Ana de Almeida & Huda Takriti
(In)verso. Between the Lens and the Archive
Infos
Eröffnung
13.9.2024, 18:00
Künstlerinnenführung mit
Ana de Almeida & Huda Takriti
im Rahmen des Partnerprogrammsdes steirischen herbst
28.9.2024, 12:30
ORF-Lange Nacht der Museen5.10.2024, 18:00–00:00
Ausstellungsführungen:
19:00, 21:00, 23:00
Studierendentag UNIKUM15.11.2024, 12:00 – 18:00
Kunsthaus Graz HDACamera Austria
Zeitraum
14.9. – 17.11.2024
Öffnungszeiten
Di – So und an Feiertagen
10:00 – 18:00
Führungen
Deutsch, Englisch
kostenlos, nach Vereinbarung:
exhibitions@camera-austria.at
+43 316 81555016
Idee und Konzept
Anna Voswinckel
Intro
Die Doppelausstellung verwebt parallele Stränge zweier künstlerischer Forschungsprojekte, die sich mit subjektiven, bildbezogenen Zugängen zu Migration und Erinnerung beschäftigen, in einer gemeinsamen Rauminstallation.
Ausgehend vom privaten Fotoarchiv ihres Vaters, der zwischen 1978 und 1987 als portugiesischer Student in Prag lebte, untersucht Ana de Almeida die Spiegelung gegensätzlicher Revolutionsphasen: der gescheiterte Prager Frühling 1968, die Nelkenrevolution 1974 und die sich ankündigende Samtene Revolution 1989. Historisches Bildmaterial setzt die Künstlerin in skulpturale Display-Elemente um, die sich wie ein Parcours durch den Raum ziehen.
In ihrer zentralen Videoinstallation On Another Note (2024) greift Takriti – ebenso wie in ihren Collagen und Textildrucken – auf den künstlerischen Nachlass und das Fotoalbum ihrer Großmutter zurück, die in den 1960er-Jahren als Lehrerin und Textilkünstlerin in Kuwait lebte. Am Beispiel ihrer von der Sorge um die palästinensische Staatenlosigkeit geprägten Familiengeschichte wirft sie einen Blick auf die transnationalen Verstrickungen der Region.
Ana de Almeida (geb. 1987 in der ehemaligen Tschechoslowakei) ist eine Künstlerin aus Lissabon (PT) und lebt und arbeitet derzeit in Wien (AT). Sie studierte an der Fakultät der bildenden Künste der Universität Lissabon, am Lahti Art Institute (FI) und an der Akademie der bildenden Künste Wien, wo sie aktuell mit einem Stipendium der Österreichischen Akademie der Wissenschaften an ihrem Dissertationsprojekt (Doktor der Philosophie) arbeitet. Ihre Arbeiten und Projekte wurden zuletzt an folgenden Orten gezeigt: Belvedere 21, Wien (2023), Kunsthalle Wien (2023), CAV – Centre for Visual Arts, Coimbra (PT, 2022) und im Ústí nad Labem House of Arts (CZ, 2021). 2021 erhielt Ana de Almeida das Österreichische Staatsstipendium für Medienkunst, 2011 den BES Revelação Art Prize der Serralves Foundation for Contemporary Art.
Huda Takriti (geb. 1990 in Syrien) lebt als Künstlerin und Wissenschaftlerin in Wien (AT). Sie studierte an der Fakultät für bildende Künste in Damaskus (SY) und am TransArts-Department der Universität für angewandte Kunst Wien. Derzeit arbeitet sie an einem PhD in Practice an der Akademie der bildenden Künste Wien. Ihre Arbeiten wurden zuletzt u.a. an folgenden Orten gezeigt: Kunstraum Lakeside, Klagenfurt (AT, 2024), Galerie Crone, Wien (2023), Kunsthalle Wien (2020), Afro-Asiatisches Institut Graz (AT, 2017), mumok – Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien (2022). Sie erhielt das Vordemberge-Gildewart-Stipendium (2022), den Kunsthalle Wien-Preis (2020) und ein Stipendium der Camargo Foundation (2023).
Volltext →Ana de Almeida & Huda Takriti
(In)verso. Between the Lens and the Archive
Was verlangen wir von Bildern?
