Presseinformationen

Friedl Kubelka: Atelier d’Expression (Dakar)

Infos

Hrsg. von Maren Lübbke-Tidow.

Mit Textbeiträgen von Adama Diouf, Georg Gröller und Maren Lübbke-Tidow (ger.).
Edition Camera Austria, Graz 2016.
56 Seiten, 13,3 × 21 cm, 21 SW-Abbildungen.
€ 9,90 / ISBN 978-3-902911-25-4

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Pressetext

»Friedl Kubelka : Atelier d’Expression (Dakar)« stellt das neueste Werk der Künstlerin vor. Die Reflexion über ihre eigene Rolle als Künstlerin, die mit der Entscheidung verbunden ist, das bisherige fotografische Werk zunehmend den Systemen des Kunstmarktes zu entziehen, fällt zusammen mit Kubelkas Beschäftigung mit Menschen, die künstlerisch tätig sind, jedoch abseits des herrschenden Establishments stehen. Diesen sog. »Outsidern« und ihrer Kunst ist die Ausstellung von Friedl Kubelka gewidmet. Wie schon Hubert Fichte besuchte sie die Klinik FANN, eine psychiatrische Einrichtung im Senegal, die in ihrem »Atelier d’Expression« Patienten künstlerisches Schaffen ermöglicht. Die Arbeit beinhaltet fotografische Porträts der Künstler-Patienten sowie einen Film über sie, ergänzt um Werke ihrer Akteure. Doch auch die eigenen Erfahrungen mit der Stadt Dakar erhalten in Sichtbarkeit.
Kubelkas umfangreiche Portärtarbeiten sind zuerst Zeitschnitte im Raum der Begegnung zwischen der Künstlerin und ihrem Gegenüber, sie erzählen von einem Spiel zwischen Nähe und Distanz, von Annäherung und Entfernung oder sogar Entzug. Vielleicht erzählen sie sogar mehr von der Performanz der Begegnung, als dass sie ein Bild abgeben. Gerade in den Filmen zeigt sich das manipulative Potenzial, von denen ihre Porträtsitzungen durchzogen sind. Die Künstlerin begegnet ihren Akteuren mit Witz, Hingabe, manchmal auch mit Kälte. Die Bilder, die entstehen, funktionieren als Befragungen über einen Status sowohl der abgebildeten Person und zugleich des Bildes, der permanent in Bewegung ist. An unausgesprochene Normen rühren und sie zu berühren ohne diese zu gewaltsam zu brechen – dies ist die ungemeine Stärke wie auch die Verletzbarkeit dieses Werkes, das nicht als dokumentarisch zu bezeichnen ist, sondern am Ereignis des Bildes arbeitet.
In den aktuellen Porträtarbeiten, die die Patienten der psychiatrischen Abteilung der Klinik FANN (Dakar) zeigen, war es der Künstlerin wichtig, die Integrität des Gegenübers zu wahren, und Momente der Entgleisung, die in ihrem Werk immer auch aufscheinen, auszuschließen – und ihr Gegenüber gerade (oder wieder einmal!) nicht den Erwartungen entsprechend zu zeigen. Wir sehen hier keine »Outsider«. Ihre Protagonisten sind ernst und un(an)greifbar. Sie geben durch ihren Ausdruck oder ihre Posen keinen Hinweis etwa auf eine (ihre) identitäre Störung. Zuweilen zeigen Utensilien wie ein Pinsel ihr Selbstverständnis als künstlerisch tätige Menschen an. Ansonsten sind wir – wie der Künstler Babacar Gaye (genannt Papis), dessen Gesicht durch das Gras, in dem er liegt, weitgehend verdeckt ist – allein gelassen im Gestrüpp unserer diffusen Vorstellungen von den Menschen, denen Friedl Kubelka im Senegal begegnet ist.
Zum anderen erzählt die Ausstellung von unterschiedlichen Erfahrungsebenen, die der Reise in ein Land geschuldet sind, das eine Fülle von Projektionen und Zuschreibungen provoziert. Als offensiv nicht souveräne Beherrscherin des durchquerten westafrikanischen Raumes arbeitet die Künstlerin mit den inneren und äußeren Widersprüchen, die sie durch das Land führen, und lässt sie in Fotografien von Architekturen und Stadtstrukturen, von ihren eigenen verführerischen Schönheiten und tatsächlichen Abgründen sichtbar werden. Entstanden ist eine Arbeit, die politisch gelesen werden will, in der sich aber konsequent die persönliche Erfahrungsebene der Künstlerin nach vorne schiebt. Das produziert Störmomente. Wenn wir »Afrika« hören, sind wir alarmiert – und haben Sorge vor Pauschalisierung, Beschönigung, Bemitleidung, Verherrlichung oder Verschonung. Wir verlangen Klarheit, Objektivität, Wissen, Information, Umsicht und Grundsatz. All das mag die Künstlerin interessieren oder wissen, aber: Für ihre Arbeit am Bild spielt diese Erwartung keine Rolle. Kubelka schiebt die gängigen, die existenten Projektionen gerade nicht beiseite, um einem zurechtgerückten Bild zuzuarbeiten – sondern zeigt sich mit ihren Bildern als schuldig/unschuldige, als wissend/nicht-wissende, offen-neugierige/angst-und schamvoll Reisende und Fremde.
Das begleitende Buch zur Ausstellung versammelt Texte der Künstlerin zu ihren Arbeiten, einen einführenden Text über das Projekt von Maren Lübbke-Tidow, über die »Citizens of the Virtual« des Senegal aus der Sicht des senegalesischen Philosophen Adama Diouf, über die sog. »Outsider Art« und ihre Produzenten von dem Wiener Psychoanalytiker Georg Gröller sowie einen Wiederabdruck aus Hubert Fichtes »Psyche« über den Künstler Papisto Boy, dessen Werken auch Friedl Kubelka im Senegal begegnet ist.
Mit Friedl Kubelkas: »Atelier d’Expression (Dakar)« zeigt sich eine Widerständigkeit, die sich sowohl auf der Ebene der Produktion von Kunst wie auch auf der Ebene der Produktion von Ausstellungen nicht mit einem »common sense« zufrieden gibt, sondern subversives Denken und Handeln in Anspruch nimmt und in neue Räume vorstößt. (Textauszug: Maren Lübbke Tidow)

