Camera Austria International

162 | 2023

  • FARIDA YOUSSEF
    Was ist Sache bei der Form? Wenn Bilder sich zu Collagen fügen
  • IBRAHIM AHMED
  • CHRISTINA IRRGANG
    Fotografie und Geste
  • ANJA MANFREDI
  • LAUREN O'NEILL BUTLER
    Atemzug um Atemzug
  • SAM CONTIS
  • LAURA GUY
    Wie bewegt die Fotografie?
  • LENA ROSA HÄNDLE

Vorwort

Den in dieser Ausgabe betrachteten Arbeiten gemein ist eine zumeist kontinuierliche Auseinandersetzung der vorgestellten Künstler*innen mit gestischen, oftmals implizit in menschliche wie auch Werkkörper eingeschriebenen Darstellungs- und Ausdrucksformen. Diese kommt in der intensiven, sich auf die Materialität der Arbeit übertragenden Beschäftigung mit Aufnahmen aus dem eigenen Familienarchiv (Ibrahim Ahmed), einer sich ausgehend von bestimmten Themen assoziativ und rhizomatisch entwickelnden Sammlung von fotografisch festgehaltenen und zueinander in Beziehung gesetzten Gesten (Anja Manfredi), der langfristigen Beobachtung und Dokumentation von Regungen und Interaktionen weiblicher Körper (Sam Contis) oder in der Befragung historischer wie zeitgenös­sischer queerer Gesten und Codes im Bild und deren Relevanz (Lena Rosa Händle) zum Tragen.

Volltext

Camera Austria International 162 | 2023
Vorwort

Den in dieser Ausgabe betrachteten Arbeiten gemein ist eine zumeist kontinuierliche Auseinandersetzung der vorgestellten Künstler*innen mit gestischen, oftmals implizit in menschliche wie auch Werkkörper eingeschriebenen Darstellungs- und Ausdrucksformen. Diese kommt in der intensiven, sich auf die Materialität der Arbeit übertragenden Beschäftigung mit Aufnahmen aus dem eigenen Familienarchiv (Ibrahim Ahmed), einer sich ausgehend von bestimmten Themen assoziativ und rhizomatisch entwickelnden Sammlung von fotografisch festgehaltenen und zueinander in Beziehung gesetzten Gesten (Anja Manfredi), der langfristigen Beobachtung und Dokumentation von Regungen und Interaktionen weiblicher Körper (Sam Contis) oder in der Befragung historischer wie zeitgenös­sischer queerer Gesten und Codes im Bild und deren Relevanz (Lena Rosa Händle) zum Tragen.

In seinen Collagen untersucht Ibrahim Ahmed ausgehend von Bildern aus dem fotografischen Archiv seiner Familie und den ihnen inhärenten soziopolitischen Lebenswelten die Konstruktion von Männlichkeit. Der Künstler unterteilt Bilder in präzise Fragmente, verschiebt sie, um sie auf andere Weise zu verknüpfen und in neuen Konstellationen wieder zusammenzufügen. »In Ahmeds Gesten kommt eine intuitive und geradezu körperliche Beziehung zwischen ihm und seinem Werk zu Ausdruck. […] Denn die Gesten des Künstlers sind auch die Gesten der Collage«, schreibt Farida Youssef, die sich an der Medialität des Werkkörpers der Collage abarbeitet. Sie lenkt so »unsere Aufmerksamkeit von den Körpern in den Arbeiten auf – was schließlich noch wichtiger ist – den Körper der Arbeiten selbst.«

Christina Irrgang nimmt die aktuell im tresor des Wiener Bank Austria Kunstforum zu sehende Einzelausstellung Atlas von Anja Manfredi zum Ausgangspunkt, um deren langjährige und vielgestaltige fotografische Beschäftigung mit der Figur des Atlas und anderen Lastenträger*innen genauer zu untersuchen und herauszuarbeiten, wie die Künstlerin sprachliche, mythologische, (kunst-)historische wie auch formale Verwandtschaften zu einem »assoziativen Bildgefüge« verdichtet. »Ausgehend vom Körper und dessen Performanz sammelt und erzeugt sie seit einigen Jahren Bilder von Bewegungen, Posen und Gesten. Aus dieser Sammlung ist ein Bildarchiv entstanden, aus dem heraus sie ihre Fragestellungen kontextualisiert«, beschreibt die Autorin Manfredis Arbeitsweise. 

