Camera Austria International

153 | 2021

  • SABRINA RAHMAN
    Leerstellen im Archiv beschwören
  • BELINDA KAZEEM-KAMINSKI
  • SABINE WEIER
    Vom Ursprung der Hassrede
  • CHRISTINE MEISNER
  • AZIZA HARMEL
    »Keine Frau, keine Pflanze, kein Bild, keine Zeichnung, kein Körper, keine Landschaft, kein Foto, keine Skulptur, nicht Stillstand und nicht Bewegung.« – Eine Interpretation des Werks von Rahima Gambo
  • RAHIMA GAMBO
  • ANTHONY DOWNEY
    Der Internet-Shutdown 2011 in Ägypten. Digitaler Dissens und die Zukunft des öffentlichen Gedächtnisses – Heba Y. Amin, Abdelkarim Mardini und Adel Iskandar im Gespräch
  • HEBA Y. AMIN
  • AÏCHA DIALLO
    Ein lebendiges Archiv des Commoning
  • CHRISTIAN NYAMPETA

Vorwort

In ganz unterschiedlicher Weise beschäftigen sich die in der vorliegenden Ausgabe vorgestellten Positionen mit den Möglichkeiten, in der Vergangenheit liegende Erfahrungen, die auch koloniale oder antisemitische Gewalt miteinschließen, zu thematisieren, sie zu reaktualisieren und sie in einem zeitgenössischen Kontext nutzbar zu machen.

Volltext

Camera Austria International 153 | 2021
Vorwort

In ganz unterschiedlicher Weise beschäftigen sich die in der vorliegenden Ausgabe vorgestellten Positionen mit den Möglichkeiten, in der Vergangenheit liegende Erfahrungen, die auch koloniale oder antisemitische Gewalt miteinschließen, zu thematisieren, sie zu reaktualisieren und sie in einem zeitgenössischen Kontext nutzbar zu machen.

Belinda Kazeem-Kamiński behandelt in ihren Filmen, Fotografien und Assemblagen die Zurschaustellung und gleichzeitige Unsichtbarkeit Schwarzer Menschen in Österreich und folgt den Spuren verdrängter Geschichten, die nicht nur hier, sondern in zahlreichen Archiven der westlichen Welt im Verborgenen gehalten werden: »Indem sie die Leerstellen des eurozentrischen Archivs sichtbar macht, treten ihre Zuseher*innen in eine alternative Welt der Möglichkeiten ein – in der […] die rassifizierten Körper der Vergangenheit heraufbeschworen werden, um die Gegenwart zu verstehen«, schreibt Sabrina Rahman über die Arbeit der Künstlerin.

Christine Meisner, die sich in ihrem umfassenden Rechercheprojekt Unschärfe im Möglichen seit 2017 mit dem Archiv der antisemitischen Wochenzeitschrift Der Stürmer (1923 – 1945) auseinandersetzt, kontextualisiert in akribischen Aufzeichnungen die Bilder, die der Redaktion von begeisterten Leser*innen zugesandt wurden, und stellt die Frage nach deren Mittäterschaft am Verbrechen des Holocaust. In ihrem Essay weist Sabine Weier auf die Parallelen zwischen dem Stürmer und jenen Gruppen, die heutzutage Antisemitismus und Hass im Internet propagieren, hin: »Schablonenhaft befeuern die Einsender*innen einen radikalen Antisemitismus, der eine jahrhundertealte Tradition hat und seit Mitte des 19. Jahrhunderts immer bedrohlicher grassiert. Es sind die gleichen Mythen, die heute die QAnon-Anhänger*innen mit ihrem anti-semitischen Weltverschwörungsnarrativ im Internet verbreiten.«

Auch Rahima Gambo beschäftigen die Spuren der Vergangenheit, die sie in ihrer Serie A Walk (seit 2018) assoziativ und in Form psychogeografischer Notizen zusammenfügt. »Auf das Gehen als künstlerische Praxis kam sie im Zuge ihrer Nachforschungen über die Zunahme von Selbstmord-Attentaten in Nordost-Nigeria. […] Unsicher, wie sie diesem Grauen begegnen sollte, beschritt sie einen Weg der Informationsgewinnung, der sie unter die Oberfläche des visuell Wahrnehmbaren führte«, schreibt Aziza Harmel. In Tatsuniya (seit 2017) wiederum begegnet Gambo der Landschaft und dem Terror, der dieser seit den Attacken der islamistischen Terrormiliz Boko Haram im Jahr 2013 eingeschrieben ist, in einem poetischen Projekt mit Schülerinnen der Abschlussklasse einer Mädchenschule in Maiduguri.

