Camera Austria International

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122 | 2013

  • MICHELE ROBECCHI
    Shirana Shahbazi: Die trügerische Wahrheit
  • SHIRANA SHAHBAZI
  • MARK DURDEN
    Wolfgang Tillmans: Die Freiheiten der Fotografie
  • WOLFGANG TILLMANS
  • VANESSA JOAN MÜLLER
    Stephanie Kiwitt: Gebrauchswertversprechen
  • STEPHANIE KIWITT
  • ÓSCAR FARIA
    Heinz Peter Knes: Jetzt der Erkennbarkeit
  • HEINZ PETER KNES
  • T.J. DEMOS
    Spektro-Ästhetik 2/4 Die Welt ohne uns

Vorwort

Was kann ein einzelnes Bild, außer, dass es gut ist? Diese rhetorisch-kritische Frage begleitet uns immer wieder in der Konzeption der Inhalte unserer Zeitschrift, in der wir Debatten anzustoßen versuchen, die klar über das Einzelbild hinausweisen, und die stattdessen Formen der Dokumentation und mit ihr serielle Arbeitsweisen ins Zentrum der Betrachtung stellen – mit dem Ziel, die fotografische Praxis immer auch als eine Form der kritischen Kommentierung oder der Einmischung in oder Sichtbarmachung von Politik und Alltag zu begreifen.
Dennoch bleibt, dass wir immer wieder auch Bilder von KünstlerInnen betrachten, deren Arbeiten zwar in Büchern und Ausstellungen konzeptuell-strategisch und selbstredend auch aus inhaltlichen Gründen zu Serien zusammengefasst sind, die aber auch als Einzelbilder für sich beeindrucken und nachwirken – Fotografien, die allein durch ihre bildnerische Präzision bestechen, Arbeiten, die sich nicht durch Formen der Visualisierung »von etwas« mitteilen, sondern vor allem durch ihre Visualität wirken, Bilder, die eine anhaltende Gültigkeit beanspruchen und sich gleichermaßen einer unmittelbaren Beschreibung dessen, was wir auf ihnen sehen, genauso entziehen wie einer sich über sie stülpenden Theoretisierung.
Die Arbeiten von Wolfgang Tillmans sind dafür ein gutes Beispiel. Auf keinen Fall sei an dieser Stelle der Kult um die Bilder bestätigt, viel eher lohnt es sich, seine Arbeiten als Genrebilder zu begreifen: Mit seinen Werken teilt sich eine Form des (ethischen) Denkens über die Dinge mit – gleichzeitig bleibt er immer dicht am Gegenstand, werden keine Bilder zurechtgerückt oder Realitäten verstellt. Tillmans’ Fotografien entwickeln ihre Gültigkeit nicht über einen die Arbeiten zusammmenbindenden konzeptiven Grundgedanken, sondern sind jeweils »für sich« präzise Beschreibungen von Räumen und ihren Atmosphären, die sich gerade in den neuen Arbeiten stark über die in den Blick genommenen Abbildungen von Oberflächen und ihrer Materialität entwickeln, teilweise über die Materialität des Bildträgers selbst, das Fotopapier, sowie teilweise über das in ihnen wirkende Licht, das auf die verschiedenen Enden der Welt und ihre BewohnerInnen verweist, die Tillmans in diesem Zyklus zusammenzuspannen versteht.
Dass hinter einem fotografischen Bild immer schon ein anderes Bild »wartet«, dass und wie sich fotografische Bilder gegenseitig kommentieren, wie sich zwischen den Bildern deren Politik aufspannt, sich ein Diskurs in Gang setzt, ein Denken seinen Ort in den Bildern findet und sich ein Soziales mit den Bildern in Szene setzt – all das hat seinen Platz in den Debatten zwischen »Photo Op« und »Dokumentalität«. Doch wie blicken wir auf ein Bild? Welches Zurichten findet in diesem besonderen Ausschnitt statt, welche Transformationen und Übersetzungen greifen Platz? Welche Form von Präsenz und Performativität liegt dem einen, dem einzigen Bild zugrunde? Nicht nur Tillmans codiert in seinen Bildern enigmatische Geschichten – auch in den Arbeiten von Heinz Peter Knes und ­Stephanie Kiwitt verdichtet sich das, was sich in ihren Serien in Bezügen und Aneignungen abspielt, immer auch im konkreten einzelnen Bild. Auch sie verstehen es, mit ihren Arbeiten Form und Ästhetik präzise im Einzelbild zu organisieren.

