Hans Hansen: Atelier
Infos
Eröffnung
17.3.2017, 19:00
Künstlergespräch
mit Hans Hansen und Reinhard Braun
im Rahmen von aktuelle kunst in graz 7.5.2017, 15:00
Zeitraum
18.3.–4.6.2017
Ein Projekt von Annette Kelm, Hendrik Schwantes und Hans Hansen.
Zur Ausstellung ist eine gleichnamige Publikation in der Edition Camera Austria erschienen.
Öffnungszeiten
Dienstag bis Sonntag, 10:00–17:00
Intro
Hans Hansen gilt als einer der wichtigsten Autoren der Produkt- und Sachfotografie. Seine Bildsprache entwickelte sich durch die Suche nach Vereinfachung und das Spiel mit Form und Verfremdung, das zumeist auf seinen Experimenten mit Licht basierte. Durch Reduktion und das Befreien der Objekte aus ihren Entstehungszusammenhängen gelingt es Hansen dabei, dem fotografischen Bild eine Autonomie zu verleihen, die auf Fragen von Repräsentation verweist, die weit über den Bereich der sogenannten Produktfotografie hinausweisen. Vor allem aus diesem Grund ist das Werk Hans Hansens ein wiederkehrender Bezugspunkt für eine jüngere Generation an KünstlerInnen, die sich primär im Feld der Fotografie bewegen.
Die Ausstellung wurde von Annette Kelm und Hendrik Schwantes initiiert und gemeinsam mit Hans Hansen zusammengestellt. Sie zeigt einen subjektiven Querschnitt aus seiner langjährigen fotografischen Praxis – freie Projekte und Auftragsarbeiten werden dabei miteinander kombiniert. Die Ausstellung bei Camera Austria thematisiert so auch die Schnittstellen zwischen freier und angewandter Fotografie. »Atelier« stellt die Arbeit eines angewandten Fotografen vor, der durch die Erarbeitung einer eigenen Bildsprache und durch das Einbinden vielfältiger Einflüsse aus bildender Kunst und Design Konventionen und vorgebliche Grenzen der angewandten Fotografie überschreitet.
»Atelier« ist die erste Einzelausstellung Hans Hansens in Österreich.
Hans Hansen: Atelier
Hans Hansen gilt als einer der wichtigsten Autoren der Produkt- und Sachfotografie in Deutschland. »Atelier« ist seine erste Einzelausstellung in Österreich. Die Ausstellung wurde von Annette Kelm und Hendrik Schwantes initiiert und mit Hans Hansen zusammengestellt. Sie zeigt einen subjektiven Querschnitt aus seiner langjährigen fotografischen Praxis – freie Projekte und Auftragsarbeiten werden dabei miteinander kombiniert. Die Ausstellung bei Camera Austria thematisiert so auch die Schnittstellen zwischen freier und angewandter Fotografie.
Die Abgrenzung der künstlerischen von der angewandten Fotografie geht auf die Emanzipationsbewegung der AutorInnenfotografie der 1970er Jahre zurück, als VertreterInnen der New Color Photography in den USA und später der Werkstatt für Photographie in Deutschland ihre Bildsprache und die eigene künstlerische Zielsetzung bewusst gegen die Werbe- und bildjournalistische Fotografie jener Zeit abgrenzten, um die Fotografie als eigenständiges künstlerisches Medium durchzusetzen. Rund 20 Jahre später hatten sich durch Überschneidungen von Kunst, Popkultur und Design – beispielsweise durch die Nutzung popkultureller Magazine zur Verbreitung künstlerischer Arbeiten, wie Wolfgang Tillmans es praktizierte – die künstlerische und angewandte Fotografie
einander wieder angenähert. Diese Entwicklung war prägend für eine Generation von KünstlerInnen und DesignerInnen, die, wie Kelm und Schwantes, in den 1990er Jahren zu studieren begannen. Durch konzeptuell-fotografische Arbeiten, wie die von Christopher Williams, erhielt die Ästhetik der Produkt- und Werbefotografie zudem Einzug in die Kunst. Williams̓ Ansatz ist durch Konsumkritik geleitet; um die Arbeitsteilung im Fordismus abzubilden, beauftragt er FotografInnen aus dem angewandten Bereich, Motive für ihn zu realisieren. Heute lassen FotokünstlerInnen wie Roe Ethridge eigene Auftragsfotografien aus der Mode- und Produktwerbung in die freie künstlerische Arbeit einfließen. Die zeitgenössische Kunst ist darüber hinaus seit einigen Jahren von einer Entwicklung geprägt, die KritikerInnen als »neue Auftragskunst« bezeichnen; KünstlerInnen werden zunehmend von Wirtschaftsunternehmen, die eigene Kunstsammlungen und -institutionen aufbauen, zur Teilnahme an Ausstellungen und Wettbewerben bis hin zur kreativen Zusammenarbeit eingeladen. Vor diesem Hintergrund stellt »Atelier« die Arbeit eines angewandten Fotografen vor, der durch die Erarbeitung einer eigenen Bildsprache und durch das Einbinden vielfältiger Einflüsse aus bildender Kunst und Design Konventionen und vorgebliche Grenzen der angewandten Fotografie überschreitet.
