Markus Krottendorfer
At New Moon Tomorrow
Infos
Eröffnung
24.9.2016, 11:00
im Rahmen des Eröffnungsparcours des steirischen herbst
Kunst im Gespräch
mit Reinhard Braun, Mira Fliescher (Institut für Kunstgeschichte, KFU Graz) und Markus Krottendorfer
27.9.2016, 17:00
Finissage
mit Melodien für Millionen
20.11.2016, ab 17:00
Kuratiert von
Reinhard Braun
Koproduktion
steirischer herbst
Shuttle zur Eröffnung
Wien – Graz – Wien
Linz – Graz – Linz
INFO / Reservierung
Zeitraum
25.9. – 20.11.2016
Öffnungszeiten
Dienstag bis Sonntag, 10:00–17:00
Dank an: Austrian Cultural Forum London
Intro
In seinem neuen Projekt interessiert sich Markus Krottendorfer für manipulative Momente von Bildregimen, für Fragen von Täuschung, Erfindung, Fälschung und Irreführung. Dabei spielen ein erfundenes Gebirge in Afrika und ein gefälschter Schädelfund in Großbritannien zentrale Rollen. Zwei scheinbar zusammenhanglose Begebenheiten, die dennoch einer gemeinsamen Geschichte angehören: vom Zentrum einer erdachten Welt aus diese beschreiben und ordnen, ihre Herkunft belegen und ihre Zukunft entwerfen. Doch nicht das Richtige dem Falschen entgegenzusetzen scheint Krottendorfers Motivation zu sein, sondern die Macht der Etablierung der Unentscheidbarkeit dieser Frage zu rekonstruieren. Er bedient sich dabei selbst einer Art Irreführung, bleibt lückenhaft, essayistisch, assoziativ und bedient sich der Verführungskraft der Ästhetik. Im Zusammenhang mit weiteren Projekten der vergangenen Jahre entsteht der Eindruck, als ginge es bei all dem um eine Art Wiederaufführung der Vergeblichkeit, darum, einen Ort einzunehmen, von dem aus ein Ursprung oder Gewissheiten für die Zukunft in den Blick genommen werden könnten.
Zur Ausstellung erscheint eine gleichnamige Publikation in der Edition Camera Austria mit Texten von Reinhard Braun, Anette Freudenberger, Bernhard Kellner und Thomas Wisser, sowie 32 Bildseiten von Markus Krottendorfer.
Volltext →Markus Krottendorfer
At New Moon Tomorrow
28. März
Beim morgigen Neumond sind vier Monate voll, die wir hier nun schon unser Lager aufgeschlagen haben, und noch immer gibt es keine Nachricht von Paisley. Mit über hundert Männern und ebenso vielen Trägern war er aufgebrochen, dem Mbambéré flussaufwärts folgend, und sollte Meldung machen, sobald eine Furt entdeckt war, oder gar das K’Onga-Gebirge, das nicht nur er nahe dessen Quelle vermutete.
Thomas Wisser
1799 erschien der Reisebericht Mungo Parks, Travels in the Interior of Africa, zusammen mit einer Landkarte James Rennells, die als geografische Erläuterung jener Reise gedacht war, die Parks zwischen 1795 und 1797 als ersten Europäer an das Ufer des Niger im heutigen Mali führte. Allerdings fügte Rennels eigenmächtig ein Gebirge – die Kong-Berge – hinzu, um den Lauf des Nigers zu erklären, der lediglich 300 km von der Küste des atlantischen Ozeans entspringt und landeinwärts fließt. Seitdem sind die – fiktiven – Kong-Berge bis Anfang des 20. Jahrhunderts in zahlreichen Atlanten publiziert worden, obwohl Louis-Gustave Binger im Jahr 1888 feststellte, dass die Berge gar nicht vorhanden waren.
Markus Krottendorfer interessiert sich im Rahmen dieses Ausstellungsprojekts für Camera Austria für das manipulative Moment von Bildregimen, für Fragen von Täuschung, Erfindung und Fälschung, die für sich selbst genommen kaum erwähnenswert wären, dienten sie nicht alle der Aufrechterhaltung von bestimmten Vorstellungen, Vormachtstellungen und Fantasmen von Beherrschung. Es handelt sich also um mehr als ein – unspezifisches, allerdings weit verbreitetes – Unbehagen am Wahrheitsgehalt von Bildformationen. Es ist uns längst geläufig geworden, Bildern mit Vorbehalt und Skepsis zu begegnen, zumal dokumentarischen. Dennoch schreiben Bilder nach wie vor an der Konstruktion unserer Gegenwart mit, schieben sich teilweise mit großer Macht in nahezu globale Öffentlichkeiten und markieren damit Ereignisse und Geschichte – denken wir nur an den tragischen Fall des ertrunkenen Aylan Kurdi.