Anhand von Videos und collagierten Installationen, die Fotografien, Geschichten und wertvolle Gegenstände ihrer Mutter und Großmutter zeigen, reflektiert Huda Takriti über das Wesen von Familiengedächtnis und Wissensproduktion als weibliche Praxis. Sie schildert die Erinnerungen ihrer Mutter und Großmutter als Generationenwissen, das sich noch immer entfaltet. Sowohl die Hände ihrer Mutter als auch die ihrer Großmutter tauchen in dem Video On Another Note (2024) immer wieder auf: Sie halten eine Schere, mit der sie Stoffe zuschneiden, blättern die Seiten von Fotoalben um und gestikulieren beim Erklären. Die von der Tochter festgehaltenen Hände ihrer Mutter verbinden Generationen, Körper, die Tausende von Kilometern voneinander entfernt sind, und das Wissen, das sie in sich tragen.
Ana de Almeida wiederum untersucht Familienfotos – Bilder aus der Jugendzeit ihres Vaters, die er abwechselnd in seinem Heimatland Portugal und als Student in der kommunistischen Tschechoslowakei in den Jahren nach der Nelkenrevolution (1974) und kurz vor der Samtenen Revolution (1989) aufgenommen hat. Die Bilder sind von revolutionärem Eifer erfüllt und frei von fixierter archivarischer Dokumentation, sodass sie für die außerhalb von Geschichte liegenden und freien Interpretationen der Künstlerin offenbleiben. Sie werden quasi zu Gastgebern ihrer Vorstellungen; de Almeida verstärkt die Präsenz des Familien-»Schuhkartons der Bilder«, wenn man so will.
Da beide Praktiken collagenartig mit Erinnerung und Geschichte in Zeiten sozialer Unruhen umgehen, werde auch ich mich hin und her bewegen, um über Erinnerung und Migration nachzudenken. Huda Takriti und Ana de Almeida betrachten, was wir von Bildern verlangen, und was wir von den Dingen verlangen, die unsere Familie auf der langen Reise von Migration oder Vertreibung zurücklässt. Vor allem angesichts der Allgegenwart von Bildern in unserem Leben, die unsere visuellen Landschaften im Internet und in den sozialen Medien tapezieren, machen ihre Fragen die schlüpfrigen politischen Grenzen von Dingen deutlich, die wir als Gegensätze für selbstverständlich halten: die offizielle Historie und die Familien-Geschichte in der Erzählung des sozialen Lebens und seiner Umwälzungen.
Takriti stützt sich dabei auf die Überlegungen des Kulturtheoretikers Edward Said, der mit Nachdruck herausstrich, wie wichtig es sei, staatliche Narrative – und insbesondere jene des kolonisierenden Staates – durch Gegenarchive zu untergraben. Wenn Takriti diesen Punkt aufgreift, erkennt sie mit ihrem Projekt stillschweigend an, dass »große Geschichten« – das monumentale Gegenarchiv – die sich noch entwickelnde Geschichte nicht erfassen können. Da ihre Familie nach wie vor vertrieben und weit von ihrer Heimat Palästina entfernt ist und die Nakba eher ein fortdauernder Zustand als eine abgeschlossene Angelegenheit bleibt, stellt sich die Frage, welche monumentale Geschichte das Gewicht des Blicks einer Familie auf eine unwiederbringliche Heimat tragen könnte. Vielleicht haben die Hände ihrer Mutter ein solches Gewicht.
De Almeidas Vater wiederum war einer von vielen jungen Idealist*innen, die sich in den 1970er-Jahren auf den Weg in die Tschechoslowakei machten, als Teil eines größeren Ostblockprogramms zur Zeit des Kalten Krieges, um Studierende aus der »Dritten Welt« für die kommunistischen Länder anzuwerben. Er gehörte zu einer Generation, die an einem massiven soziopolitischen Wandel beteiligt war und den militärischen und zivilen Widerstand gegen das autoritäre Regime Portugals miterlebte. Die Nelkenrevolution, die sich eine Zeit lang zu einer populären Widerstandsbewegung entwickelte, schürte einen euphorischen Optimismus für mehr Regierungsbeteiligung der Bevölkerung. Seine Erfahrungen veranlassten ihn, in seinem Heimat- wie auch in seinem Gastland nach verschiedenen Erscheinungsformen des Widerstands zu suchen, die er fotografisch festhielt. Diese Fotografien bieten eine zusammenhängende Ikonografie revolutionären Eifers, die auch heutigen Betrachter*innen leicht zugänglich ist – Panzer, jugendliche Menschenmengen, Peace-Zeichen und erhobene Hände. Doch bleiben die Einzelheiten der unterschiedlichen Geschichten im persönlichen Archiv ihres Vaters undurchsichtig. Die Bilder in Ana de Almeidas Werken indexieren keine Momente, wie es vom fotografischen Dokument in der offiziellen Geschichtsschreibung erwartet wird. Vielmehr verweisen sie auf das Leben ihres Vaters, auf ihr eigenes Leben als Angehörige einer postrevolutionären Generation und auf eine ungewisse Zukunft, die diesen jahrzehntealten Bildern inhärent ist. Die Bilder tragen das Versprechen des Wandels und die damit einhergehende Begeisterung in sich, nicht den Abschluss historischer Ereignisse.