Hans Hansen fotografiert vor allem Dinge. Er orientiert sich hierbei weniger an der in der Malerei verankerten Tradition des Stilllebens, sondern bezieht seine Ideen direkt aus der Praxis der Produktfotografie, genauer gesagt der Tabletop-Fotografie, bei der Gegenstände auf einem Aufnahmetisch im Studio optimal ausgeleuchtet fotografiert werden. Vor diesem Hintergrund entwickelte sich Hansens Bildsprache durch die Suche nach Vereinfachung und das Spiel mit Form und Verfremdung, das zumeist auf seinen Experimenten mit Licht basierte. Viele seiner Motive fotografierte Hansen auf einem Lichttisch, der ihm als Arbeitsgerät aus seiner Lithografenlehre vertraut war. Durch das Drapieren von Objekten auf einer gleichzeitig von unten und oben beleuchteten Fläche entstanden abstrakte und vielschichtige Bilder wie »o. T. (Avocadosalat)« oder »o. T. (Farbkasten)«, die weit über ihren Status als sachliche Abbildungen hinausreichten.
Durch Reduktion versucht Hansen in seinen Fotografien, das Wesen der Dinge herauszuarbeiten. Dies wird beispielsweise bei dem in der Ausstellung gezeigten Foto »o. T. (Ei)« deutlich, das Hansen 1998 als freie Arbeit realisiert hat. Das Bild zeigt ein liegendes Hühnerei frontal von oben fotografiert, das vor einem hellgrauen Hintergrund zu schweben scheint. Das organische Ei wirkt durch die perfekt ausgeleuchtete Aufnahme auf den ersten Blick wie eine synthetisch erschaffene Form. Das Bild könnte mit seiner Symmetrie, dem gleichmäßigen Grauwert und ebenmäßigen Schattenverlauf aus heutiger Sicht ebenso gut in einem Vektorzeichen- oder 3D-Renderingprogramm generiert worden sein. Die poröse Unebenheit der Schale verweist jedoch beim genauen Hinsehen auf ein Naturprodukt. Dieser Effekt tritt auch in der Serie »o. T. (Kodakschachtel)« von 2015 auf. Die Fotosequenz besteht aus vier Bildern einer Filmschachtel aus den 1960er Jahren, die mit vier unterschiedlichen, jedoch hinsichtlich Form und Grauwert identischen Schlagschatten aufgenommen wurde. Die Fotografien haben aus der Entfernung ebenfalls eine abstrakte grafische Wirkung, lassen aus der Nähe betrachtet aber Gebrauchsspuren im Karton erkennbar werden. Das so sichtbar gemachte Alter der Schachtel verweist gleichzeitig auf den technischen Umbruch in der Fotografie.
Hans Hansen ist fotografischer Autodidakt. Sein Studium der angewandten Grafik an der Kunstakademie Düsseldorf fiel in die Zeit der Wiederentdeckung der Verbindungslinien zu radikaler Moderne und Bauhaus und der allgemeinen Rückbesinnung auf den gesellschaftlichen Auftrag von GestalterInnen. Die Lehre an der Kunstakademie war zu dieser Zeit deutlich konservativer ausgerichtet als an den damals wegweisenden Schulen wie der Essener Folkwang Schule und der Hochschule für Gestaltung Ulm. Da
Hansen aufgrund seiner Begeisterung für die Fotografie darauf bestand, Gestaltungsaufgaben entgegen der Überzeugung seines Lehrers fotografisch umzusetzen, wurde er 1962 im Streit mit diesem von der Akademie verwiesen. Als Student war Hansen auf der Mailänder Triennale 1960 auf Eis-Glasobjekte des finnischen Gestalters Tapio Wirkkala gestoßen. Begeistert von Wirkkalas Arbeiten schenkte er diesem einen Schwarzweiß-Abzug der Fotografie einer Wasseroberfläche, gewissermaßen als visuellen Kommentar zu dessen Glasobjekten. Wirkkala antwortete ihm mit einem Brief: »The photograph that you have given me […] have caused me to think of your option as a photographer of glass […] I enclose a few photos taken in Finland. It is not my intention to ask you to imitate their tendency. Please find new possibilities and manners of photographing glass and experiment with them. […] It is of great importance to maintain the soul of glass in the photos and to exhibit them in the proper manner.« Aus dem Briefwechsel entwickelte sich 1962 ein Auftrag, den Hansen als Initialzündung für seine Berufslaufbahn als Fotograf sieht. Sein erstes Motiv zeigt eines von Wirkkalas Eis-Glasobjekten, das sich in der Bodenfläche spiegelt und so eine vollkommen abstrakte Form ergibt. In der Folge fotografierte Hansen über mehrere Jahrzehnte sowohl Wirkkalas Glasobjekte als auch dessen Auftragsarbeiten für die finnische Glashütte Iittala.