Diese ambivalente Situation von einerseits Bildmächtigkeit und andererseits Misstrauen gegenüber Bildern scheint es – immer wieder – nahezulegen, Bilder trotz allem zu befragen, sie möglicherweise nicht ausschließlich als etwas zu begreifen, das uns etwas bloß zeigt, sie nicht primär als reine Darstellungen, als etwas Visuelles zu verstehen, sondern als einen Schauplatz, an dem zu einem bestimmten Zeitpunkt Macht, Begehren, Gewalt, Wissen, Diskurs und Geschichte in einer spezifischen Repräsentationsstrategie konvergieren, um eine Gegenwart zu erzeugen und sie plausibel erscheinen zu lassen. Krottendorfer bezieht sich also in seinem Interesse daran, was Bilder verschleiern, entstellen, verkehren und verkennen, wie sie täuschen und verdecken können, auf einen solchen erweiterten Bildbegriff, der das Bild selbst bereits als Resultat einer unausgesetzten Bearbeitung von Wirklichkeit versteht.
Wenn Krottendorfer nun selbst auf Reisen geht, spezifische Orte aufsucht und uns darüber im Unklaren lässt, ob es sich »in Wirklichkeit« um andere Orte handelt, wenn er einen befreundeten Autor beauftragt, ein fiktives Expeditionstagebuch zu verfassen, oder archäologische Funde präsentiert, dreht es sich nicht bloß um ein Verwirrspiel, das aufgedeckt werden will, oder um ein Statement des Künstlers, das die Beliebigkeit jeder (schriftlichen und) visuellen Behauptung unter Beweis stellen soll, sondern um einen nach wie vor notwendigen Kommentar zur Rolle des Visuellen im Rahmen der Produktion von Wissen und Wahrheit. Für Krottendorfer ist das Visuelle stets mit Identität, Gedächtnis, Wissen, Geschichte und Erfahrung verknüpft. Es artikuliert einen Anspruch, einen Zugriff – einen Zugriff, den er allerdings nicht nachträglich korrigieren oder richtigstellen will. Nicht das Richtige dem Falschen entgegenzusetzen scheint seine Motivation zu sein, sondern die strategische und mit Macht und Politik verknüpfte Etablierung der Unentscheidbarkeit dieser Frage zu rekonstruieren.
Welche Bilder sind es also, die unsere Welt oder auch nur eine bestimmte ausschnitthafte Geschichte dieser Welt beschreiben oder ihre Bedeutung wesentlich beeinflusst haben? Auf welchen Vorannahmen und politischen oder wissenschaftlichen Konstruktionen beruht ihre Auswahl? Wodurch hat sich deren Bedeutung etabliert, als Ikonen einer Weltbeschreibung fungieren zu können? All diese Fragen drehen sich auch darum, von welcher Position aus verschleiert, entstellt und getäuscht wird, von welchem – sozialen oder politischen – Ort aus die Unentscheidbarkeit etabliert und aufrecht erhalten wird, ein Ort, der möglicherweise zunächst völlig selbstverständlich erscheint, jedoch vollständig konstruiert ist. Es handelt sich um jenen unbenannten Ort, von dem aus die Welt betrachtet wird, von dem aus sie in den Blick genommen und beschrieben wird, auch der Ort, von dem aus die Bilder gesehen und gemacht werden. Stuart Hall hat diesen Ort mit dem abwesenden, aber alles beherrschenden weißen Auge identifiziert, mit dem die westliche Wissenschaft und der westliche Alltagsverstand die Welt erfassen: der unbenannte Ort, von dem aus die Welt betrachtet wird und der notwendigerweise durch (weiße) Hegemonie geformt ist.