Es gibt ein Begehren nach Bildern, das beide Künstlerinnen als eine Art »Beherbergung« oder einen Ort der Sehnsucht und Projektion beschreiben. Der Theoretiker Pierre Nora hat diese Funktion als lieu de memoire bezeichnet, was für die erhöhte symbolische Bedeutung steht, die ein Ding im familiären und kulturellen Gedächtnis annehmen kann. Eine solche symbolische Bedeutung wird jedoch nur dann »beherbergt«, wenn die Vergangenheit als unwiederbringlich anerkannt wird. Mit den Worten von Nora: »Unser Interesse an den lieux de mémoire ist in einem besonderen historischen Moment entstanden, an einem Wendepunkt, an dem das Bewusstsein eines Bruchs mit der Vergangenheit mit dem Gefühl verbunden ist, dass die Erinnerung zerrissen wurde – aber so zerrissen, dass sich das Problem der Verkörperung der Erinnerung an bestimmten Orten stellt, an denen ein Gefühl der historischen Kontinuität fortbesteht. Es gibt lieux de mémoire, ›Orte der Erinnerung‹, weil es keine milieux de mémoire, keine realen Umgebungen der Erinnerung mehr gibt.«¹
Für de Almeida gilt diese Nostalgie der revolutionären Leidenschaft selbst, eine Nostalgie, die noch lange lebendig ist, nachdem solche Träume junge Menschen in den 1960er- und 1970er-Jahren auf die Straße getrieben haben. Um die Resonanz der Fotografien zu ergründen, geht sie von ihrer künstlerischen Intuition und ihrem familiären affektiven Wissen aus, um daran anknüpfend externe Recherchen anzustellen, die dieses Wissen bestätigen. Ihre Arbeiten werfen einen Blick zurück auf die Zugehörigkeit zu einer revolutionären Generation und auf den jungen Mann, der ihr Vater werden sollte, aber auch auf die Mitstreiter*innen und Zuschauer*innen, deren kollektive Kraft Potenzial bedeutete. Durch einen solchen Rückblick laden ihre Werke auch die zeitgenössischen Betrachter*innen ein, die Selbstverständlichkeit unseres politischen Augenblicks zu hinterfragen.
Émile Durkheim, der über Kollektivität und Revolution theoretisierte, argumentierte, dass kollektive Investitionen den Charakter eines kategorischen Imperativs haben – eine Selbstverständlichkeit, die die Logik der (richtigen) Revolution bestätigt. In 68: Prag in Lissabon (2024) legt de Almeida ihre Stimme über fehlende Tonspuren, die zu Straßeninterviews gehören, welche 1968 vom öffentlichen portugiesischen Fernsehsender RTP in Lissabon geführt wurden; inhaltlich geht es um den Einmarsch der von der Sowjetunion angeführten Truppen des Warschauer Pakts in die Tschechoslowakei, der unbeabsichtigte Folgen für die Einheit der kommunistischen Projekte weltweit hatte. Geleitet von Recherchen über die damalige portugiesische Presseberichterstattung und sogar durch Lippenlesen, lässt de Almeida ihre eigenen unterbewussten Wünsche durch die Risse des revolutionären Versprechens fließen. Zusammen mit zwei anderen Videos, April Words (2024) und November Words (2024), in denen die Künstlerin portugiesische und tschechische Zeichensprache-Dolmetscher*innen dazu einlädt, historische Begriffe zu übersetzen, die in direktem Zusammenhang mit der Nelken- und Samtenen Revolution stehen, scheint sie stattdessen zu fragen: Ist die Semiotik der Revolution austauschbar, fixierbar, formbar oder noch etwas Anderes? Die soziale Ordnung und der revolutionäre Glaube werden ihrer Folgen bereinigt und in ihren Darstellungen befragt. Dieses Manöver ist jedoch nicht zynisch.
