Presseinformationen

Stephan Keppel
Hard Copies

Infos

Pressevorbesichtigung
11.6.2021, 11:00

Eröffnung
11.6.2021, 18:00

Zeitraum
12.6. – 15.8.2021

Öffnungszeiten
Di – So und an Feiertagen
10:00 – 18:00

Kuratiert von
Taco Hidde Bakker

Pressedownloads

Pressetext

Städte aus Schrott und Toner
von Taco Hidde Bakker

Die Abnutzung der Stadt macht sie menschlich. Die Abnutzung findet einen entsprechenden Widerhall in von nutzungssensitiven Druckern ausgespuckten »Fehldrucken«.

Die vier foto/grafischen Stadtbücher des niederländischen Künstlers Stephan Keppel zeugen von einer präzisen Erkundung des Verhältnisses zwischen gebauter Umwelt, Bild und Buch. In Keppels Büchern und räumlichen Präsentationen vollzieht sich eine Verflechtung des materiellen Erscheinungsbilds (der Dinge in) der Stadt mit Formen der Bilderzeugung, dem Arrangement von Bildern und Fundobjekten. Auf das Wesentliche reduziert, scheint es in seinem Werk um Muster, Rhythmen, Zyklen zu gehen. Der seinen bisher publizierten Büchern zugrunde liegende Arbeitsprozess bewegt sich zwischen Zyklen des Fotografierens, dem Aneignen von Bilddokumenten, Drucken der Dokumente mithilfe von (oft ausrangierten) Druckern, Wiedereinscannen und erneutem Drucken. Das führt zu eigenwilligen, meist abstrakten Bildern mit Oberflächen, die sich mit den materiellen Oberflächen der gebauten Welt verbinden, auf die die Bilder zugleich verweisen. Es entsteht eine visuelle Spannung zwischen dem Bild als Bild und dem Bild als Fenster auf etwas jenseits davon Befindliches. Nichts in Keppels Büchern erinnert an ein konventionelles Fotobuch über Städte.
Aus meiner Kindheit erinnere ich mich an ein Buch im Regal meiner Eltern – ein Buch über New York City aus einer preiswerten Reihe über Weltstädte. Es war gespickt mit Fotografien, die ich heute als mittelmäßig erachten würde. Auf dem Cover befand sich ein Bild der Twin Towers vor einem klaren blauen Himmel. Das Buch wurde zu einem ersten Bezugspunkt für die fotografische Fernansicht von Städten, in denen ich selbst nie gewesen war. Sah eine wirklich große Stadt so aus? Ich erinnere mich an endlose, vieläugige Häuserschluchten, so gerade wie holländische Kanäle, dazwischen da und dort in einen wolkenlosen Himmel ragende Wolkenkratzer. Ich machte erstmals Bekanntschaft mit dem Wort »Skyline«.

London war die erste Großstadt, die ich besuchte – knapp bevor der ausufernde Spekulationskapitalismus ihr Antlitz grundlegend veränderte. Am meisten beeindruckte mich das ausgedehnte U-Bahnsystem der Stadt, die »tube«, die es meinen Kunststudienkolleg*innen und mir ermöglichte, binnen kürzester Zeit in unterschiedlichen Teilen der Stadt aufzutauchen: eine erste Real-Erfahrung des fragmentierten urbanen Lebens. Paris – in seiner klassischen Eleganz ein deutliches Gegenstück zum chaotischen London – wurde kurz darauf die zweite Metropole, die ich besuchte. Von beiden Städten kaufte ich mir weder Bilder noch Bücher. Erst durch die Begegnung mit Keppels Buch über Paris (Entre Entree, 2014), viele Jahre später, lernte ich, mit was für einem anderen Augenmerk man Städte durchstreifen und wie anders man solche freien Streifzüge in Fotobücher übersetzen konnte. Es stellt sich die Frage, ob es sich bei dem Paris in touristischen Bildbänden überhaupt um dieselbe Stadt handelt wie bei der von Keppel durch seine Scanner und Drucker gejagten.