Volltext

Camera Austria International 122 | 2013
Vorwort

Was kann ein einzelnes Bild, außer, dass es gut ist? Diese rhetorisch-kritische Frage begleitet uns immer wieder in der Konzeption der Inhalte unserer Zeitschrift, in der wir Debatten anzustoßen versuchen, die klar über das Einzelbild hinausweisen, und die stattdessen Formen der Dokumentation und mit ihr serielle Arbeitsweisen ins Zentrum der Betrachtung stellen – mit dem Ziel, die fotografische Praxis immer auch als eine Form der kritischen Kommentierung oder der Einmischung in oder Sichtbarmachung von Politik und Alltag zu begreifen.
Dennoch bleibt, dass wir immer wieder auch Bilder von KünstlerInnen betrachten, deren Arbeiten zwar in Büchern und Ausstellungen konzeptuell-strategisch und selbstredend auch aus inhaltlichen Gründen zu Serien zusammengefasst sind, die aber auch als Einzelbilder für sich beeindrucken und nachwirken – Fotografien, die allein durch ihre bildnerische Präzision bestechen, Arbeiten, die sich nicht durch Formen der Visualisierung »von etwas« mitteilen, sondern vor allem durch ihre Visualität wirken, Bilder, die eine anhaltende Gültigkeit beanspruchen und sich gleichermaßen einer unmittelbaren Beschreibung dessen, was wir auf ihnen sehen, genauso entziehen wie einer sich über sie stülpenden Theoretisierung.
Die Arbeiten von Wolfgang Tillmans sind dafür ein gutes Beispiel. Auf keinen Fall sei an dieser Stelle der Kult um die Bilder bestätigt, viel eher lohnt es sich, seine Arbeiten als Genrebilder zu begreifen: Mit seinen Werken teilt sich eine Form des (ethischen) Denkens über die Dinge mit – gleichzeitig bleibt er immer dicht am Gegenstand, werden keine Bilder zurechtgerückt oder Realitäten verstellt. Tillmans’ Fotografien entwickeln ihre Gültigkeit nicht über einen die Arbeiten zusammmenbindenden konzeptiven Grundgedanken, sondern sind jeweils »für sich« präzise Beschreibungen von Räumen und ihren Atmosphären, die sich gerade in den neuen Arbeiten stark über die in den Blick genommenen Abbildungen von Oberflächen und ihrer Materialität entwickeln, teilweise über die Materialität des Bildträgers selbst, das Fotopapier, sowie teilweise über das in ihnen wirkende Licht, das auf die verschiedenen Enden der Welt und ihre BewohnerInnen verweist, die Tillmans in diesem Zyklus zusammenzuspannen versteht.
Dass hinter einem fotografischen Bild immer schon ein anderes Bild »wartet«, dass und wie sich fotografische Bilder gegenseitig kommentieren, wie sich zwischen den Bildern deren Politik aufspannt, sich ein Diskurs in Gang setzt, ein Denken seinen Ort in den Bildern findet und sich ein Soziales mit den Bildern in Szene setzt – all das hat seinen Platz in den Debatten zwischen »Photo Op« und »Dokumentalität«. Doch wie blicken wir auf ein Bild? Welches Zurichten findet in diesem besonderen Ausschnitt statt, welche Transformationen und Übersetzungen greifen Platz? Welche Form von Präsenz und Performativität liegt dem einen, dem einzigen Bild zugrunde? Nicht nur Tillmans codiert in seinen Bildern enigmatische Geschichten – auch in den Arbeiten von Heinz Peter Knes und ­Stephanie Kiwitt verdichtet sich das, was sich in ihren Serien in Bezügen und Aneignungen abspielt, immer auch im konkreten einzelnen Bild. Auch sie verstehen es, mit ihren Arbeiten Form und Ästhetik präzise im Einzelbild zu organisieren.
