JUSTIN HOFFMANN

Oliver Laric und sein 3D-Scan-Archiv

Es ist gar nicht so einfach zu beschreiben, was das künstlerische »Produkt« von Oliver Laric im Wesentlichen ausmacht, und wie man seine künstlerische Arbeitsweise definieren könnte. Unstrittig ist, dass viele seiner ausgestellten Werke, zum Beispiel in der Secession in Wien (2016) oder im Schinkel Pavillon in Berlin (2017), im 3D-Druck-Verfahren produziert wurden und auf von ihm hergestellten 3D-Scans basieren. Doch für Laric ist die Präsentation von Skulpturen nur ein Teilbereich seiner künstlerischen Tätigkeit; verschiedene Ebenen der Recherche, des Veröffentlichens und der Distribution zählen ebenso dazu. In vielen Fällen liefern seine 3D-Scans die Grundlage für kulturelle Produkte anderer, die auf seine Daten zugreifen. So erscheint er als ein Künstler, der als Vermittler von Material für andere Kulturproduzent*innen fungiert.

Finden, Auswählen, Aufnehmen – In der einst schon von den Römern bewohnten englischen Stadt Lincoln bot sich für Oliver Laric die erste Möglichkeit, eine Reihe von dreidimensionalen Werken einzuscannen. Dort begann er im Jahr 2012, ein frei zugängliches digitales 3D-Archiv von Skulpturen und anderen räumlichen Körpern aufzubauen. Der Kurator der Usher Gallery in Lincoln, Ashley Gallant, lud den österreichischen Künstler ein, ein Projekt für den Annual Award for Museums der Contemporary Art Society zu konzipieren, das schließlich in Kooperation mit The Collection und ihren archäologischen Funden in Lincoln realisiert werden konnte. Laric nahm mit dem 3D-Scanner zahlreiche Skulpturen, Reliefs und andere Exponate von The Collection auf und veröffentlichte die gesammelten Daten auf der Website www.lincoln3dscans.co.uk. Das Spektrum reicht von Werken der römischen und angelsächsischen Epoche über nigerianische Kunst bis zu Arbeiten des 19. und 20. Jahrhunderts. Auf dieses vielbeachtete Projekt folgten Anfragen des Künstlers an andere Sammlungen und Glyptotheken, um weitere Kunstwerke zu digitalisieren und zugänglich machen zu können. Seine Website www.threedscans.com ist mittlerweile zu einem umfangreichen Archiv für 3D-Scans angewachsen.

Textbeitrag in Camera Austria International 144/2018, S. 11–18.

JENS ASTHOFF

Fossiles Laub, verflüssigte Zeit: Über Motive und Verfahren in Johanna Jaegers Fotografie

Zwei Fotografien zeigen waagerecht gemasertes Grau, darauf ein Paar Lindenblätter. Das kleine, beiläufige Szenario mit auf den Fußweg gefallenem Herbstlaub, das Johanna Jaegers »sidewalk fossil (brooklyn)« (2017) einfängt, ist als Bildfolge angelegt: Die Fotos geben erkennbar denselben Ausschnitt wieder und, dem Umriss nach, auch dieselben Blätter. Eines liegt wie frisch vom Baum gefallen da, das andere ist negativ präsent – als blasser Abdruck eines Blatts, das offenbar in den noch frischen Beton gefallen war und danach weggeweht wurde. Das Motiv birgt womöglich fotografischen Subtext, insofern Blattgrün ja seinerseits ein lichtfilterndes, fotoaktives Material (Chlorophyll) darstellt, während welkes Laub diese Kapazität verliert, quasi »ausbelichtet« ist; zudem ließe sich der hier dargestellte Blattabdruck als eine Art analoger Schnappschuss auffassen. Die Blätter sind von gleicher Art, aber verschieden geformt, das eine kann also nicht die Spur des anderen sein. Vorgeführt werden stattdessen die Modi von Präsenz und Abbild. Doch bei genauerem Hinsehen offenbart sich hier eine Paradoxie: Im ersten Foto ist das obere Blatt als »echt«, das untere als »fossiler« Abdruck wiedergegeben, beim zweiten Foto scheint es sich umgekehrt zu verhalten. Während also die eine Darstellung der jeweils anderen hinsichtlich Zeit- und Bildlogik widerspricht, halten beide zusammen den Widerspruch auch unauflöslich aufrecht. So liest sich »sidewalk fossil (brooklyn)« auf einmal zirkulär statt seriell. Wie häufig in ihrer Arbeit spielt Jaeger hier Kategorien und Verfahren des Fotografischen in bildhafter Deutung aus, operiert etwa mit Aspekten wie Bild / Gegenstand oder Negativ / Positiv.

Textbeitrag in Camera Austria International 144/2018, S. 19–26.