Etabliert wurde dieser Modus mit Reprinting the City (2012) über die kleine holländische Stadt Den Helder, die einen großen Marinestützpunkt beherbergt. Es ist das erste von vier Büchern, die Keppel in Zusammenarbeit mit dem Designer und Verleger Hans Gremmen vom Amsterdamer Verlag Fw:Books gestaltet hat. Das A4-Format des Buches greift das Standardformat von Kopierpapier auf, woran auch die folgenden drei Bücher festhalten. Es lässt sich als ein Stapel körniger Dokumente lesen (der Modus ist eher mediumbezogen als dokumentarisch). Auf dem Titelbild überlagert ein Punktraster ein Bild ruhiger Meereswellen. Eine vom Rand her versetzt darüber gedruckte Wiederholung desselben Motivs lässt einen schwarzen Streifen entstehen. Ausrangierte Objekte, wie zum Beispiel DVD-Player, Diskettenlaufwerke und Plattenspieler, nehmen eine auffällige Rolle ein. Der Altwarenladen und die Straße sind für Keppel Augenweiden. Für den Künstler Roeland Zijlstra, der ein kurzes Nachwort zu dem Buch verfasste, ist er ein »Straßengutsammler« (straatjutter) – einer, der Straßen nach angespülten Schätzen absucht wie andere Strände. Zijlstra bemerkt zudem, dass Keppel mit seiner Darstellung ausrangierter Objekte »die Überreste des Lebens von der daran haftenden Traurigkeit befreit und einen ihnen eigenen Charakter zum Vorschein bringt – zart robust strahlend intim.« Die Objekte werden zu Zufallskunstwerken.

Ein wesentliches Merkmal von Keppels Praxis ist ihre Rekursivität. Ein paar Anzeichen dafür tauchen bereits in Reprinting the City auf, obwohl sie in späteren Werken noch viel mehr hervortritt. Es finden sich Fotografien von auf dem Boden liegenden Prints mit aufgerollten Rändern und Fotografien von Bildern (vielleicht Fehldrucken), die möglicherweise anderswo wieder auftauchen, ein auf der Seite liegender Planschrank und das Spiel mit Rastern. In Entre Entree trieb Keppel diese Experimente einen Schritt weiter. Er hatte zwei insgesamt ein Jahr dauernde Stipendienaufenthalte in Paris, einen im Van Doesburghuis in Meudon-Val-Fleury, einem in den 1920er-Jahren von Theo van Doesburg entworfenen Atelier- und Wohnraum, den anderen im Atelier Holsboer in der im Stadtzentrum gelegenen Cité des Arts. Dabei klapperte Keppel die Gegend um die verkehrsreiche Ringautobahn, den Boulevard périphérique, ab und erkundete die Vorstädte. Modernistische und brutalistische Gebäudefassaden, Hauseingänge, Türen, Marmor und bisweilen eine exotische Pflanze spielen zentrale Rollen. Paris bot Keppel einen neuen Zugang zu seiner rekursiven Welt des Umherstreifens, Abbildens, Scannens, Druckens und Wiederdruckens sowie des Fotografierens von Ateliersituationen. Zum ersten Mal nahmen er und Gremmen auch goldene Blätter auf, die wirken wie auf Kupfer gedruckt (die Originale druckt Keppel auf Chromolux-Papier), und so den mit der Stadt verbundenen Eindruck von Eleganz steigern, Entre Entree etwas Traumhaftes verleihen.

