Camera Austria International
136 | 2016
- E.C. FEISS
Pauline Boudry & Renate Lorenz: Militante Figuren und veränderliche Substanzen - PAULINE BOUDRY & RENATE LORENZ
- GONÇALO PENA
João Maria Gusmão & Pedro Paiva: Der Knaben Wundertüte! - JOÃO MARIA GUSMÃO & PEDRO PAIVA
- ANDREAS PRINZING
Maya Schweizer: Von Präsenzen und Überlagerungen - MAYA SCHWEIZER
- VOLKER PANTENBURG
Matthias Müller: Unschärfe-Studien - MATTHIAS MÜLLER
- ADAM KLEINMAN
Amie Siegel: Kritische Relationen - AMIE SIEGEL
- OMAR KHOLEIF
Broken Flags. Versuch einen Traum zu träumen
Vorwort
Wenn Gesellschaft ihre typische Prägung an ihren Rändern erfährt, eine Idee, die wir in der letzten Ausgabe aufgegriffen haben, so gilt dies umso mehr für die fotografischen Bilder selbst. In dieser Ausgabe interessieren wir uns für die Übergänge des Fotografischen ins Performative, für die Passagen der Fotografie in die Dispositive des Kinos und des Videos, die beide selbst in einem permanenten Prozess der Umarbeitung stehen. Was erwartet uns an den Rändern der Bilder? Werden die Bildregime selbst nicht immer mehr von Paradigmen bestimmt, die selbst außerhalb des Visuellen liegen? Lassen sich an den Spuren der Überlagerungen und Kollisionen zwischen verschiedenen Bildregimen Antworten finden auf diesen Determinismus?
Volltext →Camera Austria International 136 | 2016
Vorwort
Wenn Gesellschaft ihre typische Prägung an ihren Rändern erfährt, eine Idee, die wir in der letzten Ausgabe aufgegriffen haben, so gilt dies umso mehr für die fotografischen Bilder selbst. In dieser Ausgabe interessieren wir uns für die Übergänge des Fotografischen ins Performative, für die Passagen der Fotografie in die Dispositive des Kinos und des Videos, die beide selbst in einem permanenten Prozess der Umarbeitung stehen. Was erwartet uns an den Rändern der Bilder? Werden die Bildregime selbst nicht immer mehr von Paradigmen bestimmt, die selbst außerhalb des Visuellen liegen? Lassen sich an den Spuren der Überlagerungen und Kollisionen zwischen verschiedenen Bildregimen Antworten finden auf diesen Determinismus?
Amie Siegels Arbeiten verdeutlichen vielleicht am klarsten die Idee einer Durchquerung: Der Marmor, der im Dorset Mountain in Vermont abgebaut wird, landet schließlich in den Designer-
Küchen der Spekulationsobjekte der amerikanischen Upper Class – die Bedeutungsverschiebung eines Materials, seine Verwandlung und Umarbeitung als Metapher für eine Strategie der Umwandlung des Visuellen selbst? Schließlich, wie Adam Kleinman schreibt, stehe das Interesse an dem, als was sich ein Objekt ausgibt, sowie an dessen meist von irgendeiner Inschrift abgeleiteten Sinn und Zweck in der Welt im Mittelpunkt von Amie Siegels Werk.
Auch die aktuelle Arbeit von Pauline Boudry und Renate Lorenz,»I WANT«, überwindet einen Abstand beziehungsweise überquert einen Raum der Differenzen: Texte der Punk-Poetin Kathy Acker werden mit Chats und öffentlichen Äußerungen der Whistle-blowerin Chelsea Manning kombiniert. Das »Ich« der Protagonistin der gefilmten Performance – die Künstlerin Sharon Hayes – scheint in einem post-identitären Raum-Zeit-Gefüge gefangen zu sein, in dem sie mit verschiedenen Identitäten jongliert, ein »temporärer Drag«, wie es E. C. Feiss bezeichnet, durchdrungen von vagabundierendem Vokabular und Ensembles ästhetischer Strategien.
