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Oliver Ressler (Hg.): Barricading the Ice Sheets. Künstler*innen und Klimaaktivismus im Zeitalter der unumkehrbaren Entscheidung
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Hrsg. von Oliver Ressler.
Anlässlich der Konferenz »Barricading the Ice Sheets«, Camera Austria, 28./29.2.2020.
Mit Textbeiträgen von Maja und Reuben Fowkes, Lenka Kukurová, Oliver Ressler, Vanina Saracino, Imre Szeman (eng./ger.). Edition Camera Austria, Graz 2020.
88 Seiten, 13 × 21 cm, zahlreiche SW-Abbildungen.
€ 14,90 / ISBN 978-3-902911-54-4
»Barricading the Ice Sheets« ist ein Projekt von Oliver Ressler und wird mit Unterstützung des Österreichischen Wissenschaftsfonds (FWF: AR 526) realisiert.
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Pressetext
Die Mitwirkung von Künstler*innen an sozialen Bewegungen ist in den letzten Jahren stark angestiegen. Vor nicht allzu langer Zeit arbeiteten sie meist eher am Erscheinungsbild mit, indem sie Transparente, Poster, Websites und so weiter entwarfen. Mittlerweile aber nehmen Künstler*innen und Kulturschaffende eine zunehmend zentrale Rolle ein, sei es als Sprecher*innen, oder bei der Konzeption von Medientaktik und genereller Strategie. Die vier Essays in diesem Band setzen sich ohne Illusion oder Resignation mit dieser Tatsache auseinander und diskutieren den möglichen Beitrag von Kunst, wobei sie sich der damit verbundenen Schwierigkeiten klar bewusst sind.
Auszug aus dem Vorwort: Oliver Ressler, »Barricading the Ice Sheets. Künstler*innen und Klimaaktivismus im Zeitalter der unumkehrbaren Entscheidung«
Heutzutage glauben viele, sie könnten der Klimakrise durch eine Veränderung im eigenen Verhalten entgegenwirken. Und es ist wichtig, den Zug statt das Flugzeug zu nehmen, Gemüse statt Fleisch zu essen oder Sonnenkollektoren auf dem Hausdach zu installieren statt Gas zu verbrennen. Aber gutgemeinte persönliche Gesten allein können gegen einen epochalen Klima-Vandalismus von planetarem Ausmaß wenig ausrichten. Das Leben auf diesem Planeten besteht aus mehr als nur Verbraucher*innenverhalten. Unsere Macht und unsere Verantwortung als Erdbewohner*innen sind kollektiv und gesellschaftlich, nicht privat und persönlich. Nicht persönliche Entscheidungen, sondern mächtige Strukturen zwingen uns zu einem Leben, das unsere Lebensgrundlagen zerstört, Leben entwertet und letztlich das Überleben selbst gefährdet. Wir, die unter diesen Strukturen leiden, sind kollektiv in sie verstrickt. Und eben deswegen können sie nur durch unser kollektives Handeln geändert werden oder gar nicht. So schreibt Lenka Kukurová in ihrem Essay »Dancing on the Ruins«: »Die Veränderung des Einzelnen und die des Systems müssen verbunden werden und auf letztere sollte sich unsere Energie konzentrieren« (S. 71).
Die Klimabewegung ist heute stärker als je zuvor. Zurückhaltende, symbolische Proteste gehören der Vergangenheit an. In den letzten paar Jahren gelang es der Bewegung, Vorzeigeprojekte der Fossilverbrennungsindustrie auf der ganzen Welt erheblich zu behindern. Arktische Bohrungen, die Keystone XL Teersand-Pipeline und Fracking wurden durch kollektive Aktionen aufgehalten. Einige der schmutzigsten Kohlekraftwerke Europas wurden durch gewaltfreie Sabotage stillgelegt. Institutionelle Investoren begannen damit, Aktien von fossilen Energieträgern abzustoßen: eine implizite Kapitulation vor dem unnachgiebigen Druck der Klimabewegung. Vor kurzem brachte Extinction Rebellion den normalen Geschäftsbetrieb in London für mehrere Tage zum Stillstand, indem sie Brücken blockierten und das britische Parlament dazu brachten, einen »Klima- und Umwelt-Notstand« auszurufen – die erste derartige Erklärung eines europäischen Staates. Solche Aktionen haben unmittelbare, konkrete Auswirkungen vor Ort und die »virtuellen« Auswirkungen sind dank der neuen Kommunikationswege auf dem gesamten Planeten spürbar. In seinen Überlegungen über »Kunst, Aktivismus und Pipeline-Politik« (Art, Activism, and the Politics of Pipelines) schreibt Imre Szeman, dass »die Existenz virtueller Welten bedeutet, dass Demonstrationen heutzutage auf das Generieren von Internet-Datenverkehr ebenso wie auf das Blockieren von Straßenverkehr hin geplant werden müssen« (S. 79).
Kein Wunder also, dass sogar die Bank of England – deren Mandat sich nicht auf Anlagetipps erstreckt – von künftig wohl verlustbringenden Investitionen in Kohlenwasserstoffe und herkömmliche Kraftwerke abriet. Aber die »Karbonblase«,¹ die den Zentralbankiers und ihresgleichen Kopfzerbrechen bereitet, ist nur eines der Anzeichen für die kommende Umwälzung und bei weitem nicht der einzige Grund, sie zu fürchten.
Den Autor*innen hier und anderswo zufolge können Kunst und Kultur entscheidend zur Auseinandersetzung mit der Klimakrise beitragen: Sie können neue Perspektiven eröffnen, ungeahnte Wege finden, die Wirklichkeit zu visualisieren und zu verstehen, indem sie Diskussionen provozieren oder, wie Vanina Saracino es hier formuliert, »Entschleunigungsmaschinen« entwickeln, die sich der »Beschleunigung als vorherrschender Zeitlichkeit technokapitalistischen Wachstums und Fortschritts« entgegenstellen (S. 75). Das alles ist absolut richtig.
Ein anderer Aspekt allerdings wurde noch nicht gebührend beachtet: die Rolle von Künstler*innen und Kulturschaffenden als Beteiligte und treibende Kraft in den Klimabewegungen. Die Mitwirkung von Künstler*innen an diesen Bewegungen ist in den letzten Jahren stark angestiegen. Vor nicht allzu langer Zeit arbeiteten sie meist eher am Erscheinungsbild mit, indem sie Transparente, Poster, Websites und so weiter entwarfen. Mittlerweile aber nehmen Künstler*innen und Kulturschaffende eine zunehmend zentrale Rolle ein, sei es als Sprecher*innen, oder bei der Konzeption von Medientaktik und genereller Strategie. Nato Thompson nannte das die »kreative und produktive Einheit von Kunst und Aktivismus«,² Maja und Reuben Fowkes schreiben im vorliegenden Band: »Es wird immer schwieriger, den künstlerischen Aspekt aus sozialen Protestbewegungen herauszuschälen, da letztere spontan Taktiken entwickeln, die von künstlerischen Strategien inspiriert zu sein scheinen, und Künstler*innen oft vollkommen im kollektiven Kampf aufgehen« (S. 68).
¹ Damian Carrington, »Bank of England warns of huge financial risk from fossil fuel investments«, The Guardian, 3. März 2015, https://www.theguardian.com/environ- ment/2015/mar/03/bank-of-englandwarns-of-financial-risk-from-fossil-fuel-investments.
² Nato Thompson, Seeing Power. Art and Activism in the Twenty-First Century, Brooklyn NY, und London: Melville House 2015, S. 25.
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