Die Stadt, in der er am wenigsten Zeit verbracht hat, ehrte Keppel mit dem gewichtigsten Band. Waren die ersten beiden Bücher relativ bescheiden im Umfang, so ist Flat Finish (2017) ein schwerer Stapel spröden, ehrlichen A4-Papiers. »Es ist so New Yorkerisch«, meinte der Fotograf Ken Schles über das Buch. Die Stadt nutzt sich anders ab als Paris, sie ist widerspenstiger in ihrer Architektur trotz des strengen Straßenrasters und der dauernden, auf Hochglanz getrimmten »Erneuerung« im von spekulativen Hochgeschwindigkeitskapitalisten beherrschten Manhattan. Keppels unikonisches Bild von New York ist denkbar weit von jedem Reiseführer entfernt. Wenn das Empire State Building auftaucht, dann als massiv gepixelte Vergrößerung von getweeteten Bildern. So kommt der Second-Hand-Charakter der Stadt zum Ausdruck. Vor seiner New-York-Reise durchforstete Keppel die Websites von Märkten für gebrauchtes Baumaterial – und die Archive des Canadian Centre for Architecture (CCA) in Montreal. Als er in der Stadt ankam, hatte er bereits eine Vorstellung vom Recycling einer sich ständig erneuernden Stadt – was der Künstler natürlich wieder mit der eigenen Praxis des Umherstreifens und Recycelns rückkoppelte. Der Künstler und Schriftsteller Adam Bell (der in New York City lehrt) schrieb in einer im März 2018 in The Brooklyn Rail erschienenen Rezension, Keppels »umfunktionierte Bilder dienen als Bausteine für [seine] eigene Metropole und weisen zugleich auf den regenerativen und iterativen Prozess sowohl der gebauten Welt als auch der [eigenen] Bilderzeugung.«

Keppel appropriiert die Städte, die zum Schauplatz seiner Bücher werden (wobei die Stadt lediglich die geografische Grenze beschreibt, die für eine bestimmte Zeit das Arbeitsfeld absteckt), und adaptiert sie für die iterativen Prozesse seiner obsessiven Druckverfahren. Wie würde er Amsterdam, seine Wahlheimat und die Stadt, in der er sein Atelier hat (in einem nach dem Krieg entstandenen Außenbezirk), in seine Bildwelt einfügen? Die vierte »Stadtsymphonie« ist die bislang elaborierteste seiner Arbeiten. Mit jedem neuen Buch erweiterte sich das Territorium in Hinblick auf die verwendeten Bildtypen und -quellen. Ließ sich der Ursprung der Bilder in früheren Büchern nur von sehr versierten Kenner*innen der jeweiligen Stadt ausmachen, liefert Keppel nun in einer Art Anhang detaillierte Angaben zu den Bildquellen mit. Sein Auge für faszinierende Details ist ansteckend. Details, die auf dem Weg von A nach B fast niemandem auffallen würden, werden in Hard Copy Soft Copy (2021) zu regelrechten Monumenten: da und dort noch immer sichtbare handgemalte Zahlen aus dem Zweiten Weltkrieg, abgeflachte Hausnummern auf Gebäuden der Amsterdamer Schule (1920er- und 1930er-Jahre), Klebemarkierungen auf dem Gehsteig oder Betonringüberreste von öffentlichen Bauarbeiten. In Hard Copy Soft Copy verwebt Keppel noch viele weitere Stränge, von der sorgfältigen fotografischen Beobachtung architektonischer Details oder von Drucken in Planschränken bis zu verschiedenen auf der Straße gefundenen »Readymades« oder sogar ehedem dem Stedelijk Museum gehörenden Diapositiven von Werken Jackson Pollocks, Piet Mondriaans und Joel Shapiros. Das Buch enthält auch eine gescannte Seite aus dem 1971 erschienenen Roman des Dichters, Romanciers und Essayisten K. Schippers Een avond in Amsterdam (Ein Abend in Amsterdam). Auch dieser Autor ist ein genauer Beobachter, mit einem scharfen Auge für nebensächliche Details und glückliche Fügungen: »Manchmal ist der Bordstein nur eine aufrecht stehende Gehsteigfliese oder ein seitlich liegender Backstein. Nie gleich, immer mit Niveauunterschieden. Nie ein nahtlos zusammengefügter Bordstein. Schau her, da ist eine Lücke zwischen der Zickzackform, die die Steine fest verbinden soll.«

