Presseinformationen

Efrat Shvili
The Jerusalem Experience

Infos

Eröffnung
11.12.2015, 20:00
im Rahmen von CMRK

Zeitraum
12.12.2015 – 21.2.2016

Öffnungszeiten
Dienstag bis Sonntag, 10:00–17:00

Ein Projekt von Efrat Shvili in Kooperation mit Oren Myers,
kuratiert von Reinhard Braun

Shuttle zur Eröffnung Wien – Graz
Abfahrt Wien: 11.12. 2015, 15:00, Haltestelle Oper, Bus 59 a
Abfahrt Graz: 11.12. 2015, 23:30, < rotor >, Volksgarten
cmrk.org

Pressetext

»Das vergangene 20. Jahrhundert begann mit Bewußtsein, verausgabte sich an die Sprache und endet im Bild.« (Wolfram Hogrebe) – Wobei sich der Begriff »Bild« hier unschwer als eine Metapher für die »Gesellschaft des Spektakels« (Guy Debord) erkennen lässt, »eine Anschaung der Welt, die sich vergegenständlicht hat«. Bereits 1936 schrieb Walter Benjamin, dass die Menschheit ein »Schauobjekt für sich selbst geworden sei«. Die Frage danach, inwiefern Bilder unsere Wirklichkeiten mitkonstruieren, begleitet die Fotografie seit ihren Anfängen – und ist seitdem ein wesentlicher Aspekt ihrer kritischen Beobachtung geblieben.

Efrat Shvili beschäftigt sich als israelische Künstlerin seit vielen Jahren vor allem mit der Konstruktion israelischer Identität, kollektiver Erinnerung und Geschichte. Im Rahmen der Ausstellungsreihe »Disputed Landscape« hat Camera Austria zwischen Mai und Juli 2015 bereits ihre Arbeit »100 Years« aus dem Jahr 2007 gezeigt, in der Nahaufnahmen eines Waldes im Westen von Jerusalem gezeigt werden, die in offensichtlichem Widerspruch zur politischen Natur dieses Waldes stehen. Efrat Shvilis Arbeiten drehen sich oftmals um diese politische Codierung dessen, was zu sehen ist, um Bilder, die als politisches Schauobjekt eine andere (mögliche) Wirklicheit verdecken – und darum, was diesem Verbergen durch Sichtbarkeit entgegenzusetzen wäre. »The Jerusalem Experience« – ein neues Projekt, das zum ersten Mal zu sehen ist und das von Camera Austria produziert wurde – bezieht sich in ähnlicher Weise auf eine hergestellte, rekonstruierte und gewisser Weise künstliche Erfahrung, die jedoch erneut bedeutende Auswirkungen auf die aktuelle politische Situation in Israel hat: der dritte Tempel.

Der dritte Tempel in Jerusalem – der an der Stelle des zerstörten Salomonischen und Herodischen Tempels wiedererrichtet werden wird – ist ein gleichermaßen religiöses Zeichen der endgültigen Erlösung wie ein kontroversielles und ambivalentes politisches Zeichen der nationalen Einheit Israels, eingespannt zwischen Religion und Politik. Dennoch befände sich dieser zukünftige Tempel auf einem umstrittenen Territorium, wäre doch sein Betreten als heiligster Ort für jüdische Gläubige verboten, weil der Präsenz Gottes vorbehalten. Das Heilige ist per definitionem dasjenige, das einem Verbot unterliegt und das vom diesseitigen Leben abgegrenzt ist, ein anwesendes Abwesendes, das sich jeder Repräsentation entzieht. Doch diese Sicht auf die religiöse Rolle des Tempels hat sich seit den 1990er Jahren deutlich verändert – seitdem besuchen immer mehr Jüdinnen und Juden den Tempelberg und er wurde zu einem »exalted totem embodying the essence of sovereignty over the Land of Israel« (Tomer Persico), d. h. ein abwesendes Anwesendes im Rahmen aktueller Politik.

Efrat Shvili verknüpft diese für die israelische Geschichte seit dem Sechs-Tage-Krieg von 1967 und der Eroberung Ost-Jerusalems zentrale – und immer wieder umgedeutete – Erzählung mit einem erstaunlichen architektonischen Wiedergänger am anderen Ende der Welt. Edir Macedo, ehemaliger Lotterieangestellter und jetziger Bischof der »Universalkirche des Königreichs Gottes«, einer expandierenden braslianischen Pfingstkirche, der ebenfalls Bankier sowie Eigentümer eines Medienimperiums in Brasilien ist, hat den Tempel kurzerhand im Arbeiterviertel Brás als vermeintliche Rekonstruktion biblischer Hinweise errichten lassen – und für die Fassade Steine aus dem Heiligen Land – Hébron im Westjordanland – verwendet. Der brasilianische Tempel ist zugleich Kirche, Konferenzzentrum und Radiostation, mit einem Helikopterlandeplatz ausgestattet und bietet Platz für 10.000 Gläubige. Er holt das Heilige – als ursprünglich tabuisierter Raum – in die Gegenwart, ganz im Sinne der diesseitigen Religiösität neo-evangelikaler Pfingstkirchen und ihres Wohlstandsevangeliums, das weltlichen Reichtum mit der Liebe Gottes verknüpft. Von jüdischen Organisationen und Gläubigen in Brasilien kommt kaum Kritik, besteht doch ein Naheverhältnis zu den evangelikalen Kirchen, die sich in Brasilien gegen Antisemitismus stark machen.