 

Auszug aus: Adama Diouf, “Eine kurze Geschichte unserer Vorstellungen von Europa und den EuropäerInnen quer durch die letzten Generationen. Ein senegalesischer Standpunkt”

Eine neue demokratische Ära erlaubte in den Neunzigern Tausenden SenegalesInnen, die Vororte und Dörfer in Richtung der verführerischen Städte Europas und Amerikas zu verlassen. Aber diese neue Generation von MigrantInnen, die den Verdammten angehörten, kümmerten sich nicht um europäische Architektur, Malerei oder Literatur. Sie wollten keine Museen oder Theater kennenlernen. Sie wollten einfach ihre Arbeitskraft anbieten, ihren Lebensunterhalt verdienen und den Wohlstand ihrer Familien vergrößern, die zu Hause geblieben waren. Im Unterschied zu den Dekolonisatoren wollten sie sich nicht mit den EuropäerInnen messen. Sie wollten lediglich einen Anteil an den ökonomischen Reichtümern, um diesen mit ihrer Verwandtschaft zu teilen.
Um die Wahrheit zu sagen, der Mut und die Kühnheit dieser Generation veränderte unser Land schneller als das Streben nach Zivilisation und Kultur durch die Dekolonisatoren. Unsere Städte und Dörfer veränderten sich durch die Opfer dieser »Verdammten der Erde« in erstaunlicher Weise. Wer könnte diese AnalphabetInnen nicht bewundern, die, wie verlorene Töchter und Söhne, voller Verheißungen aus der westlichen Welt in ihre Heimatorte zurückkehrten und von Wirklichkeiten berichteten, die sie durch eine fremde Sprache entdeckten und die sie niemals kennengelernt hätten, wären sie in ihrem Land geblieben. Sie veränderten das Aussehen der Städte und Dörfer, beeindruckender aber ist, wie sie sich selbst und ihr Volk veränderten. Sie öffneten das Global Village für die Generationen des 21. Jahrhunderts, die bereit waren, neue Grenzen zu überwinden und enthusiastische WeltbürgerInnen zu werden.

2000: Die WeltbürgerInnen
In gewissem Sinne hat sich die Prophezeiung unseres Präsidenten erfüllt. Die Globalisierung schien seine lange vorhergesagte Weltzivilisation anzukündigen und im Jahr 2000 war unsere Hauptstadt Dakar eine riesige Stadt. Leider sah sie nicht wie Paris aus, eher glich sie dem Betondschungel anderer Dritte-Welt-Länder.
Der spätere Superstar Bob Marley hat uns in einem wunderbaren Song und in einer Art und Weise, wie es nur KünstlerInnen zustande bringen, offenbart, wie das Leben für die Jugend der »Verdammten« in diesen Städten aussieht (»Concrete Jungle«, 1972). Im Betondschungel, »living is the hardest«, jedoch: »Man, you got to do your best«; »No chains around my feet / But I’m not free«, weil es sich um einen Ort der geheimen Absprachen und des Durcheinanders handelt. »Never known (what happiness is)«, aber du glaubst daran, »that life (sweet life) must be (got to be) somewhere to be found«.
Dieser wunderbare Song könnte die Hymne für all die Töchter und Söhne der Verdammten sein, die verzweifelt nach einem Ort suchen, an dem ihre Träume wahr werden.
Unglücklicherweise werden sich die Türen des europäischen Eldorados bald wieder schließen, trotz der Versprechungen einer neuen Ära der Mobilität und der Offenheit. Ihre Träume und Sehnsüchte werden in den Tiefen der Ozeane untergehen oder durch die Dünen der Wüsten begraben.
Anstatt stolze WeltbürgerInnen (Citizens of the Universal) zu sein, sind die Erben der Verdammten die Opfer einer endlosen Tragödie. Sie sind stattdessen ScheinbürgerInnen (Citizens of the Virtual). Sie haben das Recht, über die sozialen Netzwerke und die Medien zuzusehen, können aber weder teilnehmen noch Spaß an der Show hinter den Bildschirmen haben.
Dennoch haben sie ihre Nähe, Solidarität und ihr Verständnis für ihre Peers im Norden bewiesen. Sie kleiden sich wie jene. Sie denken und sprechen wie jene. Sie machen dieselbe Musik und hören dieselben Songs. Sie haben dieselben Stars und HeldInnen. Was braucht es noch, damit sie endlich an deren Orgien teilnehmen dürfen?

Bildmaterial

Die honorarfreie Veröffentlichung ist nur in Zusammenhang mit der Berichterstattung über die Ausstellung und die Publikation gestattet. Wir ersuchen Sie die Fotografien vollständig und nicht in Ausschnitten wiederzugeben. Bildtitel als Download unter dem entsprechenden Link.

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