Presseinformationen

Camera Austria International 140 | 2017

Infos

Präsentationen

14. 12. 2017
Magazine Release, Kunstquartier Bethanien, Berlin

1. – 4. 2. 2018
Art Genève, Genf

17. 3. 2018
It’s a book, Leipzig

Pressedownloads

Pressetext

»Es gibt Leute, die wollen, dass die Vergangenheit sich wiederholt, und die sorgen entsprechend dafür, dass wir uns nicht an sie erinnern«, zitiert Priya Basil Paul Krugman im aktuellen Lettre International Nr. 118. Ich kann mir kaum eine treffendere Beschreibung der sich nun auch in Österreich nach den letzten Nationalratswahlen abzeichnenden Konsolidierung reaktionärer politischer Kräfte vorstellen, die sich immer mehr in eine sich abschottende, ethnisch reine Gegenwart als Vergangenheit träumen, und deren Gewalt in der Verdrängung der Erinnerung an die sich ständig im Fluss, in Veränderung, Durchmischung, Auflösung und Neuerfindung befindliche Region besteht, die sich Europa nennt. Wohlstandsgetriebene Angst vor Verlust, vor einem Anderen, das, obwohl im Grunde unbekannt, als Gefahr erachtet wird für eine Identität, die es nie gegeben hat. Was tun angesichts einer Scheinpolitik, die nur mehr durch Gesetzesverschärfungen regiert, im Gewand von Medienkampagnen, Twitter und Selfies? Müssen wir – ein zugegebenermaßen hegemonialer Begriff für eine in höchstem Maße diversifizierte Landschaft von KulturproduzentInnen – uns nicht ständig daran erinnern, dass unsere Agenden in den letzten Dekaden genau dieser Entwicklung entgegenzuwirken versucht haben? Welche instituierenden und institutionalisierenden Prozesse haben wir diesbezüglich auf den Weg gebracht, die gegenwärtig durch Kürzungen von Finanzierungsbeiträgen und politischen Druck schon wieder an den Rand ihrer Existenzfähigkeit gebracht werden? Und – vielleicht nur ein Nebenschauplatz – was bedeuten die massiven Kritiken an der documenta 14 für die Rahmenbedingungen, diese Fragen in Zukunft auf der Ebene von kulturellen Großveranstaltungen verhandeln zu können – oder auch nicht? Welche Spielräume bleiben uns in den nächsten Jahren, um Räume bereitstellen zu können, in denen Fragen nach dem Gemeinwohl, nach Gemeinschaft, nach den Möglichkeiten von Kritik und nach der alles entscheidenden Vorstellung, alles könnte auch anders sein, überhaupt noch gestellt werden können?

Es entspricht nicht unserem Selbstverständnis der Kooperation mit KünstlerInnen, diese Fragen stellvertretend für die Verantwortung der Institution Camera Austria auf diese abzuwälzen, sich der criticality der Kunstproduktion zu bedienen, um für sich selbst einen – zweifelhaften – Status der Widerständigkeit zu reklamieren. Deshalb wird an dieser Stelle erstmals seit vielen Jahren nicht auf die besondere Bedeutung der in dieser Ausgabe vorgestellten künstlerischen Positionen oder deren politische Relevanz eingegangen, oder versucht, diese zu vermitteln. Wir denken, dass deren Stoßrichtungen durch ihre Beiträge selbst nachvollziehbar sind. Doch in welchen gesellschaftlichen Raum stoßen diese Beiträge heute, wenn, wie Benjamin Buchloh in seinem in Artforum publizierten Nachruf auf Allan Sekula konstatierte, eine totale Depolitisierung scheinbar Voraussetzung für kulturelle Anerkennung ist?

Immer wieder haben wir in den letzten Jahren das Verhältnis von Kunst/fotografischen Praktiken und Politik angesprochen – und dabei schon befürchtet, die Geduld unserer LeserInnen überzustrapazieren. Vor nicht allzu langer Zeit hat etwa Tom Holert das politische Potenzial von Kunst gerade in »einer Nichtidentität von Kunst und Politik« gesehen. »In der Berührung, die eine Modifikation der Art und Weise hervorruft, wie die Möglichkeiten des Handelns, der Intervention in bestehende Ordnungen, imaginiert werden können, liegt eine entscheidende Aufgabe der Kunst. Eine solche Wirkung entzieht sich der Messbarkeit. Sie verweist auf Momente des Politischen, die am Anfang von Veränderungen stehen, deren Bezug zur Kunst nie offensichtlich, immer fragwürdig ist. Und dennoch unbestreitbar.« (Camera Austria International Nr. 129 / 2015). Wo aber zeichnen sich diese Anfänge ab, angesichts der unbestreitbaren Revisionismen, die dabei sind, die politischen, gesellschaftlichen, sozialen, feministischen etc. Projekte seit 1968 zu demontieren?

