Presseinformationen

Camera Austria International 138 | 2017

Infos

23. 6. 2017
Camera Austria, Graz

28. 6. 2017
Forum Stadtpark, Graz

3. – 9. 7. 2017
Les Recontres de la photographie, Arles

14. – 17. 7. 2017
Miss Read, Berlin

9.9.–5.11.2017
Biennale für aktuelle Fotografie, Mannheim, Ludwigshafen, Heidelberg

Pressedownloads

Pressetext

In den letzten Jahren hat Camera Austria mit zahlreichen KünstlerInnen gearbeitet, deren Werke einen direkten Bezug zur Frage des Archivs aufweisen. Özlem Altin, Sven Augustijnen, Eric Baudelaire, Martin Beck, Peggy Buth, Peter Friedl, Maryam Jafri, Tatiana Lecomte, Uriel Orlow, Ines Schaber, Ala Younis und andere mehr konstruieren eine Art – temporäres, vorläufiges – Archiv, legen Sammlungen an, nehmen ihren Ausgangspunkt für Recherchen in Material, das sie in Archiven finden, oder in Funden, die in Archive führen. Einerseits geht es also darum, Archive zu imaginieren, die es nicht gibt, die aber notwendig wären, andererseits darum, Archiven etwas hinzuzufügen, das diesen fehlt, das sie unterdrücken oder ausschließen. Künstlerische Praktiken intervenieren dabei auch in einem allgemeinen Sinn in Wissensproduktion, sie instituieren gewissermaßen Verfahren einer Produktion von Wissen, das fehlt, und übernehmen dabei teilweise Funktionen anderer kultureller Institutionen.
Im Frühjahr 2015 wurde Camera Austria eingeladen, für die Ausstellung »Und Plötzlich diese Weite« im Sprengel Museum Hannover Material aus dem Archiv zur Verfügung zu stellen. Im Mittelpunkt dieses Projekts zwischen Dezember 2016 und März 2017 standen Publikationen, Institutionen und Ausstellungen, die den Horizont der Debatte um Fotografie im deutschsprachigen Raum in den 1970er Jahren entscheidend erweiterten. Neben den Erfahrungen der Zusammenarbeit mit den erwähnten KünstlerInnen haben wir diese Einladung zum Anlass genommen, damit zu beginnen, das Archiv von Camera Austria erstmals umfassend zu sichten, ein Vorhaben, das uns noch längere Zeit beschäftigen wird. In gewisser Weise haben wir die Zeitschrift selbst immer auch als ein Archiv verstanden, in dem sich bestimmte Fragestellungen über Text-Bild-Konstellationen »abgelagert« haben.
In diesem Archiv findet sich auch die Einladung an die KünstlerInnen für das in der Ausgabe 51/52 aus dem Jahr 1995 dokumentierte Symposion über Fotografie XV zum Thema »Archiv«: »Anhand des Begriffes Archiv stellen wir künstlerische Methoden und die ihnen zugrunde liegenden Konzepte in einen Zusammenhang mit kulturellen Regelsystemen und Verfahrensweisen […]. Der Begriff des Archivs bezeichnet in dieser Erweiterung nicht nur die Verfahrensweisen selbst – Tätigkeiten des Aufzeichnens, Sammelns und Speicherns von Information –, sondern ein gesellschaftliches Dispositiv (Michel Foucault): Er verknüpft Strategien der Aneignung und Aufbewahrung mit solchen der Herstellung von Ordnung, mit Grenzziehungen und Verwerfungen. In diesem Sinn repräsentiert und bezeichnet das Archiv die ständige Disziplinierung und Ordnung der Welt.« Allerdings beginnt der Begriff des Archivs gerade in den 1990er Jahren, sich als objektive Quelle und Ordnungssystem von Wissen zu destabilisieren, sich die Verbindung von Archiv, Dokumentation und Erinnerung zu lösen. Die Rückkehr des Realen (Hal Foster) und der ethnografische »turn« der 1990er Jahre rücken die Frage des Dokuments in zugleich spekulativere, vorläufigere wie politischere Richtungen. Das Archiv wird von einer Institution zum Prozess, künstlerische Praktiken selbst richten sich nicht mehr nur kritisch auf bestehende Archive, sondern erzeugen selbst archivartige Sammlungen von Dokumenten und Narrativen. Schließlich wird das Archiv im Zuge der Digitalisierung zu einem shared space der Produktion von verstreutem Wissen.