Hansens kontinuierliche Beschäftigung mit Glas führte schließlich zu dem Projekt »Glaswasser«, bei dem er Abbildungen von Glas und Wasser miteinander in Beziehung setzt. Hansen hatte über die Jahre die Beobachtung gemacht, dass Glas und Wasser vor der Kamera gleich aussehen. Die Serie nimmt einen größeren Bereich innerhalb der Ausstellung bei Camera Austria ein. Tatsächlich geben die Fotografien keinen Hinweis darauf, um welche Materie oder Substanz es sich im jeweiligen Motiv handelt; zumeist täuscht der erste Eindruck. Die besondere Eigenschaft von Wasser, die Blickperspektive zu verändern, spielte wiederum für die Serie »Kachelraum« aus dem Jahr 1986 eine Rolle. Hansen ließ für das Projekt, das auf Einladung der Firma Kodak für die Photokina entstand, einen Modellraum bauen, der aus blau gekachelten Wänden und Boden und einer Plexiglaswand zur Kamera hin bestand. Diesen füllte er mit Wasser und hielt die verschiedenen Wasserstände und deren Auswirkung auf die Perspektive in einer Serie von sechs Bildern fest, von denen vier in der Ausstellung gezeigt werden. Das fotografische Motiv bezog sich auf Bilder des Malers Hans-Peter Reuter; die Ausstellung von Kodak war ein Versuch, die Medien Fotografie und Malerei formal zu vergleichen.
Obwohl Hans Hansen wie viele seiner ZeitgenossInnen zu Beginn seiner Fotografenlaufbahn von der Bildsprache amerikanischer Reportage- und Modemagazine, wie Life und Harpers Bazaar, und von Fotografen, wie Richard Avedon und Irving Penn, beeinflusst war, spielten Menschen in seinen Fotografien selten eine Rolle. Hansen lässt Dinge bevorzugt für sich stehen. Selbst Kleidung fotografierte er oft losgelöst vom Körper. Im Auftrag des Magazins Geo fotografierte er 2011 einen Bikini, der flach auf einem gelben Hintergrund ausgebreitet wie eine Illustration wirkt. Im dazugehörigen Magazintext erfährt man, dass der abgebildete Bikini aus gewalztem Fruchtgummi besteht, dem Viagra beigemischt wurde. Durch das Befreien des Objekts aus seinem trivialen Entstehungszusammenhang gelingt es Hansen, dem Bild eine autonome Kraft zu geben.
Hansen hat die fotografische Arbeit im Studio im Laufe der Zeit für seine Anwendungszwecke ständig weiterentwickelt. Viele seiner technischen Innovationen sind aus heutiger Sicht nicht mehr auf den ersten Blick zu erkennen. Von der Lichttechnikfirma Bläsing ließ er sich beispielsweise in den 1970er Jahren einen Stabblitz nach seinen Bedürfnissen anfertigen, der später in Serie genommen wurde. Der Erwerb aufwändiger Studiotechnik wurde Hansen vor allem durch Aufträge aus der Autoindustrie ermöglicht. Für die Autofotografie bedurfte es nicht nur einer speziellen Lichttechnik; für VW entwickelte Hansen gleich ein neuartiges Fotostudio, wie er in einem Gespräch mit Hendrik Schwantes in der Ausgabe 131/2015 von Camera Austria International erzählt. 1968 fotografierte Hansen für die berühmte Volkswagen-Kampagne der New Yorker Agentur Doyle Dane Bernbach einen in seine Einzelteile zerlegten VW Käfer; eine Bildidee, die er Ende der 1980er Jahre nochmals im Auftrag von VW mit einem Golf umsetzte. Dieses Motiv, das Hansen einen hohen Bekanntheitsgrad einbrachte, wurde für die Ausstellung ausgewählt. Die insgesamt 6843 sorgsam ausgebreiteten Autoteile zeigen aufs Genauste den Stand der industriellen Fertigung eines Autos zu der Zeit. Wie bei der Fototechnik hatte sich die Komplexität der Autoproduktion in 20 Jahren potenziert.