Im Jahr 2000 hat für uns der Grazer Künstler Jörg Schlick angesichts der Regierungskoalition von ÖVP und FPÖ in Österreich die »schwarze Ausgabe« Camera Austria International Nr. 69 gestaltet: ein schwarzes Cover, schwarz bedruckte Seiten auf den damals üblichen unterschiedlichen Papiersorten im Kern. Neben dem Impressum lautete der einzige Text auf jeder rechten Seite: »ÖSTERREICH 2000«. Beigelegt war ein Brief des Herausgebers Manfred Willmann und der Chefredakteurin Christine Frisinghelli, in dem im Namen des Redaktionsteams die fragile Autonomie künstlerischer Äußerungen angesprochen wird und die umkämpfte Position, von der aus gesprochen werden kann. Das Cover der vorliegenden Ausgabe blickt buchstäblich auf dieses Cover zurück, nimmt es nochmal in den Blick, versucht, es neu zu befragen und neu in Umlauf zu bringen, gleichzeitig konsterniert über seine Aktualität. In den drei folgenden Ausgaben desselben Jahres, Nr. 70, 71 und 72, wurden Reaktionen, Statements, Briefe und künstlerische Beiträge veröffentlicht, die einerseits auf die Zeitschrift, andererseits natürlich auf die damalige politische Situation reagierten. Das Team der Fotoabteilung des Stadtmuseums in Münster schrieb etwa: »Wir befürworten die Konsequenz Ihrer politischen Haltung. Wir hoffen auch in Zukunft auf Ihre eindeutige Meinung zur politischen Lage in Europa«. Haben wir in den Jahren seither dieser Aufforderung entsprochen? Eine damalige Grazer Gemeinderätin der FPÖ fragte: »Die Farbe Schwarz, sehr geehrter Herr Stadtrat [damals Helmut Strobl, ÖVP, Anm. d. A], mag für Sie vielleicht einen gewissen Reiz haben, ich stelle daher […] die Anfrage […], ob es in Ihrem Sinn ist, dass Förderungsmittel der Stadt Graz dafür eingesetzt werden, Druckwerke wie die letzte Ausgabe von Camera Austria herauszugeben?« Nun, die Stadt Graz hat damals ihre Förderung nicht gekürzt, sehr wohl ist es aber in den letzten Jahren zu Kürzungen der Förderungen gekommen.

Jüngst wurde das Forum Stadtpark in Graz, Ausgangspunkt des Projektes Camera Austria, wegen einer Konferenz zum zivilen Ungehorsam mit gleichzeitig stattgefundenen Sachbeschädigungen in der Stadt in Zusammenhang gebracht: Der politische Druck auf Kulturinstitutionen, die den Status quo, das Vergessen der Geschichte, um ihre Wiederkehr – als Farce? – zu ermöglichen, in Frage stellen, steigt. Sie mögen dies als lokale Ereignisse abtun, die Veränderung der politischen Rhetorik der letzten 17 Jahre, von »ordentlicher Arbeitspolitik«, »Sozialtourismus«, »Leitkultur«, »Lügenpresse« oder »Obergrenze« und »Überfremdung« bis »Gutmensch«, ganz zu schweigen von den unsäglichen und großteils nicht sanktionierten Äußerungen der AfD in Deutschland, spricht eine andere Sprache.

Auch das, was einmal Kulturpolitik war, blieb und bleibt davon nicht unbeeinträchtigt. Wir rufen Sie mit diesem Vorwort daher auf, den Kunst- und Kulturinitiativen Ihrer unmittelbaren Umgebung jene Aufmerksamkeit und Unterstützung zu schenken, die sie sich angesichts des veränderten politischen Zugriffs auf ihre devianten, randständigen, minoritären, unverständlichen, idiosynkratischen, autonomistischen und möglicherweise kaum vermittelbaren Themen, Formate und Inhalte verdienen – sonst drohen sie zu verschwinden.

Reinhard Braun und das Camera Austria-Team
Dezember 2017

Cover: Camera Austria International Nr. 69 / 2000.

Bildmaterial

Die honorarfreie Veröffentlichung ist nur in Zusammenhang mit der Berichterstattung über die Ausstellung und die Publikation gestattet. Wir ersuchen Sie die Fotografien vollständig und nicht in Ausschnitten wiederzugeben. Bildtitel als Download unter dem entsprechenden Link.

  • Cover: Camera Austria International 140/2017.
    Printversion herunterladen

  • Künstlerbeitrag / Artist feature in Camera Austria International 140/2017, S. / pp. 9–22. 


    
Doppelseite / spread: Raqs Media Collective, S. / pp. 10–11.
    Printversion herunterladen

  • Künstlerbeitrag / Artist feature in Camera Austria International 140/2017, S. / pp. 9–22. 


    
Doppelseite / spread: Raqs Media Collective, S. / pp. 16–17.
    Printversion herunterladen

  • Künstlerbeitrag / Artist feature in Camera Austria International 140/2017, S. / pp. 23–36. 


    
Doppelseite / spread: Miki Kratsman, S. / pp. 28–29.

    Courtesy: the artist and Chelouche Gallery, Tel Aviv.
    Printversion herunterladen

  • Künstlerbeitrag / Artist feature in Camera Austria International 140/2017, S. / pp. 23–36. 


    
Doppelseite / spread: Miki Kratsman, S. / pp. 30–31.

    Courtesy: the artist and Chelouche Gallery, Tel Aviv.
    Printversion herunterladen

  • Künstlerbeitrag / Artist feature in Camera Austria International 140/2017, S. / pp. 37–50. 


    
Doppelseite / spread: Armin Linke, S. / pp. 40–41.
    Printversion herunterladen

  • Künstlerbeitrag / Artist feature in Camera Austria International 140/2017, S. / pp. 37–50. 


    
Doppelseite / spread: Armin Linke, S. / pp. 42–43.
    Printversion herunterladen

/