Presseinformationen

Heidi Specker
Fotografie

Infos

Pressevorbesichtigung
12.7.2018, 11:00

Eröffnung
13.7.2018, 18:00

Zeitraum
14.7.–26.8.2018

Öffnungszeiten
Di – So, 10:00 – 17:00

Kuratiert von
Reinhard Braun

Zur Ausstellung erscheint eine gleichnamige Publikation in der Edition Camera Austria.

Die Ausstellung findet im Rahmen von Architektursommer 2018 statt.

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Pressetext

Ausgehend von ihrer beobachtenden Aufmerksamkeit und ihrer Präzision des Sehens, gepaart mit der Montage, Gruppierung und Reihung der entstandenen Bilder, erzeugt Heidi Specker seit den 1990er-Jahren visuelle Erzählungen, die die Räume ihres Interesses durch die Bilder demontieren und remontieren, auflösen und wieder zusammensetzen zugleich: Architekturen, Stadtraum, Gärten, Porträts im Atelier, Reisen, Wohnräume. »Das allgemein Anzutreffende sollte eigentümlich wirken können, und vieles, was natürlich schien, sollte als künstlich erkannt werden«, schrieb Bertolt  Brecht. In dieser Weise zeigt Heidi Specker in ihren essayistisch strukturierten Serien immer auch den Zugriff, den sie mit und durch ihre Bilder vornimmt, zeigt sie, wie sie sich mit diesen Bildern einer Wirklichkeit einschreibt, ihre Poetik visuell freisetzt, aber auch ihre Fremdheit, Unzugänglichkeit und Ambivalenz aufrechterhält, um beständig das Vermögen der Bilder zu befragen, deren Wirkung wir alle teilen. Ihr Blick ist dabei niemals unmittelbar oder direkt, die Gegenstände werden kaum jemals auf Augenhöhe gezeigt, sondern von leicht oben oder leicht unten, von der Seite, verschoben, als stünden sie immer schon in einem Konflikt mit demjenigen, das sie zeigen. Und es sind Details, die sie findet und erfindet, das »Ganze«, was es auch sein könnte, es bleibt außerhalb ihrer Bilder und kann kaum jemals aus den Serien imaginiert werden.

Die Ausstellung bei Camera Austria zeigt keinen Querschnitt durch diese verschiedenen Serien, sie will nicht repräsentativ für die umfangreiche künstlerische Arbeit Heidi Speckers stehen oder gar exemplarische Bilder zeigen oder verhandeln. Die Ausstellung geht auf einen mehrmonatigen Dialog der Künstlerin mit dem Kurator zurück, in dessen Verlauf sich die Suche nach einer gemeinsamen Sprache über diese Bilder auf einige wenige konzentriert hat.

Zu nennen wäre die »TEILCHENTHEORIE«. Auf die Frage, »Woraus besteht die Stadt?«, »antwortet« Heidi Specker 1998 mit Details von architektonischen Oberflächen Berliner Architektur, mit einem Herauslösen von wiederkehrenden Fassadendekors aus deren ursprünglichem architektonischen Mit- und Durcheinander, wodurch diese Details freigesetzt, anders, nutzlos, ortlos, schön, aber auch fremd werden. Die Frage nach einer Gesamtheit wird mit ihrer Auflösung beantwortet, mit einer Theorie der Teile. Die Stadt besteht aus Oberflächen, man kann sie ansehen oder ignorieren, man kann den Gestaltungswillen wahrnehmen oder auch nicht, wie die Baulücken. Es ist etwas zu sehen oder auch nicht. Damals wie 30 Jahre später. Eine Typologie entstand, die aufgrund der mittlerweile auf den Weg gebrachten Renovierungen wahrscheinlich schon wieder am Verschwinden ist und dennoch ihre Gültigkeit behält. Heute erzeugt die Serie keine Nostalgie, obwohl sie doch auch in gewisser Weise eine Bestandsaufnahme einer Vergangenheit darstellt, der Geschichte einer Stadt, die wie kaum die einer anderen mit ihrer Architektur verknüpft ist. Diese Bestandsaufnahme ist zugleich subjektiv und objektiv, zugleich rekonstruierend wie utopisch. So direkt und konkret sie sich auf die Architektur richtet, sosehr ist diese in den Bildern gar nicht zu sehen. »TEILCHENTHEORIE« zeigt deutlich, dass Specker in ihrer Arbeit immer auf etwas verzichtet, oder dass sie der Fotografie bestimmte Repräsentationsansprüche nicht aufbürdet, oder diese schlicht für unangemessen hält. Die Künstlerin selbst spricht von einer Art Disharmonie zwischen Bild und Gegenstand, die nicht deckungsgleich sind, die nicht eines für das andere genommen oder gedacht werden können. Damit erhält Specker eine wichtige Differenz aufrecht, die das Bild dem Feld des Fotografischen vorbehält, und die Wirklichkeit dem Feld der Wirklichkeit. »TEILCHENTHEORIE« ist jedenfalls, das kann ohne Gefahr behauptet werden, nicht-repräsentativ, die Teile stehen nicht für das Ganze, die Teile sind eben die Teile, sie werden ins Licht gerückt, erhalten ihre Aufmerksamkeit, jeder Teil für sich genommen, ohne Hierarchie, ein Block an Bildern, ein Gemeinsam-Sein von Bildern – eine Gemeinschaft von Bildern?