»[…] [Die] Möglichkeit, sich physisch neu zu gestalten und zu vermarkten, auch als individueller Freiheitsgewinn jenseits fremdbestimmter Anpassung«, wie sie Vanessa Joan Müller in der Serie »GYM« von Stephanie Kiwitt thematisiert findet, bedeutet eben auch, für diese Versuche der Neugestaltung eine entsprechende fotografische Gestalt zu finden. Dabei geht nicht nur die Serialität dieser wiederkehrenden und immer wieder zu erneuernden Anstrengung als dokumentarisches »Motiv« in die Serie ein, es findet auch ein Widerstreit (zwischen Körper und seiner Zurichtung) statt, der als formales Element in den einzelnen Bildern auftaucht: Ein Aus-dem-Bild-Treten, ein Verlassen der Bilder wird angedeutet, der Wechsel von Farbe und Schwarzweiß, die variierende Wiederholung – das Bild erscheint als Versuch, eine Form zu finden und über diese Form den Körpern eher eine Performanz zur Seite zu stellen als diese abzubilden.
Óscar Farias Text zur Arbeit von Heinz Peter Knes, der in seinen Bildern eine Hütte und ihr Verschwinden bildnerisch umkreist und sich mit dieser »Migration der Formen« einem geradezu archaischen Thema widmet, zeichnet vor allem deren disparate Momente nach: mit jedem weiteren Bild eine neue Geschichte zu eröffnen, sich in Widersprüche zu verstricken, von einem anderen Ende neu zu beginnen. »there are no credible witnesses, nor the faintest clue.« Die ausgelegten Spuren sind nicht zu überprüfen, die Geschichte will und will sich nicht verknüpfen, jedes Bild eröffnet einen neuen möglichen Kontext, der sich aber sträubt, kontextualisiert zu werden. Es ist, als hätte ein Bild selbst die Postkarte geschickt: »I hate my past and that of others.« Die Gegenwart, die bleibt, ist die Gegenwart des Bildes und erneut dessen Performanz.
Shirana Shahbazis Praxis, ausgehend von der ikonischen Tradition ihres Heimatlandes Iran, diese mit Bildtraditionen des »Westens« (Studioporträt, Stillleben, Landschaftsmalerei) zu verknüpfen, hat nicht nur komplexe Bildbezüge zur Folge. Zusätzlich zu deren Bedeutung werden sie auch durch die ihnen innewohnende Schönheit ausgezeichnet, wie Michele Robecchi schreibt. Die Visualität der Fotografie kann nur durch eine facettenreiche Perspektive auf diese evaluiert werden, wozu auch der Begriff der Schönheit zu zählen wäre. Die Dualität ihrer Arbeiten, zugleich vertraut und fremd zu erscheinen, zugleich codiert von einer Geschichte und als starke ästhetische Präsenz, zielt auch darauf, eine direkte, fast körperliche Reaktion auf ihre Bilder auszulösen.
Wir freuen uns, dass wir seit der letzten Ausgabe mit einem neuen Vertriebspartner zusammenarbeiten: Motto Distribution in Berlin, der mit mehr als 150 Verlagen eine breite Palette an Künstlerbüchern vertritt, darunter viele experimentelle Buchprojekte. Unsere neue Website ist vor Kurzem veröffentlicht worden, die uns mehr Möglichkeiten der Kommunikation und Dokumentation unserer Arbeit und zu weiterführenden Informationen geben wird. Sie können uns antreffen auf der I Never Read, Art Book Fair in Basel (CH) sowie bei den Rencontres d’Arles (FR). Weitere Präsentationen der vorliegenden Ausgabe von Camera Austria International wird es auf der Art Basel und der LISTE (Basel) geben.