Selbstverständlich geht es Krottendorfer darum, diesen Ort zu kritisieren, allerdings nicht dadurch, ihn zu entlarven oder zu denunzieren, aber auch nicht dadurch, einen anderen – wahrhaftigeren – Ort vorzuschlagen. Er lässt diesen Ort zunächst einmal wieder auftauchen und umkreist und markiert ihn durch seine eigenen Bilder: der Selbstverständlichkeit der Unsichtbarkeit des unbenannten Orts eine Bildproduktion zur Seite stellen.
Zwei scheinbar zusammenhanglose Begebenheiten, die dennoch einer gemeinsamen Geschichte angehören von der vermeintlichen Beschreibung dessen, wie die Dinge sind, von der selbstverständlichen Konstruktion eines Ursprungs oder von Wirklichkeit bilden dabei eine Art Scharnier dafür, aktuelle Fragen nach Politiken der Bilder zu stellen. Der unbenannte Ort aber, von dem aus die Welt betrachtet wird, kann auch durch Krottendorfer nicht einfach abgebildet werden – er wird allerdings immer dann sichtbar, wenn eine Erzählung scheitert, wenn die Einheit und Identität von Geschichte und Macht zerbricht und sich selbst als Manipulation, Konstruktion, Begehren und Machtanspruch entlarvt – wie im Fall der Kong-Berge und des Piltdown Man.
1912 findet der britische Rechtsanwalt und Amateurarchäologe Charles Dawson in einer Kiesgrube des Dorfes Piltdown in Südostengland Fragmente eines Schädels und eines Unterkieferknochens, deren Alter zunächst auf ca. 500.000 Jahre geschätzt wird: der Piltdown Man. Für die Entwicklungsschritte hin zum modernen Menschen waren die Piltdown-Funde eminent wichtig – auch deshalb, weil sie zu beweisen schienen, dass sich der moderne Mensch (mit seinem charakteristischen signifikant erhöhten Gehirnvolumen) in Europa herausgebildet hat, genauer gesagt: im Mutterland des Britischen Empire. Daraus erklärt sich wohl auch die breite Akzeptanz, die der »Eoanthropus dawsoni« zunächst erfuhr, obwohl bereits die Fundumstände dubios blieben. 1953 wurde die einstmalige archäologische Sensation schließlich durch eine gesicherte Datierung als Fälschung entlarvt.
Die Geschichte des Piltdown Man zeigt, dass die Frage des Ursprungs und der Entwicklungsgeschichte beständig neu formuliert und immer wieder – vorläufig – neu beantwortet wird. Objekte wie Bilder füllen im Wesentlichen eine Leere, rühren an ein Undarstellbares – blinde Flecken für das Wissen wie für jede Repräsentation. Eine fiktive Authentizität wird im Falle des Piltdown Man inszeniert, um diese blinden Flecken zu übderdecken.
Selbstverständlich korrespondiert der vermeintlich durch den Fund belegbare Primat Europas mit politisch längst wirksamen Rassentheorien; der Fund legitimierte auch weitere koloniale Expansionen und Dominanz. Ethnografie, Anthropologie, Geografie (wenn wir an die Kong-Berge zurückdenken) und Rassismus konvergieren, der humanoide Mensch kann letztlich nur als weißer gedacht werden – ein Missing Link, in dem sich politische, kulturelle und soziale Antagonismen buchstäblich materialisieren.
Doch geht es Krottendorfer nicht primär um eine erneute Kritik an dieser Rassifizierung von Geschichte, Politik und Repräsentation: Es geht vielmehr um den Versuch, dem Verschleiern eines Ortes auf die Spur zu kommen, der Macht eines Ortes, von dem aus gezeigt, gesprochen, geherrscht und (Geschichte) geschrieben wird. Der Täuschungsversuch von Charles Dawson wie die erfundenen Kong-Berge belegen im Grunde die Unmöglichkeit, jene Leerstelle (der Wahrheit) zu füllen, den blinden Fleck zu eliminieren, der den eigenen Ort der Ausübung von Macht endgültig bestätigen würde oder aber in einen Abgrund verwandelt. Der Versuch der Schließung der kolonialen Wunde durch den Nachweis der Dominanz mit Hilfe eines – gefälschten – Artefakts oder erfundener Berge musste notgedrungenermaßen scheitern – allerdings nicht deswegen, weil es sich um Fälschungen handelte, sondern weil dieser Ort ganz grundsätzlich nicht besetzt oder abgesichert werden kann.