Abgesehen von Theorien und Abstraktionen gewinnen heftige Nationalismen an Bedeutung und monopolisieren jetzt die Wahrheit und den Patriotismus durch und gegen das fotografische Bild und seine Beweisansprüche. Der populistische Demagoge beansprucht eine größere Unmittelbarkeit (sprich: weniger Vermittlung) von Präsenz und Bedeutung, die im Gedränge der Menschenmengen im Bann des Nationalismus Gestalt annimmt. Das Foto ist verarmt. De Almeidas Beschwörung der Fotografie als reines Potenzial ist eine Leugnung des repressiven Staates. Im Gegenteil, sie beruft sich auf Ariella Aïsha Azoulays Konzept der Fotografie als Gesellschaftsvertrag – als Mittel der Freizügigkeit und der Manifestation von Teilhabe und Zustimmung, trotz der politischen Bedingungen.
Das Gleichnis des Archivs
In einem Interview erzählte Huda Takriti von einem Funken, der ihre kritische Untersuchung darüber entfachte, wie Dokumente die materielle Grundlage für kulturelles Gedächtnis und Begehren bilden. Sie sprach von Schlacht um Algier (1966), Gillo Pontecorvos historischem Spielfilm über die Ereignisse des algerischen Unabhängigkeitskrieges (1954–1962). Sie hatte erfahren, dass der Film in Ermangelung ausreichenden Filmmaterials über die algerischen Widerstandsbestrebungen als historisches Standardarchiv für die Algerier*innen fungiert hatte. Obwohl ich wenig über die Rolle des Films in der algerischen Vorstellungswelt weiß, scheint mir, dass Takriti erklärte, wie Bilder und Dokumente fließend in Leerstellen von Archiven eindringen können – Leerstellen, die das Prädikat der (kolonialen) Marginalisierung und/oder Auslöschung sind. Das Bild dringt in die Lücken des Archivs wie Wasser sich auf unebenem Boden verteilt und kartografiert die Verschlüsse der institutionalisierten Geschichte, selbst wenn es versucht, sie durch Fiktionen zu füllen. (Wie wir nur allzu gut wissen, haben auch Fiktionen ihren Platz in staatlich sanktionierten Erzählungen.) Takritis Geschichte erzählt von der Sehnsucht nach dem Dokument und legt nahe, dass der fiktionale Film in Ermangelung einer fotografischen Aufzeichnung ein Ort der Erinnerung sein möge. Vielleicht noch wichtiger ist, dass ihre Anekdote die Bedeutung von Bildern für die Konstituierung des kulturellen Gedächtnisses in der Moderne und die Bedeutung der Erinnerung für die Förderung kollektiver Hoffnung aufzeigt.
Wir sollten Takritis »Parabel des Archivs« auf ihre eigene Praxis ausweiten, die sich mit der Geschichte ihrer Familie befasst, auch wenn sie die Unaussprechlichkeit der Vertreibung, die ihre Familie und andere Palästinenser*innen erfahren haben, nur schemenhaft thematisiert. Denn wie der anhaltende Krieg zeigt, ist die Politik der Auslöschung und Sichtbarkeit nicht historisch, sondern aktuell. Wenn wir also über Migration und Erinnerung im Kontext des Archivs nachdenken, sollten wir uns darauf besinnen, dass Erinnerung das Gewebe ist, das eine Kontinuität mit der verlorenen Heimat ermöglicht. Wenn das Archiv aktiv seine Ränder unterdrückt und auslöscht und das persönliche und kulturelle Gedächtnis hyperpolitisiert wird, wie wird dann die Kontinuität im Körper und in den Dingen bewahrt, die von den gewaltsam Vertriebenen aufbewahrt werden?
Die von Huda Takritis Großmutter hergestellten Textilien wurden von ihrer Mutter, die ihrerseits auch eine Textilkünstlerin war, liebevoll aufgespürt und bewahrt. Sie fertigte Kleider an und schuf sich damit eine Lebensgrundlage in ihrer Wahlheimat Kuwait. Der Stoff ist nun in Takritis Bildern als Substrat der Familiengeschichte verwoben, und durch die Erzählungen über Textilien erfahren wir von Hoffnungen, Ambitionen und Begebenheiten. Ihre Bilder begleiten Familienfotos und Bilder aus dem Leben ihrer Mutter, die in On Another Note in Form eines Familienalbums gezeigt werden. Dieses fungiert als informelles Archiv der Familie, denn es ist auch das liebevolle Werk ihrer Mutter und Großmutter, das Gefäß, das sie wählten, um die ihnen so wichtigen Bilder aufzubewahren. Die von der Mutter der Künstlerin dargebotene Erzählung ist kontingent, privat und nachdenklich. Es gibt weder einen klaren Anfang noch ein klares Ende der Geschichte noch wird versucht, ihr einen linearen moralischen Bogen zu geben. Sie lehnt Anfang und Ende ganz bewusst ab.
