Presseinformationen

Anaïs Horn
Die Hand voller Stunden, so kamst Du zu mir

Infos

Eröffnung
6.7.2021, 18:00

Zeitraum
7.7.–1.8.2021

Öffnungszeiten
Di – So und an Feiertagen
10:00 – 18:00

Kuratiert von
Reinhard Braun

Pressedownloads

Pressetext

Diese Ausstellung ist die erste in einer Reihe von drei Präsentationen, die im Jahr 2021 zusätzlich zum regulären Programm bei Camera Austria gezeigt werden.

Anaïs Horns Praxis ist ereignisreich. Sie entfaltet sich tagebuchartig, als ein vom Medium Fotografie und seiner Dekonstruktion geleiteter Bewusstseinsstrom.

Eine Reihe von Szenen, die zusammen ein Narrativ bilden, das einen persönlichen Blickwinkel freilegt.

Die Ausstellung Die Hand voller Stunden, so kamst du zu mir bei Camera Austria in Graz ist eine persönliche Reflexion über die aktuelle Situation der körperlichen Distanzierung und Ungewissheit. Ihren Titel Paul Celans Gedichtband Mohn und Gedächtnis (1952) entlehnend, verbindet die Schau das Visuelle mit dem Poetischen, zerteilt Bilder und vereint verschiedene Techniken, Materialien, Formate und Register. Mit ihrer Erkundung von Händen als Inbild von Nähe, Zuneigung und Fürsorge, aber auch als nonverbales Ausdrucksmittel, macht Horn ein persönliches Erlebnis zum Ausgangspunkt eines fotografischen und skulpturalen Streifzugs, einer Form, die ständig offen bleibt für das Werden.

Ausstellungen als Mittel zur Verbreitung von Hypothesen.

Horn, die seit dem vierzehnten Lebensjahr in ihrer rechten Hand unter dem Supinatorlogensyndrom leidet, einer Lähmungserscheinung, die sie sich durch übermäßiges Klavierüben zuzog, reflektiert ausgehend von diesem persönlichen Zustand über Partnerschaft, Berührung, Unterstützung, Behinderung, Körpersprache und das gegenwärtige pandemiebedingte Eingesperrtsein. Mit einem Sinn für Theatralik inszeniert, weiten sich die Bilder auf Plastiken, Möbel, durchscheinende Vorhänge und Kleidungsstücke, die die Betrachtenden ins Geschehen verwickeln und gemeinsam ein Déjà-vu hervorrufen. Eine emotionale Spannung zwischen biografischen Momenten und historischen Bezügen, Objekten und Bildern erzeugend, gibt Horn offen Einblick in intime Erinnerungen und Umgebungen, verweist auf eine Verschiebung vom öffentlichen zum privaten Raum.

Fotos der achtjährigen Horn auf einem Thonet-Klavierhocker, der den Hockern im Ausstellungsraum gleicht, erweitern unseren zeitlichen Rahmen. Horns Blick ist entschlossen; ihre Füße berühren nicht einmal den Boden. Die in der Ausstellung gezeigten Hocker gehen mit anderen Bildern einher, dem einer gelähmten Hand, der berüchtigten Bocca della Verità oder einer beringten Hand, die eine Birne hält. Stühle als Träger von Erfahrungen. Woran erinnert sich der Körper?

Diese analytische Verschiebung der Aufmerksamkeit vom Zeichen zum Signal, vom Gegenständlichen zum Ungegenständlichen.

Hände haltende Hände. – Aristoteles nannte die Hand das »Werkzeug aller Werkzeuge«. Berühren, Spielen, Greifen, Messen.
Affektive Hände, beschäftigte Hände, schüchterne Hände, die unklar beteiligt herumhängen. Nahaufnahmen von Händen der Skulpturengruppe Reines de France et Femmes illustres (Königinnen Frankreichs und berühmte Frauen), fotografiert im Jardin du Lu­xembourg. Eine Hommage an die Macht der Frauen und ihr Vermögen, die Welt zu verändern. Horn, ihren Partner berührend, seinen Mund, sein Ohr. Eine Narbe, die von den chirurgischen Eingriffen zeugt, denen sie sich unterzogen hat. Hände, einander symmetrisch abbildend, in affektiver Einheit verbunden, eine einvernehmliche Geste des Seins.

Horn erzeugt Intimität durch das Teilen von fragmentarischen Alltagsansichten, aufgenommen aus den Fenstern ihrer Pariser Wohnung und ihres Studios, denen sie Bilder von Interieurs und häuslichen Szenen gegenüberstellt. Eine Yukata, zusammengenäht aus verschiedenen auf Crêpe de Chine gedruckten Bildern, nimmt die Rolle eines Übergangsobjekts ein, das den Raum charakterisiert, aber auch die Trennung zwischen öffentlich und privat aufhebt. Die Wohnung als Atelier, als Büro, als heilsamer, vertrauter Ort, als Liebesnest, verbindender Raum. Dieses von Beatriz Colomina in The Century of the Bed (2014) beobachtete Verschwinden des Unterschieds von persönlichem und produktivem Raum ist heute der einzige Zustand, den wir kennen. Wir sehen einen gefährlich auf einem Bücherregal platzierten Stuhl, sehen Horns Partner ein Instrument spielen, auf eine Leiter klettern oder etwas reparieren. Ihre gemeinsame Wiener Wohnung ist der zentrale Schauplatz. Momente der Unzulänglichkeit erkundend, drängt sie die Betrachtenden sanft, ihre Perspektive einzunehmen. Oft reicht ihr der Partner seine Hände, um etwas zu tun, wozu sie selbst nicht imstande ist.

In der griechischen Philosophie meint der Begriff technē soviel wie tun oder machen – eine Aktivität, die konkret, variabel, kontextabhängig ist. Im letzten Jahr mit seinen Lockdown-Beschränkungen und der Nähe zu ihrem Partner, einem Maler, begann Horn zu zeichnen – ihre gelähmte Hand als Ausdrucksmittel zu nutzen, zur Repräsentation und zur Auseinandersetzung mit dem Gegebenen. Partnerschaft als Stütze. Kann sie eine körperliche Beeinträchtigung heilen?

Eine Hand zu reichen ist eine Liebeserklärung.

Attilia Fattori Franchini

Bildmaterial

Die honorarfreie Veröffentlichung ist nur in Zusammenhang mit der Berichterstattung über die Ausstellung und die Publikation gestattet. Wir ersuchen Sie die Fotografien vollständig und nicht in Ausschnitten wiederzugeben. Bildtitel als Download unter dem entsprechenden Link.

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