Lauren O’Neill-Butler analysiert anhand von Sam Contis’ umfassendem fotografischen Projekt Duet (seit 2016) sowie einer noch unbetitelten Serie über eine Geländelauf-Mädchenmannschaft an einer amerikanischen Highschool, wie Contis »aus mannigfaltigen Blickwinkeln und über lange Zeit hinweg an Projekten arbeitet. Sie interessiert sich vornehmlich für das, was geschieht, wenn man wieder (und wieder) auf etwas, das man einmal gesehen hat, zurückkommt.« In ihren präzisen und behutsamen Fotografien wird das Interesse der Künstlerin an der Relevanz kleinster Gesten und körperlicher Anstrengungen von Personen in deren unmittelbarer Umgebung und den damit verbundenen sozialen wie politischen Rahmenbedingungen deutlich.

Der Beitrag von Lena Rosa Händle geht von der Arbeit Diese Hände – eine Welt ohnegleichen (2022) aus, in der die Künstlerin verdeckte lesbische Codes der 1920er-Jahre untersucht und die damit verbundenen Handgesten mit DJ und Kuratorin Tonica Hunter als Modell erneut fotografisch in den Blick nimmt. »Die Bezüge zu queerer Geschichte in Händles Werk skizzieren eine generations­übergreifende, verbindende soziale Welt, die sich zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verortet«, schreibt Laura Guy in ihrer Betrachtung unterschiedlicher Werkgruppen, in denen die Künstlerin  queere Erzählungen befragt, das Potenzial der Geste auslotet, dialogische Prozesse initiiert oder Formen queerer Teilhabe in unterschiedlichen Referenzsystemen nachspürt.

Margit Neuhold, Jakob Thaller, Christina Töpfer
Juni 2023

Cover: Sam Contis, Trust Exercise, 2018. Pigment-Print, 66 × 92 cm. Courtesy: die Künstlerin und Klaus von Nichtssagend Gal­lery, New York.

Beiträge

Forum

Vorgestellt von der Redaktion
Václav Kopecký
Michaela Nagyidaiová
Somayah Elhassawy
Alexander Meyer
Lena-Lotte Agger
Arden Surdam

Ausstellungen

Ming Smith: Projects
MoMA – Museum of Modern Art, New York, 4. 2. – 29. 5. 2023
MARKUS CIVIN

People Make Television
Raven Row, London, 28. 1. – 26. 3. 2023
MERCEDES VICENTE

Karrabing Film Collective: Wonderland; Karrabing Film Collective: They pretending not to see us . . .
LSK-Galerie at Haus der Kunst, Munich, 27. 1. – 30. 7. 2023; Graphic Cabinet, Secession, Vienna, 28. 4. – 18. 6. 2023
MARGIT NEUHOLD

Karolina Wojtas: ABZGRAM
C/O Berlin, 28. 1. – 4. 5. 2023
EWA BORYSIEWICZ

Rosemarie Trockel
MMK – Museum für Moderne Kunst, Frankfurt am Main, 10. 12. 2022 – 18. 6. 2023
ROSALYN D’MELLO

Michaela Moscouw: Anwesend Abwesend
Francisco Carolinum Linz, 10. 2. – 14. 5. 2023
ANNA VOSWINCKEL

Tina Modotti: Denn die Flamme stirbt nicht – Liebe, Leidenschaft und Revolution
BLMK – Brandenburgisches Landesmuseum für Moderne Kunst, Dieselkraftwerk Cottbus, 4. 3. – 21. 5. 2023
CHRISTIN MÜLLER

Margaret Raspé: Automatik
Haus am Waldsee, Berlin, 3. 2. – 29. 5. 2023
JULIA GWENDOLYN SCHNEIDER 

Laurenz Berges: Halten und Schwinden
MGK – Museum für Gegenwartskunst, Siegen, 17. 3. – 6. 8. 2023; Die Photographische Sammlung / SK Stiftung Kultur, Köln, 12. 11. 2023 – 21. 1. 2024
CHRISTINA TÖPFER