Ein wichtiges Arbeitsfeld für Heidi Specker waren und sind Bücher. In diesen Büchern werden die Serien immer auch noch einmal anders gruppiert, gereiht, die Erzählung wechselt, die Reihenfolge scheint nie endgültig festzustehen. Und auch in der Ausstellung bei Camera Austria spielt ein Buch eine doch herausragende Rolle: eine Doppelseite aus THREE WOMEN, gemeinsam mit Anna Viebrock 2013 herausgegeben, auf der der Kopf ihrer Freundin in ein blau-rotes Kopftuch gehüllt von schräg oben links zu sehen ist. Es handelt sich um das einzige Bild, das als Teil eines Buches in einer Tischvitrine gezeigt wird. Möglicherweise besteht das Schicksal von Fotografie nicht unausweichlich darin, als gerahmtes oder ungerahmtes Bild an der Wand zu enden.

Auf einer Doppelseite des Buches ist fast nur dieses Kopftuch zu sehen, fast nur dieses weiße Blumenmuster – Gänseblümchen – auf blauem und rotem Grund, die Andeutung einer Brille, Stirnhaar, das sich im Wind bewegt, Sonne, eine Treppe im Hintergrund – am Meer? Eine Burg? Doch eigentlich ist dies nicht von Bedeutung, es ist das Kopftuch, das den Blick und das Bild einfängt. Ein Kopftuch wie die Oberfläche einer Architektur, wie eine Hülle, wie das Dekor einer Architektur, zugleich schön, wiederkehrend, einzigartig und banal, strukturierend und zufällig, konstruktiv und flüchtig. Das Kopftuch, die Frau und die Sonne und vielleicht mehr noch, als die Fotografin sehen konnte oder wirklich gesehen hat und doch sehr wohl gesehen hat. Das Bild kommt zusammen, es kommt zusammen, was zusammenkommen kann, um ein Bild zu ergeben, es kommt zusammen, was von der Fotografin hervorgebracht, aber von ihr nicht vollständig kontrolliert werden kann. Eine fragile Begegnung, eine Wahrnehmung, von Unsicherheit, oder besser: von Vorsicht oder Behutsamkeit gekennzeichnet, vielleicht sogar von Respekt (eine anachronistische Idee, vielleicht, aus der Zeit gedriftet).

Ein weiteres Bild: Die großformatige Abbildung einer silbernen Muschelschale, die die Fotografin in der ehemaligen Wohnung des Malers Giorgio de Chirico in Rom entdeckt hat (»Piazza di Spagna 31, Motiv IV«, 2010), zeigt eine vergleichbar verführerische Oberfläche – glänzend, organisch, fließend –, ein gewisser Exzess der Form und der Materialität, eine Art der visuellen Überschreitung und Entgrenzung, den Blick auf sich ziehend und diesen zurückspiegelnd, ein Schatz, der sich durch die Reflexion seiner selbst auf der Oberfläche, auf der er zu liegen gekommen ist, gewissermaßen verdoppelt, wie er sich in dieser Spiegelung, in diesem Widerschein seiner selbst, von dieser Oberfläche absetzt und sich davon unterscheidet. In gewisser Weise stellt die Schale ein Bild von sich selbst her, ein weiteres Bild von sich selbst aus, das sich im Bild der Fotografin verdoppelt, wenn nicht vervielfacht. Ein Spiel der Unterscheidungen, der Differenzen, ein Spiel von Wirklichkeit und Schein, von Verführung und Verweigerung, ein Spiel von Sichtbarkeiten, das sich als Fotografie selbst zu sehen gibt. Etwas ist zu sehen oder aber nicht.