»Aus verschiedenen Weltgegenden zusammengetragene Meteoriten, Zwielichte, Kasuare, Geister, Flusspferde und Primaten erinnern an alte Laboratorien und begründen eine Archäologie des Unbekannten«, wie es Gonçalo Pena zu den Arbeiten von João Maria Gusmão und Pedro Paiva bemerkt. Jedoch sind die Akkumulation der Objekte und die Überlagerungen der Bilder auf eine prinzipielle Unabgeschlossenheit hin entworfen, gegen jede Teleologie – ein Furor der Öffnung der Bilder und Objekte, westlichen logischen Strukturen der Verknüpfung und Kausalität entgegenarbeitend.
Auch in der Arbeit von Maya Schweizer sieht Andreas Prinzing das Prinzip der Überlagerung als Kern des formalen Verfahrens wie auch der Bedeutungsproduktion am Werk. Ihre filmischen Arbeiten umkreisen Fragen von Geschichte, Identität und Erinnerung, die mit Räumen und deren Wahrnehmung verbunden sind. Ihre Filmbilder wie ihre Fotografien setzen diese Räume in Bewegung, als Ausgangspunkte – oder Verdichtungen – sozialer Prozesse und kollektiver Handlungsweisen.
»Jedes Bild trägt – mal offen, mal eher verdeckt – den Schatten seiner Vergangenheit und medialen Migration mit sich«, schreibt Volker Pantenburg über die aktuelle Arbeit von Matthias Müller. Gesammelt aus Online-Streams privater Chaträume beschreibt »While You Were Out« eine Abwesenheit, einen Moment der Unterbrechung der Streams – zurück bleiben die Sitzgelegenheiten der ProtagonistInnen einer zugleich unheimlichen wie banalen Online-Präsenz. Sprechen diese Bilder nun von Präsenz oder Absenz, oder, im Hinblick auf unser Interesse in dieser Ausgabe an Überlagerungen und Kollisionen zwischen verschiedenen Bildregimen, durchqueren sie nicht einen Raum der Unbestimmtheit, markieren Ränder visueller Dispositive, von denen aus sie erneut und anders in den Blick genommen werden können?
Reinhard Braun
und das Camera-Austria-Team
Dezember 2016
Cover: Pauline Boudry & Renate Lorenz, Still aus: Opaque, 2014. Installation, Super 16mm, HD video (colour, sound), 10’. Performance: Ginger Brooks Takahashi, Werner Hirsch. Courtesy: die Künstlerinnen, Marcelle Alix, Paris, Ellen de Bruijne Projects, Amsterdam.
Beiträge
Forum
Vorgestellt von Wolfgang Vollmer:
Alexander Basile
Sarah C. Butler
Rose Marie Cromwell
Kris Sanford
Andy Mattern
Johannes Post
Ausstellungen
Erin Shirreff: Halves and Wholes
Kunsthalle Basel
MORITZ SCHEPER
Philip Gaißer, Carsten Benger: Ion Dam
Galerie im Marstall Ahrensburg
JENS ASTHOFF
Peter Dressler: Wiener Gold
Kunst Haus Wien
RUTH HORAK
Alwin Lay: Der entscheidende Augenblick musste verschoben werden
KV – Verein für Zeitgenössische Kunst Leipzig
REBECCA WILTON
Kreuzberg – Amerika. Werkstatt für Photographie 1976 – 1986
C/O Berlin
Und plötzlich diese Weite
Sprengel Museum Hannover
Das rebellische Bild. Situation 1980: Die Kreuzberger »Werkstatt für Photographie« und die junge Folkwang-Szene
Museum Folkwang, Essen
FALK HABERKORN