Im Zentrum des Beitrags von Heba Y. Amin steht das 2011 begonnene Project Speak2Tweet, welches sie zehn Jahre, nachdem die ägyptische Regierung aufgrund der sich ausweitenden politischen Proteste einen Internet-Shutdown beschlossen hatte, erneut befragt. Gemeinsam mit Anthony Downey, Abdelkarim Mardini – einem der Mitbegründer der damals spontan ins Leben gerufenen Kommunikationsplattform Speak2Tweet – und dem Medienwissenschaftler Adel Iskandar spricht die Künstlerin über die revolutionären Versprechen, die um 2010 mit Social-Media-Plattformen verbunden waren. Vor dem Hintergrund der Pandemie thematisieren sie zunehmende Formen digitaler Überwachung und Zensur sowie den Einfluss der Weiterentwicklung von Kommunikationstechnologien auf Meinungsfreiheit und Demokratie.

Christian Nyampeta adressiert in seiner Arbeit die Möglichkeiten 
des Zusammenlebens in einer von Differenzen geprägten Welt. Im Interview mit Aïcha Diallo spricht der Künstler über sein Projekt École du soir (Abendschule), das er seit 2009 in verschiedensten Kontexten und an unterschiedlichen Orten weltweit umgesetzt hat, über die Bedeutung der kollaborativen Auseinandersetzung mit den Erfahrungen der afrikanischen Diaspora, über die Zugänglichkeit zeitgenössischer Kunst, die Relevanz von Praktiken der (Wieder-)Instandsetzung sowie die Möglichkeiten, in poetischer, indirekter Weise mit dem Erbe kolonialer Archive umzugehen.

Christina Töpfer und das Camera Austria-Team
März 2021

Cover: Rahima Gambo, Amina and Zainab playing a clapping game, aus der Serie: Tatsuniya I, 2017. Archival inkjet print, 68,5 × 101,5 cm.

Beiträge

Forum

Vorgestellt von der Redaktion:
Elodie Grethen
Maik Gräf
Mihai Șovăială
Sethembiso Zulu
Corinne Futterlieb
Deanna Pizzitelli

Ausstellungen

Sky Hopinka: Centers of Somewhere
CCS Bard Galleries, Annandale-on-Hudson, 17. 10. 2020 – 14. 2. 2021
HARLEY WONG

New Views on Same-Olds
Ausstellungsraum der Akademie der bildenden Künste Wien, 23. 10. 2020 – 13. 3. 2021
MARGIT NEUHOLD

Hito Steyerl: I Will Survive
K21 Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf, 26. 9. 2020 – 10. 1. 2021
Centre Pompidou, Paris, 3. 2. – 7. 6. 2021
MIRA ANNELI NASS

Eva & Franco Mattes: Dear Imaginary Audience
Fotomuseum Winterthur, 23. 1. – 24. 5. 2021
JÖRG SCHELLER

1 Million Rosen für Angela Davis
Kunsthalle im Lipsiusbau, Dresden, 10. 10. 2020 – 30. 5. 2021
CHRISTIN MÜLLER

Die Sonne um Mitternacht schauen: Gegenwartskunst aus dem Lenbachhaus und der KiCo Stiftung
Lenbachhaus, München, 29. 9. 2020 – 1. 8. 2021
PAUL MELLENTHIN

Želimir Žilnik: Shadow Citizens
kunsthalle wien, Vienna, 24. 10. 2020 – 18. 4. 2021
MARINA GRŽINIĆ und MIKA MARUYAMA

Continent – In Search of Europe
Akademie der bildenden Künste, Berlin, 2. 10. 2020 – 10. 1. 2021
Kunsthalle Erfurt, 24. 10. 2021 – 23. 1. 2022
Deutsche Börse Photography Foundation, Frankfurt am Main, 10. 2. 2022 – May 2022
MITCH SPEED