Zwischen diesen Bildern, die gewissermaßen als Gelenke in der Ausstellung dienen, finden sich auch solche, die einen Richtungswechsel vorgeben, die ein Zusammentreffen der Art und Weise markieren, wie Heidi Specker die Dinge zugleich genau wie im Vorbeigehen in eine Fotografie verwandelt, sie in eine Fotografie übersetzt – weitere Bilder aus den Serien »TERMINI«, 2010 während eines einjährigen Aufenthalts in Rom entstanden, und »Re-prise«, wobei letztere 2015 als Remake des Buchentwurfs »Ci-Contre« von Moï Wer aus den 1920er-Jahren erschien. Lichtspiegelungen in Fenstern und Fliegen auf einer Glasscheibe, eine rotglühende Pfütze, »Der Tag, an dem die Erde stillstand« (Ultimatum alla Terra) als überholtes Plakat auf einer stillstehenden Uhr, die verschiedene Uhrzeiten zeigt, Straßenlampen, eine Ausstellungseröffnung – Oberflächen, Spiegelungen, wobei das eine für etwas anderes steht, als etwas anderes gelesen werden kann, Bilder, die weniger ein Ereignis fixieren, als dass sie einen möglichen Übergang, eine mögliche Andeutung zur Erscheinung bringen, zweideutige Momente, mehrdeutige Oberflächen.

Es handelt sich schließlich um fotografische Bilder, denen sich die Künstlerin selbst in gewisser Weise einschreibt, nicht nur durch die eingangs erwähnte beobachtende Aufmerksamkeit und ihre Präzision des Sehens – es sind auch Bilder eines Wissens um die Geschichte und die Gegenwart, Bilder, die die Künstlerin sieht, weil sie sie mitunter an etwas erinnern, das sie weiß, gesehen hat, gelesen hat, recherchiert hat. Die Arbeit von Heidi Specker auf den Blick oder das Bild als etwas rein Visuelles zu reduzieren, würde ihre Arbeit völlig verkennen, steht diese doch stets in einem – auch spannungsgeladenen – Austausch mit der Kunst oder mit der Geschichte der Kunst oder auch mit Populärkultur(en), was anhand von Personen wie Peter Behrens, Germaine Krull, Moï Wer, Carlo Mollino, Robert Wise oder Giorgio de Chirico deutlich wird, die in manchen Serien zentrale Rollen spielen.

»Es gibt kein Bild, es gibt nur Bilder. Und es gibt eine bestimmte Art der Zusammenstellung von Bildern: Sobald es zwei von ihnen gibt, gibt es drei«, hat Jean-Luc Godard geschrieben. Damit sind nicht nur die Bilder der Montage gemeint, die einem Bild vorausgehen und einem anderen folgen. Damit sind auch jene Bilder gemeint, die es schon gibt, woanders, an die wir uns erinnern, die unsere Weise der Erkennens und Begreifens mitgeformt haben, die zugleich abwesend und doch anwesend sind, jene Bilder, die immer schon da waren, als die Bilder von Heidi Specker entstanden, Bilder, die zu anderen Bildern führen, die wiederum andere Bilder voraussetzen.