The Uses of Photography: Art, Politics, and the Reinvention of a Medium
MCASD, La Jolla, San Diego
TIM RIDLEN
From Broodthaers to Braeckman: Photography in the Visual Arts in Belgium
M HKA, Antwerpen
STEVEN HUMBLET
steirischer herbst 2016
We can do this: On the Shifting of Cultural Cartographies
MARGIT NEUHOLD UND BASAK SENOVA
Recent Histories: New Photography from Africa
The Walther Collection Project Space, New York
MICHAEL ADNO
Vasco Araújo: Decolonial Desire
Autograph ABP, London
FRANCESCA LAURA CAVALLO
Sven Augustijnen: The Metronome Bursts of Automatic Fire Seep Through the Dawn Mist Like Muffled Drums and We Know It for What It Is
Dublin City Gallery The Hugh Lane
KATE STRAIN
Uprisings
Jeu de Paume, Paris
ELLIE ARMON AZOULAY
Aby Warburg: Mnemosyne Bilderatlas. Rekonstruktion – Kommentar – Aktualisierung
ZKM, Karlsruhe
The Warburg Institute, London
GISLIND NABAKOWSKI
Jungjin Lee: Echo
Fotomuseum Winterthur
MARI LAANEMETS
Yto Barrada: The Sample Book
Secession, Wien
YUKI HIGASHINO
Katarina Zdjelar: To Walk a Line
Pluriversale V, Academyspace / Akademie der Künste der Welt, Köln
SABINE WEIER
Tamar Guimarães: La incorrupta
Museo Reina Sofía, Madrid
ANA TEIXEIRA PINTO
Bücher
Joachim Brohm, Valentina Seidel: Trinity
Snoeck, Köln
MAREN LÜBBKE-TIDOW
Bernd Kracke, Marc Ries (Hg.): Expanded Senses. Neue Sinnlichkeit und Sinnesarbeit in der Spätmoderne
transcript Verlag, Bielefeld 2015
DREHLI ROBNIK
5 × 5. Photo Tracks
EIKON, Wien 2016
TACO HIDDE BAKKER
Das große Experiment
Florian Havemann: Auszüge aus den Tafeln des Schicksals. Ein Porträt von Velimir Chlebnikov 1977 und 1979
März bei Zweitausendeins, Frankfurt/Main 1979
Boris Mikhailov: Case History
Scalo, Zürich/Berlin/New York 1999
Peter Puklus: The Epic Love Story of a Warrior
SPBH Editions, London 2016
JAN WENZEL
Impressum
Herausgeber: Reinhard Braun
Verlag, Eigentümer: Verein CAMERA AUSTRIA. Labor für Fotografie und Theorie.
Lendkai 1, 8020 Graz, Österreich
Redaktion: Margit Neuhold, Sabine Weier.
ÜbersetzerInnen: Dawn Michelle d’Atri, Rita Matos, Wilfried Prantner, Andrea Scrima.
Englisches Lektorat: Dawn Michelle d’Atri, Andrea Scrima.
Dank: Francisca Bagulho, Alexander Basile, Sooanne Berner, Stanislav Bříza, Sarah C. Butler, Pauline Boudry & Renate Lorenz, Rose Marie Cromwell, E. C. Feiss, João
Maria Gusmão & Pedro Paiva, Otto Kapfinger, Adam Kleinman, Andy Mattern, Eva Möller, Matthias Müller, Paula Naughton, Volker Pantenburg, Gonçalo Pena, Philippe Pirotte, Johannes Post,
Andreas Prinzing, Lucy Raven, Rusty Van Riper, Kris Sanford, Maya Schweizer, Amie Siegel, Margherita Spiluttini, Ole Truderung, Ron Warren, Thomas Weski, Sergej Vutuc.
Copyright © 2016
Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck nur mit vorheriger Genehmigung des Verlags. Für übermittelte Manuskripte und Originalvorlagen wird keine Haftung übernommen.
ISBN 978-3-902911-30-8
ISSN 1015 1915
GTIN 4 19 23106 1600 5 00136