Takriti merkt an, dass Erzählungen Behältnisse sind, die während sie bewahren, gleichzeitig ausschließen. Sie beruft sich dabei auf Arbeiten des Literaturwissenschaftlers Albrecht Koschorke. »Besonders in der narrativen Rekonstruktion von Konflikten ist die Wahl des Anfangs folgenreich, weil von dem jeweils festgelegten Beginn an gleichsam der Zähler des Unrechts mitläuft, das einer Konfliktpartei zugefügt wurde und das ihre Gegenwehr legitimiert.«²
Indem On Another Note die historischen und moralischen Imperative von Erzählungen in Schach hält, lenkt es die Aufmerksamkeit auf die Textilien, Kleidung, die Geschichten, die Orte des Lebens und die Wünsche der Frauen in Takritis Leben, und nicht auf die Rollen, die eine Erzählung ihnen auferlegen kann. Es gibt keine Helden oder Schurken oder moralischen Bögen. Ihre symbolischen Bedeutungen sind persönlich, undurchsichtig und ergebnisoffen.
Sowohl Huda Takriti als auch Ana de Almeida ehren das alltägliche Archiv, widersetzen sich aber dessen Instrumentalisierung. Indem sie mit der Kadenz von Lücken und Fülle in den Familienfotos spielen, legen sie Rechenschaft über Krisenmomente ab, ohne zu urteilen und eine Lösung zu bieten. Keine von ihnen erhebt den Anspruch, die in ihren Familienalben abgebildeten Ereignisse und Momente vollständig zu erfassen. Im Gegenteil, ihr Blick ist auf die Dinge gerichtet, die die Bilder nicht final wiedergeben können. Ihre Arbeiten öffnen die scheinbar »selbstverständlichen« Bilder der Fotografie für die Verheißungen von Potenzial, Möglichkeit und Hoffnung.
¹ Pierre Nora, »Between Memory and History. Les Lieux de Mémoire«, in: Representations 26, Sonderausgabe »Memory and Counter-Memory«, (Frühling 1989), S. 7–24, hier S. 7. Übers. C. R.
² Albrecht Koschorke, Wahrheit und Erfindung. Grundzüge einer allgemeinen Erzähltheorie, Frankfurt am Main: S. Fischer 2012, S. 6.
Rashmi Viswanathan
Ana de Almeida (geb. 1987 in der ehemaligen Tschechoslowakei) ist eine Künstlerin aus Lissabon (PT) und lebt und arbeitet derzeit in Wien (AT). Sie studierte an der Fakultät der bildenden Künste der Universität Lissabon, am Lahti Art Institute (FI) und an der Akademie der bildenden Künste Wien, wo sie aktuell mit einem Stipendium der Österreichischen Akademie der Wissenschaften an ihrem Dissertationsprojekt (Doktor der Philosophie) arbeitet. Ihre Arbeiten und Projekte wurden zuletzt an folgenden Orten gezeigt: Belvedere 21, Wien (2023), Kunsthalle Wien (2023), CAV – Centre for Visual Arts, Coimbra (PT, 2022) und im Ústí nad Labem House of Arts (CZ, 2021). 2021 erhielt Ana de Almeida das Österreichische Staatsstipendium für Medienkunst, 2011 den BES Revelação Art Prize der Serralves Foundation for Contemporary Art.
Huda Takriti (geb. 1990 in Syrien) lebt als Künstlerin und Wissenschaftlerin in Wien (AT). Sie studierte an der Fakultät für bildende Künste in Damaskus (SY) und am TransArts-Department der Universität für angewandte Kunst Wien. Derzeit arbeitet sie an einem PhD in Practice an der Akademie der bildenden Künste Wien. Ihre Arbeiten wurden zuletzt u.a. an folgenden Orten gezeigt: Kunstraum Lakeside, Klagenfurt (AT, 2024), Galerie Crone, Wien (2023), Kunsthalle Wien (2020), Afro-Asiatisches Institut Graz (AT, 2017), mumok – Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien (2022). Sie erhielt das Vordemberge-Gildewart-Stipendium (2022), den Kunsthalle Wien-Preis (2020) und ein Stipendium der Camargo Foundation (2023).
Huda Takritis Arbeit wurde in Kollaboration mit Kunstraum Lakeside entwickelt.