
    Photo: Christian Wachter

  • Lecture / Vortrag: Dr. Yilmaz Dziewior, "Referenz und Abstraktion im Werk von Annette Kelm" / "Talk reference and abstraction in the works of Annette Kelm"
    Camera Austria 2009
    Photo: Christian Wachter

  • Lecture / Vortrag: Dr. Yilmaz Dziewior, "Referenz und Abstraktion im Werk von Annette Kelm" / "Talk reference and abstraction in the works of Annette Kelm"
    Camera Austria 2009
    Photo: Christian Wachter

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