Maren Lübbke-Tidow, Reinhard Braun
und das Camera Austria-Team
Juni 2013

Beiträge

Forum

Vorgestellt von Igor Eškinja:

ALEJANDRO VIDAL

MIRIAM O`CONNOR

PETER PUKLUS

KASIA KLIMPEL

LAURIE KANG

SANDRA VITALJIĆ

Ausstellungen

Nouvelles Impressions de Raymond Roussel
Palais de Tokyo, Paris
ANNE FAUCHERET

Former West: Documents, Constellations, Prospects
Haus der Kulturen der Welt, Berlin
FATOŞ ÜSTEK

Haris Epaminonda: South of Sun
Kunsthaus Zürich
ANKE HOFFMANN

Rosemarie Trockel: A Cosmos
Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofía, Madrid
New Museum, New York
Serpentine Gallery, London
STEFANIE SEIBOLD

Rineke Dijkstra: The Krazy House
MMK, Frankfurt/Main
KERSTIN STREMMEL

Ruins in Reserve
Tate Modern Project Space, London
STEFAAN VERVOORT

Live Cinema/Manon de Boer: Resonating Surfaces – A Trilogy
Philadelphia Museum of Art
NICOLAS LINNERT

Ahlam Shibli: Phantom Home
MACBA, Barcelona
Jeu de Paume, Paris
Museu de Arte Contemporânea de Serralves, Porto
ALBERTO MARTÍN

Mathieu Kleyebe Abonnenc: Kannibalen
Bielefelder Kunstverein
BRITTA PETERS

Lewis Baltz
kestnergesellschaft, Hannover
Albertina, Wien
NORA THEISS

Power! Photos! Freedom!
FotoMuseum Provincie Antwerpen
TACO HIDDE BAKKER

Moments Measured
LACMA, Los Angeles
SANDRA WAGNER

I am also… Douglas Gourdon
Tel Aviv Museum of Art
ELLIE ARMON AZOULAY

Fotos. Österreichische Fotografien von den 1930ern bis heute
21er Haus, Wien
CHRISTINA NATLACEN

Concrete. Fotografie und Architektur
Fotomuseum Winterthur
HUBERTUS ADAM

Josef Dabernig: Panorama
Kunsthaus Graz
REINHARD BRAUN

59. Internationales Kurzfilmtage Oberhausen: Flatness. Kino nach dem Internet
KATRIN MUNDT

art is: new art. Reflections on Schönberg in contemporary art
Arnold Schönberg Center, Wien
YUKI HIGASHINO

Bücher

Ulrike Lienbacher: nude, pensive
Fotohof edition, Salzburg 2012
KRZYSZTOF PIJARKSI

Vera Brandner: Das Bild der Anderen / Picturing Others
Fotohof edition, Salzburg 2012
RUTH SONDEREGGER

THE REVOLVING BOOKSHELF
Hans-Dieter Schmidt / Evelyn Richter: Entwicklungswunder Mensch, Urania-Verlag, Leipzig / Jena / Berlin 1980
Friedl Kubelka: Porträt Louise Anna Kubelka, Edition Fotohof, Salzburg 1998
Judith Butler: Psyche der Macht. Das Subjekt der Unterwerfung, Suhrkamp Verlag, Frankfurt/Main 2001
JAN WENZEL

 

Impressum

Herausgeber: Reinhard Braun
Verlag, Eigentümer: Verein CAMERA AUSTRIA. Labor für Fotografie und Theorie.
Lendkai 1, 8020 Graz, Österreich

Chefredaktion: Maren Lübbke-Tidow (V.i.S.d.P.)
Redaktion: Christina Töpfer, Margit Neuhold (Karenz), Rebecca Wilton

ÜbersetzerInnen: Dawn Michelle d’Atri, John Doherty, Rui Parada, Wilfried Prantner, Josephine Watson.
Deutsches Korrektorat: Daniela Billner
Englisches Lektorat: Dawn Michelle d’Atri

Dank / Aknowledgements:
Carmen Brunner, Mark Durden, T. J. ­Demos, Igor Eškinja, Óscar Faria, ­Winfried ­Heininger, Sven Johne, ­Laurie Kang, Stephanie Kiwitt, Kasia Klimpel, Heinz ­Peter Knes, Eva Möller, Vanessa Joan Müller, Frauke Nelißen, Miriam O’Connor, Peter Puklus, Michele ­Robecchi, Fadoa Schurer, Shirana Shahbazi, ­Wolfgang Tillmans, Slaven Tolj, Alejandro Vidal, Sandra Vitaljić, Veronika Werkner, Stefanie Zangerl.

Copyright © 2013
Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck nur mit vorheriger Genehmigung des Verlags. / All rights reserved. No parts of this magazine may be reproduced without publisher’s permission.
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ISBN 978-3-900508-96-8
ISSN 1015 1915
GTIN 4 19 23106 1600 5 00122