FRANCESCO ZANOT

Familiengeister

Die kanadische Regisseurin Sarah Polley verlor 1990 ihre Mutter, im Alter von elf Jahren. In dem Film »Stories We Tell« von 2012 erforscht sie ihre Familiengeschichte anhand einer Reihe von Interviews mit ihrem Vater, ihren Stiefbrüdern und einigen FreundInnen der Familie, aus denen jedes Mal unterschiedliche Details hervorgehen, bis hin zu der schockierenden Enthüllung, dass sie einer außerehelichen Beziehung entstammt. Den dokumentarischen Materialien stellt Polley eine Reihe von falschen Heimvideos zur Seite, die für diese Gelegenheit im Format Super 8 realisiert wurden und den Verlauf des Films um eine zusätzliche Erzählebene erweitern. Das Ergebnis ist unumgänglich: Wir verstehen nicht mehr, wo die Wahrheit liegt. Oder noch besser, wir verstehen nicht mehr, ob es überhaupt eine Wahrheit darin gibt, oder ob diese wie in einem Gerichtssaal einer fiktiven Rekonstruktion entspricht, die man durch die Summe und die Gegenüberstellung der zur Verfügung stehenden Beweismittel erhält. Daraus geht ein Paradoxon hervor: Die Darstellung/Kopie, die hier aus fingierten Amateurfilmen besteht, erscheint wahrhaftiger als die Wahrheit.

Die Arbeit von Lebohang Kganye funktioniert in ähnlicher Weise. Seit 2013 konzentriert sie sich auf das Thema der familiären Erinnerung und setzt dabei als Hauptuntersuchungsmittel die Fotografie ein. Obwohl ihre Bilder Zeugnischarakter haben, gelangt sie zu keiner umfassenden Gewissheit, sondern nur zu mehr oder weniger glaubhaften Hypothesen, die fragmentarischen Informationen entspringen. Die familiären Beziehungen und die Sprache der Fotografie werden überlagert und ausgehend von einigen gemeinsamen Punkten zusammen erkundet, darunter die Verwurzelung in der Vergangenheit, die Herausforderung durch das Verrinnen der Zeit, der man durch eine Ersatzform von (genetischer oder oberflächlicher) Unsterblichkeit entgegentritt, und eine hoffnungslose (affektive oder semantische) Instabilität. Aus diesem Grund bilden beide den Auslöser für unzählige mögliche Erzählungen.

Textbeitrag in Camera Austria International 144/2018, S. 27–34.

E. C. FEISS

Fotografie als Trägersystem

Angesichts des Gewichts, der Textur, der Oberflächenbeschaffenheit und der variablen Dichten von Hana Miletić’ Arbeiten scheint das Thema Fotografie obskur oder höchstens von sekundärer Bedeutung zu sein. Warum ist die Fotografie ein ständiger Referent für die Künstlerin, wo ihr Schaffen doch von einem Katalog von Dingen und Ereignissen dominiert wird? Riesigen gestreiften Stoffbahnen, durchscheinenden dunklen Leinenvorhängen oder einem dicken Wollflicken, der auf eine Funktion (Topflappen?) verweist, die er mit seiner feinen Textur nicht erfüllen kann. Diese textilen Objekte legen weder in ihrer gewebten Abstraktion noch in ihren normsprengenden Dimensionen (einige davon wandgroß, andere kleiner als A4) einen fotografischen Referenten nahe. Wo hinter dem Textil ein Foto lauert, wie im Fall der beiden Serien »Materials« (seit 2015) und »Dependencies« (2017 – 2018), dient die Erwähnung dieses Umstands allein dazu, die Bedeutung der Arbeiten auf ein Prozess-Narrativ einzuengen, die lineare Entwicklung vom Bild zur textilen Kopie. Das offenbart zwar die Grundkomposition der Arbeiten, erklärt aber nicht, warum die Künstlerin mit Textilien arbeitet und die fotografische Quelle zwischen ihren Falten verbirgt. Fotografie ist für Miletić keine Grundlage, sondern zugleich Werkzeug und Problem: Die Unterdrückung des Fotos im Dienst des Stoffs konstituiert sowohl die Politik des Werks als auch seine Kritik der Fotografie. Miletić’ Arbeiten halten am Bezug zum Fotografischen fest, um es als Repräsentationsmethode zu ersetzen; um von ihm als einer möglichen Praxis künstlerischen Austauschs mit der Welt des Sozialen wegzuerzählen. Ja, in ihrer Auseinandersetzung mit verschiedenen Repräsentationsstrategien inszeniert Miletić regelrecht eine Konfrontation zwischen Repräsentationspolitik (sichtbaren identitären Differenzen wie Rasse, Klasse und Geschlecht) und Reproduktionspolitik (der Anerkennung der der sichtbaren Welt zugrundeliegenden rassisierten und vergeschlechtlichten Arbeit).

Textbeitrag in Camera Austria International 144/2018, S. 35–42.