Fina Miralles: I Am All the Selves that I Have Been
MACBA – Museu d’Art Contemporani de Barcelona, 5. 11. 2020 – 5. 4. 2021
NATASHA CHRISTIA

Working Together: The Photographers of the Kamoinge Workshop
Whitney Museum, New York, 21. 11. 2020 – 28. 3. 2021
Virginia Museum of Fine Arts, Richmond, 1. 2. – 18. 10. 2020
NICOLAS LINNERT

Bücher

Jennifer Bajorek, Unfixed: Photography and Decolonial Imagination in West Africa
Duke University Press, Durham and London 2020
DANIELA YVONNE BAUMANN

»Die Fotos sind wir« – Für eine Entsouveränisierung unseres Blicks. Eine zweibändige Publikation von Linda Hentschel zu fotografischen Gewaltbildern
Linda Hentschel: Schauen und Strafen, Band 1. Nach 9/11; Band 2. Gegen Lynchen
Kulturverlag Kadmos, Berlin 2020 und 2021
KATHARINA SYKORA

Face to Face: Seiichi Furuya & Christine Gössler
Chose Commune, Marseille 2020
EMILIE LAURIOLA

Eine Kritik zur Buchreihe der Digitalen Bildkulturen und ein kleines Plädoyer für eine Archäologie der Fotografie
Annekathrin Kohout und Wolfgang Ullrich (Hg.): Digitale Bildkulturen
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin seit 2019
MAREN LÜBBKE-TIDOW

Daniel Rubinstein: Fotografie nach der Philosophie
Merve Verlag, Leipzig 2020
PETER KUNITZKY

Christiane Kues, Auto PhD – Bodies, Parts and Paint
Self-published, Berlin 2020
ANNA BARFUSS

Gerhard Paul, Bilder einer Diktatur. Zur Visual History des »Dritten Reiches«
Wallstein Verlag, Göttingen 2020
Christina Irrgang, Hitlers Fotograf. Heinrich Hoffmann und die nationalsozialistische Bildpolitik
Hoffmann and National-Socialist Image Politics] Transcript, Bielefeld 2020
FRIEDRICH TIETJEN

Talking Books
Erik van der Weijde in Conversation with . . . Ruth van Beek
Ruth van Beek: Eldorado
Van Zoetendaal, Amsterdam 2020
Ruth van Beek: Dancing Figures (The Manuals #2)
Centerfold Editions, Amsterdam 2014
Ruth van Beek: How to Do the Flowers
Art Paper Editions, Ghent; Dashwood Books, New York 2018

Impressum

Herausgeber: Reinhard Braun

Verlag, Eigentümer: Verein CAMERA AUSTRIA. Labor für Fotografie und Theorie.
Lendkai 1, 8020 Graz, Österreich

Chefredaktion: Christina Töpfer.
Redaktion: Margit Neuhold.

Übersetzer*innen: Dawn Michelle d’Atri, Peter Kunitzky, Wilfried Prantner, Clemens Ruthner, Sabine Weier.

Englisches Lektorat: Dawn Michelle d’Atri.

Dank: Akinbode Akinbiyi, Heba Y. Amin, Daniela Baumann, Tina Campt, Aïsha Diallo, Anthony Downey, Corinne Futterlieb, Rahima Gambo, Maik Gräf, Elodie Grethen, Aziza Harmel, Adel Iskandar, Belinda Kazeem-Kamiński, Peter Kunitzky, Abdelkarim Mardini, Christine Meisner, Christin Müller, Christian Nyampeta, Eva Maria Ocherbauer, Deanna Pizzitelli, Sabrina Rahman, Anja Remmert, Sigrun Salmanian, Philip Schütz, Nina Schwarzenberger, Nicole Six & Paul Petritsch, Mihai Șovăială, Claudia Weber, Sabine Weier, Mareike Wenzlau, Sethembiso Zulu.

Copyright © 2021
Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck nur mit vorheriger Genehmigung des Verlags. Für übermittelte Manuskripte und Originalvorlagen wird keine Haftung übernommen.

ISBN 978-3-902911-60-5
ISSN 1015 1915
GTIN 4 19 23106 1600 5 00153