Morgaine Schäfer: Through the Looking Glass; Morgaine Schäfer: Inside
Museum für Photographie Braunschweig, 4. 2. – 9. 4. 2023; Raum für Freunde, Kunstverein Wolfsburg, 24. 2. – 7. 5. 2023
BETTINA MARIA BROSOWSKY

Expect the Unexpected: Current Concepts for Photography
Kunstmuseum Bonn, 16. 2. – 1. 5. 2023
STEPHEN HUMBLET

EMOP Berlin – European Month of Photography 2023: Touch
Various venues, Berlin, 2. 3. – 31. 3. 2023
MITCH SPEED

Werner Bischof: Unseen Colour
MASI – Museo d’arte della Svizzera italiana, Lugano, 12. 2. – 16. 7. 2023; Fotostiftung Schweiz, Winterthur, 26. 8. 2023 – 21. 1. 2024
GABRIELE SASSONE

Peter Piller: there are a couple of things that bother me
Kunsthalle Düsseldorf, 11. 3. – 4. 6. 2023
SABINE MARIA SCHMIDT

Le plaisir du texte
MBAL – Museum of Fine Arts Le Locle, 25. 3. – 18. 9. 2023
RICA CERBARANO

ON STAGE – Kunst als Bühne
mumok – Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien, 15. 3. 2023 – 7. 1. 2024
VANESSA JOAN MÜLLER

Nous, petits bourgeois
Briefing Room, Brüssel, 4. 2. – 25. 3. 2023
TOBIAS NEUMANN

Bücher

Bibliothek
Hervé Guibert: . . . of lovers, time, and death
saxpublishers, Wien 2020
WALTER SEIDL

Peggy Buth, Markus Dreßen, The Politics of Selection
Spector Books, Leipzig 2022
ERIC OTIENO SUMBA

Peter Geimer, Die Farben der Vergangenheit. Wie Geschichte zu Bildern wird 
C.H. Beck, München 2022
PETER KUNITZKY

Bettina Lockemann, Das Fotobuch denken. Eine Handreichung
Hatje Cantz, Berlin 2022
JAN WENZEL

Eine Industriedokumentation neuer Ordnung
Tobias Zielony, Wolfen
Spector Books, Leipzig 2023
JOCHEN BECKER

Re-Readings
Phillippe Dubois, Der fotografische Akt. Versuch über ein theoretisches Dispositiv
Verlag der Kunst, Dresden, Amsterdam 1998
MARC RIES

Impressum

Herausgeber: Verein CAMERA AUSTRIA. Labor für Fotografie und Theorie.

Verlag, Eigentümer: Verein CAMERA AUSTRIA. Labor für Fotografie und Theorie.
Lendkai 1, 8020 Graz, Österreich

Redaktion: Margit Neuhold, Jakob Thaller (Redaktionsassistenz), Christina Töpfer (Chefredaktion)

Übersetzer*innen: Dawn Michelle d’Atri, Elena Helfrecht, Peter Kunitzky, Andrea Scrima, Sabine Weier

Englisches Lektorat: Dawn Michelle d’Atri

Dank: Lena-Lotte Agger, Ibrahim Ahmed, Martin Behr, Eva Bertram, Sam Contis, Somayah Elhassawy, Christine Frisinghelli, Laura Guy, Lea Handon, Lena Rosa Händle, Barbara Hofmann-Johnson, Christina Irrgang, Alexander Klug, Václav Kopecký, Julia Kronberger, Anja Manfredi, Alexander Meyer, Achim Mohné, Martin Moser, Michaela Nagyidaiová, Lauren O’Neill-Butler, Marc Ries, Anahita Sadighi, Julia Gwendolyn Schneider, Walter Seidl, Andrzej Steinbach, Arden Surdam, Sabine Weier, Farida Youssef

Copyright © 2023
Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck nur mit vorheriger Genehmigung des Verlags. Für übermittelte Manuskripte und Originalvorlagen wird keine Haftung übernommen.

ISBN 978-3-902911-75-9
ISSN 1015 1915
GTIN 4 19 23106 1800 9 00162