Hüten wir uns also davor, besonders in einer Ausstellung von Heidi Specker, Bilder vor allem als etwas Formales zu verstehen, als eine Form, eine Gestalt, eine Gestaltung, trotzdem es so scheinen mag, als würden uns ihre Bilder zu einer derartigen Leseweise verführen wollen. Bereits Walter Benjamin hat uns davor gewarnt: Im Jahr 1934 hält er einen Vortrag am Pariser Institut zum Studium des Faschismus, der unter dem Titel »Der Autor als Produzent« veröffentlicht wurde. In diesem Vortrag sagte Benjamin: »Sie [die Fotografie der Neuen Sachlichkeit] wird immer nuancierter, immer moderner, und das Ergebnis ist, daß sie keine Mietskaserne, keinen Müllhaufen mehr photographieren kann, ohne ihn zu verklären. Geschweige denn, daß sie imstande wäre, über ein Stauwerk oder eine Kabelfabrik etwas anderes auszusagen als dies: die Welt ist schön. […] Es ist ihr nämlich gelungen, auch noch das Elend, indem sie es auf modisch perfektionierte Weise auffaßte, zum Gegenstand des Genusses zu machen.«

Heidi Specker spricht – nicht nur visuell – anders über die Welt. Ihr Verfahren besteht mitnichten in einer – zeitgenössisch reflektierten – Form der Verklärung, selbst dann, wenn die Bilder schön sind, oder vielleicht gerade dann, wenn sie schön sind, weil sie schön sind, indem sie auch subversiv sind, weil sie teilen, aufteilen, das Ganze – die Welt, die Stadt, die Person, den Raum – analysieren, aufspalten, fragmentieren, demontieren, zunächst einmal aus dem Blick nehmen und aus dem Blick bringen, um diese dann – anders, mit den Methoden der Fotografie als Ausschnitt und als immer fragmentarischer Zugriff – neu zu organisieren. Man muss sich vielleicht auch hüten, zu sehr über die Bilder selbst zu sprechen – vielleicht müsste man mehr über die Zwischenräume, die Auslassungen, das Vermisste, das Ungesehene, das Nicht-Gezeigte zwischen den Bildern sprechen, darüber, was zwischen den Bildern passiert, sich ereignet, am Übergang von einem Bild zum anderen – welche Anschlüsse, welche Assoziationen, welche Verzweigungen konstruiert die Künstlerin dadurch für uns?

Die Plastizität eines Ausschnitts einer Betonfassade trifft auf einen – glücklichen, so stellen wir es uns vor – Moment einer sommerlichen Reise, ein windiger Tag, an dem frau ein Kopftuch trägt, dieser trifft wiederum auf eine preziose Silberschale in der Wohnung eines Malers; weiter auseinander liegendere Begebenheiten sind schon fast nicht mehr vorstellbar. Doch wie finden sie zusammen, wie werden sie durch die Künstlerin zusammengefunden, zugleich verbunden und unverbunden, autonom und durch einen Bildessay aneinander gebunden? Sind es gerade die Unterschiede, das Fremde zwischen den Bildern, die dieses Zusammen-Finden überhaupt erst ermöglichen? Vielleicht ist es gerade das möglichst weit Auseinanderliegende, das gemeinsam eine neue Theorie der Teile zu ergeben vermag.

Reinhard Braun

Heidi Specker, 1962 in Damme (DE) geboren, lebt in Berlin (DE). Sie arbeitet in Werkgruppen, die sich thematisch von der Architektur über die Dingwelt zum Porträt ausweiten. Die Serien »SPECKERGRUPPEN« (1995) und »IM GARTEN« (2003) stellen Architektur und Natur einander gegenüber. Ihre späteren Fotografien stehen mit zu Personen gehörigen Orten in Verbindung: Mies van der Rohe in »LANDHAUS LEMKE« (2008) und Giorgio de Chirico oder Carlo Mollino in »TERMINI« (2010). »In Front Of« (2015) beschäftigt sich schließlich mit Porträts. Specker ist Professorin für Fotografie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig (DE). Ihre Arbeiten wurden im Sprengel Museum Hannover (DE), im Mies van der Rohe Haus Berlin, im Leopold-Hoesch-Museum, Düren (DE), in der Pinakothek der Moderne, München (DE), und in der Berlinischen Galerie, Berlin, gezeigt. Die Ausstellungen sind ebenso wie ihre Bilder konzeptuell gedacht, insbesondere ihre letzte Ausstellung »Heidi Specker: FOTOGRAFIN« im Kunstmuseum Bonn (DE, 2018).

Bildmaterial

Die honorarfreie Veröffentlichung ist nur in Zusammenhang mit der Berichterstattung über die Ausstellung und die Publikation gestattet. Wir ersuchen Sie die Fotografien vollständig und nicht in Ausschnitten wiederzugeben. Bildtitel als Download unter dem entsprechenden Link.

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