In beiden Fällen, sowohl was die Initiativen des »Temple Institute« zur Errichtung des Dritten Tempels am Tempelberg in Jerusalem anbelangt, als auch die Errichtung des Salomonischen Tempels in Brasilien, hat sich das Verhältnis von Religion und Politik radikal geändert. Und in beiden Fällen ist die Idee des Tempels – als religiöses Begehren und als realpolitische Manifestation – zunächst Bild geworden, oder genauer: immer schon auch ein Bild gewesen. Efrat Shvili hat solche Bilder gesammelt, die den Mythos des Tempels in Jerusalem wie die Errichtung und die Einweihung des Tempels in São Paulo im Jahr 2014 begleiten: Bilder aus dem Internet, riesige Werbeplakate, Objekte aus Museen; sie hat in der Jerusalemer Altstadt fotografiert, an Ausgrabungsstätten gleich neben dem Tempelberg, in der »City of David« – der älteste besiedelte Teil Jerusalems und die wichtigste archäologische Fundstelle des biblischen Jerusalem – und im Stadtteil Brás in São Paulo.

Aus der Montage dieser unterschiedlichen Bilder – als Leuchtkästen, C-Prints und in Videos innerhalb der Ausstellung – entsteht eine Re-Inszenierung von Inszenierungen, die Rekonstruktion zweier Phantasmen, die beide vor allem auch als Schauobjekte zirkulieren, als etwas, das weitere Bilder produziert und sich als Anschauung der Welt vergegenständlicht hat – eine Anschaung, die die Welt gleichermaßen verstellt und unzugänglich macht.
Shvili verwendet für diese Rekonstruktion einer Rekonstruktion als Spektakel folgerichtig nicht nur selbst aufgenommene Bilder, sondern auch solche, die bereits als Herstellung der Phantasmen zirkulierten und die ursprünglich aus einem ganz anderen Grund aufgenommen wurden: sei es, um eine Art Politik der Archäologie zu demonstrieren, sei es, um ein aktuelles Bauprojekt in São Paulo zu bewerben. Doch ist diese ihre Aneignung von bestehenden Bildregimen auch einem Vorbehalt geschuldet: dass man die Wahrheit erkennen könnte, indem man sich selbst ein Bild macht, indem man der Wirklichkeit durch eigene Bilder zu Leibe rückt, dass man sich der Wirklichkeit durch Bilder annähert, und dies vor allem dann, wenn diese Wirklichkeit selbst verstellt ist, bereits von Bildern umzingelt und verdeckt.
Ähnlich wie archäologische Ausgrabungen in Jerusalem immer eine politische Rolle spielen und Ausgangspunkt für das Neuschreiben einer Geschichte der Legitimierung von Vorherrschaft bilden können, stellt auch der Tempel in São Paulo eine – neo-liberale – politische Intervention dar: entgegen der christlichen Erlösungstheologie, die die Rechte der Armen und sozial Benachteiligten in Südamerika einfordert, unterstützen die Pfingstkirchen den Erwerb von sozialen Privilegien und Reichtum. In ähnlicher Weise ersetzt somit in beiden Fällen ein neu formuliertes (politisiertes) Religiöses das Soziale und das (eigentlich) Politische – und braucht dafür entsprechende Repräsentationspolitiken und visuelle Regime.

Durch diese Schichten von Repräsentationen und Bildregimen kann man sich nicht einfach mit Hilfe eigener Bilder durcharbeiten. Um das Phantasma, das Spektakel (des Religiösen) als Politik zu benennen, um die Vergegenständlichungen zu beschreiben, die mit Hilfe von Bildpolitiken geschehen, lässt sich schwerlich auf Distanz gehen, einen unberührten Standpunkt der Kritik einnehmen – man muss diesen Bildern nahe kommen, sich in ihnen einnisten, sie sich aneignen, um ihre Wiederaufführung als Spektakel der Politik im Raum der Kunst in Szene zu setzen. »The Jerusalem Experience« ist gewissermaßen eine solche Wiederaufführung, die mit der Verführung und der Rhetorik der angeeigneten Bilder »spielt« – um zu zeigen, dass diese Bilder etwas wollen, mit welcher Macht und welcher Politik sie verknüpft sind, und, schließlich, wie diese Bilder am »Schauobjekt für uns selbst« mitwirken.

Bildmaterial

Die honorarfreie Veröffentlichung ist nur in Zusammenhang mit der Berichterstattung über die Ausstellung und die Publikation gestattet. Wir ersuchen Sie die Fotografien vollständig und nicht in Ausschnitten wiederzugeben. Bildtitel als Download unter dem entsprechenden Link.

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