Aus diesem Grund zielt das offenkundige Desinteresse Krottendorfers am Wahrheitsgehalt des Fotografischen nicht so sehr auf eine Kritik der Wahrheitsproduktion selbst, sondern auf jenen Umstand, dass die Bilder niemals vollständig darüber verfügen können, was zu sehen ist und was gezeigt wird, und dass sie aus diesem Grund als Bilder weder bestätigen noch widerlegen können. Es erscheint geradezu unerheblich, ob wir im Rahmen der Ausstellung die Bilder eines afrikanischen Gebirgszuges zu sehen bekommen, ob der Künstler also einen »Originalschauplatz« besucht hat, oder ob es sich »lediglich« um Bilder anderer Berge handelt. Nicht unbedingt, was gezeigt wird, ist von primärem Interesse, sondern was – (auch) mit Hilfe von Bildern, zumal fotografischen – artikuliert werden konnte und kann.
Unter welchen Umständen kann also eine Verbindung zwischen Wissen, Politik und Bildern als eine Form der Artikulation von Gegenwart geschmiedet oder gemacht werden? Wie kann diese Verbindung unterbrochen werden? Mit Sicherheit artikulieren sowohl der – gefälschte – Piltdown Man als auch die – fiktiven – Kong-Berge eine ganze kulturelle und politische Formation der Täuschung und Manipulation von Geschichte und Geografie sowie der Verführung von Politik, d. h. eine Formation der Gewaltausübung und Beherrschung. Diese machtvolle Formation, die das kollektive Gedächtnis bis weit über das 19. Jahrhundert hinaus infiltriert hat, kann nicht einfach durch »Gegenbilder« entlarvt werden oder durch den Einsatz einer künstlerischen Authentifizierung als Gegenspieler einer historischen und politischen Fiktion.
Diese Artikulation kann allerdings – wie jede andere auch – an strategischen Stellen unterbrochen und in ihre Widersprüche verstrickt werden. Krottendorfer bedient sich dabei selbst einer Art der Täuschung, er schließt keine Lücken (der Sichtbarkeit oder des Wissens), sondern bleibt selbst lückenhaft, essayistisch, assoziativ und bedient sich der Verführungskraft der Ästhetik. Man könnte dies als eine Art Wiederaufführung der Vergeblichkeit verstehen, jenen Ort einzunehmen, von dem aus der Ursprung oder die Gewissheit in den Blick genommen werden könnten.
Zahlreiche zeitgenössische künstlerische Positionen im Feld des Dokumentarischen drehen sich um diese Problematik, Wirklichkeiten – auch historische – als etwas zu verstehen, das im Konflikt um ihre Bedeutungen konstruiert wurde, ein Konflikt, dem auch das unterworfen ist, was zu sehen gegeben wurde und wird. Denn nach wie vor ist Repräsentation »ein politischer Vorgang und beinhaltet die Macht, Bedeutungen sowohl der Welt wie des eigenen Ortes in ihr zu erzeugen.« (John Fiske) Insofern dreht sich Markus Krottendorfers Projekt sozusagen wie von selbst um diese Frage der Macht, Bedeutungen zu erzeugen, Geschichte zu schreiben, festzuschreiben und damit andere mögliche Bedeutungen, andere mögliche Geschichten zu unterdrücken. Das Dokumentarische ist dann nicht primär eine Formation von Bildern, sondern mehr noch eine Praxis der Wissensproduktion, die von uns fordert, dass wir nicht nur sehen, sondern dass wir einen Erkenntnisprozess durchlaufen: Bilder, verstrickt in ambivalente Aussagen und widersprüchliche Diskurse, durch welche Wirklichkeiten überhaupt erst konstruiert werden, sowohl historische als auch gegenwärtige. »Die Gegenwart so zu montieren, dass sie auch anders denkbar wäre, die Zeit aus ihrer Taktung zu lösen, das wäre heute die Aufgabe einer dokumentarischen Sprache der Dinge. Der Gegenstand des dokumentarischen Bildes ist daher weder sein Objekt noch die Realität als solche, sondern die Gegenwart, die es an ihnen aufblitzen lassen kann.« (Hito Steyerl)
Zur Ausstellung erscheint eine gleichnamige Publikation in der Edition Camera Austria mit Texten von Reinhard Braun, Anette Freudenberger, Bernhard Kellner und Thomas Wisser, sowie 32 Bildseiten von Markus Krottendorfer.