Der stete Einsatz zeitgemäßer Technik betraf auch die Wahl der Vergrößerungsverfahren. Hansen schätzte das Dye-Transfer-Verfahren aufgrund seiner Farbintensität und Lichtbeständigkeit. In der Ausstellung sind zwei Dye-Transfer-Vergrößerungen aus den 1960er Jahren zu sehen. Dye-Transfer-Abzüge werden in drei einzelnen Druckgängen aus den Grundfarben Rot, Grün und Blau zusammengesetzt. Hansen war das Verfahren aus der Werbung vertraut, wo es bis zur Einführung des Digitalsatzes wegen seiner Möglichkeit der direkten Einflussnahme auf Farbton und Farbdichte beim Druckvorgang benutzt wurde. Im Rahmen eines Fotoauftrags realisierte Hansen 1991 das Bildmotiv »o. T. (Daimler Benz)«, das auf einem Experiment mit dem Dye-Transfer-Verfahren beruhte. Hansen platzierte das Auto in einer dicht beschatteten Seitenstraße, wodurch eine Vielzahl an Reflexionen auf Autoscheiben und Karosserie entstanden. Dann fotografierte er jeweils eine Serie auf Dia- und Farbnegativfilm und fügte die unterschiedlichen Belichtungen im Dye-Transfer-Prozess bis zum gewünschten Ergebnis zusammen.
Seit einigen Jahren realisiert Hansen eine Reihe von selbst initiierten Foto- und Publikationsprojekten, in denen er ausgewählte Objekte ins Bild setzt, deren spezifische Formfindung und gestalterischer Entstehungsprozess ihn faszinieren. In diesem Zusammenhang ist 2007 die Fotoserie »Pflanzenmodelle« entstanden. Die Serie besteht aus 20 Fotos handgefertigter Modelle der Firma Osterloh, eines Leipziger Familienbetriebs in der dritten Generation, dessen Pflanzennachbildungen sich in zahlreichen Schul- und Hochschulsammlungen finden. In der Ausstellung sind zwei Motive aus der Serie zu sehen. Die für BetrachterInnen wenig vertrauten Pflanzenmodelle wirken in Hansens Fotografien wie skulpturale Artefakte. Durch die sanfte Lichtsetzung betont Hansen deren filigrane Gestaltung und haptische Qualität. Lediglich die aus der Werkstatt stammenden provisorischen Sockel und die frei sichtbare Drahtkonstruktion verweisen auf die Konstruktion der Modelle.
In der »Pflanzenmodelle«-Serie und anderen Arbeiten dieser Art widmet sich Hansen einem virtuos ausgeführten Handwerk. In gewisser Weise spiegelt sich darin auch seine eigene Praxis wider; diese ist wie bei den spezialisierten ModellbauerInnen das Ergebnis einer geschulten Vorstellungskraft, die sich über viele Jahre durch kontinuierliches Experimentieren entwickelt hat. Das Fotostudio ist der Ort, an dem sich Hansens besondere Fähigkeit für Bildfindungen über Jahrzehnte entwickelt hat. Während zeitgenössische KünstlerInnen in Deutschland vor dem Hintergrund zunehmender Arbeitsteilung und Internationalisierung ihr Atelier heute als »Studio« bezeichnen, nennt Hansen seine Studioadresse seit fünfzig Jahren beständig »Atelier Hans Hansen«.
Anna Voswinckel
Annette Kelm ist Künstlerin und lebt in Berlin. Sie erhielt den Camera Austria-Preis für zeitgenössische Fotografie der Stadt Graz 2015 und war Gastredakteurin der Ausgabe 131 der Zeitschrift Camera Austria International. Ihre Fotografien befinden sich in zahlreichen internationalen Sammlungen wie MoMa, Guggenheim, Tate Modern oder Centre Pompidou.
Hendrik Schwantes ist Designer und leitet mit Michael Heimann das Grafikdesignbüro Heimann + Schwantes in Berlin. Das Büro arbeitet schwerpunktmäßig mit Kunden aus zeitgenössischer Kunst, Architektur und Design. Zu den Auftraggebern zählen Künstler wie Olafur Eliasson, Katharina Grosse und Slavs and Tatars sowie die Architekten Sanaa und Sauerbruch Hutton. Schwantes war Art direktor der deutschen Designzeitschrift form.
Anna Voswinckel ist Künstlerin und Gestalterin. Sie lebt in Berlin und Leipzig. Seit 2012 arbeitet sie als künstlerische Mitarbeiterin für Fotografie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig. 2016 kuratierte sie das mehrteilige Ausstellungsprojekt »1. – 3. person singular/plural« im Kunstverein Leipzig.