Die Ausstellung Hard Copies bei Camera Austria in Graz ist die erste Ausstellung, in der eine Auswahl aus allen vier Stadtprojekten Keppels räumlich zusammengeführt und zueinander in Beziehung gesetzt wird. Der geräumige Raum von Camera Austria wird zu einem Gefäß für die Städte Den Helder, Paris, New York und Amsterdam, aber – ganz im Geist von Keppels rekursiver Praxis – auch für einige neue Prints, die, in einer Zeit beschränkten Zugangs zu fremden Städten, bei der ersten realen Begegnung des Künstlers mit Graz während der Vorbereitung dieser Ausstellung entstanden sind.
Lassen sich die Bilder in Keppels Büchern als »Soft Copies« betrachten, so ist die Ausstellung aus »Hard Copies« aufgebaut. Wo sich das Original befindet oder was ein Original überhaupt ist, bleibt offen. Einige der für Ausstellungen produzierten Drucke werden danach entsorgt. Die Fundobjekte, die nun mit den Prints räumlich interagieren (in den Büchern sind sie in die zweidimensionale Bildproduktion eingebunden und müssen einem einheitlichen Format genügen), schweben zwischen Skulpturwerdung und dem, was sie waren, als sie Keppel in die Hände fielen: Abfall­material, ausrangierte Objekte. Die gedruckten Arbeiten verlassen ihre A4-Komfortzone und treten in unterschiedlichen Formaten in Erscheinung, gerahmt oder ungerahmt. Dazu kommt die Materialität der verwendeten Papiere, die von Pantone-Farbbögen bis zu den dünnen Papieren reicht, die Keppels alter Océ 7055-Toner­kopierer benutzt. Die Geräte von Océ waren noch in den 1990er-Jahren als Großformatkopierer in Gebrauch, etwa bei Architekt*innen und Bauingenieur*innen. Durch wiederholtes Kopieren derselben Bilder mit diesem Kopierer lassen sich im Ausstellungsraum architektonische Rhythmen herstellen, wobei jeder Druck seine eigenen Abweichungen und Druckspuren aufweist. In der Ausstellung werden die vielen Facetten von Keppels – gleichermaßen fokussierten wie divergenten – Arbeitsmethoden und Faszinosa auf eine Art und Weise zusammengeführt, die dem suchenden und assoziativen Charakter seiner Arbeit entspricht. Die auf Tischen ausgelegten Bücher, die gefundenen Bilder und Objekte sowie die Drucke auf den Wänden streiten miteinander, wer das Original und wer die Kopie ist.

 

Stephan Keppel (geb. 1973 in Anna Paulowna, NL) studierte freie Kunst (1994 – 1998) an der Königlichen Kunstakademie Den Haag (NL) und arbeitet seither hauptsächlich mit fotografischen und druckgrafischen Verfahren. Sein Atelier in Amsterdam unterhält er seit 2003. Seit letztem Jahr betreibt er eine Druckwerkstatt auf dem ehemaligen Bauernhof seiner Eltern, in seinem Heimatort. Die bei Fw:Books in Amsterdam publizierten Buchprojekte Reprinting the City (Den Helder, 2012), Entre Entree (Paris, 2014), Flat Finish (New York, 2017) und Soft Copy Hard Copy (2021) wurden unter anderem vom Stedelijk Museum Amsterdam, vom Stadsarchief Amsterdam, vom Nederlands Fotomuseum Rotterdam (NL), vom International Center for Architecture in New York (US) und vom Canadian Centre for Architecture in Montreal (CA) angekauft. Für eine Installation am Nederlands Fotomuseum Rotterdam wurde Keppel mit dem Somfy Photography Award 2020 ausgezeichnet.

Taco Hidde Bakker (geb. 1978 in Heerde, NL) ist Autor, Lehrender, Übersetzer und Kurator im Bereich bildende Kunst, vor allem Fotografie. Er studierte an zwei Kunsthochschulen und erwarb einen MA in Fotowissenschaft an der Universität Leiden (NL). Er hat Textbeiträge für zahlreiche Künstlerbücher, Kataloge und Zeitschriften verfasst, wie zum Beispiel Camera Austria International (AT), Foam Magazine (NL), British Journal of Photography (GB) und TRIGGER (BE), und ist Autor der Textsammlung The Photo­graph That Took the Place of a Mountain (Fw:Books, 2018). Bakker unterrichtet Theorie an der Kunsthochschule Utrecht (HKU).
 

Bildmaterial

Die honorarfreie Veröffentlichung ist nur in Zusammenhang mit der Berichterstattung über die Ausstellung und die Publikation gestattet. Wir ersuchen Sie die Fotografien vollständig und nicht in Ausschnitten wiederzugeben. Bildtitel als Download unter dem entsprechenden Link.

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