Die Frage des Archivs im Rahmen künstlerischer Praktiken hat wiederum oftmals mit »blinden Flecken« von Geschichte zu tun, blinden Flecken, die deswegen jedoch nicht weniger bedeutend sind, sondern Knotenpunkte verschiedener Erzählungen darstellen, die ihrerseits von offiziellen Archiven nicht berücksichtigt wurden. Diese »Geisterstimmen« beziehen ihre »beharrliche Präsenz aus dem Ungesagten, dem Nichtrepräsentierten, den vorhandenen Leerstellen oder verlorenen bzw. nicht erzählten Geschichten. […] Die Geister fordern Zutritt zu unseren Texten, unseren Aufschreibesystemen und Repräsentationen, auch wenn immer wieder behauptet wird, bei Geistererscheinungen handele es sich um Sinnestäuschungen oder gar Halluzinationen« (Peggy Buth). Nun ist das Archiv von Camera Austria weder das Ergebnis künstlerischer Praktiken noch lässt es sich als unterdrücktes oder politisches Archiv stilisieren. Dennoch ist anzunehmen, dass es auch in diesem Archiv Zonen der Sichtbarkeit und der Unsichtbarkeit gibt, dass manche Verbindungen deutlicher als andere hervortreten und es durch Leerstellen gekennzeichnet ist.
Mit dieser Ausgabe der Zeitschrift begleiten wir – gemeinsam mit einem Ausstellungsprojekt, für das Nicole Six und Paul Petritsch einen Zugriff auf und eine erste Repräsentation des Archivs entwickeln, und der Neuorganisation unseres Ausstellungsraumes insgesamt mit der Öffnung und Erweiterung der Bibliothek – den Prozess der Aufarbeitung unseres Archivs, den wir als einen öffentlichen verstehen. Die hier publizierten Dokumente konzentrieren sich auf die Jahre 1976 bis in die frühen 1980er Jahre, jene Zeit, in der das Projekt Camera Austria erdacht, entworfen und etabliert wurde. Im kommenden Jahr ist ein zweiter Teil dieser Veröffentlichung ge-plant und eine Ausgabe, die die Vielstimmigkeit des Archivs in einer Reihe von Texten belegen soll, die aus dem Archiv oder aber über das Archiv sprechen. Der in dieser Ausgabe veröffentlichte Text verfolgt die Beschäftigung mit dem Archiv zunächst in vielfältige Kontexte von Kunstproduktion hinein und versucht, daraus eine kritische institutionelle Praxis zu imaginieren.
Manche Spuren in diesem vorläufigen und immanent unvollständigen Archiv könnten uns darauf hinweisen, »dass wir, um vorwärtszukommen, erst ein paar Schritte zurück machen müssten, um einst verlassene Wege neu zu beschreiten« (Allan Sekula). Doch erscheint dieses Neubeschreiten nur sinnvoll, wenn wir dabei nicht versuchen, vorzufindende Widersprüche zu glätten, sondern uns eine Arbeit am Archiv vornehmen, ohne »eine Antwort parat zu haben, bevor man die Komplexität der Frage versteht« (Karen Knorr).
Durch das umfangreiche Material für diese Ausgabe sahen wir uns veranlasst, den Rezensionsteil auf die Septemberausgabe zu verschieben – in dieser werden dann die wichtigsten Ausstellungen des Sommers besprochen, in einer besonderen Form auch die Documenta und die Biennale von Venedig. Wir freuen uns jedoch, in dieser Ausgabe mit einer Themenbeilage für unsere AbonenntInnen die Zusammenarbeit mit der neugegründeten Biennale für aktuelle Fotografie zu dokumentieren, die unter dem Titel »Farewell Photography«, so die Vorankündigung, »einen sich radikal verändernden Umgang mit Bildern im digitalen Zeitalter« zeigen und »einen anderen Blick auf die Geschichte der Fotografie« präsentieren möchte. Dieser veränderte Blick auf die Geschichte verbindet dieses Ausstellungsprojekt mit unserer Arbeit am Archiv.

Reinhard Braun
und das Camera Austria-Team
Juni 2017

Bildmaterial

Die honorarfreie Veröffentlichung ist nur in Zusammenhang mit der Berichterstattung über die Ausstellung und die Publikation gestattet. Wir ersuchen Sie die Fotografien vollständig und nicht in Ausschnitten wiederzugeben. Bildtitel als Download unter dem entsprechenden Link.

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