Presseinformationen
Disputed Landscape: Enacting Landscape
Infos
Eröffnung: 10.7.2015, 20:00
Zeitraum: 11.7.–6.9.2015
Künstler:
Philip Gaißer (DE),
Michael Höpfner (AT)
, Sharon Ya’ari (IL)
Öffnungszeiten:
Di – So 10:00 – 17:00
Eine Ausstellungsreihe in Kooperation mit dem Kunsthaus Graz
Pressetext
»Das Sehen ist in der Vermittlung sozialer Beziehungen ebenso bedeutsam wie die Sprache, und es lässt sich nicht auf Sprache, ,Zeichen‘ oder einen Diskurs reduzieren.« (1)
Landschaft ist nicht nur die Bezeichnung von etwas »da draußen«, sondern immer auch von etwas, das durch einen sozialen Gebrauch definiert wird, einen sozialen Gebrauch, in dem Sehen eine dominante Rolle spielt. Landschaft ist somit nicht nur eine gesellschaftliche Vereinbarung, eine Konvention, sie ist auch ein visuelles Phänomen, eine ästhetische Konstruktion.(2)
Unter dieser Perspektive könnte man behaupten, dass es Landschaft »an sich« gar nicht gibt, sondern dass sie beständig durch kulturelle Produktion hervorgebracht wird, allerdings nicht allein – oder gar primär – durch Landwirtschaft, Urbanismus und Ökonomie, sondern als eine soziale Formation, als eine visuelle Topologie, die einer sozialen Verteilung folgt. Und wenn es stimmt, dass visuelle Kultur »die visuelle Konstruktion des Sozialen, nicht die soziale Konstruktion des Sehens«(3) ist, dann sind Ästhetik und Bild, Ästhetik und Körper, Kultur und Bild unmittelbar miteinander verwoben. Oder radikaler noch könnte man sagen, »dass das Objekt außerhalb der Formen seiner visuellen Präsenz undenkbar ist«(4). Landschaft wäre dann etwas, das durch eine Art Performativität des Visuellen entsteht, zumindest aber entworfen wird. »Enacting Landscape«, die Idee einer Wiederaufführung von Landschaft, bezieht sich auf diese Vorstellung von Landschaft, die nicht immer schon da ist, sondern die durch einen Vollzug permanent hervorgebracht, aktualisiert und schließlich ins Bild gesetzt wird, etwas, das nicht außerhalb oder vor dem Bild existiert, sondern durch die Bilder selbst mit hervorgebracht wird. Bei diesem Hervorbringen verschwimmen die Grenzen zwischen Dokumentation und Aufführung von Landschaft, d. h. zwischen ihrer Repräsentation und ihrer Erzeugung durch und mithilfe (fotografischer) Handlungen – Landschaft als etwas, das nicht einfach zu sehen ist, sondern als etwas, das erst durch eine Art »Gebrauch«, durch einen Prozess der Sichtbarmachung wahrnehmbar und vorstellbar wird und durch verschiedene Praktiken ihrer Visualisierung zur »Aufführung« gelangt.
Die Spurensuche, die Sharon Ya’ari in Israel betreibt, könnte als solch eine Aufführung gelesen werden. Viele Orte werden im Abstand von bis zu mehreren Jahren erneut fotografiert und dokumentieren die Veränderungsprozesse, die diese Orte durchlaufen haben: archäologische Ausgrabungen, eine Straßenecke, ein Picknickplatz, ein Ficus an einer Hausecke. Es sind nicht die geschichtsmächtigen Ereignisse, für die sich Ya’ari interessiert, es sind die übersehenen Veränderungen: ein gefällter Baum, eine verkümmerte Pflanze, überschwemmtes Agrarland. Es handelt sich um eine Art In-Erinnerung-Halten dieser Veränderungen in einem Land, dessen weitere Entwicklung konfliktreich und umstritten ist. Die Diptychen und Serien, die dabei entstehen, entfalten einen Begriff von Landschaft, der unmittelbar mit dieser Praxis des Aufzeichnens und Repräsentierens verbunden ist, Spuren, die zumeist außerhalb unserer Wahrnehmung liegen. Angesichts der Bilder von Ya’ari drängt sich unmittelbar die Vorstellung auf, dass diese Landschaften und Landschaftsausschnitte außerhalb ihrer visuellen Präsenz undenkbar sind. In dieser Form werden die Anblicke und Aussichten allerdings nicht gewöhnlich oder vertraut – das Gegenteil ist der Fall: »je dokumentarischer, authentischer, ungefilterter und unmanipulierter ein Bild auftritt, desto größer ist die kulturelle und psychologische Abstraktion von dem, was es ,zeigt‘«(5). Landschaft ist somit auch in der Arbeit von Sharon Ya’ari weniger etwas, das uns selbstverständlich umgibt, sondern etwas, das zunächst einmal sichtbar gemacht werden muss, das in diesen komplexen techno-kulturellen Prozessen von Verbildlichung entsteht.
In Michael Höpfners Arbeit erscheint der Begriff der Performativität am naheliegendsten – seine Bilder entstehen bei mehrwöchigen Wanderungen durch abgelegene geografische Gebiete, etwa in einem Hochland in Tibet. Man könnte zunächst meinen, dass die Neuerfindung von etwas am ehesten dort gelingt, wo die Last der eigenen Kultur am leichtesten wiegt, in der Ferne, weit weg, in einer anderen Kultur, auf einem anderen Kontinent, außerhalb jeder Zivilisation, wo endlich so etwas wie unberührte Natur vorzufinden wäre. Doch diese Utopie wird durch Höpfners Projekte radikal widerlegt: Wo man Natur erwarten würde, findet sich ebenso eine Landschaft, die Spuren der Industrialisierung trägt. Mehr noch, die Hoffnung auf »das andere«, »natürliche«, auf »den Osten« als Sehnsuchtsort ähnlich Karl Mays »wildem Kurdistan« wird enttäuscht: eine Erfindung, eine Projektion, ein Diskurs. Höpfners Praxis besteht demnach nicht darin, panoramatische Bilder dieser Landschaft in Zerstörung (als Anklage oder Trauer) zu zeigen, sondern den Widerspruch zwischen Erwartung und dem Vorgefundenem im visuellen Zugriff auf diese Landschaft zu zeigen.
»Lie Down, Get Up, Walk On« (2015) beschreibt zunächst die Praxis selbst: anhalten, ein Bild aufnehmen, aufstehen, ein paar Schritte weitergehen, erneut ein Bild nehmen, weitergehen. Auf einem vergrößerten Kontaktabzug finden sich einige solcher Bilder, der Rest bleibt schwarz, als könnte nur ein marginaler Einblick genommen werden in jene Landschaften, die er oft wochenlang durchwandert, als bliebe ihm das allermeiste verborgen. Landschaft entsteht bei Höpfner aus einer Performance, dem Gehen, Anhalten, Bilder-Machen, Weitergehen. In diesem Sinn ist es eine sehr persönliche Erfindung, die uns der Künstler zeigt, die auf kollektiven Vorstellungen ebenso beruht – denen er sich nicht entziehen kann – wie sie diesen widerspricht. Insofern wird in Höpfners Arbeit Landschaft buchstäblich aufgeführt und wiederaufgeführt.
Landschaften oder mit Landschaft assoziierbare Motive finden sich immer wieder in den Arbeiten von Philip Gaißer. Manchmal, wie in »Tour d’Horizon« (2013), als mehrfach belichtete Schemen einer Wüstenlandschaft mit Kakteen, dann wieder als konzeptuelles Modell in »Untitled (Ocean, Biosphere II)« (2013), als eine Art Road-Movie-Still in »One Is Passing While I Watching the Scene I« (2013) oder an der Grenze zwischen Inszenierung und Dokumentation wie in »Made by Cactus Tactical Supply« (2013). »Das ist ein charakteristischer Zug in Philip Gaißers Fotografie: Bei aller dokumentarisch agierenden Nüchternheit behalten seine Bilder etwas Rätselhaftes, immer gibt es da ein Kippmoment oder eine gerichtete Ambivalenz. Das hält sich durch, auch wenn Themen und Sujets variieren: Neben Landschafts- und Architekturaufnahmen und präzise ausgeleuchteten Arrangements im Stil von Studiofotografie steht da auch mal der stimmig verhuschte Schnappschuss oder die offenbare, bühnenhafte Inszenierung.« (6)Ähnlich wie in Ricarda Roggans Arbeit (siehe »The Visual Paradigm«) stellt sich angesichts der Bilder von Gaißer oftmals die Frage der Inszenierung, wenngleich er seine Bildfindung nicht durch Interventionen vor der Kamera steuert. Angesichts dessen, was zu sehen ist, befällt die BetrachterInnen jedenfalls oftmals das Gefühl der Unwahrscheinlichkeit und Künstlichkeit. Damit lassen beide KünstlerInnen die Operation des Präsentierens als solche hervortreten. Laut Rancière hat das »neue Sichtbare« ganz besondere Eigenschaften: Es macht nicht Sehen, sondern drängt Präsenz auf. Dadurch aber zeigt sich in diesen Arbeiten möglicherweise, dass Wirklichkeit – und somit auch Landschaft – außerhalb der Formen ihrer visuellen Präsenz und Performanz gar nicht bezeichnet werden kann.
(1) W. J. T. Mitchell: Das Leben der Bilder. Eine Theorie der visuellen Kultur. München 2008, S.(2) Vgl. Rainer Guldin: Politische Landschaften. Zum Verhältnis von Raum und nationaler Identität. Bielefeld 2014, S. 26. (3) W. J. T. Mitchell: Bildtheorien. Frankfurt 2008, S. 323. (4) Philippe Dubois: Plastizität und Film. Die Frage des Figuralen als Störzeichen. In: Oliver Fahle (Hg.): Störzeichen. Das Bild angesichts des Realen. Weimar 2003, S. 113–136, S. 118. (5) Tom Holert: Die Erscheinung des Dokumentarischen. In: Karin Gludovatz (Hg.): Auf den Spuren des Realen. Kunst und Dokumentarismus. Wien 2003, S. 43–64, S. 55. (6) Jens Asthoff in diesem Katalog. (7) Jacques Rancière: Politik der Bilder. Berlin 2005, S. 140.
Bildmaterial
Die honorarfreie Veröffentlichung ist nur in Zusammenhang mit der Berichterstattung über die Ausstellung und die Publikation gestattet. Wir ersuchen Sie die Fotografien vollständig und nicht in Ausschnitten wiederzugeben. Bildtitel als Download unter dem entsprechenden Link.